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AKTION/1003: Urgent Action - Israel / besetzte palästinensische Gebiete - Hana Shalabi nach Gaza gebracht


ai - URGENT ACTION
Nr: UA-071/2012-3, AI-Index: MDE 15/017/2012, Datum: 3. April 2012 - we

Verwaltungshäftling nach Gaza gebracht
Israel / besetzte palästinensische Gebiete

Weitere Informationen zu UA-071/2012 (MDE 15/010/2012, 2. März 2012, MDE 015/013/2012, 13. März 2012 und MDE 015/015/2012, 26. März 2012)



HANA SHALABI

Die Palästinenserin Hana Shalabi beendete ihren Hungerstreik am 28. März. Die Bedingungen unter denen sie anschließend in den Gazastreifen entlassen wurde, sind mit einer Zwangsumsiedlung oder Abschiebung vergleichbar. Hana Shalabi befand sich insgesamt 43 Tage im Hungerstreik, um so gegen ihre Inhaftierung ohne vorherige Anklage oder Verfahren zu protestieren.

Am 1. April wurde Hana Shalabi aus dem Gefängniskrankenhaus in Ramleh, in dem sie festgehalten wurde, entlassen und in das al-Shifa Krankenhaus in Gaza-Stadt gebracht. Am Grenzübergang Erez, zwischen Israel und Gazastreifen, sah sie ihre Familie zum ersten Mal seit ihrer Festnahme am 16. Februar.

Die Freilassung von Hana Shalabi und ihre Überführung in den Gazastreifen gehen auf eine Übereinkunft zwischen den israelischen Behörden und der Rechtsvertretung des Palästinensischen Verbands für Gefangene zurück. Laut Medienberichten, einigten sich die Parteien darauf, dass Hana Shalabi nach Beenden ihres Hungerstreiks in den Gazastreifen gebracht wird und erst nach drei Jahren in ihre Heimat im Westjordanland zurückkehren darf.

Noch während Hana Shalabi im Gefängniskrankenhaus in Ramleh festgehalten wurde, übermittelte sie über den Palästinensischen Verband für Gefangene eine Botschaft, die später in den Medien veröffentlicht wurde. In dieser Botschaft bat sie um Akzeptanz ihrer Entscheidung in den Gazastreifen zu gehen. Sie erklärte, dass es ihre freie Entscheidung sei und sie sich auch in Gaza zuhause fühlen werde. Nach Ablauf der drei Jahre, so sagte sie, werde sie in ihre Heimat an Rande der Stadt Jenin, im Westjordanland, zurückkehren. Sie berichtete, dass sie starke Schmerzen habe und Blutungen eingesetzt hätten. Dann bat sie die Menschen, die übrigen Verwaltungshäftlinge im Hungerstreik weiter zu unterstützen.

Unabhängige ÄrztInnen und Rechtsbeistände durften Hana Shalabi in den letzten Tagen, bevor sie ihren Hungerstreik beendete, nicht besuchen. Es herrscht große Besorgnis über den Gesundheitszustand von Hana Shalabi, da sie während der Wiederaufnahme von Nahrung eine spezielle medizinische Behandlung benötigen wird. Wegen der israelischen Wirtschafts- und Militärblockade, sowie wegen der derzeitigen Treibstoffkrise, die auch Krankenhäuser betrifft, ist jedoch der Zugang zu einer solchen spezialisierten medizinischen Versorgung im Gazastreifen sehr begrenzt.

Während des Aufenthaltes im Gazastreifen, können die Familienangehörigen von Hana Shalabi, die im besetzten Westjordanland leben, sie nur dann besuchen, wenn die Behörden in Israel, Jordanien und Ägypten ihnen die erforderlichen Genehmigungen oder Visa für eine Reise nach Gaza über Jordanien und Ägypten ausstellen. Obwohl das Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, und der Gazastreifen, gemäß des Osloer Abkommens und des humanitären Völkerrechts, international als eine einzige Gebietseinheit betrachtet werden, erlauben die israelischen Behörden PalästinenserInnen nicht, in den jeweils anderen Teil zu reisen. Laut der Genfer Abkommen darf eine Besatzungsmacht Menschen aus einem besetzten Gebiet nicht gegen ihren Willen umzusiedeln oder abschieben.

Es ist bereits vorgekommen, dass die israelischen Behörden PalästinenserInnen, die für einen begrenzten Zeitraum aus dem Westjordanland in den Gazastreifen verbracht worden waren, trotz eines Übereinkommens auch nach Ablauf dieser Frist nicht wieder in ihre Heimat einreisen ließen. Amnesty International ist nicht bekannt, welche Garantien oder Bedingungen vereinbart worden sind, damit Hana Shalabi in drei Jahren in das Westjordanland zurückkehren darf.

Amnesty International wird sich weiter für die Abschaffung der Verwaltungshaft in Israel einsetzen. Danke an alle, die Hana Shalabi unterstützt haben. Das Schreiben weiterer Appelle ist derzeit nicht erforderlich.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Hana Shalabi, die aus Burqin, einer Ortschaft am Rande der Stadt Jenin im Westjordanland stammt, wurde am 16. Februar festgenommen und zum Verhör in die Hafteinrichtung Salem gebracht. Am Tag nach ihrer Festnahme wurde die Palästinenserin in das im Norden Israels gelegene Haftzentrum HaSharon eingeliefert. Am 23. Februar erging gegen Hana Shalabi eine sechsmonatige Verwaltungshaftanordnung, unterschrieben von einem Militärbefehlshaber. Ein Militärrichter überprüfte die Haftanordnung und verkürzte sie auf vier Monate. Nach Angaben ihres Rechtsanwalts werfen die israelischen Behörden der Palästinenserin vor, sie sei in Aktivitäten verwickelt, welche die Sicherheit Israels gefährden.

Noch am Tag ihrer Festnahme trat Hana Shalabi aus Protest gegen ihre Inhaftierung ohne vorherige Anklage in den Hungerstreik. Nach Angaben ihres Rechtsbeistands will Hana Shalabi mit ihrem Hungerstreik dagegen protestieren, dass sie sich nach der Festnahme vor mehreren israelischen Soldaten zur Leibesvisitation nackt ausziehen musste. Daraufhin sind mindestens 30 weitere palästinensische Gefangene aus verschiedenen israelischen Haftanstalten in einen unbefristeten Hungerstreik getreten, um so gegen die Praxis der Verwaltungshaft zu protestieren. Einige nehmen bereits seit mehr als vier Wochen keine Nahrung zu sich. Soweit Amnesty International bekannt ist, wurde den Hungerstreikenden kein Zugang zu unabhängigen ÄrztInnen gewährt. Einigen wird seither möglicherweise auch der Zugang zu einem Rechtsbeistand verwehrt, beziehungsweise sie befinden sich in Isolationshaft oder sind anderweitig bestraft worden, weil sie sich dafür entschieden haben, in den Hungerstreik zu treten.

Laut Aussagen ihres Rechtsbeistands befand sich Hana Shalabi vom 23. bis zum 27. Februar in Einzelhaft, um sie wegen des Hungerstreiks zu bestrafen. Sie wurde in das Gefängniskrankenhaus von Ramleh verlegt, nachdem ihr Rechtsbeistand dies beim Gefängnisdienst beantragt hatte. Im Haftzentrum HaSharon war eine auf den kritischen Gesundheitszustand von Hana Shalabi abgestimmte medizinische Versorgung nicht möglich. Nachdem sich ihr gesundheitlicher Zustand noch weiter verschlechtert hatte, verlegte man sie in das Meir Krankenhaus in Israel. Erst nachdem sie ihren Hungerstreik am 28. März beendet hatte, brachte man Hana Shalabi wieder zurück in das Gefängniskrankenhaus in Ramleh.

Nach Artikel 9 und 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsstaaten Israel zählt, haben inhaftierte Menschen einen verbrieften Anspruch unter anderem auf folgende Rechte: das Recht auf sofortige und umfassende Bekanntgabe der Haftgründe; das Recht, bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten; das Recht, Fragen an die BelastungszeugInnen zu stellen oder stellen zu lassen; das Recht auf öffentliche Verhandlung. All diese Rechte werden bei der Verhängung von Verwaltungshaftstrafen durchgängig verletzt. Darüber hinaus sollte kein Gefangener dazu gezwungen werden, sich einer Leibesvisitation durch eine Person des anderen Geschlechts zu unterziehen. Dies stellt eine Verletzung des Rechts auf Schutz vor grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und des Rechts auf Privatsphäre dar. Zudem verstößt eine so durchgeführte Leibesvisitation gegen internationale Abkommen über die Rechte von Gefangenen und Häftlingen, wie die Grundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung weiblicher Gefangener und für nicht freiheitsentziehende Maßnahmen für weibliche Straffällige.

Nach Angaben des israelischen Gefängnisdienstes befanden sich am 29. Februar 2012 insgesamt 320 PalästinenserInnen in Verwaltungshaft, seitdem könnte die Zahl noch angestiegen sein.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
Nr: UA-071/2012-3, AI-Index: MDE 15/017/2012, Datum: 3. April 2012 - we
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2012