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REZENSION/740: Jensen, Keith, Wilbert - Bright Green Lies (SB)


Derrick Jensen, Lierre Keith, Max Wilbert


Bright Green Lies

How the environmental movement lost its way and what we can do about it



Vor rund 2,3 Milliarden Jahren leitete vor allem eine Spezies eine Entwicklung ein, durch die sich die Zusammensetzung der gesamten Erdatmosphäre auf tödliche Weise für fast alle anderen Lebensformen verändern sollte. Ohne jene Große Sauerstoffkatastrophe, wie sie in der Geologie genannt wird, gäbe es keine Sauerstoffatmer und damit auch den heutigen Menschen nicht. Inzwischen schickt sich dieser an, die Atmosphäre so zu verändern, dass dies für zahlreiche Arten zu einem ähnlich gravierenden Katastrophenereignis wird, einschließlich seiner selbst. Vor allem durch das Verbrennen fossiler Rohstoffe in Haushalten, Fahrzeugen und Industrien, die weltumspannenden Personen- und Warenströme per Schiff und Flugzeug sowie eine intensive Tierproduktion werden der Atmosphäre Abgase und andere klimarelevante Emissionen zugeführt. Ähnlich wie die Cyanobakterien im obigen Beispiel hat der Mensch mit seinem Auftritt auf der Bühne der Evolution, insbesondere seit Beginn des Industriezeitalters vor rund 200 Jahren, eine Entwicklung angestoßen, die man als Große Erwärmungskatastrophe oder, wie bereits als Terminus in der Klimawissenschaft eingeführt, als "Heißzeit" bezeichnen kann.

Auf dem gegenwärtig eingeschlagenen Kurs werden womöglich noch zu Lebzeiten der Kinder- und Enkelgeneration auf dem Land und in den Ozeanen unbewohnbare Klimazonen entstehen. Durch die Umwandlung der Atmosphäre und die Ausbreitung des Menschen bis in die letzten Refugien hinein sterben pro Tag im Durchschnitt 150 Arten aus. Elefanten, Nashörner, Löwen und andere Großsäuger sind besonders gefährdet. Dabei leben sowieso nur noch 4 Prozent der Säugetiere wild, mehr als 60 Prozent fristen ihr Dasein als Nutztiere.

Der Zustand der heutigen Erde ist das Ergebnis technologischer Fortschrittsträume und Vielversprechen. Obgleich seit mindestens einem halben Jahrhundert hinlänglich bekannt sein müsste, dass der Frühling verstummt, wenn die Menschen weitermachen wie bisher, das Wachstum an seine Grenzen stößt und die Tragfähigkeit der Erdsysteme für diverse Abfallstoffe der menschlichen Zivilisation überlastet wird, werden die Produktionsverhältnisse weiterhin von der Wachstumsdoktrin bestimmt.

Inzwischen präsentieren sich die gleichen gesellschaftlichen Profiteure, die wissentlich die globalen Schadensfolgen ihres Tuns in Kauf genommen haben, als Retter der Menschheit. Mit Konzepten wie dem "Green Deal" (EU) und "Green New Deal" (USA) oder Chinas Fünfjahresplan (2021 - 2025) auf dem Weg zu einer "ökologischen Zivilisation" sollen binnen weniger Jahre weltweit mehr als eine Milliarde Autos mit Verbrennungsmotoren verschrottet werden. Im gleichen Zeitraum sollen sie durch Autos mit alternativen Antriebsformen ersetzt werden. Die müssen alle noch gebaut werden. Die Geschäfte der Autoindustrie brummen. Und über den Individualverkehr hinaus existieren selbstverständlich noch viele weitere Schlachtfelder der Großen Transformation [2]. Und das rettet dann die Menschheit vor dem Klimawandel?

Es geht bei der Transformation nicht allein um den Ersatz von einer Technologie durch eine andere. Aufgrund der eingangs angedeuteten, selbst geschaffenen Sachzwänge werden unter dem Label der grünen Ökonomie tief in die gesellschaftlichen Strukturen schneidende Veränderungen vorgenommen. Nur ein Beispiel: Seit Jahren findet ein Prozess der Kapitalisierung der Natur statt und es werden Lizenzen zur Verschmutzung der Atmosphäre ausgegeben. Anstatt die Wirtschaft zu wirksamen Maßnahmen des Klimaschutzes zu zwingen, wird ihr gestattet, Handel mit Verschmutzungsrechten zu treiben und sich von der schmerzhaften Verpflichtung eigener Klimaschutzmaßnahmen zumindest partiell freikaufen zu können. Dem noch nicht genug, spielt sich auf einmal die finanzstarke "erste" Welt als Hüterin der tropischen Regenwälder auf, um sie vor jenen Menschen zu "schützen", die darin seit alters her nachhaltig gelebt haben. Und manche zivilgesellschaftliche Naturschutzbewegung singt dazu im Hintergrundchor ihr Credo.

Wie konnte es dazu kommen, dass sich plötzlich die Industrie, die einst von der Umweltschutzbewegung als hauptverantwortlich für die Zerstörung der Natur gebrandmarkt wurde, als Heilsbringerin zur Rettung der Welt geriert? Was ist passiert, dass die Umweltbewegten nicht mehr den Planeten retten wollen, sondern nur noch ihr Leben, fragen Derrick Jensen, Lierre Keith und Max Wilbert in ihrem bislang nur auf Amerikanisch erschienenen Buch "Bright Green Lies: How the environmental movement lost its way and what we can do about it", frei übersetzt: Leuchtend grüne Lügen: Wie die Umweltbewegung vom Weg abgekommen ist und was wir dagegen tun können.

Wir bringen keine guten Nachrichten, stellt Keith im Vorwort klar, und erklärt:

"Wir haben dieses Buch geschrieben, weil mit unserer Bewegung etwas geschehen ist. Die Wesen und Biome, die einst im Zentrum unsere Sorge standen, sind verschwunden. An ihrer Stelle steht jetzt genau das System, das sie vernichtet. Das Ziel hat sich gewandelt: Wir sollen unsere Lebensweise retten, nicht für den lebendigen Planeten kämpfen; stattdessen sollen wir uns hinter den 'Maschinen, die Maschinen machen, die Maschinen machen', die verschlingen, was von unserer Heimat übrig ist, versammeln." (S. 16) [1]

Die Autorin und ihre Mitstreiter rechnen sich zu der radikalökologischen Bewegung "Deep Green Resistance" [siehe Schattenblick REZENSION/727], die die Zivilisation und ihre vermeintlichen Errungenschaften fundamental in Frage stellt und dabei zivilen Ungehorsam, mithin selbst Sabotage für ein legitimes Mittel hält, um der Gesellschaft Sand ins Getriebe zu streuen. In diesem Buch nehmen sie die etablierte Umweltbewegung aufs Korn, denn:

"Die leuchtend grünen Lösungen erlauben es uns, unsere unnachhaltige Lebensweise beizubehalten und dabei so zu tun, als würden wir den Planeten nicht töten."
(S. 14)

Der Ausdruck "bright green lies" ist eine Anspielung auf eine Einteilung des Spektrums der Umweltschutzbewegung durch den Zukunftsforscher Alex Steffen. Er spricht von "bright green environmentalists" und meint damit jenen aus seiner Sicht innovationsfreudigen Zweig der Umweltschutzbewegung, der an technologische Lösungen für Klimaschutz- und Umweltprobleme glaubt. Wohingegen "light green" für die Idee individueller Antworten auf die Klimakrise wie z. B. die Veränderung des Lebensstils steht. Mit "dark green" wiederum sind Personen oder Gruppen gemeint, die Umweltprobleme auf die industrielle Entwicklung und Zivilisation zurückführen. Und um der bloßen Vollständigkeit halber: Die "Grays" sind die Betonköpfe. Sie gehen davon aus, dass man überhaupt keine Maßnahmen ergreifen muss. Zwischen den unterschiedlichen an Umweltschutz interessierten Fraktionen liegen Welten.

Jensen, Keith und Wilbert merken gleich zu Beginn ihres Buchs an, dass sie sich dafür entschieden haben, Tiere und Pflanzen nicht als Dinge, die (engl.: that) etwas tun, sondern als "nichtmenschliche Lebewesen" anzusehen, die (engl.: who) etwas tun oder denen etwas angetan wird. Am Beispiel der Technik eines Kernkraftwerks liest sich das dann so:

"Dessen physikalische Komponenten erfordern Minen und die damit verbundenen Angriffe auf das Leben, aber es braucht auch ein spezifisches soziales Arrangement, das patriarchalisch, hierarchisch, militaristisch, spezialisiert und mechanistisch ist. Und all das erfordert ein inneres theologisches Grundprinzip, nach dem das Leben eine Reihe von unzusammenhängenden Objekten ist - Dinge, die wir vielleicht 'Pflanzen' oder 'Tiere' oder 'Flüsse' nennen - nicht komplexe Wesen, mit denen wir in Beziehungen stehen. Mechanische Objekte sind keine eigenwilligen Geschöpfe; sie verlangen von uns keinen Respekt; tatsächlich verdienen sie kaum Beachtung. Sie existieren, um benutzt zu werden."
(S. 35)

Man kann eine einzelne Technologie nicht aus dem Kontext reißen (S. 12), schreibt Jensen und will damit sagen, aus dem Kontext ihrer Entstehung, des mit ihr notwendigerweise verbundenen Ressourcenraubs sowie der energetischen und damit unwiederbringlichen Verstoffwechslung von Materie. In "Bright Green Lies" wird die Zivilisation an sich in Frage gestellt und nicht als Errungenschaft der menschlichen Entwicklung aufgefasst, sondern als "Krieg". Die Zivilisation werde immer wieder Waffen hervorbringen, um diesen Krieg weiterzuführen, heißt es. Und weiter:

"Ihre grundlegendste materielle Aktivität ist ein Krieg gegen die lebendige Welt, und wenn Leben zerstört wird, muss sich der Krieg weiter verbreiten. Die Ausbreitung ist nicht richtig."
(S. 27)

So werden für die vermeintlich klimaneutrale Biomasseverbrennung in Europa ganze Wälder im Osten der USA zu Holzpellets verarbeitet und über den Atlantik geschippert, und beim Austausch von Glühlampen durch LED-Lampen wird zwar theoretisch der Energieverbrauch gesenkt - sofern er nicht durch den Rebound-Effekt wieder zunichtegemacht würde -, aber gleichzeitig der Einsatz teils hochtoxischer Rohstoffe erhöht.

Ob Solarzellen, Windräder, Biomasse, Energieeffizienz, Wasserkraft oder was sonst noch am leuchtend grünen Horizont als Lösungskonzepte aufscheint, wird in dem Buch durchleuchtet. Zum Beispiel das Wortungetüm "Ökosystemdienstleistung". Dahinter steckt die Idee, dass in dieser (vermeintlich alternativlosen) marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft Ökosysteme nur dann vor der Zerstörung bewahrt werden können, wenn sie einen monetären Wert besitzen. Jensen kritisiert diese Vorstellung:

"Die Zuweisung von Dollarwerten zu lebenden Ozeanen, Flüssen oder anderen natürlichen Gemeinschaften setzt voraus, dass Dollarwerte reale Werte nachahmen können - d. h. die intrinsischen Werte der Ozeane, Flüsse oder natürlichen Gemeinschaften und die Beziehungen zwischen all diesen. Einem Fluss einen Dollarwert zuzuweisen setzt voraus, dass ich weiß, welchen Wert dieser Fluss hat (oder dass ich ihn zumindest erahnen kann), und, was noch wichtiger ist, dass dieser Wert auf irgendeine vernünftige Weise durch einen Dollarbetrag dargestellt werden kann - was natürlich unsinnig und arrogant ist. Wie kann ich den vollen Wert der Lachse für einen Wald kennen oder den vollen Wert des Phytoplanktons, das Sauerstoff für zwei von drei Atemzügen der Tiere liefert? Wie kann ich den vollen Wert des Windes auf einer Bergkuppe oder der Gezeitenenergie für die Ozeane oder der Sonne für eine Wüste kennen? Wie kann ich den vollen Wert der Präriehunde für die Prärie kennen, oder sogar den vollen Wert der Wiesen? Warum können wir nicht einfach akzeptieren, dass Prärien und Präriehunde ihren Wert füreinander am besten kennen?"
(S. 52/53)

Diese Fragen mögen auf den ersten Blick plausibel erscheinen und doch geht hier Jensen, der für dieses Zitat verantwortlich zeichnet, mit seiner Kritik einen Schritt vor und gleich wieder einen zurück. Die gesellschaftliche Geborgenheit verheißende Umzäunung will auch er nicht verlassen, wenn er Übereinstimmung mit den Adressaten anstrebt, indem er an ihre Vernunft appelliert. Ganz nach dem Motto, man sei sich gewiss einig, dass es "unsinnig" und "unvernünftig" ist, den "realen" oder "vollen" Wert für Präriehund, Lachs oder Phytoplankton kennen zu wollen. Jensen unterstellt, dass solch ein "realer", objektiver Wert existiert, also ein Wert, der oberhalb des subjektiven menschlichen Interesse steht. Aber genau mit dieser Denkweise bleibt er, der die Monetarisierung mittels des Begriffs Ökosystemdienstleistung explizit ablehnt, dem Rechnen verhaftet.

Geht es bei einem radikalökologischen Ansinnen, wie es "Bright Green Lies" vorträgt, nicht vielmehr um die Frage, wer die Deutungshoheit über den Wert der Natur innehat, und darüber hinaus eigentlich darum, Deutungshoheit zu erlangen? Welchen Wert eine Gesellschaft einem Ökosystem zumisst, das ihr zu Diensten sein soll, wird von den vorherrschenden Interessen bestimmt und konfrontiert die an Natur- und Klimaschutz Interessierten schlichtweg mit der eigenen Ohnmacht gegenüber der Verfügungsgewalt.

In Abgrenzung zu den "Bright Green Environmentalist", die die Zivilisation retten wollen, wollen Jensen, Keith und Wilbert die Erde vor der Zivilisation retten. Sie haben das Buch geschrieben, weil sie ihre Umweltbewegung zurückhaben wollen (S. 42). Aus diesem Grund rechnen Autorin und Autoren dezidiert vor, wie gigantisch der Rohstoffverbrauch auch und gerade bei den grünen Technologien steigt. Die umfangreichen Beschreibungen ihrer vor- und nachgelagerten Produktionsketten zählt zu den Stärken des fast 500 Seiten umfassenden Werks.

Manches aber hält seinerseits einer kritischen Prüfung nicht stand. Nicht wenige der geschilderten Negativbeispiele beziehen sich auf eine viele Jahre zurückliegende, längst überholte Entwicklung. Lobenswert ist zwar, dass in dem Buch bei der Bewertung der deutschen Energiewende und der angeblichen Erfolgsgeschichte der erneuerbaren Energien Wert auf den Unterschied von "Stromverbrauch" und "Primärenergie-Verbrauch" gelegt wird - letzteres schließt den Energiebedarf unter anderem von Heizungen und Fahrzeugen ein -, aber der Anteil der erneuerbaren Energien im Strommix hat sich seit dem in dem Buch verwendeten, teils zehn Jahre alten Daten erheblich gewandelt. Mit solchen Detailangaben würden sich Jensen, Keith und Wilbert in keiner Debatte mit "leuchtend grünen" Umweltinteressierten argumentativ messen können.

Außerdem behauptet Jensen, dass Solarzellen "nur an sonnigen Tagen" elektrischen Strom erzeugen. (S. 87) Das trifft nicht zu. Bei bedecktem Himmel bringen Solarzellen zwar nicht ihre maximale Leistung, aber auch durch die diffuse Strahlung eines wolkenreichen Tages werden in handelsüblichen Solarzellen noch erhebliche Mengen an Strom generiert.

Vom Standpunkt einer Zivilisationskritik her, wie er hier vorgetragen wird, ist es doch sehr fraglich, ob man sich ausgerechnet mit einem wirtschaftsliberalen Befürworter des Freihandels wie dem Spiegel-Autor Alexander Neubacher gemein machen sollte, indem man ihn als Quelle für die eigene Argumentation gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz heranzieht. Da kann man sich ja gleich Lobbyisten der Atom- und Kohlewirtschaft ins Boot holen, so man ernsthaft die Erwartung hegt, dass sie in die gleiche Richtung rudern.

Neubacher erweist sich auch deshalb als keine geeignete Quelle, weil seine von Jensen zitierte Rechnung aus dem Jahre 2012, wonach die staatlichen Subventionen für die deutsche Solarwirtschaft die Schwelle von 100 Milliarden Euro überschritten und kaum was gebracht haben, aus einer Reihe von Gründen nicht aufgeht. Erstens handelt es sich gar nicht um Subventionen für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Der Staat nimmt keine Steuereinnahmen in die Hand, sondern er hat eine "Umlage" ins Leben gerufen. Die Kosten für die attraktiven Vergütungen für Bau und Betrieb erneuerbarer Energieträger werden auf die Stromkundinnen und -kunden verteilt. Daraus geht zweitens hervor, dass das Geld nicht in irgendwelchen Löchern verschwindet, wie es der von Jensen zitierte Spiegel-Beitrag bereits im Titel "Solar Subsidy Sinkhole (z. Dt.: Solares Subventionsloch) nahelegt, sondern dass es umverteilt wird. Drittens: Wenn schon von einem "Loch" die Rede sein soll, dann wurde es von den Stromkonzernen angelegt, denn sie geben ihre lukrativen Kosteneinsparungen aufgrund der - dank den erneuerbaren Energien - extrem gesunkenen Börsenstrompreisen nicht an ihre Kundinnen und Kunden weiter.

Eine bekannte Autorin wie Naomi Klein darf sicherlich kritisiert werden, aber was sich Jensen in einem Kapitel über Solarenergie leistet, kann man nur als unfreundlichen Akt bezeichnen. Er reißt ein Zitat aus dem Zusammenhang, wenn er unterstellt, dass sie in ihrem Buch "This Changes Everything" (z. Dt.: Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima) aus dem Jahr 2014 nicht zwischen elektrischer Energie und Primärenergie unterschieden hat, weil sie die deutsche Energiewende schönreden will. Laut Jensen hat Klein behauptet, dass Frankfurt und München "sich verpflichtet haben, bis 2050 bzw. 2025 auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzusteigen". Er kommentiert dies so:

"Nun, nein. Frankfurt und München haben sich nicht dazu verpflichtet, bis 2050 bzw. 2025 auf 100 Prozent 'erneuerbare' Energie umzusteigen. Sie haben sich verpflichtet, bis 2050 bzw. 2025 zu 100 Prozent 'erneuerbarem' Strom überzugehen."
(S. 63)

Mit dieser Verkürzung und Verdrehung tut Jensen sich und dem Anliegen des Buchs keinen Gefallen. Hätte er den Absatz aus Kleins Buch, aus dem er zitiert, komplett wiedergegeben, wäre deutlich geworden, dass die Autorin an dieser Stelle über nichts anderes als den elektrischen Energiebedarf und über Stromnetze schreibt. Ihr etwas anderes zu unterstellen ist unfair. Wir geben deshalb Naomi Klein im amerikanischen Wortlaut wieder:

"Many of Hamburgs residents wanted to be part of Energiewende: The fast-spreading transition to green, renewable energy that was sweeping the country, with nearly 25 percent of Germanys electricity in 2013 coming from renewables, dominated by wind and solar but also including some biogas and hydro - up from around 6 percent in 2000. In comparison, wind and solar made up just 4 percent of total U.S. electricity generation in 2013. The cities of Frankfurt and Munich, which had never sold off their energy grids, had already joined the transition and pledged to move to 100 percent renewable energy by 2050 and 2025, respectively."
(eBook S. 85)

Eine Petitesse am Rande: Vielleicht liegen die Positionen Kleins und Jensens inhaltlich gar nicht so weit auseinander, wie es letzterer darzustellen bemüht ist. Denn Klein dankt in ihrem Buch neben zahlreichen weiteren Personen auch Derrick Jensen als jemandem, dessen Werk ihre Sicht "besonders geprägt" hat. (eBook S. 855)

Eine Schwäche des vorliegenden Buchs bleibt somit, dass es Einfallstore für Kritik öffnet. Auf einem sich rasant verändernden Gebiet wie dem der Energieproduktion in Deutschland sollte man schon einigermaßen Schritt halten und gegebenenfalls auf einzelne Kritikpunkte verzichten, falls sie nur mit veralteten Angaben gefüttert werden können. Es mangelt nicht an Argumenten gegen die grüne Ökonomie, die sich gegenwärtig Bahn bricht und auf ihrem Weg die Anliegen der Umweltbewegung kurzerhand integriert.

Unberührt von manchen Schwächen bleibt indessen die zutreffende Kritik, dass sich die deutsche Energiewende bislang nahezu vollständig auf die elektrische Energieerzeugung bezieht und der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch noch immer gering ist. Auch die Kritik am Ergebnis der deutschen Kohlekommission, die vorgeschlagen hat, das letzte Kohlekraftwerk erst im Jahr 2038 abzuschalten, trifft ins Schwarze (S. 96), entscheiden doch die nächsten Jahre, ob die globale Erwärmung gestoppt wird oder nicht.

Obschon der Mensch wie kein anderes Tier durch die Verstoffwechslung seiner Um- und Mitwelt seine Existenz zu sichern trachtet, mit den vielfach geschilderten Verheerungsfolgen, steht er nicht außerhalb des Geschehens. Cyanobakterien gibt es noch heute und wird es vermutlich auch dann noch geben, wenn die einstmals dominante Spezies der Erde ihren Hut nehmen musste.


Fußnoten:

[1] Alle Zitate eigene Übersetzung. Die Seitenangaben beziehen sich auf das eBook, es kann daher zu Abweichungen von der Paperbackausgabe kommen.

[2] Nach dem Hauptgutachten "Welt im Wandel - Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahr 2011.

1. Juni 2021


Derrick Jensen, Lierre Keith, Max Wilbert
Bright Green Lies How the environmental movement lost its way and what we can do about it
Monkfish Book Publishing Company, Rhinebeck, New York, März 2021
493 Seiten
eBook 11,63 Euro
Paperback ISBN 978-1-948626-39-2
eBook ISBN 978-1-948626-40-8


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