Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/591: Wilfried Bommert - Bodenrausch - Die Globale Jagd nach den Äckern der Welt (SB)


Wilfried Bommert


Bodenrausch

Die Globale Jagd nach den Äckern der Welt



Wenige Jahre nach Beginn der weltweiten Preisexplosion für Grundnahrungsmittel ab 2007/2008 und des Wettlaufs internationaler Investoren um vermeintlich ungenutzte Landflächen vor allem in Afrika wird das Phänomen des Land Grabbings, zu Deutsch Landraubs, von einer Reihe von Autoren beschrieben und analysiert. Sowohl im angloamerikanischen als auch deutschen Sprachraum bieten sich allen Interessierten oftmals sachkundige Bücher an, in denen diese jüngste, besonders heiße Phase des Raubs von Land einer allerdings schon viel weiter zurückreichenden Entwicklung geschildert wird.

Der ausgebildete Agrarwissenschaftler und Journalist Dr. Wilfried Bommert hat der Berichterstattung über dieses Phänomen mit "Bodenrausch" ein Buch hinzugefügt, das eingängig geschrieben ist und einen guten Überblick über die Problematik des globalen Landraubs verschafft. Er benennt die Akteure, Opfer und stellt in Anlehnung an den UN-Sonderbeauftragten für das Recht auf Ernährung, Olivier de Schutter, und den Bemühungen von Bodenexperten, das Geheimnis des ausgesprochen nährstoffreichen Bodens Terra Preta der südamerikanischen Ureinwohner zu lüften, abschließend Lösungsvorschläge vor, "wie wir den Boden wieder zur Grundlage der Welternährung machen können" (S. 11). Diese Basis ist verloren gegangen, weil der Boden nach dem Crash der Finanzmärkte 2008 "eine der letzten Bastionen, um Werte und Renditen zu sichern" geworden war (S. 9). Starke Hoffnungen setzt Bommert dabei auf die Zivilgesellschaft, in der schon längst Gegenmodelle zur vorherrschenden Wirtschaftsweise angedacht und ausprobiert werden.

Das Problem, Finanzkapital in Werte überzuführen, mit der Hoffnung, diese dauerhaft realisieren zu können, bestand allerdings schon vor der von Bommert beschriebenen Zäsur. Als vor einigen Jahren die Immobilienblase platzte, war Panik unter den Finanzinvestoren ausgebrochen, da offenbar wurde, was ansonsten im breiten Konsens aller Beteiligten mehr oder weniger erfolgreich unter der Decke gehalten werden konnte: Nicht nur Immobilien, auch Geld an sich hat keinen Wert. In beiden Fällen handelt sich um bloße Versprechen. Eine Immobilie kann man zwar bewohnen, aber ein zweite zur gleichen Zeit schon nicht mehr; sie dient vorzugsweise als Wertanlage und damit als Perspektive. Ohne die entsprechenden gesellschaftlichen Umstände könnten weder Immobilien noch Geld in konkrete Verfügungsgewalt umgemünzt werden. Insofern lag die Flucht des Finanzkapitals in Boden nahe, da dieser eine wichtige Lebensvoraussetzung bildet. Die Menschen werden immer existentiell von der Bewirtschaftung des Boden für die Nahrungsproduktion abhängig sein.

Der Autor führt die Preisexplosion bei Grundnahrungsmitteln und die Jagd nach den Äckern dieser Welt auf das zeitliche Zusammentreffen von vier globalen Krisen zurück: Neben der oben erwähnten Finanzkrise betrifft das die Erdölkrise. Vor vier Jahren war der Weltmarktpreis für Erdöl auf über 140 Dollar pro Barrel emporgeschnellt, und die Regierungen der Industriestaaten und Schwellenländer legten Förderprogramme für Biosprit auf, der aus Pflanzen wie Zuckerrohr, Mais, Weizen, Palmen, Raps und Jatropha hergestellt wurde. Auch für den Ersatz von Plastik, das bislang auf Erdölbasis hergestellt wurde, werden vermehrt organische Stoffe verwendet, was ebenfalls zum Run auf die Äcker beiträgt. Die dritte Krise besteht darin, daß eine Reihe von Staaten ihre Bevölkerung nicht mehr ernähren konnte und auf den Weltmarkt zurückgegriffen hat. So rückten vermehrt Äcker in anderen Ländern in den Fokus. Die vierte Krise betrifft den Klimawandel als Folge der globalen Erwärmung. Aus dem Aufforsten von Wäldern versprechen sich Politik und Wirtschaft wirksame Maßnahmen zur Verringerung der Kohlendioxidkonzentration der Erdatmosphäre. Also erwerben oder pachten Investoren Landfläche in der Erwartung, sie gewinnbringend als Bestandteil des internationalen Klimaschutzes einsetzen zu können.

Bommert gelingt der Spagat zwischen der Verarbeitung trockener Daten, mit denen er jene vier Krisen faktenreich abstützt, und der Beschreibung der folgenschweren Konsequenzen des Land Grabbings für die lokale Bevölkerung. Die geht bei diesem Spiel, das keines ist, meist leer aus. Ihre eigenen Regierungen verkaufen oder verpachten Land, das bis dahin oftmals von Dorfbewohnern zum Sammeln von Früchten, Beeren, Pilzen, Feuerholz, etc., von Jägern zum Beutefang oder Nomaden zum Weiden ihrer Tiere genutzt wurde. Es handelt sich um keine intensive Bewirtschaftung, aber sehr wohl um unverzichtbare Tätigkeiten der Überlebenssicherung. Somit findet beim Land Grabbing nicht nur eine Vertreibung statt, sondern auch starke Verdrängung, da die Betroffenen in Gebiete ausweichen müssen, die bereits genutzt werden und wo deshalb ein höherer Nutzungsdruck auf die vorhandenen Ressourcen stattfindet. Das wiederum kann soziale Konflikte auslösen.

Elf Grundsätze für Investoren und Staaten hat der UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Ernährung, Olivier De Schutter, aufgestellt, damit keine Landnahme über die Köpfe der lokalen Bevölkerung hinweg vorgenommen wird. Bommert räumt in seinem Buch diesen Grundsätzen viel Raum ein. Die bisherigen Landnahmen lassen nicht erkennen, daß sich an alle diese Grundsätze gehalten wird. Im übrigen bieten auch sie Hintertürchen, wie beispielsweise am fünften Grundsatz aufgezeigt werden kann: "In Staaten, in denen die Armut groß und die Beschäftigung gering ist, dürfen nur Projekte gefördert werden, die den Menschen Arbeit bringen. Die Löhne müssen ein Leben ohne Not ermöglichen." (S. 328)

Ähnlich ist Grundsatz 11 formuliert: "Arbeiter in der Landwirtschaft müssen in ihren Rechten geschützt werden, ihre Löhne müssen ihnen und ihren Familien ein Leben ohne Hunger und Not garantieren." (S. 330)

Was aber ist ein Leben ohne Not? Wird nicht der Großgrundbesitzer zu seinen Plantagenarbeitern sagen, daß sie ohne Not sind, wenn er ihnen einen Job gibt, bei dem sie zehn bis zwölf Stunden am Tag Zuckerrohr schneiden oder Jatropha-Nüsse pflücken dürfen und sich und ihre Familie mit dem Lohn einigermaßen über Wasser halten können?

So gut die elf Grundsätze, die de Schutter als Minimalforderung ansieht, auch gemeint sein mögen - selbst wenn sie eingehalten würden, blieben damit die vorherrschenden Produktionsverhältnisse und wiederum die ihnen zugrundeliegende Eigentumsordnung weitgehend unangetastet. Zugestanden, Grundsätze wie volle Transparenz bei der Landnahme, kurz- und langfristiger Nutzen für die lokale Bevölkerung und ähnliche Forderungen mehr brächten der Landbevölkerung Vorteile gegenüber ihrer heutigen Situation. Aber der Vorgang der Transformation eines Lebens als Kleinbauer zum Arbeiter der industriellen Landwirtschaft, der sein Leben lang seine Physis zu Markte trägt, bis sie den Anforderungen nicht mehr genügt und er entsorgt wird, würde durch die Grundsätze nicht aufgehalten, geschweige denn daß durch sie die Möglichkeit der Enteignung und Vertreibung zum Wohle der angeblich höherwertigen gesellschaftlichen Ordnung ausgeschlossen würde.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Stärken des vorliegenden Buches in dem schlüssigen Aufbau aufgrund der Orientierung an den vier globalen Krisen und der allgemein flüssigen Lesbarkeit liegen. Aber zum Abschluß hätte man sich zumindest den Versuch einer Einordnung der Krisen und die Analyse ihrer möglicherweise gemeinsamen Grundlage gewünscht. Bommert hat sich anders entschieden und aufgezeigt, was seiner Meinung nach getan werden müßte oder bereits von zivilgesellschaftlichen Kräften (unter anderem Tauschbörsen, Bauernmärkten, Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften, regionalen Vermarktungsformen) getan wird, um dem Bodenrausch den Boden zu entziehen. Sein Resümee bleibt eine Mischung aus Skepsis und Hoffnung: "Ob die Entscheidungen der vielen und das Engagement der Zivilgesellschaft genügen, um den globalen Bodenrausch auszubremsen, steht noch dahin. Aber sie wären ein Anfang und würden ein Zeichen setzen, das auch die Politik nicht mehr ignorieren kann" (S. 345).

15. August 2012


Wilfried Bommert
mit Sabine Jacobs
Bodenrausch
Die Globale Jagd nach den Äckern der Welt
Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln 2012
385 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-8479-0005-4