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REZENSION/568: Ronald Blaschke, Adeline Otto, Norbert Schepers (Hrsg.) - Grundeinkommen (SB)


Ronald Blaschke, Adeline Otto, Norbert Schepers (Hrsg.)


Grundeinkommen

Geschichte - Modelle - Debatten



Die politische Debatte um das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) gleicht zuweilen einem erhitzten Schlagabtausch, wobei Befürworter und Gegner auf Hieb und Konter zuhauf gesellschaftspolitische Argumente ins Feld führen. In der Überspitztheit der Polemik ist nicht immer klar ersichtlich, ob letztendlich für eine Sozialstaatlichkeit mit grundversorgenden Transferleistungen plädiert oder eine grundlegende Kapitalismuskritik mit unverminderter Konsequenz fortgeführt wird. Primär geht es in der Auseinandersetzung jedoch um die Frage, ob das BGE zur Bewältigung der Krise in der modernen Arbeitsgesellschaft einen relevanten Beitrag leistet und inwieweit dieser Ansatz sozialemanzipatorische Potentiale birgt.

Die politischen Lager sind in dieser Frage zerstritten. Kontrovers, ambivalent und bisweilen über innerparteiliche Grabenkämpfe hinweg werden verschiedene Grundeinkommenskonzepte, die im Kern eine staatliche Alimentierung für alle Menschen vorsehen, die sich in einem Staatsgebiet aufhalten, unabhängig von Geschlecht, Familienstand oder Erwerbshintergrund, in die Diskussion geworfen. Eine Bedürftigkeitsprüfung wird dabei ebenso kategorisch ausgeschlossen wie eine Entkoppelung vom Arbeitsmarkt vorausgesetzt, so daß eine Arbeitsverpflichtung als Gegenleistung für erhaltene Gelder vollständig entfällt. Allerdings werden inzwischen aus neoliberalen und konservativen Kreisen Bürgergeldmodelle vorgestellt, die in Gewichtung und Intention etwas andere Ziele verfolgen.

Um sich im politischen Diskurs der Pro- und Kontra-Standpunkte zurechtzufinden, ist es ratsam, sich in Buchform einmal ausgiebig mit den konzeptionellen Grundeinkommens-Entwürfen zu befassen. Empfehlenswert ist das von Ronald Blaschke, Adeline Otto und Norbert Schepers herausgegebene Sachbuch "Grundeinkommen. Geschichte - Modelle - Debatten". Es leistet nicht nur eine detaillierte Darstellung und Sichtung des Themas, auch die gesellschaftlichen und ökonomischen Aspekte dieser Reformidee werden auf einer kulturgeschichtlichen wie rechtsphilosophischen Grundlage beleuchtet und darüber hinaus die Forderung auf soziale Absicherung im Sinne eines Menschenrechts begründet.

Von der historischen Rückschau auf die beiden englischen Vordenker dieses Transfersystems, Thomas Paine und Thomas Spence, über damit verbundene Formen der Eigentums- und Wertschöpfungsfrage, der Vergemeinschaftung von Grund und Boden, einer kritischen Analyse des Arbeitsbegriffs bis hin zu Finanzierungsmodellen und den Modalitäten der Auszahlung des Transfers, infrastrukturellen Maßnahmen im öffentlichen Bereich, der Dekommodifizierung und emanzipatorischen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Sinne einer Weiterentwicklung des demokratisch-freiheitlichen Gedankens sind im Buch alle strittigen Themen und Sachverhalte akkurat behandelt wie auch linkslibertäre Positionen sowie frühsozialistische Ansätze samt ihrer modernen Protagonisten zu Wort gekommen.

Das Buch ist in vier Hauptkapitel unterteilt, wobei der Philosoph, Publizist und Mitbegründer des Netzwerks Grundeinkommen Ronald Blaschke in Umfang und Ausrichtung die Wesenszüge zum Thema Grundeinkommen im Buch dargelegt hat. Allein der erste Abschnitt unter seiner Federführung umfaßt knapp 300 Seiten. Im zweiten Abschnitt steuert Katja Kipping, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, als deren wissenschaftlicher Mitarbeiter Blaschke fungiert, einen kurzen politischen Essay bei. In einer vergleichenden Darstellung hat sich Blaschke schließlich im dritten Kapitel der Ansätze und Modelle von Grundsicherungen und Grundeinkommen in Deutschland gewidmet. Im letzten Teil des Buches trägt Adeline Otto Beiträge von vier Autorinnen und Autoren unter dem Titel "Die Grundeinkommensdebatte in Europa aus linker Perspektive" zusammen.

Blaschke hat in seinem Kampf für ein BGE nicht nur aus dem linken Lager Gegenwind bekommen, auch aus sozialdemokratischer bzw. gewerkschaftlicher Richtung wurde ihm in der Vergangenheit des öfteren der Vorwurf gemacht, die gesellschaftlichen Pfeiler von Erwerbsarbeit und ökonomischem Wachstum umstoßen zu wollen. Ungeachtet dessen stützt sich der engagierte Aktivist auf emanzipatorische Traditionen, wenn er zur Begründung eines Rechts auf Grundeinkommen profilierte Denkerinnen und Denker wie Thomas Paine, Thomas Spence, Erich Fromm, André Gorz, Michael Opielka, Lieselotte Wohlgenannt oder Georg Vobruba in aller Ausführlichkeit vorstellt und dabei Querverbindungen zwischen dem Modell eines Grundeinkommens und sozialutopischen Ansätzen aufzeigt.

Einen besonderen Platz in der Grundlegung seines Eintretens für das BGE nehmen Thomas Paine und Thomas Spence ein, zwei im deutschsprachigen Raum wenig bekannte sozialliberale Vertreter des Frühsozialismus, die Blaschke als geistige Väter des Grundeinkommensmodells benennt. So ist zu erfahren, daß beide in ihren jeweiligen Konzeptionen von der naturrechtlichen Begründung der Freiheit und Gleichheit aller Menschen ausgegangen und daraus einen Anspruch auf allgemeines Wohlergehen und ein Menschenrecht auf soziale Sicherheit artikuliert haben, daß der "Zustand der Einzelnen im bürgerlichen Zustande geborenen Menschen nicht schlimmer sei, als er in dem Naturzustand gewesen sein würde".

Spences Konzept von einer treuhänderischen Verwaltung des Bodens in den Händen einer autonomen Kommunalstruktur und Paines Nationalfonds aus Steuerngeldern der Vermögenden zur Abmilderung der sozialen Auswüchse von Armut, die das Gesellschaftsbild Englands im ausgehenden 18. Jahrhundert prägten, sind zwar ihrer Epoche entlehnt und müssen im historischen Kontext betrachtet werden, aber Blaschke weist dennoch eine ideengeschichtliche Verbindung zu aktuellen Fragestellungen nach, da beide den Gedanken eines Grundeinkommens schon zu ihrer Zeit an die Forderung nach der Dekommodifizierung gesellschaftlicher Strukturen geknüpft hatten.

Blaschke geht es also nicht explizit um einen Streit um die Höhe der Transferleistungen, vielmehr sieht er das Grundeinkommen eingebettet in ein Gesellschaftsprojekt mit dem Ziel, die zwischenmenschlichen Interaktionen vom Charakter einer käuflichen und verkäuflichen Ware zu befreien. Dies ließe sich Blaschke zufolge vor dem Hintergrund eines freien sozialen Einkommens insbesondere durch die kostenlose Nutzung öffentlicher Güter, sozialer Infrastrukturen und Dienstleistungen erreichen, was er unter Demokratisierung der Sozialpolitik verstanden wissen möchte.

Blaschke verknüpft das bürgerliche Recht auf Eigentum mit einem unbedingten Menschenrecht auf Einkommen und gesellschaftliche Teilhabe. Um diesen Schulterschluß zu rechtfertigen, nimmt er eine verblüffende Umdeutung der Eigentumsfrage vor. Zu diesem Zweck bringt er den Faktor der kulturhistorischen Leistungen vorangegangener Generationen ins Spiel, die zur Bildung von Reichtum beigetragen hätten, so daß kein Mensch für sich allein in Anspruch nehmen könnte, durch eigene Arbeitsleistung frei verfügbares Eigentum geschaffen zu haben. Blaschke wirft so die Frage der durch Arbeit und Wertschöpfung angeeigneten Ressourcen auf, ganz im Geiste von Spence und Paine, die im Naturrecht zumindest prinzipiell alle Formen agrarwirtschaftlicher Produkte als gemeinschaftliches Eigentum aller Menschen aufgefaßt hatten.

Blaschke geht jedoch noch einen Schritt weiter und bezieht ausdrücklich auch die im klassischen Arbeitsbegriff nicht berücksichtigten unbezahlten Tätigkeiten mit ein, also "sämtliche, das soziale Gefüge zusammenhaltende bürgerschaftliche Engagements als auch die im privat-familialen Bereich erbrachten Sorge- und Erziehungsleistungen", die als kulturelle, soziale und technologische Leistungen in den Wertschöpfungsprozeß einfließen. Er gelangt auf diese Weise zu dem Schluß, daß der gesellschaftliche Reichtum und damit die Wertmasse an Handelsgütern und infrastrukturellen Leistungen nicht allein dem Erwerbs- und Lohnarbeiter oder den Kapitaleignern, "die diese Voraussetzungen zum privaten Erwerb" nutzen, zugerechnet werden dürften, sondern der Gesamtheit aller in langer Generationenfolge am gesellschaftlichen Aufbau beteiligter Akteure. Die Forderung nach einer Entkoppelung der Sozialbezüge vom Arbeitsmarkt und der damit einhergehenden Aufhebung des Arbeitszwangs ließe sich laut Blaschke kulturgeschichtlich herleiten, so daß der vielzitierte Vorwurf, Lohnarbeit würde die Grundeinkommens-Bezieherinnen und -Bezieher alimentieren, ins Leere läuft.

Auch wenn Blaschke rein von der Idee her für eine Rückvergemeinschaftung privatisierten Eigentums eintritt, spricht er sich dennoch gegen eine Kollektivierung des Privateigentums aus. Vielmehr akzentuiert er das Recht eines jeden Individuums auf ein "Privat-Eigenes", eine Sphäre ziviler Souveränität, wo die Willkür des Staates und der Zwang des Marktes nicht hinreichen und in der der Mensch, wohlfühlversorgt in allen Bedürfnissen, sich als autonom sprechendes und handelndes Wesen begreift und als Mitgestalter am öffentlich- politischen Leben teilnimmt.

Man wird allerdings den Eindruck nicht los, daß die lange Wanderung durch die Geistes- und Ideengeschichte menschlichen Emanzipationsstrebens für Blaschke in einer letztbegründeten Vereinzelung, also im Rückzug und der Orientierung auf das höchste Lebensziel, den Konsum zu privatisieren und damit dem Verbrauch das letzte Wort zu sprechen, in Erfüllung zu gehen scheint - all das konkretisiert und unantastbar gemacht durch das bedingungslose Grundeinkommen. Auf diese Argumentationslinie bezieht sich auch Katja Kipping, wenn sie den Wert des Grundeinkommens in einer "Demokratiepauschale" verortet. Im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit sei es ihr zufolge nur logisch und folgerichtig, wenn alle Menschen Transferleistungen in Form von "Diäten light" erhalten, wo schon Abgeordnete, um ihre Unabhängigkeit zu wahren, stattliche Diäten bekommen. Das wäre "die materielle Vollendung des Anspruchs einer Demokratie für alle", so Kipping, wobei dem Leser ungewollt eine Stirnfalte ins Gesicht rutscht: Ist die repräsentative Demokratie nicht von Kapitalinteressen in vielerlei Gestalt durchwirkt? Sind nicht zahlreiche Menschen, denen es an materieller Bemittelung nicht fehlt, vom Kartellcharakter des etablierten Parteienwesens und der interessenbedingten Einebnung der Gewaltenteilung enttäuscht? Kann die Machtfrage in einer kapitalistischen Gesellschafts überhaupt adäquat über den Parlamentarismus artikuliert werden?

Im Rahmen seiner kulturhistorischen Rechtfertigung arbeitslohnunabhängiger Transfergelder kritisiert Blaschke an der Sozial- und Bildungspolitik, daß sie den Menschen in seiner Rolle als Ware für den Arbeitsmarkt zurichte. Während er sich einerseits in der Kritik entfremdeter Arbeit auf Marx beruft, wendet er sich andererseits dem Sozialpsychologen Erich Fromm zu, den er als bedeutendsten Vertreter eines humanistischen und demokratischen Sozialismus rühmt, "der die Idee des Grundeinkommens befördert hat". Fromm hat sich zweifelsohne gegen jede Form des Bürokratismus gewandt und in der Arbeit eine Tätigkeit verortet, die mit dem Verlust schöpferischer Potentiale einherginge, da der Mensch als "homo consumens" seine innere Leere durch verstetigten Konsum zu kompensieren trachte. Gleichwohl bleibt seine Analyse, der aus Tausch- und Warenwert generierte Mangel erzeuge Angst, Neid und Egoismus auf dem "Persönlichkeitsmarkt", in einer Unbestimmbarkeit psychologischer Kategorien verhaftet, die reale Zwangs- und Gewaltverhältnisse eher vernebeln als zum Anlaß ihrer streitbaren Überwindung zu machen.

Hinter jedem Konzept steckt ein Weltbild, eine gesellschaftliche Anschauung und historische Bewertung, anhand derer die Forderung nach einer wie auch immer gearteten Verteilungsgerechtigkeit ab- und hergeleitet wird. Wo läßt sich also ein Grundeinkommen im Kontext kapitalistischer Produktivitätsentwicklung und der disparaten Anhäufung von Reichtum in den Händen Weniger einordnen? Was macht das Wesen von Reichtum in der Entfaltung von Herrschaft aus und wie wird Armut in der Entwertung der Arbeit gesellschaftlich organisiert? Auf Fragen wie diese geht Blaschke nicht ein, womöglich weil sie seine Bemühungen um den Ausgleich systemischer Widersprüche mit der sich diesem harmonistischen Konzept widersetzenden Einseitigkeit des Klassenstandpunkts konterkarierten.

In einer Zeit grassierenden Sozialabbaus, der Erosion rechtlicher Garantien für lohnabhängig Beschäftigte, der programmatischen Lohnstagnation, eines explodierenden Niedriglohnsektors, des zunehmenden Einsatzes von Leiharbeit und der damit vorangetriebenen Atomisierung der Arbeiterschaft eine sozialreformerische Ethik zu propagieren, deren Wirklichkeit nämliche Zwangsverhältnisse bestehen läßt, gleicht der Kapitulation vor diesen. Wenn Lohnarbeit heutzutage nichts mehr garantiert und gerade einmal die Minimalteilhabe deckelt, wenn ein breiter Sockel überflüssig gemachter Menschen dauerhaft von Ausgrenzung und Armut betroffen ist, während Milliarden zur Rettung der Banken und Kapitaleigner bereitgestellt werden, wenn Kriegspläne aus deutschen Schubladen hervorgekramt werden, um in der Arena imperialistischer Akteure mitmischen zu können, dann muß ein staatlich gewährtes Grundeinkommen unter Verdacht stehen, in erster Linie Zustimmung zu diesen Gewaltverhältnissen zu schaffen.

Die Forderung nach einem Existenzgeld in Höhe von seinerzeit 1500 DM für alle Menschen, die auf dem 1. Bundeskongreß der Arbeitslosen vom 2. bis 5. Dezember 1982 in Frankfurt/Main gestellt wurde, enthielt durchaus sozialkämpferische und antikapitalistische Ansätze, die keiner anderen Herleitung als die einer grundlegenden Kritik akuter und aktueller Mißstände bedurften. Von einem individuellen Rechtsanspruch auf materielle Versorgung und gesellschaftliche Teilhabe war nicht explizit die Rede, weil die Ziele von 1982 weiter und grundsätzlicher gefaßt waren, als einen Wohlfahrtsstaat aus den postfordistischen Armutswelten heraufzubeschwören.

Mit der simplen Forderung nach mehr Geld und freiem Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und Infrastrukturen werden Ausbeutung und Unterdrückung nicht in Frage gestellt, sondern lediglich der Weg dafür bereitet, sich wechselnden Bedarfsregelungen anzupassen. Unter den gegebenen Bedingungen eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses, von dem reformistische Bewegungen ausgehen, würde der Bedarf an der Armutsgrenze bestimmt als ein Einkommen, das zum Leben zwar reicht, aber gleichzeitig ein Versorgungsminimum normiert. Damit wir der Mensch auf seine naturnotwendige Bedürftigkeit festgeschrieben und nicht in seinem emanzipatorischen Potential entwickelt. Wo Not zur Maßgabe der Vergesellschaftung erhoben wird, bleibt die Verteilung des nationalen Produkts - mit allen Implikationen seiner imperialistischen Erwirtschaftung - das Versprechen, für die Unterwerfung unter das Prinzip der Mehrwertabschöpfung belohnt zu werden. Teilen und Herrschen zementieren die Gültigkeit kapitalistischer Markt- und Verwertungslogik, die durch humanitäre Rechtsansprüche zu regulieren nichts an ihren desolaten Voraussetzungen wie Folgen ändert.

Die Adaption emanzipatorischer Ideale zur faktischen Aufhebung der damit intendierten Entwicklungsmöglichkeiten ist nicht umsonst eine hochentwickelte Fähigkeit neoliberaler Widerspruchsregulation. Milton Friedman ist sicherlich nicht der Opposition gegen den Kapitalismus verdächtig, doch auch er dachte darüber nach, wie man der Armut die systemantagonistischen Zähne ziehen kann. Der führende Vertreter des Monetarismus hatte, da die Wohlfahrtspolitik der USA in seinen Augen gescheitert war, das System der Negativen Einkommensteuer entwickelt. Unter dem Vorwand einer gezielten Armutsbekämpfung ("Schutzbefohlene des Staates") strebte der Liberale Kosteneinsparungen und Bürokratieabbau durch eine Bündelung der Leistungsbezüge an, indem er den Steuerfreibetrag zur Transfergrenze erklärte, um auf diesem Wege das Sozialsystem in das Steuersystem zu integrieren. Friedmans Konzept zielte auf eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch die Bereitstellung eines Heers von Niedriglöhnern ab. Dazu sollten sämtliche sozialpolitischen Leistungen in einem niedrigen Grundeinkommen aufgehen. Der Wegfall sozialer Mindeststandards durch niedrige Transfers geht einher mit Kombi-Löhnen und staatlichen Lohnsubventionen und bereitet damit den freien Fall der unteren Lohngruppen vor.

Friedman wird zwar von Kritikern gerne als Vater des Grundeinkommens ausgewiesen, hat laut Blaschke jedoch keine Nahtstelle zur emanzipatorischen Linken, was auch für das solidarische Bürgergeld von Dieter Althaus zutreffen soll. Der irritierende Zuspruch aus dem liberal-konservativen Lager zum BGE läßt nicht umsonst die Befürchtung aufkommen, daß das Grundeinkommen als Instrument staatlicher Kostenreduktion in eine repressivere Elendsversion des Sozialtransfers münden könnte. Als vermeintlich menschenfreundlichere Alternative zur Abhängigkeit von der Solidargemeinschaft soll eine Form der Mangelregulation attraktiv gemacht werden, in der die Not, vom Anspruch auf soziale Mindeststandards befreit, eigenverantwortlich getragen wird. Der historische Klassenkompromiß des Sozialstaats soll sich überlebt haben, weil er dem Kapital noch zu viele Verpflichtungen aufbürdet, die mit der Verwertungslogik nicht konform gehen. So resultiert aus der versorgungsgebundenen Verfügbarkeit des einzelnen, an der das BGE nichts ändert, dessen qualifizierte Unterwerfung unter das Marktprinzip, sich im Zweifelsfall, wenn das Geld für Brot und Medikamente nicht mehr reicht, für eines von beidem entscheiden zu müssen.

Überlegungen dazu, wie ein BGE für Eventualfälle außergewöhnlicher Belastungen wie etwa einer körperlichen Behinderung sozialfreundlicher zu gestalten wäre, bleiben so spekulativ wie die neoliberale Behauptung, der anwachsende Reichtum der Kapitaleigner lasse genügend Brosamen von deren Tisch fallen, so daß auch den Armen Genüge getan wird. Unterhalb der Schwelle der Systemkritik verbleibende Reformmodelle laufen stets Gefahr, auf die Rutschbahn verschärfter Formen sozialadministrativer Mangelverwaltung zu geraten. Die Hinwendung breiter gesellschaftlicher Kreise bis hinein in die Sozialdemokratie zu sozialrassistischen Gesellschaftsmodellen dokumentiert die Bereitschaft, das Lebensrecht des Menschen auf seine Verwertungsfähigkeit zurückzubrechen, hinlänglich. Im Kern geht es um die Elimination jeglicher Sozialutopie durch die positivistische Anerkennung einer Not, in der sich der Mensch zwar seit jeher befand, die als organisierter gesellschaftlicher Notstand jedoch eine neue Qualität nicht hinterfragbarer Unausweichlichkeit annimmt.

Die Behauptung, das BGE gebe den Menschen ein emanzipatorisches Potential an die Hand, abstrahiert von materiellen Widersprüchen, deren einzige Legitimation in der sie schützenden Gewaltordnung besteht. Deren Überwindung zu fordern und unter diesem Anspruch die Frage der Bemittelung aufzuwerfen, also einen strategischen Umgang mit anderen Formen der Daseinsvorsorge in kapitalistischen Gesellschaften zu pflegen, wäre vielleicht eine Diskussionsplattform, auf der sich Gegner und Befürworter des BGE treffen könnten. Katja Kippings berechtigte Kritik am repressiven Charakter der herrschenden Sozialpolitik mündet in eine Liberalisierung dieses Gewaltverhältnisses, bleibt der kapitalistische Verwertungszwang doch das bestimmende Moment jeder ökonomischen Organisation. Eine marktwirtschaftlich organisierte Gesellschaft, die den Anreiz zur Erwerbsarbeit aufhebt, muß schon an den Bedingungen imperialistischer Staatenkonkurrenz scheitern. Die bedingungslose Alimentierung der Erwerbslosigkeit befreit den Menschen nicht vom Primat fremdbestimmter Erwerbsarbeit, sondern sichert deren Bestand durch die Befriedung überflüssig gemachter Menschen. Sozialer Widerstand nicht nur gegen die ökonomische Benachteiligung im gesellschaftlichen Vergleichsrahmen, sondern die Destruktivität kapitalistischer Mangelproduktion wird dadurch nicht wahrscheinlicher.

Als Appendix eines Krisenmanagements, dessen maßgebliche Ratio in der Rentabilität des eingesetzten Kapitals besteht, läuft die Liberalisierung sozialer Garantien viel mehr Gefahr, die Unterwerfung angeblich unproduktiver Menschen unter die Gnade des Almosens zu befördern. Diese neofeudale Herabwürdigung wird nicht durch einen Rechtsanspruch auf BGE ausgehebelt, wie Kipping behautet, denn auch dieser wird aus Gründen systemischer Bestandssicherung und nicht etwa Anerkennung einer kontrafaktischen Werteordnung gewährt. Die Ethik des Kapitalismus kann nur karitativ sein, denn in der Sicherung herrschender Verhältnisse erschöpft sich ihr ganzer Zweck. Ginge es wirklich um den anderen Menschen, dann bedürfte es keines Wertekodex, der reale Widersprüche sinnstiftend harmonisiert, anstatt sie in streitbarer Einseitigkeit anzugreifen.

Es ist denn auch nicht weiter verwunderlich, wenn sich im Buch ein kleines Pflänzchen findet, das in seiner ganzen Schlichtheit die idealtypische Verkörperung der auf dem Grundeinkommen aufgesattelten Ideologie des Konsums widerspiegelt: "Der bedürftige Mensch ist der sinnliche, sein Glück suchende, so auch ganz private Mensch ..."

Ronald Blaschke, Adeline Otto, Norbert Schepers (Hrsg.)
Grundeinkommen. Geschichte - Modelle - Debatten
(Reihe: Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 67)
Karl Dietz Verlag, Berlin, 2010
ISBN 978-3-320-02210-5


13. September 2011