Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/511: Gerhard Feldbauer - Der Heilige Vater (SB)


Gerhard Feldbauer


Der Heilige Vater

Benedikt XVI. - Ein Papst und seine Tradition



Die katholische Kirche kann auf eine nahezu zwei Jahrtausende währende Geschichte enger Verzahnung von kirchlicher und weltlicher Macht zurückblicken, in der die im Papsttum gipfelnde monarchische Hierarchie in ihrem verabsolutierten Führungs- und Alleinvertretungsanspruch zu Lasten aller anderen Glaubenssysteme und Denkweisen wie eine Blaupause der Herrschaftssicherung in ständiger Wechselwirkung mit den jeweils dominanten gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen stand. Der Gleichschritt von Staat und Religion vervollkommnete die Verfügung über die Untertanen, indem er deren Willfährigkeit über den Kontext irdischer Unterjochung hinaus in den Rang eines göttlichen Gebots erhob und aufkeimenden Widerstand mit Kreuz und Schwert ausrottete. Mochte das Christentum in seinen Anfängen noch vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten und nicht zuletzt die Parteinahme für die Schwachen und Unterdrückten beinhaltet haben, so repräsentiert das Papsttum den vollendeten Konter zugunsten einer ausschließlichen Legitimierung innerkirchlicher Zentralisierung des Machterhalts wie auch einer Einschwörung der Christenheit auf die weltliche Ordnung.

Im Schulterschluß mit den jeweils dominanten weltlichen Mächten und nicht selten auch in Konkurrenz zu ihnen um die absolute Vorherrschaft bildete das Papsttum Besitzstände und Strukturen aus, die Fürstentümern aufs Haar glichen und in Gestalt der Kreuzritter und Kreuzzüge expansionistische Interessen verfolgten. Während sich aber die römische Kirche stets mit den reaktionärsten gesellschaftlichen Kräften verbündete und erbittert gegen jede Umwälzung stemmte, verstand sie es zugleich, eine Ordnung der Dauer zu etablieren, die nicht mit den wechselnden weltlichen Mächten stand und fiel. Kirchenspaltungen, Reformation und Glaubenskriege, ja selbst das proklamierte Ende ihrer weltlichen Herrschaft mochten sie schwächen, doch niemals endgültig aus den Angeln zu heben, da ihr in Jahrhunderten der Auseinandersetzung gestählter Machtapparat strategische Entwürfe hervorbrachte und umsetzte, die sich als herrschaftsrelevant und legitimationssicher erwiesen.

Dies am Beispiel Benedikt XVI. und seiner Tradition zu analysieren, macht die Stärke der Studie des Historikers und Journalisten Gerhard Feldbauer aus, der als anerkannter Experte der Geschichte Italiens aus dem vollen schöpfen kann und es zugleich versteht, seine Ausführungen auf zentrale Punkte zu fokussieren. In erfrischendem Kontrast zu einer Heerschar skeptischer Einlassungen zum deutschen Papst, die sich auf Nebenschauplätzen verlaufen, Benedikt und sein Regime als vermeintlich anachronistisch unterschätzen oder ihn gar aus affirmativer Perspektive entsorgen wollen, zeichnet sich die Herangehensweise des Autors durch eine dezidiert gesellschaftskritische Position aus. Sie entschlüsselt die Einbettung dieses römischen Kirchenführers in den Machtapparat seiner weltweit tätigen Institution ebenso überzeugend wie sie seine persönliche Aussteuerung derselben auf einem reaktionären Kurs dokumentiert.

Ratzinger, den scharfsinnige Beobachter schon vor Jahrzehnten als "doppelgesichtig" charakterisiert hatten, weil er es verstand, erzkonservative Ziele in den Mantel des Fortschritts und der Friedensliebe zu hüllen, krönte seinen Aufstieg vom Experten der Theologie zum Erzbischof, Kardinal und Präfekten der Glaubenskongregation am 19. April 2005 mit seiner Wahl zum 265. Papst der katholischen Kirchengeschichte. An der Seite seines nicht minder konservativen Vorgängers Johannes Paul II. war er zur grauen Eminenz des Vatikans aufgestiegen und wurde zum engen Vertrauten und Chefideologen des charismatischen, aber theologisch wenig versierten Wojtyla, dessen langes Siechtum ihm zuletzt die Rolle eines Schattenpapstes verlieh.

Wie der Autor anhand des außerordentlich zielstrebigen Aufstiegs Ratzingers nachweist, galt dieser frühzeitig als brillanter Theologe, der sich einflußreichen Förderern reaktionärster Couleur in Kirche und Gesellschaft anzudienen verstand. Er wurde als Gleichgesinnter mit argumentativer Überzeugungskraft protegiert und in beispielloser Geschwindigkeit in wichtige Ämter geschleust, die ihrerseits seine Karriere beflügelten. Da seine theologischen Vorbilder die radikalsten Verfechter päpstlicher Suprematie waren, die abweichende Strömungen aller Art als Ausgeburten der Hölle verteufelt und zu ihrer gnadenlosen Verfolgung aufgerufen hatten, und Ratzinger stets auf absoluter Loyalität gegenüber der römischen Kurie bestand, erkannte und förderte man dort sein Talent durch Berufungen in höchste Positionen.

Ratzingers Stärke bestand insbesondere darin, daß ihm die Kompromißlosigkeit des Chefideologen römisch-katholischer Ausschließlichkeit weder ins Gesicht geschrieben stand, noch sofort ersichtlich aus der Feder floß. In seiner Laufbahn findet man durchaus Phasen, die Anflüge liberalerer Einstellungen erkennen lassen, denen er sich jedoch nie hingab. Wäre er lediglich ein dumpfer Soldat der Kirche oder ein erstarrter Konformist geblieben, bräuchte sich heute niemand mit ihm auseinanderzusetzen, da er als niederer Charge in der kirchlichen Hierarchie steckengeblieben wäre. Unerbittlich in seiner Strenge, kleidet er seinen unteilbaren Wahrheitsanspruch in geschmeidige Formulierungskünste, die nichts ungesagt lassen und zugleich ein Höchstmaß an Unangreifbarkeit gewährleisten. Milde und leutselig in seinem Auftreten, geht er der Sanktionierung allgegenwärtiger Abweichung vom wahren Glauben mit kalter Unerbittlichkeit nach, die jederzeit zu Scheinkompromissen bereit ist, sofern ihm diese zur Durchsetzung seiner langfristigen Ziele geboten erscheinen.

Zu Zeiten des Kalten Krieges war ein polnischer Papst, zu dessen wichtigsten Zielen die innere Zersetzung des sozialistischen Lagers gehörte, die Idealbesetzung. Als der Kommunismus in Osteuropa endlich gestürzt war, konnte ein Deutschordensritter die Kolonisation selbst in die Hand nehmen, der dem deutschen Episkopat und damit dem reichsten Glied der katholischen Kirche entstammte. Hatte Joseph Ratzinger bereits als oberster Glaubenswächter die Gegenoffensive unerbittlich betrieben, so konnte er nun als Stellvertreter Gottes auf Erden darangehen, diese Funktion im größtmöglichen Maßstab zu exekutieren. Ein Staat ohne Christentum ist seinem Diktum zufolge eine "Räuberbande", womit er nicht von ungefähr an die "Schurkenstaaten" und "Achse des Bösen" eines George W. Bush erinnert. Klerikale und imperialistische Offensive gehen durchaus Hand in Hand, da die katholische Kirche in der Handhabung der Dichotomie von Gut und Böse eine geradezu meisterhafte Expertise zum Kampf der Kulturen und anderen ideologischen Begründungen herrschaftssichernder Übergriffe im globalen Maßstab beisteuern kann.

Am 29. Juni 2007 deklarierte Benedikt ein weiteres Mal, daß "keine Religion an die christliche, keine christliche Kirche an die katholische, keine Hochachtung gegenüber Jesus an den altkirchlichen Glauben an dessen Gottheit herankommt". Der deutsche Papst leitete eine generalstabsmäßig geplante Offensive der alleinseligmachenden Kirche in einer pluralen Welt ein. Er bezichtigte den Islam einer Perversion der Humanität, ging vor seiner Reise nach Lateinamerika hart mit der Befreiungstheologie ins Gericht und erklärte auf der Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe, die eingeborenen Völker Südamerikas hätten ihre Missionierung "still herbeigesehnt". Erst als seine Reise angesichts ausbrechenden Massenprotests in ein Fiasko zu münden drohte, räumte der Papst Gewalttaten bei der Bekehrung ein, ohne jedoch Massenmord und Versklavung explizit beim Namen zu nennen oder sich dafür zu entschuldigen. Er sprach von einem "Kontinent der Hoffnung", aber "nicht wegen einer politischen Ideologie, einer sozialen Bewegung oder eines Wirtschaftssystems", sondern wegen seines "Glaubens an den Gott der Liebe".

Die von Benedikt betriebene Seligsprechung Pius XII. bezeugt, daß er dessen Schützenhilfe für Mussolini, Hitler und Franco vergessen zu machen versucht. Unter dem Pacelli-Papst beteten die Bischöfe von den Kanzeln herab für den Erfolg der Vernichtungsfeldzüge der Wehrmacht, weshalb ihm die Namensnennung in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem verweigert wird. Auch die Rehabilitierung der Piusbruderschaft gleicht einer Kriegserklärung an das Judentum unter dem Deckmantel innerkirchlicher Versöhnung. Ratzinger ordnete 2008 an, in der Karfreitagsfürbitte um die Erleuchtung der Juden zu beten, damit sie Jesus Christus, den Retter aller Menschen erkennen. Indem er sie als von Finsternis, Unwissen und Verblendung geschlagen erscheinen ließ, kehrte er vor die Liturgiereform des Zweiten Vatikanums zurück und setzte den antijudaistischen Gehalt des seit Jahrhunderten verwendeten Textes wieder in Kraft.

Wie diese Beispiele gezielter Schläge des Papstes gegen "Ungläubige" zeigen, plazierte er die von ihm proklamierte Überlegenheit der katholischen Kirche stets auf eine Weise, die es ihm erlaubte, im Falle einsetzenden Protests von Mißverständnissen zu sprechen oder mit einer Wortwahl nachzulegen, die seine ursprüngliche Aussage keineswegs abschwächte, aber den Kritikern nicht nur den Wind aus den Segeln nahm, sondern seine Botschaft durch die einsetzende Kontroverse noch vertiefte. Zugleich dokumentiert der Feldzug Benedikts gegen die Befreiungstheologie, die er schon als Präfekt der Glaubenskongregation mit inquisitorischem Eifer betrieben hatte, daß die Niederschlagung für gefährlich erachteter innerkirchlicher Strömungen und Tendenzen immer auch in einem größeren gesellschaftspolitischen Kontext zu sehen ist. Während die römische Kirche darauf bedacht ist, ihre ungeheure Massenbasis in Lateinamerika und Afrika eingepfercht zu halten, dient ihr Bündnis mit Diktatoren, Ausbeutern und Imperialisten zugleich den nationalen Eliten und führenden Weltmächten bei der Niederschlagung des sich formierenden Widerstands.

Im Oktober 2007 sprach Benedikt 498 sogenannte Kreuzritter Francos selig und rehabilitierte damit das traditionelle Bündnis der katholischen Kirche mit dem Faschismus, der ohne die aktive Unterstützung des Vatikans womöglich in Italien und Spanien verhindert worden wäre und in Deutschland erhebliche größere Probleme bei seiner Durchsetzung gehabt hätte. Mußte Wojtyla noch sein antifaschistisches Image pflegen, um in Osteuropa nicht an Einfluß zu verlieren, so hält Benedikt nichts mehr zurück, den Sozialismus in all seinen Spielarten zu verdammen und sich zu diesem Zweck mit den reaktionärsten Kräften zu verbünden. Die spanische Volksfront hatte sich laut Ratzinger aus dem durch die katholische Kirche gestifteten "Zusammenhang der sittlichen Ordnung" verabschiedet, worauf Franco "mit starker Hand" zugefaßt habe. Als der Papst im Januar 2009 den Kirchenbann gegen den britischen Bischof Richard Williamson und drei seiner Gefolgsleute löste, um sie gemeinsam mit ihrer rechtsradikalen Piusbruderschaft in die katholische Kirche zurückzuführen, war dies gleichermaßen ein gezieltes Signal.

Hatte Johannes XXIII. mit dem II. Vatikanischen Konzil der engsten Verbundenheit der Kirche mit der gesamten Menschheit Ausdruck verliehen und die Armen und Unterdrückten ausdrücklich eingeschlossen, so wurde dieser Reformprozeß, mit dem sich seinerzeit weitreichende Hoffnungen verbanden, im Zuge einer geistigen Gegenoffensive von den nachfolgenden Päpsten systematisch zurückgeschraubt. Benedikt spricht selbst Protestanten das Existenzrecht "einer kirchlichen Gemeinde in der Christenheit" ab, schlägt jedoch eine Brücke zur Ostkirche mit dem offensichtlichen Ziel, nach der Niederlage des Sozialismus in Europa den Widerstand gegen die kapitalistische Restauration zu brechen und im Nahen und Mittleren Osten ein Gegengewicht zum Islam zu schaffen.

Daß Benedikt XVI. keine Ausnahmeerscheinung auf dem Heiligen Stuhl, wiewohl ein Traditionalist im dogmatischsten Sinn ist, belegt eine historische Abhandlung, in der Feldbauer von den Anfängen des Papsttums im 1. und 2. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung einen Bogen bis in die Gegenwart schlägt. In einem von heftigen Auseinandersetzungen begleiteten Gewaltakt mußte die den frühen christlichen Gemeinden wesensfremde Zentralisierung und Hierarchisierung der Kirche durchgesetzt werden, wobei der Kirchenlehre insbesondere in Gestalt der Verfolgung innerer Kritiker und der Dämonisierung Andersgläubiger zentrale Bedeutung zukam. Benedikt als virtuoser Interpret dogmatischer Denkkonstrukte hat nicht umsonst den im 3. Jahrhundert zum Bischof von Karthago geweihten Cyprian zu einem seiner Leitbilder unter den Kirchenvätern erkoren, der die autoritäre kirchliche Struktur vervollkommnete und Methoden etablierte, die den Boden für die spätere Inquisition bereiteten.

Die von Cyprian formulierte Stoßrichtung schuf die Grundlage für das erste Bündnis der Kirche mit der bestehenden Gesellschaftsordnung, da sie in dem bereits vom Untergang gezeichneten Römischen Reich zu einer wichtigen Stütze der Sklavenhalter wurde. Um den einsetzenden Zerfall des Imperiums aufzuhalten, machte Kaiser Konstantin I. sie zur Verbündeten und erhob sie letztendlich zur Staatskirche, woraus sich später ihr weltlicher Herrschaftsanspruch begründete. Die Salbung gekrönter Häupter durch den Papst, welche die Berufung durch Gott belegen sollte, legitimierte deren Macht und beförderte zugleich die Ausbreitung der päpstlichen Feudalherrschaft, die bis zur Beseitigung der weltlichen Herrschaft der Kurie 1870 durch das italienische Risorgimento in Europa ihresgleichen suchte. Vor allem im Streit zwischen dem Papsttum und den deutschen Kaisern tobte jahrhundertelang der Kampf um die Weltherrschaft, in dem sich das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" konstituierte.

Durch Kreuzzüge, Inquisition und Kreuzrittertum leitet der Autor den Leser bis in die jüngste Geschichte, wobei er es nie versäumt, die Rolle der Kurie im Dienst kirchlichen und weltlichen Machterhalts bei der Verfolgung emanzipatorischer Bestrebungen herauszuarbeiten. Mochten Imperien untergehen und Reiche zerfallen, Sklavenhalter von Feudalherren und diese vom aufstrebenden Bürgertum als dominante gesellschaftliche Organisation abgelöst werden, stets war die römische Kirche zur Stelle, um ihre Unverzichtbarkeit für die Herrschenden zu demonstrieren. Im 19. Jahrhundert zählten Päpste den Kommunismus zu den "monströsen Irrtümern" und reihten ihn mit dem Liberalismus, Sozialismus und der Freimaurerei unter den "Pestilenzen" ein. 1891 fixierte Leo XIII. die Grundlagen der katholischen Morallehre, die dem Staat abverlangt, sich zum "unerbittlichen Hüter des Privateigentums" zu machen. Wer dessen Aufhebung fordere, müsse "im Namen der Moral, deren Fundament er zerstört, als außerhalb des Gesetzes stehend erklärt werden". Als 1917 in Rußland die Oktoberrevolution ausbrach, reihte sich die Kurie umgehend in die Internationale der Konterrevolutionäre ein.

Aufschlußreich wie alle Kapitel dieses durchweg lesenswerten Buches sind jene über die Rolle des Vatikans als Steigbügelhalter des Faschismus in Italien, Spanien und Deutschland wie auch die Verflechtung der Kurie mit der CIA, den Logenbrüdern und der Mafia. Pius XI. rühmte Mussolini als "einen Mann, mit dem uns die Vorsehung zusammenführte". Nachdem die Kurie den frühzeitigen Sturz des Faschismus verhindert hatte, wurde das dreiteilige Lateranabkommen abgeschlossen, welches das faschistische Regime innen- und außenpolitisch aufwertete. Das Vertragswerk setzte den Vatikan in den Stand, seine 1870 beseitigte weltliche Herrschaft wiederzuerrichten. Den Lateranverträgen folgte im Juli 1933 das Reichskonkordat mit Hitler, das der erste völkerrechtliche Vertrag war, den eine bedeutende Macht mit seiner Regierung schloß. Die Kurie legitimierte sein Regime, begrüßte seinen Kampf gegen den Bolschewismus und hoffte später auf den Sieg seiner Truppen im Osten. Die Diktatur Salazars in Portugal traf bei der römischen Kurie auf ebenso wenig Widerstand wie der Putsch Francos gegen die spanische Republik. Die Kurie rechtfertigte den Angriff der italienischen Kolonialarmee auf Äthiopien als "Verteidigungskrieg" und betete für die "wachsende Größe des geliebten Vaterlandes", die in einem Völkermord rund 750.000 Äthiopier das Leben kostete.

Das Bündnis mit den Faschisten hinderte den Vatikan nicht daran, nach 1945 die Amerikaner als Befreier zu feiern und selbst glühende Anhänger des untergegangenen Regimes in Kreisen der Kurie nunmehr zu Widerstandskämpfern zu erklären. Zugleich organisierte er unter Pius XII. für Tausende führende Faschisten die "Rattenlinie", auf der die Flucht hochrangiger Nazis, darunter Martin Bormann, Adolf Eichmann, Josef Mengele, Franz Sprangl, Josef Schwammberger und der Führer der kroatischen Ustascha, Ante Pavelic, nach Südamerika organisiert wurde. Im Staatssekretariat des Vatikans leitete Giovanni Battista Montini diese Rettungsaktion, der zur Spitze des vatikanischen Geheimdienstes Pro Deo gehörte, welcher eng mit dem OSS und dessen Nachfolgeorganisation CIA zusammenarbeitete. Die Kooperation der beiden Geheimdienste wurde noch vertieft, als Montini 1963 als Paul VI. zum Papst aufstieg. So verbündeten sich ehemalige Faschisten, CIA und Vatikan zum Kampf gegen den Ostblock wie auch das Vordringen der Linken im eigenen Land.

Als sich in Italien ein möglicher Wahlsieg der Linkskräfte abzeichnete und die USA fürchteten, die Südflanke ihres Blocks in Europa zu verlieren, drängte man Kommunisten und Sozialisten aus der Regierung, während der Klerus eine massive antikommunistische Kampagne eröffnete. Washington drohte mit Intervention und subventionierte das bürgerliche Lager, nicht wenige Linke wurden exkommuniziert, von den Kanzeln herab predigten die Priester gegen den Bolschewismus und der Papst rief die Katholiken zur Wahl der DC auf, die daraufhin den höchsten Wahlsieg ihrer Geschichte feiern konnte.

Vielfach wird der 1928 gegründete erzkonservative Geheimbund Opus Dei als das eigentliche Machtzentrum des Vatikans angesehen. Das Gotteswerk unterstützte Franco, dessen Regierung acht seiner Mitglieder angehörten. 1947 mit der päpstlichen Approbation versehen, wurde Opus Dei vor allem unter Karol Wojtyla aufgewertet, der die Heiligsprechung des Gründers und Faschistenfreundes Balaguer im Eilverfahren betrieb. Das Gotteswerk unterhielt Kontakte zur CIA und italienischen Militärs, die in den 1970er Jahren die Putschloge P2 gründeten, die 1978 den christdemokratischen Parteivorsitzenden Aldo Moro ermorden ließ, der für eine Regierungszusammenarbeit mit den Kommunisten eintrat. In Chile war Opus Dei am Militärputsch Pinochets und an dessen Regierung beteiligt, im Vatikan besetzten Mitglieder des Gotteswerks einflußreiche Positionen, wie sie auch in Konzernen, Banken und Universitäten vertreten sind. Mit geschätzten 80.000 Mitgliedern in 90 Ländern und als vermutlich finanzkräftigste Organisation der katholischen Kirche verfügt der Geheimbund zweifellos über enormen Einfluß. Ob Josef Ratzinger ihm angehört, ist unbekannt, doch konnte Opus Dei in München offiziell eine Niederlassung eröffnen, als er dort Erzbischof war, und als Präfekt der Glaubenskongregation brachte er später drei Mitglieder in seinem Leitungsgremium unter.

Was von Joseph Ratzinger als Papst zu erwarten sei, beantwortet der Autor in seinem Schlußwort mit der düsteren Prognose, daß man mit noch Schlimmerem als unter seinem Vorgänger Karol Wojtyla rechnen müsse. Zeichnete er sich bereits in seinem theologischen Werdegang durch Rechthaberei aus, so bekämpfte er als oberster Glaubenswächter jegliche Abweichung von der Doktrin, um sich schließlich als "Stellvertreter Gottes auf Erden" als erster und unfehlbarer Kirchenlehrer zu positionieren, der mit strategischem Kalkül alle Welt lektioniert. Sein Lebenswerk ist eine Gegenoffensive, die jeden Gedanken an eine Brüderschaft der Rassen und Religionen, Kirchen und Weltanschauungen und insbesondere das Aufbegehren der Unterjochten zu verbannen trachtet und das Machtgefüge der katholischen Kirche zum Abbild göttlicher und somit Vorbild weltlicher Ordnung erklärt.

Wenngleich katholische Laien in wachsender Zahl und selbst beträchtliche Teile des Klerus den Kurs Papst Benedikts XVI. mit Skepsis verfolgen und längst offen kritisieren, läßt die kirchliche Ordnung seines Regimes per Definition keine Opposition zu. Jede Veränderung müßte man folglich erkämpfen, wofür der Autor Chancen bei den Befreiungstheologen Lateinamerikas sieht, die sich auf die Ziele des Urchristentums berufen. Sie vertreten den Standpunkt, daß die Ausbeutung der Menschen eine Beleidigung Gottes sei und Jesus ein ganz anderes Modell des Lebens, nämlich das der Gemeinschaft gerade mit den Schwachen, vertreten habe. Sie verkünden als "Botschaft Gottes", diese unwürdigen Lebensverhältnisse, in denen Menschen gehalten werden, zu beseitigen und stellen Christus als den Träger messianischer Hoffnung auf Befreiung der Unterdrückten dar, während die von Rom vertretene Trennung und Leugnung dieses Zusammenhangs ganz im Interesse der Mächtigen und Unterdrücker liege.

13. April 2010


Gerhard Feldbauer
Der Heilige Vater
Benedikt XVI. - Ein Papst und seine Tradition
PapyRossa Verlag, Köln 2010
209 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-89438-415-9