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REZENSION/460: Lotta Suter - Kein Frieden mehr (US-Politik) (SB)


Lotta Suter


Kein Frieden mehr

Die USA im Kriegszustand



1997 wanderte die Schweizerin Lotta Suter mit ihren vier Kindern in die USA aus und ließ sich in der Nähe von Boston nieder. Von dort aus arbeitet sie seitdem als US-Korrespondentin des Südwestrundfunks (SWR) und der von ihr mitbegründeten Schweizer Wochenzeitung (WoZ) und veröffentlicht hin und wieder Artikel bei Freitag, der jungen Welt und der Sozialistischen Zeitung (SoZ). Dadurch hat Suter nicht nur von der östlichen Seite des Atlantiks aus, sondern hautnah die Präsidentschaft George W. Bushs erlebt, was ihrer Kritik an der imperialistischen Außen- und polizeistaatlichen Innenpolitik Washingtons seit Januar 2001 besonderes Gewicht verleiht. Anders als die meisten Menschen in den USA und anderswo glaubt die 1952 geborene Journalistin nicht, daß nach dem Ende der Ära des Republikaners Bush jun. und dem voraussichtlichen Sieg des Demokraten Barack Obama bei der Präsidentenwahl am 4. November Washington einen gänzlich anderen, friedfertigeren Kurs einschlagen wird. Die Gründe für ihre wenig optimistische Einschätzung erläutert Suter in dem unterhaltsamen und hochinformativen Buch "Kein Frieden mehr".

Bereits 2003 erschien unter dem Titel "Einzig und Allein - Die USA im Ausnahmezustand" ebenfalls beim Rotpunktverlag Suters erste Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft. Damals, zwei Jahre nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September, standen Bush und sein hauptsächlich mit neokonservativen Militaristen besetztes Kabinett auf dem Höhepunkt ihrer Macht. In zwei beeindruckenden Blitzkriegen à la "Shock and Awe" hatten die US-Streitkräfte Afghanistan und den Irak besetzt und dabei die Regierungen der Taliban respektive Saddam Husseins gestürzt. Es drohten weitere gewaltsame "Regimewechsel" im Iran, in Nordkorea und Syrien. Washington hatte den ABM-Vertrag mit Rußland aufgekündigt, um ein milliardenteures Raketenabwehrsystem aufzubauen, das den USA die atomare Erstschlagskapazität verleihen sollte. Die ganze Welt erstarrte in Ehrfurcht vor der High-Tech-Kriegsmaschinerie des Pentagons Donald Rumsfelds.

Inzwischen hat sich vieles geändert. 2004 hat der Skandal um das Foltergefängnis Abu Ghraib den moralischen Führungsanspruch der USA, der bereits durch das Sonderinternierungslager Guantánamo Bay und die Verschleppungen mutmaßlicher "Terroristen" durch die CIA schwer angeschlagen war, endgültig zunichte gemacht. Heute gilt die US-Armee aufgrund der anhaltenden Aufstandsbekämpfung im Irak und in Afghanistan als ausgelaugt und die Masse ihres Kriegsgerätes als verbraucht. Die Kriege im Irak und in Afghanistan mögen von "niedriger Intensität" sein, wie es im Militär-Jargon heißt, kosten jedoch ein Vermögen und sind eine wesentliche Ursache für das explodierende US-Haushaltsdefizit und die damit einhergehende internationale Finanzkrise. Bushs Popularität unterbietet inzwischen laut Umfragen diejenige Richard Nixons während der schlimmsten Tage des Watergate-Skandals. Rumsfeld und die Neocons haben am Kabinettstisch den "Realisten" vom Schlage Robert Gates weichen müssen.

Aufgrund unübersehbarer Überdehnungserscheinungen haben die USA auf die Konfrontation mit Nordkorea verzichtet. Es deutet sich sogar eine Entspannung im Atomstreit mit dem Iran an. Seit dem Sieg der radikalislamischen Hamas bei den Parlamentswahlen 2006 in den besetzten palästinensischen Gebieten und dem guten Abschneiden der schiitischen Hisb Allah beim Libanon-Krieg mit Israel im selben Jahr ist seitens des Weißen Hauses und des State Department von einer "demokratischen Transformation" des "Erweiterten Nahen Ostens" nicht mehr die Rede. Im vergangenen August hat sich Rußland im Krieg gegen Georgien eindrucksvoll als Militärmacht zurückgemeldet, während China mit der atemberaubenden Eröffnungszeremonie der Sommerolympiade in Peking Hollywood, die Hauptstütze amerikanischer Leitkultur, vor Neid erblassen ließ.

Bis auf die allerjüngsten Entwicklungen wird dies alles in dem neuen Buch Suters, einer Sammlung von zwölf Essays aus dem Jahr 2007, abgehandelt. Als Fremde in einem fremden Land versucht die linksorientierte Europäerin die USA, deren "dunkle Seite" (O-Ton Dick Cheney) in den letzten Jahren erschreckend deutlich zutage getreten ist, zu verstehen. Auf ihre persönliche Erkundungsreise nimmt sie den Leser mit und verwöhnt diesen regelrecht mit scharfen Beobachtungen, witzigen Formulierungen und einer treffsicheren Analyse der fatalen Verbindung von kapitalistischer Verwertungslogik, militärisch-technologischem Kalkül und religiös-ideologischer Verblendung. Letztere veranschaulicht Suter zum Beispiel mit der Beschreibung eines Besuchs eines 27 Millionen Dollar teuren, im Südstaat Kentucky liegenden Museums christlicher Fundamentalisten, die nicht an die Evolutionstheorie glauben, sondern daran, daß "Gott" die Welt vor rund sechseinhalbtausend Jahren geschaffen hat:

Keine Cherubim mit flammendem Schwert stehen in Petersburg, Kentucky, vor dem Eingang zum Garten Eden, bloß ein paar Museumswächter, die das Eintrittsbillett sehen wollen. Und bereits in der Lobby plätschert ein himmlischer Wasserfall; darin tollen Evas Kinder mit ein paar Dinosauriern herum. Im nächsten Raum stehen auch Adam und Eva selbst zufällig im Wasser, das ihre Blöße gnädig bedeckt, und neben ihnen liegen nicht nur der Wolf beim Lamm und das Kalb beim Löwen, sondern auch die Riesenechsen der Urzeit und sogar der Tyrannosaurus Rex sind Teil dieser pflanzenfressenden Eintracht. Da nun aber jedes dinobegeisterte Kind weiß, warum der T-Rex so große Zähne hat, liefert das Creation Museum zu diesem Punkt eine spezielle Erklärung: Vor der Vertreibung aus dem Paradies waren alle Lebewesen Pflanzenfresser - gemäß Genesis I. 29-30 also auch die Dinosaurier. Der Tyrannosaurus Rex benutzte sein mächtiges Gebiss damals bloß zum Knacken von Kokosnüssen.
(S. 51)

Nun, wer braucht Charles Darwin, wenn er Fred Feuerstein hat? Leider sind es in den USA nicht nur die Millionen von Anhängern der Schöpfungslehre, sondern ist es auch die zahlenmäßig noch größere Gemeinde der Sicherheitsfanatiker, Hurrapatrioten und Apologeten des "Global War on Terror" (GWoT), die in einer "imaginären Welt" (S. 53) lebt. In einem Essay über die Folterdebatte in den USA weist Suter auf die verheerenden Auswirkungen der Action-Serie "24" mit Kiefer Sutherland in der Hauptrolle hin. Weil im Irak so viele US-Militärangehörige den Folterpraktiken des "24"-Helden, des Terrorbekämpfungsspezialisten Jack Bauer, nacheiferten, sah sich 2006 Brigadegeneral Patrick Finnegan, Dekan der berühmten Offiziersschmiede West Point, gezwungen, extra nach Kalifornien zu reisen, um die Verantwortlichen für die enorm erfolgreiche Produktion des Fernsehsenders Fox zu bitten, die Vernehmungszenen realistischer, das heißt, mit viel weniger Gewalt darzustellen.

Vor allem ist es der Glaube eines Gutteils der Amerikaner an die USA als "auserwählte Nation", der Suter am meisten beunruhigt. Unter Verweis auf die überhöht religiöse Rhetorik Obamas fragt sie: "Soll die Politik wirklich zur Bühne umfunktioniert werden, auf der wir die Suche nach moralischen Gewissheiten inszenieren?" (S. 272) Die Antwort gibt sie selbst:

Die gegenwärtige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise der USA ist kein Zustand, den man überwinden kann, wenn man nur fest genug - mit quasireligiöser Innigkeit - an die Größe der Nation, die Herzensgüte des amerikanischen Volkes oder an die Weisheit der Gründerväter glaubt.

(...)

... es wäre an der Zeit, den Exzeptionalismus Amerikas als motivierenden Mythos zu begreifen statt als realistische Geschichtsschreibung. Die Gründungsgeschichte von der "leuchtenden Stadt auf dem Hügel" ist nicht mehr und nicht weniger als eine ideologisierende Erzählung, eine Projektion menschlicher Wünsche und Hoffnungen, kein Tatsachenbericht.

(...)

In diesem Sinn ist auch das heutige Demokratiedefizit und die Friedlosigkeit der USA - und der ganzen Welt - keine Angelegenheit vakanter Hoffnungen, sondern ein Projekt, das politisch herausfordert.
(S. 273f.)

Suter hat diese Herausforderung längst angenommen. Ihre Berichte über Debatten, die sie in Kriegsgegnerkreisen geführt hat, geben einen guten Einblick in das amerikanische Selbstverständnis. Häufig wollen die US-Friedensaktivisten den Krieg und die Regierung kritisieren, die ihn angeordnet hat, nicht aber die Soldaten, die ihn erst ermöglichen, offenbar weil man zuviel Angst davor hat, als "unpatriotisch" gebrandmarkt zu werden. Beeindruckend ist die Akribie, mit der die Autorin die politische Diskussion in den amerikanischen Medien verfolgt. Dadurch begegnet der deutschsprachige Leser vielen interessanten, sachkundigen Autoren und Kommentatoren aus Amerika, die auf dem alten Kontinent wenig bekannt sind. Hierzu gehören unter anderem Susan Faludi, Chris Hedges, Chalmers Johnson, Matthew Rotschild, Matt Taibbi und Naomi Wolf. In diesem Zusammenhang wären zwei klitzekleine Lektoratsfehler anzumerken: Auf Seite 37 wird Andrew Cockburn, Autor der wenig schmeichelhaften Biographie "Rumsfeld: His Rise, Fall and Catastrophic Legacy", mit seinem älteren Bruder Alexander, dem Counterpunch-Herausgeber und Nation-Kolumnisten, verwechselt, während auf Seite 234 der Name des US-Ministers für Heimatschutz fälschlicherweise mit Michael Cherkoff, statt Chertoff wiedergegeben wird.

23. Oktober 2008


Lotta Suter
Kein Frieden mehr
Die USA im Kriegszustand
Rotpunktverlag, Zürich, 2008
284 Seiten
ISBN: 978-3-85869-365-5