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REZENSION/447: Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (SB)


Noah Flug/Martin Schäuble


Die Geschichte der Israelis und Palästinenser



Noah Flug und Martin Schäuble haben "Die Geschichte der Israelis und Palästinenser" vor allem für eine junge Generation geschrieben, deren Kenntnisse von der Entstehung und Entfaltung des Nahostkonflikts zumeist in einem umgekehrten Verhältnis zu der Möglichkeit zu stehen scheinen, sich mit Hilfe der frei zugänglichen Fülle elektronischer Medien und Printmedien ein angemessenes Bild davon zu machen. Sie erlebt die Feindschaft der beiden Völker allenfalls als ewig und unveränderlich, vor allem aber gefiltert durch selektive Auswahl der Informationen und sprachregulierte Interpretationsmuster, die ihr den Zugang zu einem fundierten Verständnis systematisch verschließen.

Wenngleich es sich um kein zugelassenes Standardwerk für den Gebrauch im Bildungsbereich handelt, legen die Autoren in einem erweiterten Sinn doch ein leicht verständliches Lehrbuch vor, dessen Leser keines Hintergrundwissens bedürfen, um an die Geschichte des Konflikts herangeführt zu werden. Diesen informativen Charakter unterstreicht auch der umfangreiche Info-Teil des Buches, der eine gut sortierte Medienliste enthält, die sich an den einzelnen Kapiteln orientiert. Eine Zeittafel faßt die geschilderten Ereignisse im Überblick zusammen, zudem sind auch Angaben zu den zahlreich zitierten Zeitzeugen, ein kleines Kartenwerk und natürlich eine Indexliste enthalten.

Der Holocaust-Überlebende Noah Flug und der Journalist Martin Schäuble, der im Laufe seiner eineinhalb Jahre währenden Recherche mit zahlreichen Israelis und Palästinensern sprach, waren sich eigenen Angaben zufolge einig, ein tabuloses und ehrliches Buch zu schreiben, in dem beide Parteien ausführlich zu Wort kommen sollten. Wie sie betonen, gebe es im Nahostkonflikt nicht eine einzig gültige Wahrheit, da es oft unmöglich sei, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden.

Sie zogen daraus den Schluß, Zeitzeugen unter den Israelis und Palästinensern in einem Ausmaß zu Wort kommen zu lassen, das dem Anspruch, hautnah und aus erster Hand zu berichten, in ungewöhnlich hohem Maße nachkommt. So findet der Leser kaum eine Seite ohne die im Druck deutlich hervorgehobene Namensnennung jener Menschen, deren nachfolgende Aussage das jeweils eigene Erleben in klare und eindrückliche Worte faßt, wobei die Perspektive immer wieder wechselt. Diese besondere Darstellungsweise ist ebenso dem Wunsch geschuldet, eindimensionale Erklärungsansätze zu überwinden, wie eine anregende und leicht verständliche Lektüre zu gewährleisten.

In der Einleitung werden zwei Zitate gegenübergestellt, deren erneute Wiedergabe gegen Ende des Buches einen programmatischen Bogen von der Bestandsaufnahme hin zu möglichen Konsequenzen schlägt. Stellvertretend für viele in seinem Land bringt ein Israeli zum Ausdruck, daß seines Erachtens ein dauerhafter Frieden in weiter Ferne liegt:

Von klein auf sah ich Kriege. Ich selbst kämpfte im Unabhängigkeitskrieg, im Suezkrieg, im Sechs-Tage-Krieg, im Jom-Kippur-Krieg und in vielen weiteren Einsätzen. Mein Sohn kämpfte. Mein Enkel kämpfte. Er liegt verwundet im Krankenhaus. Und ich glaube, der Enkel meines Enkels wird auch kämpfen.

Eine in Bethlehem geborene Palästinenserin faßt die Geschichte ihres Volkes mit folgenden Worten zusammen:

Meine Mutter kam während der osmanischen Besatzung auf die Welt. Ich wurde während der englischen Besatzung geboren, meine Kinder während der jordanischen, deren Kinder während der israelischen. Es gibt immer jemanden, der dieses Land will, aber nie jemanden, der uns will. Ist das keine Tragödie?
(S. 7 und 153)

Die Autoren verweisen auf die Opfer und Leiden auf beiden Seiten, den ewigen Ausnahmezustand, die Unversöhnlichkeit der Soldaten und bewaffneten Kämpfer, die mangelnde Bereitschaft der Regierungen, eine Einigung in den zentralen Kontroversen herbeizuführen. Sie plädieren für die gemeinsame Suche nach einem Ausweg, an deren Anfang die Bereitschaft stehe, sich mit der Geschichte des jeweils anderen auseinanderzusetzen. Für die heutige Generation sei dieses Land die einzige Heimat, die sie kenne, gleich ob es sich nun um Israelis oder Palästinenser handle. Daher sei das Zusammenleben in diesem Land auch die einzig vorstellbare Lösung. Anstelle eines Nachworts deutet die in Auszügen geschilderte Erfahrung zweier Jugendlicher in einem Friedenscamp an, daß ein Brückenschlag der Verständigung keineswegs unmöglich ist. Man kämpfe seit über 60 Jahren gegeneinander, ohne daß etwas erreicht wurde, heißt es dort. Beide Seiten hätten so viel Zeit verschwendet, um einen eigenen Staat zu gründen. Wieso nicht Zeit für Frieden verschwenden?

Der Vorschlag, die eingeprägten Feindbilder zu überwinden, endlich Vernunft walten zu lassen und den sinnlosen Krieg der Väter zu beenden, greift jedoch zu kurz. Im Nahostkonflikt manifestieren sich weltpolitisches Ringen, geostrategische Positionierung, Verfügung über Ressourcen wie auch ein Frontverlauf im unterstellten Kampf der Kulturen zu einem brisanten Komplex mit vielen Akteuren, der sich nicht auf ein Problem mangelnder Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen und miteinander zu reden, reduzieren läßt.

Indem sich die Autoren der Herangehensweise verschreiben, ein ausgewogenes Bild des Konflikts zu präsentieren, befleißigen sie sich einer vorgeblich unparteiischen Sicht, die von dem Machtgefälle zwischen den beteiligten Streitparteien absieht und deren Ungleichheit verschleiert. Es handelt sich keineswegs um eine Konfrontation auf gleicher Augenhöhe, sondern vielmehr um eine Form asymmetrischer Kriegführung, bei der die eine Seite über weitaus größere militärische, ökonomische und politische Mittel verfügt als die andere.

Wenn der israelische Veteran vom ewigen Kampf seines Volkes spricht, dessen er müde sei, und die palästinensische Großmutter das immerwährende Besatzungsregime wechselnder Mächte als Tragödie beklagt, kommt darin zwar ein beiderseitiges Leid zum Ausdruck, vor allem aber der fundamentale Widerspruch zwischen der israelischen Herrschaftssicherung und der Unterdrückung der Palästinenser. Sich angesichts dieser Konstellation als vorgeblich neutraler Beobachter bedeckt zu halten und nicht für die schwächere Fraktion in diesem Konflikt Partei zu ergreifen, kann nur darauf hinauslaufen, sich auf die Seite der Stärkeren zu schlagen.

Geschichte schreiben bekanntlich die Sieger, was es zwangsläufig zu einem parteiergreifenden und nicht selten riskanten Unterfangen macht, die im Zuge dieses Prozesses systematisch unterdrückten, ausgeblendeten und verschleierten Widersprüche aufzuspüren. Dies bekam auch die Gruppe der "Neuen israelischen Historiker" zu spüren, die sich kritisch mit der offiziellen Geschichtsschreibung ihres Landes befassen und aufgrund ihrer Erkenntnisse eine Revision dieses Bildes anstreben. So führte Ilan Pappe den Nachweis, daß die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina eine geplante und systematisch betriebene Deportation der einheimischen Bevölkerung einschloß, die alle Züge einer ethnischen Säuberung aufwies. Derartige Forschungsergebnisse zu publizieren, trug ihm in seiner Heimat heftige Anfeindungen ein, die es ihn geraten erscheinen ließen, vorerst in England zu leben und zu lehren.

Vor dem Hintergrund solch tiefgreifender Kontroversen um die Gültigkeit der Geschichtsschreibung mutet das hochgesteckte Anliegen Noah Flugs und Martin Schäubles, die Geschichte der Israelis und Palästinenser angemessen und noch dazu leicht verständlich in Kurzform zu präsentieren, denn doch allzu ambitioniert an.

2. Juli 2008


Noah Flug/Martin Schäuble
Die Geschichte der Israelis und Palästinenser
Carl Hanser Verlag, München Wien 2007
208 S., 17,90 Euro
ISBN 978-3-446-20907-7