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REZENSION/414: Fred Pearce - Das Wetter von morgen (SB)


Fred Pearce


Das Wetter von morgen

Wenn das Klima zur Bedrohung wird



Wer sich um seine Zukunft und die kommender Generationen sorgt und deshalb an der Klimaproblematik interessiert ist, kann sich über Informationsmangel nicht beklagen. Tageszeitungen und Wissenschaftsmagazine berichten regelmäßig über das Thema, Funk und Fernsehen strahlen häufig Beiträge zum Klima aus, im Internet wird eine unüberschaubare Menge an Informationen geliefert, und schließlich gibt es eine wachsende Zahl von Sachbüchern, in denen sich mit Klimafragen auseinandergesetzt wird. Der britische Wissenschaftsjournalist Fred Pearce tut dies in "Das Wetter von morgen" auf sehr anschauliche Weise. Er benennt und erörtert die wichtigsten Brennpunkte, an denen die Folgen der globalen Erwärmung bereits jetzt erkennbar sind oder an denen sie sich in naher Zukunft abzeichnen werden. Auch zeigt er keine Scheu vor einer wissenschaftlichen Methodendiskussion, und er verurteilt nicht die sogenannten Klimaskeptiker, nur weil sie eine andere wissenschaftliche Meinung als die des Mainstreams vertreten.

Auf seine bereits aus dem letzten Buch "Wenn die Flüsse versiegen" bewährte Art führt Pearce die Leserinnen und Leser diesmal in die gar nicht mehr so eisigen arktischen Regionen, zu den vom Anstieg des Meeresspiegels bedrohten Inseln des Südpazifiks und in den seit einigen Jahren schwer dürregeplagten Regenwald des Amazonasbeckens; Pearce begibt sich auch unter die Abgasdunstglocke oberhalb des Indischen Ozeans und weit zurück in die vorzeitliche, von Eis- und Warmzeiten geprägte Erdgeschichte, in der andere als menschliche Faktoren zu teilweise sich binnen weniger Jahre abspielenden extremen Klimaveränderungen geführt haben. Dabei profitiert der britische Autor von den Erfahrungen vieler Reisen und seiner Arbeit unter anderem für das Wissenschaftsmagazin "New Scientist". Obgleich Fragen wie zum Beispiel die nach der Wirkung von Wolken auf das Klima durchaus kompliziert sind und unter Experten kontrovers diskutiert werden, versteht es Pearce, die Problematik selbst einer nur wenig vorgebildeten Leserschaft begreiflich zu machen.

Der große Vorzug des Buchs, seine Verpflichtung gegenüber dem wissenschaftlichen Anspruch, erweist sich allerdings an der Stelle als Einschränkung, an der ein bestimmter Aspekt des Klimawandels, der das Leben vieler Menschen mindestens genauso weitreichend bestimmen dürfte wie die Veränderung des Klimas selbst, überhaupt nicht angesprochen wird. Die Rede ist von den teils hintergründigen, teils offenen Vorbereitungen der Staaten auf den Klimawandel und die zu erwartenden Zeiten des Mangels. Militärs und Geheimdienste stellen sich auf künftige Ressourcenkriege ein. Das zeigt unter anderem der Konflikt der Arktisanrainerstaaten über die sich einander ausschließenden territorialen Besitzansprüche der Nordpolregion samt ihrer - bislang nur vermuteten - enormen Ressourcen, die als Folge des Klimawandels zugänglich und ausbeutbar werden könnten.

Es ist weniger die Natur, die zum Gegenschlag ausholt, wie Pearce behauptet, sondern es sind bestimmte gesellschaftliche Kräfte, die ihre Position durch andere Menschen, die, vom Klimawandel besonders betroffen, in sicherere Gefilde fliehen wollen, bedroht sehen und Maßnahmen ergreifen. So forderte der US-Luftwaffengeneral Charles Wald am 9. Mai 2007 bei einer Anhörung zum Thema "Klimawandel und Nationale Sicherheit" des Committee on Foreign Relations des US-Senats:

"Über die eher konventionellen Bedrohungen hinaus, mit denen wir traditionell konfrontiert werden, sollten wir uns meines Erachtens schon jetzt ebenfalls auf die Auswirkungen dramatischer Bevölkerungswanderungen, pandemischer Gesundheitsfragen sowie signifikanter Nahrungs- und Wasserverknappungen als mögliche Folge eines bedeutenden Klimawandels einstellen."
(Übersetzt nach: www.acus.org/docs/070509-Wald_Testimony_CFR.pdf)

Wald gehört zu jenen elf US-Generälen und -Admiralen im Ruhestand, die Mitte April dieses Jahres in ihrem Report "National Security and the Threat of Climate Change" (SecurityAndClimate.cna.org) mit Nachdruck anregten, daß die Konsequenzen des Klimawandels für die nationale Sicherheit umfassend in die Strategien der nationalen Sicherheit und nationalen Verteidigung integriert werden sollten. Dieser Initiative ging wiederum ein Gesetzentwurf der US-Senatoren Dick Durbin, Chuck Hagel und Dianne Feinstein voraus, in dem eine "Nationale nachrichtendienstliche Einschätzung zum globalen Klimawandel" verlangt wurde. Obgleich solche Vorstöße und Forderungen gesellschaftlich äußerst relevant sind und vermutlich das künftige Leben eines großen Teils der Menschheit bestimmen dürften, werden sie im öffentlichen Diskurs über die Klimaproblematik nahezu vollständig ausgeblendet.

Pearce, der sich dem Thema allein von der wissenschaftlichen Seite her nähert, bildet da keine Ausnahme. Dabei handelt es sich keineswegs um eine neuere Entwicklung. Beispielsweise warnte Robert Gagosian, Direktor der Woods Hole Oceanographic Institution, in seiner Rede vor den einflußreichsten Politikern und Wirtschaftsmagnaten der Welt auf dem Weltwirtschaftsgipfel 2003 in Davos, daß sie sich auf einen schnellen Klimawandel "innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte" einstellen sollten.

Und im Februar 2004 ließ der US-Verteidigungsexperte und Geheimdienstberater Andrew Marshall im Auftrag des Pentagon eine Studie zur Klimaentwicklung erstellen und hat zu diesem Zweck als weitere Autoren Peter Schwartz, ehemaliger Forschungsmanager beim Ölkonzern Royal Dutch/Shell und CIA-Berater, sowie Doug Randall vom Global Business Network der kalifornischen Denkfabrik Monitor Group, engagiert. Die drei Experten appellierten an die US-Regierung, sie müsse den Klimawandel "unverzüglich zur wichtigsten politischen und militärischen Frage" erklären. Die nationale Sicherheit der USA sei ebenso gefährdet wie die globale Stabilität. Ein "plötzlicher Klimawandel könnte den Planeten an den Rand der Anarchie bringen, weil Länder eine nukleare Bedrohung entwickeln könnten, um die schwindende Versorgung mit Nahrung, Wasser und Energie zu sichern", lautete die Einschätzung.

In der Überarbeitung der Nationalen Sicherheitsdoktrin der USA vom Oktober 2007 wurde, unter Bezug auf die Zerstörungen durch den Hurrikan Katrina vor zwei Jahren, dem Thema Naturkatastrophen eine ungleich größere Bedeutung beigemessen als in der nach den Anschlägen des 11. September 2001 erstellten Version. Auch wenn die Regierung unter US-Präsident George W. Bush als industriefreundlich gilt und sie aus dem internationalen Klimaschutzabkommen von Kyoto ausgestiegen ist, wäre es ein Irrtum anzunehmen, daß die globale Erwärmung von den Washingtoner Strategen nicht wahrgenommen und die gravierenden Folgen in den Plänen zur Durchsetzung des Weltordnungsprojekts nicht berücksichtigt würden.

Die verglichen mit anderen Weltregionen klimatisch privilegierte Europäische Union reagiert ähnlich wie die USA auf die kommenden Gefährdungen ihrer, wie es euphemistisch heißt, "Sicherheit". Die EU baut ihre Außengrenzen festungsartig aus und hat mit Frontex eine länderübergreifende Grenzsicherungsbehörde geschaffen, die Flüchtlingsströme aus Afrika und Osteuropa abwehren hilft - Veränderungen der klimatischen Verhältnisse tragen nicht unerheblich dazu bei, daß Menschen aus Afrika unter Einsatz ihres Lebens versuchen, nach Europa zu gelangen.

Der Klimawandel findet auch in einer Tendenz zu verschärften Repressionen seinen Niederschlag. Vor gut zwei Monaten wurde in Großbritannien gegen Klimaschützer, die gegen die Erweiterung des Flughafens Heathrow protestiert hatten, die Antiterrorgesetzgebung zur Anwendung gebracht. Die westliche Wertegemeinschaft, womöglich sogar die Menschheit insgesamt, scheint an der Schwelle zu einem ökologischen Totalitarismus zu stehen. In Ländern wie Großbritannien und Deutschland sollen "uneinsichtige" Hausbesitzer, die ihre Häuser nicht ausreichend isolieren (was anhand von flächendeckend erstellten Wärmebildern nachgewiesen wird), genötigt werden, Energiesparmaßnahmen zu ergreifen, ob sie sich diese leisten können oder nicht. Und mit dem "Kohlenstoff-Fußabdruck", bei dem jeder Bürger berechnen kann, für welche Menge an Treibhausgasemissionen er durch seine Lebensweise verantwortlich ist, wird gegenwärtig ein neuartiges Diffamierungsinstrument installiert, das tief in die Lebensbereiche jedes einzelnen eingreifen wird.

Das alles ist für Pearce kein Thema. Er bleibt im wesentlichen deskriptiv. Dabei geht er zwar gründlich vor und bringt in acht Ober- und 37 Einzelkapiteln eine überzeugende Zahl an Beispielen, die keinen Zweifel aufkommen lassen, daß zur Zeit ein rapider Klimawandel stattfindet und die Menschen mittendrin stecken, doch diese Bedrohung wirft viel weitreichendere Fragen auf als die, ob und in welchem Ausmaß die Erderwärmung menschenverursacht ist und ob eher die Tropen oder die Polarregionen Motor des Klimawandels sind.

Vor allem die Schwachen dieser Welt sollen zu Opfern abgestempelt werden. Führende Klimaforscher prognostizieren, daß durch die Erderwärmung in diesem Jahrhundert hunderte Millionen, wenn nicht über eine Milliarde Menschen ums Leben kommen werden. Pearce vermeidet nicht nur, die brisanten politischen Fragen, die aus den absehbaren Klimafolgen resultieren, anzusprechen, er betreibt auch in der historischen Rückschau einen Determinismus, bei dem vorherrschende gesellschaftliche Interessen und Machenschaften ignoriert und der Tod von zig Millionen Menschen als vermeintlicher Schicksalsschlag seitens "der Natur" dargestellt wird. So schreibt der Autor in Kapitel 31 über die enorme Bedeutung des Monsuns als "Ernährer Asiens":

"Das Ausbleiben des Monsuns hat verheerende Konsequenzen, wie sich im 19. Jahrhundert wiederholt zeigte. Verblüfft mussten die britischen Kolonialbeamten in Indien mit ansehen, wie während der Hungersnöte von 1837/1838, 1860/1861, 1876 bis 1878 und 1896 bis 1902 etliche Millionen starben."
(S. 250)

Keineswegs waren die Kolonialbeamten damals "verblüfft" über das Siechtum der Inder! Hatten sie doch in ihrer europäischen Überheblichkeit mit einer Reihe von Maßnahmen dafür gesorgt, daß die Hungerkatastrophen in Indien um Größenordnungen schwerwiegender ausfielen, als wenn das Land nicht als Ressourcenkolonie zur Stützung des britischen Empires gedient hätte. Die indische Landwirtschaft wurde systematisch von der bewährten Subsistenzwirtschaft zum exportorientierten Anbau von "cash crops" umstrukturiert. Unter den Generalgouverneuren und Vizekönigen hat Indien selbst in den schwersten Dürrejahren reichlich Getreide nach Großbritannien ausgeführt, und die Steuereintreiber scheuten sich nicht - Dürre hin, Dürre her -, den Kleinbauern die letzte Habe abzunehmen. Dieser Zusammenhang wurde sehr anschaulich und ausführlich von dem US-Autor Mike Davis in dem mit Auszeichnungen versehenen Buch "Die Geburt der Dritten Welt. Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter" analysiert.

Die Zeit der deskriptiven Bücher zum Klimawandel sollte angesichts der politischen Brisanz des Themas schnellstens zurückgelassen werden. Wer sich für die Klimaentwicklung und jüngere Forschungsergebnisse interessiert und einen gut aufbereiteten Einblick in die von Wissenschaftlern geführte Ursachendebatte zur Erderwärmung wünscht, sei das vorliegende Buch von Fred Pearce dennoch empfohlen.

23. Oktober 2007


Fred Pearce
Das Wetter von morgen. Wenn das Klima zur Bedrohung wird
Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Barbara Steckhan
Antje Kunstmann Verlag
München 2007
320 Seiten, 19,90 EUR
ISBN 978-3-88897-490-8