Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/334: Mahmood Mamdani - Guter Moslem, böser Moslem (Politik) (SB)


Mahmood Mamdani


Guter Moslem, böser Moslem

Amerika und die Wurzeln des Terrors



Nach Lesart der Regierung von US-Präsident George W. Bush und seiner politischen und medialen Verbündeten hat sich am 11. September 2001 die Welt völlig "verändert". Demnach hätten die verheerenden Flugzeuganschläge auf das New Yorker World Trade Center und das US- Verteidigungsministerium in Arlington demonstriert, wie verwundbar die moderne Industriegesellschaft wäre, weshalb fortan deren oberstes Organisationsprinzip der "globale Antiterrorkrieg" - in Pentagonsprache "Global War on Terror" oder akronymisiert einfach GWoT - zu gelten hätte. Seinetwegen hat die NATO erstmals in ihrer Geschichte den Bündnisfall ausgerufen und bis heute noch nicht revidiert, während in den letzten fünf Jahren die Genfer Konventionen, die Europäische Menschenrechtscharta, die US-Verfassung und die Gesetze der meisten westlichen Staaten ausgehebelt, abgeändert oder ignoriert worden sind, um sogenannte "Terroristen" oder "feindliche Kombattanten" verschleppen, foltern und verschwinden lassen und zwei völkerrechtlich illegale Angriffskriege in Afghanistan und im Irak anzetteln zu können.

Bis heute hat Bushs Kreuzzug gegen den "internationalen Terrorismus" rund 3000 NATO-Soldaten und schätzungsweise mehr als 100.000 Afghanen und Iraker das Leben gekostet. Während die Verschärfungen der polizeistaatlichen Kontrolle im Westen - Telefon- und Internetüberwachung, biometrische Pässe, flächendeckende Kameraobservation in den Städten, drastische Einschränkung der Bürgerrechte u. v. m. - kein Ende finden, ziehen am Horizont weitere Kriege, nämlich gegen den Iran und Nordkorea, auf. In beiden Fällen droht Washington mit Atomangriffen - "Alle Optionen liegen auf dem Tisch" (O-Ton Bush) -, um zu verhindern, daß Teheran oder Pjöngjang sich ein nukleares Abschreckungspotential zulegen beziehungsweise es behalten.

Mit dem totalitären, volksverdummenden Mythos vom erderschütternden Paradigmenwechsel 9/11 räumt Mahmood Mamdani in seinem Buch "Guter Moslem, böser Moslem - Amerika und die Wurzeln des Terrors" weitgehend auf. Dezidiert legt er tatsächlich die Wurzeln des "Antiterrorkrieges" von heute frei. Er zeigt, daß vieles, was aktuell unter "islamischem Terrorismus" firmiert, seine Ursprünge in der Stellvertreterkriegsstrategie hat, welche die US-Militärs angesichts der Niederlage in Vietnam entwickelt haben und bis heute verfolgen. Nach anfänglichen Versuchen in Indochina, Afrika und Mittelamerika fand diese Strategie ihre bis dahin größte Entfaltung in Afghanistan, wo in den achtziger Jahren die CIA - mit tatkräftiger Unterstützung der Sicherheitsapparate Saudi-Arabiens und Pakistans - den Mudschaheddin zum Sieg über die regulären Streitkräfte der Sowjetunion verhalf. Als es darum ging, der Roten Armee ihr eigenes Vietnam zu bereiten, sowjetische Soldaten umzubringen und den Kreml in die Knie zu zwingen, war sich US-Präsident Ronald Reagan nicht zu schade, die Halsabschneider vom Hindukusch als "den Gründervätern Amerikas moralisch ebenbürtig" hochleben zu lassen. (S. 131) Als es sich jedoch die arabischen Freiwilligen um Osama Bin Laden und Aiman Al Zawahiri nach dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan in den Kopf setzten, die korrupten Despoten in ihren eigenen Ländern zu bekämpfen und dem bestimmenden Einfluß der Supermacht USA zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean ein Ende zu machen, wurden über Nacht aus den gefeierten "Freiheitskämpfern" die blutrünstigen "Topterroristen" von heute.

Mamdani, der als Nachkomme indischer Einwanderer in Uganda aufwuchs und heute als Politikwissenschaftler und Anthropologe an der renommierten New Yorker Columbia University arbeitet, ist selbst Moslem und wehrt sich im vorliegenden Buch erfolgreich gegen die Verteufelung des Islams als ideologisch-kulturelle Brutstätte von Anti- Moderne und Unvernunft. Recht anschaulich zeichnet er die verschiedenen Entwicklungen und Strömungen auf, die es in den letzten Jahrzehnten in der islamischen Welt z. B. in Pakistan zur Zeit der Loslösung vom britischen Empire und der Trennung von Indien sowie später unter dem Militärdiktator General Zia Ul-Haq, im wahhabitischen Saudi-Arabien seit 1945, in Ägypten unter Gamal Abdel Nasser und Anwar Sadat, im Iran nach dem Sturz des Schahs Reza Pahlevi 1979 und in Algerien vor und nach der Streichung der demokratischen Wahlen im Jahre 1992 durch das Militär, als die Front Islamique du Salut (FIS) kurz vor Erringung der Mehrheit stand, gegeben hat. Unter anderem unter Verweis auf die Schriften von ausgesprochenen Kennern wie Tariq Ali und John Cooley demonstriert Mamdani, wie die USA seit Jahrzehnten jeden politischen Fortschritt in diesen Ländern blockieren und sich bei diesem Unternehmen konsequent mit den reaktionärsten Elementen der Geistlichkeit, des Offiziercorps und der Staatsführung verbünden.

Laut Mamdani ist es Washington immer darum gegangen, durch Ausspielen der religiösen Karte nationalistisch-fortschrittliche Kräfte zu schwächen (die gleiche Strategie verfolgte Israel, als es in den besetzten Gebieten Palästinas in den achtziger Jahren die Hamas- Bewegung von Scheich Achmed Jassin als Gegenpol zur PLO Jassir Arafats aufbaute). Dies erklärt, warum die USA seit einem Vierteljahrhundert dem "Mullah-Regime" in Teheran - "böse Moslems" - feindlich gegenüberstehen, während sie gleichzeitig am mittelalterlichen Hofstaat der saudischen Freunde in Riad - "gute Moslems" - nicht das geringste auszusetzen haben und mit ihm Milliardengeschäfte im Öl- und Rüstungsbereich machen. Die tiefe Animosität Washingtons gegenüber der Islamischen Republik hat mit Religion nichts zu tun, sondern leitet sich aus der einfachen Tatsache ab, daß sich die Iraner der ihnen 1953 von der CIA aufgezwungenen Marionette entledigt und sich zum Herrn im eigenen Hause erklärt haben. Mamdani führt viele plausible Argumente ins Feld, warum der Islam gute Chancen hätte, eine "moderne", den Erfordernissen der Industriegesellschaft angepaßte, in der Auslegung weniger strenge Religion zu werden, würde man den sozial-progressiven Kräften in der muslimischen Welt Entfaltungsmöglichkeiten gewähren.

So gesehen ist für Mamdani der Kampf des Westens gegen den "islamistischen Terrorismus" mitnichten ein unvermeidliches Ringen auf Leben und Tod zwischen der jüdisch-christlichen "Zivilisation" und einem Millionenheer rückwärtsgewandter Kalifatsanhänger, eine Art Dritter Weltkrieg, wie es seit Jahren neokonservative Ideenlieferanten wie Bernard Lewis, Samuel Huntington oder Richard Perle der Welt einzubleuen versuchen. Im Gegenteil handelt es sich hier um die altbekannte, neomachiavellistische Ausrichtung der westlichen Gesellschaften auf einen äußeren Feind. Der früheren "roten Gefahr", Ronald Reagans "Reich des Bösen", folgte die "grüne", sprich islamische, Bedrohung. Bin Laden und seine Kampfgefährten sind für das Weiße Haus heute "die Bösen" oder "die Übeltäter", während Bush jun. Anfang 2002 bekanntlich den Irak Saddam Husseins, den Iran und Nordkorea (Heimat der letzten "gottlosen" Kommunisten) zu einer "Achse des Bösen" erklärte.

Die Richtigkeit der These Mamdanis, wonach es sich hierbei um ein manichäisches Konstrukt der Gedankenkontrolle handelt, das nichts erklärt, sondern alles vernebelt, beweist der Fall des in Florida lebenden Exilkubaners und ehemaligen CIA-Agenten Luis Posada Carriles, den die venezolanischen Behörden wegen der Sprengung einer kubanischen Passagiermaschine 1976 über der Karibik einschließlich der Ermordung von 73 Zivilisten vor Gericht stellen wollen und den auszuliefern sich die Bush-Regierung hartnäckig weigert. Offenbar gibt es für die USA, denen die Beherbergung washingtonfeindlicher "Terroristen" offiziell als Kriegsgrund gilt, nicht nur "gute" Moslems und "böse" Moslems, sondern auch "gute Terroristen" und "böse Terroristen". Letztere sind vermutlich nur die, welche Amerikas "way of life", jenes schwammige, alles legitimierende Gut bedrohen oder ihm im Wege stehen.

Das Beispiel Posada Carriles, obwohl im Buch nicht erwähnt, zeigt jedoch, wie sehr Mamdani mit seiner Verortung des Ausgangspunktes des heutigen "Antiterrorkrieges" in den Iran-Contra- und BCCI-Skandalen der achtziger Jahre, als sich die sogenannten Reaganauten anschickten, ihnen mißliebige Regime und Volksbewegungen "zurückzudrängen", koste es, was es wolle, richtig liegt. Die Iran-Contra-Veteranen von einst, die den Kokainschmuggel aus Kolumbien beaufsichtigten, krumme Waffendeals mit Bagdad, Riad, Teheran und Tel Aviv einfädelten, Todesschwadronen auf die eingeborenen Bevölkerungen Mittelamerikas hetzten und den Iran-Irak-Krieg anfeuerten, bekleiden - bestes Beispiel ist der Nationale Geheimdienstkoordinator John Negroponte - heute wichtige Posten in der Administration von George W. Bush, von wo aus sie die blutige Aufstandsbekämpfung in Afghanistan und im Irak dirigieren und an den Plänen für den kommenden großen Showdown mit dem Iran feilen.

Überzeugend stellt Mamdani dar, wie das, was man heute landläufig unter "internationalem" oder "islamistischem" "Terrorismus" versteht, eine Folge jahrzehntelangen "Staatsterrorismus" vornehmlich der USA und Israels im Nahen Osten ist. Auch wenn sein Ansatz, durch eine fortschrittlichere Politik ließen sich die meisten Anlässe zur Gewalt "von unten" aus der Welt schaffen, richtig ist, so läßt er bisweilen den Blick dafür vermissen, wie sehr seit Jahren die Aufstandsbekämfungsexperten und Psyops-Krieger des Westens mit ihren "Pseudogangs" à la Frank Kitson den sogenannten "Terrorismus" schüren und steuern, um sich Interventionsanlässe zu verschaffen und die stets gigantischen Rüstungsausgaben zu sichern. Die Rolle des FBI beim ersten WTC-Anschlag vom 26. Februar 1993, als die US-Bundespolizei den Verschwörern den Sprengstoff für die Lastwagenbombe lieferte, findet keine Erwähnung. Dasselbe gilt für Ali Mohammed, jenes ägyptische Mitglied der US-Spezialstreitkräfte, das nachweislich die Brooklyner- Islamistengruppe um den blinden Geistlichen Scheich Abdel Omar Rahman militärisch ausbildete und sich später jahrelang als Leibwächter Bin Ladens betätigte.

Des weiteren sucht man vergeblich nach Erhellendem zur einträglichen Zusammenarbeit der Militärs und Geheimdienste des Irans, der Türkei, Saudi-Arabiens und der USA, als es in den neunziger Jahren darum ging, mit Hilfe der bosnischen Moslems und der albanischen Drogenmafia des Kosovos die Bundesrepublik Jugoslawien zu zerschlagen. Zehntausende muslimische Freiwillige haben in den neunziger Jahren den Interessen der NATO gedient. Einige dieser Balkankrieger sollen sogar die Flugzeuganschläge vom 11. September ausgeheckt und durchgeführt haben. Ein weiteres Objekt der Dämonisierungspolitik des Westens, das leider von Mamdani vernachlässigt wird, ist Muammar Gaddhafi. Doch in den achtziger Jahren war gerade er das Paradebeispiel für einen durchgeknallten, wutschäumenden Muselmanen - ungeachtet der Tatsachen natürlich, daß erst mit Hilfe der beiden CIA-Männer Frank Terpil und Ed Wilson ehemalige Green Berets in Libyen Kurse im Bombenbau abhielten und Tripolis der stolze Besitzer von 20 Tonnen C4- Plastiksprengstoff - vergleichbar einer ganzen Jahresproduktion der USA - wurde.

Zum besseren Verständnis des leider nicht zu bestreitenden Krieges zwischen Teilen der islamischen und der westlichen Welt empfiehlt sich Mamdanis Buch ungemein, weil man einerseits die wesentlichen Akteure und Antriebsmomente in Washington besser kennenlernt und andererseits vieles über die Konflikte und die daran beteiligten politischen Gruppierungen im muslimischen Kulturraum erfährt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Mamdani durch die Übernahme und Anwendung der eindeutig besetzten Begriffe "Terror" und "Terrorismus" nicht freiwillig auf eine Möglichkeit zur größeren analytischen Schärfe verzichtet hat.


Mahmood Mamdani
Guter Moslem, böser Moslem
Amerika und die Wurzeln des Terrors"
Originaltitel "Good Muslim, bad Muslim - America,
the Cold War and the Roots of Terror"
Aus dem Englischen von Sophia Deeg
Nautilus Verlag, Hamburg, 2006
319 Seiten
ISBN: 3-89401-475-X.


27.06.2006