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REZENSION/288: Simcha Flapan - Die Geburt Israels (Politik) (SB)


Simcha Flapan


Die Geburt Israels

Mythos und Wirklichkeit



Der 1987 verstorbene Simcha Flapan zählt zum Kreis jener israelischen Autoren, die das Vormachtstreben des Staates Israel zu Lasten der Palästinenser aufgrund langjährigen politischen Engagements und fundierter wissenschaftlicher Nachforschungen mit überzeugender Sachkenntnis wie auch unbestreitbarer Sorge um die Zukunft beider Völker in der Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten offenlegen und kritisieren. Obgleich schon vor 18 Jahren erstmals in amerikanischer Ausgabe erschienen, hat sein letztes Werk und Vermächtnis "Die Geburt Israels. Mythos und Wirklichkeit" nichts von seiner Aktualität und Bereicherung für den aktuellen Diskurs des Nahostkonflikts eingebüßt. Mit der Neuauflage in deutscher Übersetzung leistet der Melzer Verlag einen ausgezeichneten Beitrag historischer und politischer Enthüllung, der die Geschichte Israels seit 1948 in einem neuen Licht erscheinen läßt, indem er die offizielle Geschichtsschreibung zu großen Teilen als israelische Propaganda entlarvt. Diese aufschlußreiche Analyse macht es möglich, den arabisch-israelischen Konflikt in seiner Entstehung besser zu verstehen und eine andere als die seit vielen Jahren angestrebte militärische Lösung ins Auge zu fassen.

Wie der Autor berichtet, reichte sein Engagement für den sozialistischen Zionismus bis in die Jugendjahre zurück, die er in Polen verbrachte. Simcha Flapan wurde 1911 in Tomaschow geboren und emigrierte 1930 im Alter von 19 Jahren nach Palästina. Dort trat er in den Kibbuz Gan Schmuel ein, in dem später seine Kinder und Enkel zur Welt kamen. Nach 42 Jahren verließ er aus persönlichen Erwägungen den Kibbuz und zog nach Tel Aviv. Seine politische Arbeit begann damit, daß er 1948 das Amt eines Nationalsekretärs der Mapam, der Vereinigten Arbeiterpartei, übernahm. Ab 1954 war er für die Dauer von elf Jahren auch Leiter des Referats für Arabische Angelegenheiten der Mapam. Seit 1957, als er die Monatsschrift "New Outlook" gründete, deren Chefredakteur er auch war, stand er in ständigem Kontakt mit Palästinensern und anderen Arabern. Er gründete das Jewish Arab Institute, arbeitete am Center for International Affairs an der Harvard University und am dortigen Center for Middle East Studies und war Außerordentliches Mitglied am Royal Institute for International Affairs in London. Seine Arbeit in Israel und im Ausland stand im Zeichen der Suche nach einer gerechten Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Simcha Flapan starb am 13. April 1987 wenige Wochen nach Fertigstellung dieses Buches in Tel Aviv.

Die Mythen des Staates Israel bilden den Kern israelischen Selbstverständnisses. Das Land besitzt zwar die modernste Armee des Nahen Ostens und ist de facto Atommacht, doch sein Selbstbild orientiert sich nach wie vor am Holocaust - man sieht sich als Opfer eines übermächtigen, erbarmungslosen Feindes. Was immer Israel unternimmt, sein Erworbenes zu verteidigen und zu mehren, wird als Notwehr eines um das Überleben kämpfenden Volkes gedeutet. So gesehen, hat es immer das Recht auf seiner Seite. Die in der Phase der Staatsgründung entstandenen israelischen Mythen haben sich zu einem fast undurchdringlichen ideologischen Schutzschild verdichtet.

Indessen bestätigen dokumentarische Belege über die Zeitspanne von 1948 bis 1952, daß die vorherrschende Geschichtsauffassung als Fehldeutung bezeichnet werden muß. Diese vier Jahre, die kurz nach der UN-Resolution über die Teilung Palästinas vom 29. November 1947 begannen, waren geradezu prägend für die weitere Entwicklung der arabisch-israelischen Beziehungen und sollten das israelische Selbstverständnis fortan bestimmen.

Der Unabhängigkeitskrieg, der keine sechs Monate nach Verabschiedung der UN-Entschließung ausbrach, sollte sich als das traumatische Ereignis in den jüdisch- arabischen Beziehungen erweisen, als Schlüsselerlebnis sowohl für Juden, als auch für Palästinenser. Als Ergebnis dieses Krieges errang das jüdische Volk nach zweitausendjährigem Exil und mehr als fünfzig Jahren intensiver zionistischer Besiedlung einen eigenen Staat. Dieser Staat, Israel, wurde zum Fixpunkt jüdischen Lebens auf der ganzen Welt und zu einem mächtigen politischen Faktor im Nahen Osten. Die Palästinenser dagegen wurden zu einem Volk von Flüchtlingen, ihrer Heimat und jeder realistischen Hoffnung auf nationale Selbstbestimmung beraubt, wehrlos der Unterdrückung und Diskriminierung durch Juden wie Araber ausgeliefert. Die ganze arabische Welt litt unter der demütigenden Niederlage, die Israel ihr beigebracht hatte, und so fiel sie Verwicklungen und Unruhen zum Opfer, die bis heute kein Ende genommen haben. (S. 9)

Wie Flapan schreibt, sei er nie der Meinung gewesen, daß der Zionismus zwangsläufig mit den Rechten der Palästinenser kollidieren müsse. Allerdings sei er sich lange über manche Tatsachen nicht so klar gewesen, wie er es hätte sein sollen. So sei er erst im Zuge seiner Forschungsarbeiten zur Geschichte des zionistisch-arabischen Konflikts zwischen 1917 und 1947 zu der Erkenntnis gelangt, daß der "Vater" des Gedankens, den Palästinensern dürfe kein Anspruch auf nationale Selbständigkeit zugestanden werden, kein anderer als der auch von ihm verehrte herausragende Vertreter des Zionismus Chaim Weizmann war. Dieser war der erste Staatspräsident Israels und trat zwar für Gleichberechtigung der Palästinenser im jüdischen Staat ein, doch war er nicht bereit, ihnen auch die nationalen Rechte und Ziele zuzugestehen, die er für die Juden als unveräußerlich beanspruchte. Seine Nachfolger waren, von Nachum Goldmann abgesehen, nicht einmal bereit, den arabischen Bürgern Israels gleiche Rechte zuzubilligen.

Nachum Goldmann, der zu den Schöpfern der UN-Teilungsresolution gezählt hatte, stellte 1975 die These auf, daß der Krieg von 1948 vermeidbar gewesen wäre. Der jüdische Staat habe de facto existiert, und hätte man auf israelischer Seite die Proklamation der Unabhängigkeit verschoben und das von den US-Amerikanern in letzter Minute vorgeschlagene Stillhalteabkommen akzeptiert, wäre kein Vormarsch arabischer Truppen erfolgt. Flapan fand diese These plausibel, doch es sollte noch etliche Jahre dauern, bis er sie anhand von Dokumenten belegen konnte.

Das Verteidigungsministerium veröffentlichte 1982 die Kriegstagebücher Ben Gurions, dem zumeist das Verdienst des Sieges im Unabhängigkeitskrieg zugeschrieben wird. Auch wurden nach und nach zuvor geheimgehaltene Dokumente freigegeben, die Aufschluß über die Politik der Jewish Agency und der israelischen Regierung in der entscheidenden Phase bis zur Unterzeichnung der Waffenstillstandsverträge mit Ägypten, Jordanien, dem Libanom und Syrien 1949 gaben. Zudem konnte Flapan unveröffentlichtes Material aus arabischen Quellen einsehen, das teils aus Archiven, teils aus persönlichen Aufzeichnungen arabischer Freunde stammte.

Dieses neue Material bestätigte die Ausgangsthese Goldmanns und legte zugleich den Schluß nahe, daß es der 1948 amtierenden zionistischen Führung und den späteren politischen Lenkern Israels immer nur um die Schaffung eines homogenen jüdischen Staats ging, der sich über die Gesamtheit oder doch den größten Teil Palästinas erstrecken sollte.

Simcha Flapan faßt das Resultat seiner Nachforschungen in sieben Mythen und deren Widerlegung zusammen, die seine Erkenntnisse mit bemerkenswerter Präzision und zugleich erfreulicher Zugänglichkeit darlegen.

Erster Mythos: Das Einverständnis der zionistischen Bewegung mit der UN- Teilungsresolution vom 29. November 1947 stellt einen einschneidenden Kompromiß dar, mit dem die palästinensischen Juden ihre Vorstellung von einem sich über ganz Palästina erstreckenden jüdischen Staat aufgaben und den Anspruch der Palästinenser auf einen eigenen Staat anerkannten. Israel war zu diesem Opfer bereit, weil es die Voraussetzung dafür war, daß die Resolution in friedlicher Zusammenarbeit mit den Palästinensern verwirklicht werden konnte.

Demgegenüber belegten die Nachforschungen des Autors, daß es sich bei dem Einverständnis zur Teilungsresolution lediglich um ein taktisches Zugeständnis handelte, das die zugrundeliegende Gesamtstrategie nicht berührte. Diese sah vor, im ersten Schritt die Schaffung eines selbständigen Staats der Palästinenser zu hintertreiben, wozu als einleitender Schachzug der Abschluß eines Geheimabkommens mit Abdallah von Transjordanien diente. Dieser glaubte mit der Annektierung des Gebiets, das für einen Palästinenserstaat vorgesehen war, seinem Traum vom großsyrischen Staat näherzukommen. Zugleich zielte die Strategie darauf ab, das von der UNO für die Gründung eines jüdischen Staats vorgesehene Gebiet zu erweitern.

Zweiter Mythos: Die arabischen Palästinenser lehnten eine Teilung Palästinas kategorisch ab und folgten dem Aufruf des Muftis von Jerusalem, dem jüdischen Staat den totalen Krieg zu erklären; dies zwang die Juden, sich auf eine militärische Lösung einzulassen.

Wenngleich es zutrifft, daß der Mufti den Teilungsplan verwarf und heftig bekämpfte, lehnte die Mehrheit der arabischen Palästinenser eine Teilung ebenfalls ab, ohne jedoch dem Aufruf zum Heiligen Krieg gegen Israel zu folgen. Vor der israelischen Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 bemühten sich viele palästinensische Führer und Gruppierungen, einen Modus vivendi zu finden. Erst der entschiedene Widerstand Ben Gurions gegen die Schaffung eines palästinensischen Staates trieb die Palästinenser ganz auf die Seite des Muftis von Jerusalem.

Dritter Mythos: Die Flucht der Palästinenser aus dem Land, sowohl vor als auch nach der israelischen Staatsgründung, setzte ein als Reaktion auf einen Aufruf der arabischen Führung, das Land vorübergehend zu verlassen, um dann mit den siegreichen arabischen Armeen zurückzukehren. Sie traten die Flucht an trotz der Bemühungen der jüdischen Führung, sie zum Bleiben zu veranlassen.

In Wirklichkeit arbeitete die politische und militärische Führung auf diese Flucht hin. Der "Transfer" der Palästinenser in die arabischen Nachbarländer war ihrer Auffassung nach unabdingbar für die zionistische Besiedlung und israelische Staatswerdung.

Vierter Mythos: Alle arabischen Staaten hatten sich in ihrer Entschlossenheit, den frischgebackenen jüdischen Staat zu vernichten, vereint und taten sich am 15. Mai 1948 zusammen, um in Palästina einzumarschieren und dessen jüdische Bewohner hinauszuwerfen.

Hingegen kam Flapan aufgrund seiner Recherchen zu dem Schluß, daß die arabischen Staaten keineswegs das Ziel verfolgten, den jungen israelischen Staat zu vernichten. Ihnen ging es vorrangig darum, die Umsetzung des Abkommens zwischen der provisorischen jüdischen Regierung und Abdallah zu verhindern.

Fünfter Mythos: Der arabische Einmarsch in Palästina am 15. Mai - unter Verstoß gegen die UN-Teilungsresolution - machte den Krieg von 1948 unausweichlich.

Der Krieg war in Wirklichkeit nicht unvermeidlich, da die Araber einem in letzter Minute vorgelegten amerikanischen Vorschlag zustimmten, der einen dreimonatigen Waffenstillstand unter der Bedingung vorsah, daß Israel seine Unabhängigkeitserklärung zeitweilig aufschöbe. Die provisorische israelische Regierung lehnte den Vorschlag jedoch mit einer knappen Mehrheit ab.

Sechster Mythos: Der winzige, frischgebackene israelische Staat stand dem Angriff der arabischen Streitkräfte gegenüber wie David dem Riesen Goliath: ein zahlenmäßig weit unterlegenes, schlecht bewaffnetes Volk, das Gefahr lief, von einer übermächtigen Militärmaschinerie zerquetscht zu werden.

Wie Ben Gurion hingegen selbst einräumte, dauerte der eigentliche Selbstverteidigungskrieg nur vier Wochen bis zum Waffenstillstand vom 11. Juni 1948. Danach trafen umfangreiche Waffenlieferungen in Israel ein, durch die die besser ausgebildeten und erfahreneren israelischen Truppen eine waffentechnische Überlegenheit zu Lande, zur See und in der Luft erlangten.

Siebter Mythos: Israel hat seine Hand immer zum Friedensschluß ausgestreckt, aber da kein arabischer Führer je das Existenzrecht Israels anerkannt hat, gab es nie jemanden, mit dem man Friedensgespräche hätte führen können.

Auch das trifft nicht zu, denn zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und 1952 wies Israel diverse von arabischen Staaten und neutralen Vermittlern unterbreitete Vorschläge zurück, die zu einer Friedensregelung hätten führen können.

Der Untertitel des Buches, "Mythos und Wirklichkeit", könnte nicht treffender gewählt sein, führt der Autor doch durch eine Fülle sorgsam recherchierten Materials, das allein schon aufgrund seines geschichtswissenschaftlichen Gehalts eine Fundgrube zur Erhellung dieser Jahre ist, die für den Nahostkonflikt außerordentlich prägend waren. Allenthalben stößt man dabei auf Annahmen, die man selbst unbesehen für historisch verbürgte Fakten gehalten hat, nun aber einer Revision unterziehen kann.

Aufgrund seiner Forschung zu der Vorgeschichte des Staates Israel war Simcha Flapan zweifellos qualifiziert, mit der Untersuchung der Jahre 1948 bis 1952 seine vorangegangene Arbeit kenntnisreich fortzusetzen. Was ihn jedoch vom Heer der Historiker unterscheidet, die an der Mythenbildung mitgewirkt haben, ist sein nie der Glorifizierung des israelischen Standpunkts geopfertes Interesse am Schicksal der Palästinenser, das für ihn nicht Gegenstand akademischer Erörterung, sondern Inhalt seines langjährigen persönlichen Engagements und seiner politischen Arbeit war. Diese Parteinahme erlaubte es ihm, aufbrechenden Zweifel am vorherrschenden Geschichtsbild Raum zu geben und sich auf die Spurensuche zu machen.

Die "zivilisatorische Mission" des Zionismus für die arabische Welt, von der im Weizmann-Feisal-Abkommen von 1919 die Rede gewesen war, verwandelte sich in den vierziger Jahren in die heimliche Unterstützung der Haschemiten in Gestalt König Abdallahs von Transjordanien und damit die Zersplitterung der arabischen Einheits- und Unabhängigkeitsbewegung. Territoriale Expansion, Unterwerfung und Vertreibung der Palästineser wurden schließlich zur alles bestimmenden Handlungsmaxime.

Ben Gurion wußte Flapan zufolge sehr wohl, daß Israel den Sieg von 1948 nicht der Heldenhaftigkeit der israelischen Armee an sich, sondern der Korruptheit der arabischen Armeen und der Uneinigkeit der arabischen Welt zu verdanken hatte. Diese Spaltung zu verewigen und ein Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser dauerhaft auszuschließen, war für ihn daher die vordringliche strategische Zukunftsaufgabe des jungen Staates Israel. Dessen Außen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik mußte sich fortan der Aufgabe unterordnen, mehr und bessere Waffen zu produzieren als die Araber, insbesondere aber unter Ausnutzung des Ost-West- Konflikts zur Führungsmacht im Nahen Osten aufzusteigen.

Auf der Strecke blieben dabei die humanistischen und sozialistischen Wertvorstellungen, die einst das Markenzeichen der zionistischen Arbeiterbewegung gewesen waren. Der Verlust jener Tugenden aus der Pionierzeit war untrennbar verbunden mit der fortdauernden Besetzung palästinensischer Gebiete, deren Rückgabe im Rahmen einer Friedensregelung nach der Maxime der Großisrael- Bewegung, die alle anderen Entwicklungsmöglichkeiten der jüdischen Staatsgründung übertrumpfte und in der Folge gänzlich ausschloß, undenkbar ist.

"Vom Ausgang dieses Kampfes zwischen zwei diametral gegensätzlichen Visionen dessen, was Israel sein oder werden soll - ein aufgeklärter, demokratischer oder aber ein fundamentalistischer, militaristischer Staat -, wird die Zukunft des palästinensischen Volkes und werden die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten ganz wesentlich abhängen.
Wegen der objektiven Asymmetrie der ganzen Situation liegt auf Israel die Hauptverantwortung für die Lösung des Konflikts, aber natürlich ist auch die PLO dazu aufgerufen, sich eine Strategie zu eigen zu machen, die es den fortschrittlichen und friedliebenden Kräften in Israel erlaubt, ihren politischen Einfluß auszuweiten.
Auf der anderen Seite muß man erkennen, daß es mit dem Eintreten der israelischen Friedensbewegung für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, für gegenseitige Anerkennung und friedliche Koexistenz nicht getan ist. Das Diaspora-Judentum und die Freunde Israels in aller Welt müssen begreifen, daß die Politik, die Israel heute betreibt, dazu verdammt ist, den Kreislauf der Gewalt und des Terrors immer weiter in Gang zu halten, jene Kette willkürlicher und sinnloser Mordanschläge, die uns jedesmal aufs neue schockieren, gleich ob sie mit Pistolen oder mit Bomben begangen werden. Wenn die Armee eines Landes für die Ermordung eines seiner Bürger grausame kollektive Rache nimmt, so ist dies um keinen Deut rechtschaffener oder bewundernswerter als die individuelle Rache eines verzweifelten Jünglings nach der Ermordung eines der Seinen. Wenn das eine als "nationale Verteidigung" und das andere als "Terrorismus" bezeichnet wird, so sind das Begriffe, die nur Propaganda und eine verzerrte Sicht geprägt haben.
Nicht zuletzt in der Hoffnung, etwas gegen die auf unserer Seite allzu verzerrte Sicht des Konflikts - das heißt auf der jüdischen, der israelischen Seite - ausrichten zu können, habe ich dieses Buch geschrieben. (S. 367)

Auf Grundlage seines umfangreichen Quellenstudiums weist Flapan nach, daß der in Israel weithin verehrte Ben Gurion als Praktiker par excellence dem Unterschied zwischen dem Möglichen und Unmöglichen zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte Rechnung trug, ohne je seine Zukunftsvision aufzugeben. So legte er bereits 1937 und damit zehn Jahre vor dem UN-Teilungsplan seine Auffassung dar, die man als Leitmotiv zionistischen Strebens in dessen dominanter und schließlich nahezu monolithischer Ausprägung bezeichnen kann:

Das Ja zur Teilung verpflichtet uns nicht zum Verzicht auf Transjordanien. Man kann von niemandem verlangen, daß er auf seine Vision verzichtet. Wir werden einen Staat in den heute festgelegten Grenzen akzeptieren - aber die Grenzen der zionistischen Vision sind Sache des jüdischen Volkes, und kein äußerer Faktor wird sie beschränken können. (S. 79)

Diese Grundhaltung des Zionismus durchzieht die Geschichte des Staates Israel von seinen Anfängen bis auf den heutigen Tag. Die Palästinenser, zu deren Lasten diese Vision geht, kommen darin schlichtweg nicht vor. Verträge werden auf Grundlage taktischer Erwägungen geschlossen, um die eigene Ausgangsposition zu wahren und zu verbessern, nicht jedoch in der Absicht, sie tatsächlich einzuhalten. Es werden vielmehr mittels weiterer Übergriffe neue Tatsachen geschaffen, die ihrerseits als vorgeblich unanfechtbare Voraussetzungen künftiger Winkelzüge dienen.

Das allein unterscheidet zionistisches Selbstverständnis gewiß nicht vom Kalkül jeglichen politischen Handelns, doch findet in ihm die felsenfeste Überzeugung in Reinkultur Ausdruck, daß diese Vision allein Sache des jüdischen Volkes sei, die von nichts und niemandem beeinträchtigt werden dürfe. Wie Simcha Flapan in der von ihm so überzeugend analysierten Geburt Israels darlegt, wird diese Ideologie die Forderung des palästinensischen Volkes nach einer Begegnung auf gleicher Augenhöhe stets zu einem Akt verwerflicher Insurrektion erklären, die es mit allen zu Gebote stehenden Machtmitteln niederzuwerfen gilt.

1. November 2005


Simcha Flapan
Die Geburt Israels
Mythos und Wirklichkeit
Melzer Verlag, Neu Isenburg 2005
398 Seiten, Euro 19,95
ISBN 3-937389-55-5