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REZENSION/223: Dudenredaktion - Die deutsche Rechtschreibung (Lexikon) (SB)


DUDEN


Die deutsche Rechtschreibung

Band 1



23., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage

Auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln

Mit der 23. Auflage ist nun schon der dritte Rechtschreib-Duden seit Einführung der neuen Regeln 1997 erschienen. Bis dahin hatte die Dudenredaktion eine Art Sprachhoheit inne. Mit jeder neuen Ausgabe nahm sie selbständig eine Angleichung an sich durchsetzende Schreibweisen vor und ergänzte den Wortschatz. Diesmal ist das Erscheinen des Duden 1 "Die deutsche Rechtschreibung" ein Anlaß von vielen, die Reform-Debatte neu aufleben zu lassen. In weniger als einem Jahr, am 1. August 2005, soll die Rechtschreibreform, wenn es bei den Übereinkünften bleibt, ausschließlich gelten. Nach diesem Datum müßten die allgemeinbildenden Schulen die alten Schreibweisen als Fehler anrechnen und die neuen Regeln auch für Behörden verbindlich werden.

Matthias Wermke von der Duden-Redaktion ist überzeugt, daß der neue Duden einen Beitrag "zur Entspannung und Versachlichung" der Diskussion um die Rechtschreibreform leisten werde. Am 3. und 4. Juni in der 306. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz in Mainz wurde die Rechtschreibreform bestätigt, wenn auch beschlossen wurde, die amtlichen Neuregelungen noch zu verändern. Der Duden berücksichtigt die neu beschlossenen kleineren Änderungen an den Regeln, die vor allem die Getrennt- und Zusammenschreibung betreffen. Die neue Rechtschreibung habe "weit weniger gravierende Auswirkungen", als dies oft dargestellt werde, meint Wermke. Viele alte Regeln würden sich auf Dauer "von selbst abschleifen".

Die Debatte über eine Aufhebung der Rechtschreibreform war durch die Ankündigung des Springer-Verlags, des "Spiegels" und der "Süddeutschen Zeitung" neu entstanden, ihre Blätter wieder auf die alten Schreibweisen umzustellen. Aber auch nahezu alle Schriftsteller, der deutsche P.E.N.-Club, große deutsche Verlage, viele Verbände, Lehrer und die Mehrheit der Bevölkerung sprachen sich gegen die Reform aus, ebenso wie namhafte deutschsprachige Sprachwissenschafter und Germanisten. Als Gegner haben sich besonders wieder Theodor Ickler (Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Erlangen, "eklatanter Verlust an Deutlichkeit", "Sinntrübungen"), Reinhard Markner (Vorsitzender der Forschungsgruppe Deutsche Sprache, Historiker in Halle und Berlin) und einer der besten Kenner, der Potsdamer Grammatiker Peter Eisenberg, geäußert. Auch der Sprachwissenschafter Harald Weinrich ist dezidiert gegen die Neuerungen.

Es sei an dieser Stelle ausgespart, auf die zahlreichen grammatikalischen Einzelaspekte und gesellschaftspolitischen Fragen, die im Laufe der Jahre immer mehr gegen und immer weniger für die Reform in den Medien angeführt wurden, näher einzugehen (siehe dazu die Ausführungen im Schattenblick unter BUCH\SACHBUCH, REZENSION/100: Der neue Duden 2000, die deutsche Rechtschreibung und BILDUNG UND KULTUR\MEINUNGEN, DILJA/001: Rechtschreibreform - staatlicher Zugriff auf Denkpotentiale). Die immer wieder aufgewärmte und nur dem Zwecke der Verwirrung dienende Diskussion um Einzelfälle drängt grundsätzliche Überlegungen ohnehin in den Hintergrund.

Hier soll nur auf die neuere, sich in eine Richtung qualifizierende Tendenz der Debatte aufmerksam gemacht werden, die zu grundsätzlicheren Fragen über die Funktion von Sprache führen könnte. Da nun die Konferenz der Kultusminister das letzte Wort haben wird, werden Stimmen laut, die den politischen Kontext einer Rechtschreibreform kritisieren (z.B. Antje Vollmer, "Oder werden die Kleinen wie die Lämmer die Regeln der Kultusministerkonferenz und ihrer diversen Expertenkommissionen befolgen?" oder der Philosoph Vittorio Hösle, "Aber wieso muß der Staat sich mit dieser Frage befassen? Soll er - um zu garantieren, daß man sich wirklich an die neuen Richtlinien hält - die Verletzung der neuen Regeln zu einem Straftatbestand erklären? Abgesehen davon, daß dies unsere Verfassung glücklicherweise nicht zuläßt: Wäre es nicht klüger, derartige Dinge der Zivilgesellschaft zu überlassen?" oder ein Leserbrief von Dr. Hans D. Baumann, Rabenau, "Mit Ihren Erläuterungen zur Rechtschreibreform haben Sie ja ein bemerkenswertes Bekenntnis zum Obrigkeitsstaat abgeliefert."). Die Reformbefürworter können sich zudem auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stützen, das mit Verweis auf die übrigens historisch schon öfter ausgeführte Praxis, die Rechtschreibung zumindest im schulischen Bereich zu regeln, als nicht verfassungswidrig bejahte. Im übrigen kann jeder schreiben, wie ihm beliebt.

Das Verhältnis des Staates gegenüber den seinem Gewaltmonopol unterworfenen Bürgern wird damit allerdings nur benannt, nicht aber kritisiert. Mit der Rechtschreibreform wird von wissenschaftlicher und staatlicher Seite allerdings eine Tendenz festgeschrieben und gefördert, die viel weitgreifender als sichtbar die Sprach- und Denkentwicklung beeinflussen und beschneiden soll. Die Reform greift in den Kern der Sprachbildung, den Wortinhalt, ein, indem sie die Wortbildungsprozesse und den Wortzusammenhang (Grammatik) verändert oder mißachtet. Das Ergebnis: Wörter werden sogar vernichtet und damit auch die Ausdrucksvielfalt, und das Sprachgefühl wird verunsichert. Der Staat nutzt also die Schrift, um seine Herrschaft zu festigen und voranzutreiben, denn dieses Mittel ist neben Zeichen und Zahlen bestens geeignet, ja geschichtlich nachweisbar sogar dazu erst eingesetzt, um die staatliche Verwaltbarkeit und Verfügung des Bürgers zu gewährleisten. Das mit der Rechtschreibreform angestrebte Prinzip der "Vereinheitlichung" bedeutet gleichzeitig auch eine Reduktion. Die Beweglichkeit im Denken nimmt unbemerkt ab und fördert die - amtlich verwaltete - Gleichmachung und Anpassung des Sprechenden und Schreibenden an favorisierte - und erlaubte - Denkweisen. Semantik und Wortbildungsgeschichte werden der Logik der neuen Schreibweisen nach ausgespart. Nur durch semantisches Verständnis sind die Probleme der Groß- oder Klein-, Getrennt- oder Zusammenschreibung jedoch erst angemessen lösbar; das setzt allerdings Kenntnisse über Wortherkunft und Sprachentwicklung voraus, die zu vermitteln über den Rahmen eines Rechtschreibunterrichtes hinausgehen würden. Insofern bleibt die sogenannte Sprachversiertheit ein Privileg der "Gebildeten", ein Klassen- bzw. Herrschaftsmerkmal. Ansonsten bringt eine zunehmend vereinheitlichte Sprache immer paßförmigerere Staatsbürger hervor.

Eine Reduzierung der sprachlichen Möglichkeiten zeigt sich in der Folge auch in anderen Bereichen, zum Beispiel im Sprachgebrauch in den Medien. Hier bietet es sich an, die Schriftkultur zunehmend zu meiden und in die "Bildersprache" auszuweichen, so daß sich lesen und schreiben sogar erübrigt.


Der neue Duden erweckt mit der beeindruckenden Aufnahme von 5.000 neuen Wörtern (etwa Billigflieger, Dosenpfand, Fotohandy, googlen, Ich-AG, Minijob und Sars) allerdings den Eindruck, als gäbe es diese Sprachverarmung zumindest den deutschen Wortbestand betreffend nicht. Das Wörterbuch enthält 125.000 Stichwörter (1880 waren es 29.000) mit Angaben zu Wortbedeutung, Worttrennung, Grammatik, Etymologie und Aussprache. Wie in der 22. Auflage werden neue Schreibungen und Regeln rot hervorgehoben. Im Wörterverzeichnis finden sich erstmals graphisch herausgehobene Hinweisartikel zu "sprachlichen Stolpersteinen". Als Suchhilfen machen sie beispielsweise darauf aufmerksam, daß ein Fremdwort an der falschen Stelle gesucht wird und sie behandeln Problemfälle aus der Duden-Sprachberatung. Auf CD-ROM bietet der Duden erstmals akustische Aussprachehilfen per Mausklick zu mehreren Tausend schwierigen Wörtern auf Basis der Vertonungen durch die Aussprachedatenbank der ARD.

Der Duden ist 125 Jahre alt. Er knüpft "an die Erfolgsgeschichte für die alltägliche Sprachpraxis" an und will ein Stück Zeitgeschichte dokumentieren. Ohne Zweifel, er ist und bleibt trotz aller Debatten wegen seiner unschlagbaren Praxiserfahrung das Standardwerk der deutschen Rechtschreibung und ist unentbehrlich für jeden Haushalt. Sein Layout wurde mit einem Preis ausgezeichnet, zu recht, es ist übersichtlich, benutzerfreundlich und mit allen möglichen sinnvollen und erfreuenden Extras versehen.

Duden - Die deutsche Rechtschreibung herausgegeben von der Dudenredaktion auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln 23., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage 125.000 Stichwörter 1.152 Seiten, gebunden, 20,- Euro Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2004 ISBN 3-411-04013-0


Buch plus CD-ROM (PC-Bibliothek Express)
für Windows und Apple Macintosh (bis Mac OS 9)
25,50 Euro
Neuauflage auch für Linux und Mac OS X
ISBN 3-411-70923-5