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REZENSION/092: N. Aziz - Kurdistan und die Probleme um Öcalan (Türkei) (SB)


N. Aziz


Kurdistan und die Probleme um Öcalan



Angesichts des am 29. Juni 1999 von einem türkischen Staatssicherheitsgericht gegen den Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei PKK Abdullah Öcalan verhängten Todesurteils kommt dem in diesem Frühjahr in der Edition Gallas erschienenen Buch eine besondere Brisanz und Aktualität zu: "Kurdistan und die Probleme um Öcalan" des in Irakisch-Kurdistan geborenen Journalisten und Orientalisten Dr. Namo Aziz. Mag auch der gewählte Titel insofern leicht mißzudeuten sein, weil er die Fehlinterpretation nahelegt, der kurdische Rebellenführer Öcalan hätte sein Volk womöglich in Probleme gestürzt, so stellt schon der Buchrückentext unmißverständlich den prokurdischen Standpunkt des Autors dar, der in diesem Band ganz bewußt die Position des distanzierten Betrachters zugunsten einer persönlichen Stellungnahme hintangestellt hat:

Es gibt ein Land im Vorderen Orient, das es offiziell nicht geben darf: Kurdistan. Seine Bevölkerung kämpft seit Generationen einen verzweifelten Kampf gegen Verfolgung und Unterdrückung. Sie ringt bis heute um das Recht, die eigene Sprache sprechen und die eigene Kultur leben zu dürfen. Daß dies nicht immer mit akzeptablen Mitteln und häufig mit schweren Konflikten in den eigenen Reihen geschieht, erleichtert ihren Weg nicht.
Kenntnisreich, einfühlsam und kritisch zugleich schildert Namo Aziz die Zeitläufte in Kurdistan und verknüpft sie mit dem Schicksal seiner Familie. So ist ein eindrucksvolles Zeugnis nahöstlicher Geschichte entstanden, das all diejenigen als Leser anspricht, die sich für fremde Völker und die Politik des 20. Jahrhunderts interessieren und denen der Schutz der Menschenrechte ein Anliegen ist.

Dieses Buch der neugeschaffenen Reihe `Krisen Konflikte Kommentare' will weder Sachbuch noch Belletristik sein, sondern stellt nach Angaben des Verlages ein "völlig neues literarisches Genre" dar mit der Zielsetzung, politisches Geschehen in Krisengebieten sachlich zu beschreiben und zugleich durch den persönlichen Bericht von Betroffenen zu vermitteln.

Der erste Band "Kurdistan und die Probleme um Öcalan" wird diesem Anspruch in jeder Beziehung gerecht und hat angesichts des sich nach der Verhängung des Todesurteils gegen Abdullah Öcalan zuspitzenden türkisch-kurdischen Krieges einen besonders hohen dokumentarischen Wert, weil er einen von Öcalan im Januar in Rom selbst verfaßten Lebensbericht enthält. Dieser Text kann als das letzte in relativer Freiheit entstandene Dokument des durch ganz Europa gejagten, in Nairobi verschleppten und in der Türkei nun mit dem Tod durch den Strang bedrohten PKK-Führers gelten und stellt insofern eine zuverlässigere Quelle für seinen tatsächlichen Standpunkt dar als alle späteren Äußerungen, die vor, während und nach seinem Prozeß unter Zwang und in Isolationshaft von ihm zu vernehmen waren.

Über den zweifellos hohen dokumentarischen und aufgrund der ausführlichen Darstellungen Namo Aziz' über Geschichte und Gegenwart der Kurden und ihres Befreiungskampfes hinaus kann dieses Buch als flammender Appell und begründete Anklage gegen die das kurdische Volk in seiner Existenz leugnende und zugleich bekämpfende Türkei gelesen werden, ohne daß es Gefahr liefe oder Anlaß böte, als `Kampfschrift der PKK' verunglimpft oder diskreditiert zu werden.

Daß dieses gerade aufgrund seiner klaren Stellungnahme empfehlenswerte Buch manche Kritiken auf sich zog, gereicht ihm eher zur Ehre als zum Nachteil; insbesondere dann, wenn kritische Stimmen in ihrer Argumentation den eigenen politischen wie literarischen Standpunkt offenbaren, der ganz offensichtlich darauf abzielt, das besprochene Werk bzw. die in ihm getroffenen Aussagen zu relativieren, um deren Überzeugungskraft bei der potentiellen Leserschaft zu schmälern. Dorothea Heinze beispielsweise argumentierte im Norddeutschen Rundfunk wie folgt:

Kenntnisreich, einfühlsam, aber eben auch kritisch, so die Verlagsankündigung, sollen diese Schilderungen sein. Sie sind es nicht. Denn Aziz hat sich mit seiner ganzen Seele der Sache Öcalans verschrieben und jede Distanz zum Thema verloren. Zweifellos, die Kurden werden verfolgt und ihnen geschieht Unrecht. Türkische Soldaten morden, foltern und vergewaltigen. Im Iran starben Tausende von Kurden durch die Giftgasangriffe des Saddam Hussein. Wie der Autor in dem Buch berichtet, wurde er auch selbst gefoltert, unter solchen Umständen ist es schier unmöglich, sachlich zu bleiben. (aus der Sendung: Politische Bücher vom 16. Mai 1999, NDR 4)

Diese Kritik ist zudem nicht stichhaltig. Der Vorwurf, Namo Aziz hätte sich "mit seiner ganzen Seele der Sache Öcalans" verschrieben und jede Distanz zum Thema verloren, ist sachlich unzutreffend, weil der Autor es bei aller unverhohlener Sympathie keineswegs versäumt hat, seine politische Distanz gegenüber Öcalan und dem von der PKK seit 1984 geführten Befreiungskampf zum Ausdruck zu bringen. Wäre dem nicht so, hätte er gegenüber den kurdischen Protestaktionen nach der gewaltsamen Entführung Öcalans kaum die Distanz walten lassen, die von einem renommierten Journalisten seines Schlages auch nicht anders zu erwarten ist - Aziz schreibt u.a. für die Zeit, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung, für Spiegel, Stern und Focus:

Ich höre die Empörung über die kurdischen Demonstrationen und Drohungen der Abschiebung, nichts aber höre ich über die Ursachen dieser Demonstrationen, über den alltäglichen Mord an einem Volk. Zweifellos: Eine unbeherrschte kurdische Minderheit hat in den vergangenen Tagen den Friedenswunsch der Kurden mit Füßen getreten. Übertretungen nationaler Rechte müssen bestraft werden - aber nach rechtsstaatlichen Prinzipien, nicht durch Abschiebung. (S. 9)

Die Edition Gallas - ein Verlag, der sich bislang durch die Herausgabe von Reise- und Wanderführern, Postern und Postkarten einen Namen gemacht hat - beschrieb ihre mit dem Buch "Kurdistan und die Probleme um Öcalan" ins Leben gerufene politische Sachbuch-Reihe `KKK - Krisen, Konflikte, Kommentare' wie folgt:

In dieser Reihe werden brisante Themen aus weltpolitischen Spannungsfeldern, über bedrohte Völker, über Menschenrechtsverletzungen und über ökologische Krisenregionen behandelt. Ziel ist es, von kompetenten Autoren lebendige Schilderungen mit fundierten Hintergrundinformationen über die jeweiligen Brennpunkte zu erhalten.

Wer nun meint, den Autoren - in diesem Fall dem irakischen Kurden Namo Aziz und eben den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan selbst in einem wenige Monate vor seiner Gefangennahme verfaßten Text - die Kompetenz absprechen zu müssen, läuft allerdings Gefahr, dem mit dem Attribut der `Objektivität' versehenen, nicht minder parteilichen Standpunkt der anderen Seite aufzusitzen, ohne sich dessen vollauf bewußt zu werden. Eine Kostprobe des hohen informativen Wertes dieses Buches, der gerade in der nicht ausgeklammerten Betroffenheit der Autoren begründet liegt, könnte folgende Passage darstellen, in der Namo Aziz auf die Differenzen zwischen den traditionellen `nationalistischen' kurdischen Befreiungsansätzen und der von Öcalan gegründeten, `sozialistisch' ausgerichteten PKK eingeht:

Die Kämpfer des kurdischen Nationalismus machten sich diese traditionellen Stammesstrukturen auch zunutze. In der Regel waren alle berühmten kurdischen Aufständischen Vertreter angesehener Stämme und Familien, wie beispielsweise heute Massud Barzani. Der Sohn des legendären Mullah Mustafa Barzani stammt von einer Familie ab, deren Einflussbereich sich traditionell über den nördlichen Teil von Irakisch- Kurdistan erstreckt. Ein anderes Beispiel ist Jelal Talabani aus der angesehenen Scheichfamilie Talaban im südlichen Teil des irakischen Kurdistan. Beide sind wichtige politische Persönlichkeiten der kurdischen Gesellschaft, deren politischer Einflussbereich von heute mit dem traditionellen Wirkungskreis ihrer Familien übereinstimmt. Dass diese Stammesstruktur eine Barriere auf dem Weg zur Freiheit ist, hat insbesondere Abdullah Öcalan bei der Gründung der PKK vor 20 Jahren bedacht. Er schuf bewusst eine Partei für die Mehrheit der Kurden, also diejenigen, die bisher weitgehend willenlos der politischen Richtung eines Stammesführers folgen mussten und gesellschaftlich wie politisch kaum Gewicht hatten. Mit einer sozialistischen Zielsetzung als Programm proklamiert Öcalan Gleichheit unter den Mitgliedern, die diesen im ersten Moment sehr fremd vorkam. Von nun an spielte es keine Rolle mehr, ob ein anderes PKK-Mitglied aus einem verfeindeten Dorf oder einer verfeindeten Familie stammte. Öcalan machte den Mitgliedern seiner Partei klar, dass es etwas jenseits aller Feindschaften geben kann: das Bewusstsein einer einheitlichen kurdischen Nation, die geschlossen für ihre Freiheit kämpft. Abdullah Öcalan war noch weit von seinem heutigen Bekanntheitsgrad entfernt, als meine Mutter einmal sagte:
Endlich hat der Sohn einer armen Familie die Rolle von Kawe, dem Schmied, übernommen. Das war der Wunsch deines Vaters. Er sagte immer: `Ein Kurde, der Sohn einer armen Familie, wird das kurdische Volk für immer befreien. Aber sehr viele Fallen werden auf seinem Weg sein, die ihm ein Fortkommen erschweren'.
Immer habe ich mich gefragt, warum ausgerechnet meine Mutter zu einer Zeit, als selbst erfahrene Menschen in meiner Stadt nichts von Öcalan wußten, etwas über ihn zu sagen hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie von den aktiven PKK-Kämpferinnen beeindruckt war - Frauen, wie sie vielleicht nur die kurdischen Geschichte kennt. (S. 26/27)

Wie fragwürdig die Äußerungen sind, die Abdullah Öcalan während seines Prozesses gemacht hat, belegen Passagen wie diese. Die Annahme, Öcalan sei während der Haft durch Folter und/oder Versprechungen gefügig gemacht worden, um ihn nun als heimliche Waffe gegen das nach wie vor um seine Existenz und Identität kämpfende kurdische Volk einzusetzen, läßt sich angesichts eklatanter Widersprüche nicht aus der Welt schaffen. Vertrat Öcalan in seinem im Januar in Rom verfaßten Text noch den Standpunkt, den Feudalismus der kurdischen Gesellschaft ebenso zum Gegenstand des Befreiungskampfes zu machen wie die Unterdrückung durch den türkischen Staat, schien er dies wenige Monate später `vergessen' zu haben. In seiner Verteidigungsschrift spricht er sich nicht nur gegen einen eigenen kurdischen Staat aus - wie es die PKK schon seit Jahren tut -, sondern auch gegen eine kurdische Autonomie oder ein Föderationsmodell innerhalb der Grenzen des türkischen Staates.

Zur Begründung führte Öcalan an: "Ein Zweifaches an Bevölkerung lebt nunmehr in anderen Teilen des Landes und hat sich mit den Türken wie Fingernagel und Fleisch ineinandergebettet" und begründet seine nun ablehnende Haltung gegenüber eines kurdischen Autonomiestatus' innerhalb der Türkei mit eben jenen `feudalen Strukturen im Südosten des Landes'. Eine Kehrtwende, wie sie deutlicher kaum ausfallen könnte, denn noch im Januar - wie Öcalans Text in diesem Buch belegt - hielt der PKK-Chef unverbrüchlich an der Idee der kurdischen Befreiung fest.

Unser Ziel war es, ein neues Selbstbewusstsein zu schaffen, ein Gefühl der Freiheit bei jedem Kurden und jeder Kurdin. Zu diesem Zweck haben wir das Lager im Nahen Osten in eine Akademie umgestaltet, in der Diskussionen über geschichtliche, naturwissenschaftliche, philosophische und politische Inhalte geführt wurden. Wir haben uns bemüht, aus dem kurdischen Menschen, der seit jeher Knecht und Sklave und damit nie Herr über sich selbst war, eine große und freie Persönlichkeit zu schaffen. Die ausgebildeten Personen sollten sich ihrer Fähigkeiten bewusst sein. Wir wollten keine künstliche und sklavisch-abhängige Person schaffen, sondern einen denkenden Menschen mit eigener Persönlichkeit, in der Lage, seine Entscheidungen selbst zu treffen. Sein Denken sollte weder von rein egoistisch- individualistischen Prinzipien noch von der Selbst- verleugnung eines Knechts oder Sklaven geprägt sein. (S. 191)

Gewiß lassen sich in Sätzen wie diesen die marxistisch- leninistischen Ursprünge der kurdischen Arbeiter-Partei herauslesen. Die Anziehungskraft der PKK jedoch als `sozialistische Propaganda' zu bezeichnen, hieße, die tatsächliche Akzeptanz gerade des bewaffnet geführten Befreiungskampfes innerhalb der kurdischen Bevölkerung gänzlich zu ignorieren. Daß die PKK einen so starken Zulauf hatte und noch immer hat, mag darauf zurückzuführen sein, daß sie in Zielsetzung und Praxis über den ausschließlich nationalistisch begründeten Befreiungskampf entmachteter Stammesfürsten hinausging.

Namo Aziz beschrieb den Widerwillen, den Abdullah Öcalan schon in jungen Jahren gegenüber der unterwürfigen Haltung seines Volkes empfand, wie folgt:

Der junge Öcalan störte sich am geduckten Wesen der erniedrigten Kurden. Er war der Überzeugung, daß ein Volk, welches sich auf das Sklavendasein einlässt, nicht geliebt werden kann. Die einzige Chance der Kurden auf Anerkennung sah er im selbstbewussten Widerstand: "Der versklavte Kurde wird nicht geliebt, er wird verflucht. Damit er geliebt wird, muss er aufstehen und kämpfen." (S. 79)

Was Öcalan mit Erniedrigung meint, ist für Uneingeweihte nicht unbedingt nachvollziehbar; weshalb Worte wie diese für westeuropäische Ohren leicht etwas pathetisch wirken. Bei den in der Türkei lebenden Kurden und Kurdinnen allerdings muß diese Botschaft genau den richtigen Ton getroffen haben, um den Keim der Rebellion zum Flächenbrand auswachsen zu lassen, denn sie alle wissen, mit welchen Mitteln die türkische Armee ihr Volk lange vor dem Entstehen der PKK gequält und gedemütigt hat.

In den siebziger Jahren drang die Armee in kurdische Dörfer ein. Mit Bajonetten wurde die ganze Dorfbevölkerung zusammengetrieben. Alte Männer wurden nackt ausgezogen. Man band ihnen ein Seil an das Geschlechtsteil. Die Frauen des Dorfes mussten die Männer herumführen. Dies ist eine gewaltige Erniedrigung. Überall in der Welt, wo solche Erniedrigung und Unterdrückung erfahren wird, sollte revoltiert werden. Doch wir sehen, dass die Kurden in den siebziger Jahren nicht revoltierten. Sie sahen es als natürliches Schicksal an. Hier hat die PKK angesetzt. Sie hat gesagt: Wir akzeptieren dies nicht. Wir werden das verändern, und zu diesem Zweck organisieren wir uns. Die PKK hat den niedrigen Status des kurdischen Volkes richtig analysiert. Der Gedanke der Revolte, des Aufstandes, kam in den achtziger Jahren mit der PKK und veränderte das geistige Klima unter dem kurdischen Volk nachhaltig. Es ist das Abschütteln des akzeptierten Sklavendaseins. (Ismail Besikçi, türkischer Soziologe, S. 80/81)

Keine Frage, dieses Buch ist eine wahre Fundgrube für all jene, die, mißtrauisch geworden über die pauschale Verunglimpfung der PKK als `terroristischer Vereinigung', an Informationen interessiert sind, die eine Meinungsbildung im wahrsten Sinne des Wortes erst ermöglichen. Wer jedoch eine Auseinandersetzung mit historischen wie gegenwärtigen Fakten einerseits und persönlichen Schilderungen andererseits scheut, die geeignet sind, vorab gefertigte Positionen ins Wanken zu bringen, täte besser daran, dieses Buch gar nicht erst in die Hand zu nehmen.

Sonst könnte es ihm ergehen wie der NDR-Rezensentin, die dem renommierten Journalistenkollegen Namo Aziz in ihrer Hilflosigkeit mangelnde Distanz vorwarf, weil dieser in Öcalan einen "Weltpolitiker" sah. Was in die vorgefertigten Schablonen nicht paßt, muß eben aussortiert werden, und so bleiben Schilderungen auf der Strecke, die mit der in der Türkei bis zur Lynchhetze gesteigerten Verunglimpfung von Öcalan als dem "Baby- Killer" nicht in Übereinstimmung zu bringen sind.

Ich war überrascht, als ich einen Weltpolitiker vor mir sah, der sich nur für ein Ziel einsetzte: Frieden für die Kurden. Sofort war mir klar, dass ich seinen Einfluss und seine Intelligenz unterschätzt hatte. Es ist mir ein Rätsel, wie ein Mensch, dessen Kampf für die Freiheit dem Erlebnis alltäglicher Gewalt entwachsen ist und der endlose Repressalien erfahren hat, immer noch an Frieden glauben kann. Ich habe die Stärke seiner Überzeugung bewundert. In unseren Gesprächen war nicht, wie von jedermann erwartet, die Rede vom bewaffneten Kampf, von Anschlägen und Explosionen. Öcalan sprach von einseitigen Waffenstillstandsangeboten, von der Hoffnung auf die europäischen Demokratien und von einer diplomatischen Lösung für die Kurden. Er versicherte mir mehrmals, dass ihm das Leben eines Türken nicht weniger gelte als das eines Kurden. (S. 7)

Nicht in Übereinstimmung bringen kann der Präsidialrat der PKK, das nach Öcalans Verschleppung höchste Parteigremium, die aktuellen `Friedensangebote' ihres Vorsitzenden. Schon vor Beginn des Prozesses hatte Öcalan nach Angaben der türkischen Zeitung "Sabah" seine Bereitschaft bekundet, im Falle seiner Begnadigung dafür zu sorgen, daß sich alle PKK-Kämpfer ergeben. Man werde alle Aufrufe Öcalans zur Einstellung der Kämpfe mißachten, hieß es von seiten der PKK Anfang April, weil sie unter Druck zustandegekommen seien. Nicht anders handhabt der Präsidialrat nun die an die türkische Regierung gerichteten Angebote Öcalans, als Friedensstifter aufzutreten. In einem Aufruf vom 7. Juli hieß es:

Wir laden Euch ein, den Kampf zu verstärken, Euch im Wissen, daß das Todesurteil gegen unseren Vorsitzenden Apo ein Todesurteil gegen uns alle ist, zu erheben und Eure Proteste auf allen Ebenen noch kraftvoller zum Ausdruck zu bringen.

Nimmt man den von Öcalan im Januar verfaßten und im Buch Namo Aziz' dokumentierten Text zum Maßstab, scheint dessen tatsächlicher Wille, ungeachtet jedweder Verhandlungsbereitschaft den kurdischen Befreiungskampf unter keinen Umständen aufzugeben, gehört, verstanden und noch immer befolgt zu werden; ganz gleich, welche Töne der zum Tode verurteilte Öcalan - unter Druck? - nun anschlägt.


Dr. Namo Aziz
Kurdistan und die Probleme um Öcalan
In der Reihe "Krisen Konflikte Kommentare"
Edition Gallas, München, 1. Auflage 1999
200 Seiten, DM 24,80
ISBN 3-932871-95-2