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REZENSION/080: Sean McPhilemy - "The Committee" (Nordirland) (SB)


Sean McPhilemy


The Committee

Political Assassination in Northern Ireland



Am Abend 20. Juni 1994 saßen alle Iren gebannt vor ihren Fernsehern. Im New Yorker Yankee Stadion sollte die Nationalmannschaft der Republik Irland in ihrem ersten Gruppenspiel gegen den dreimaligen Weltmeister Italien, der die Iren vier Jahre zuvor im Viertelfinale in Rom geschlagen hatte, antreten. Obwohl man in Irland seit Monaten befürchtet hatte, daß die Italiener dank der Verbindungen ihrer sizilianischen Vettern in den USA alle Karten für das Spiel an sich gerissen hätten, präsentierte sich das berühmteste Baseball-Stadion der Welt an diesem Abend ganz in Grün-Weiß-Orange, den Farben der irischen Trikolore. Grün ist die Farbe der katholisch- nationalistischen Mehrheit, Orange repräsentiert die protestantische Minderheit im Nordosten der Insel, und Weiß steht für den angestrebten Frieden zwischen beiden Konfessionen. Fast 60.000 Stimmen stark war der Chor, der vor dem Anpfiff die irische Nationalhymne, "Amhrán na bhFiann" - "Das Soldatenlied", erklingen ließ, und als die Azurris schließlich nach 90 Minuten dem entscheidenden Treffer von Stürmer Ray Houghton erlagen, errangen die Iren nicht nur ihren bisher stolzesten Fußballsieg, sondern konnten sich in dieser Nacht die "Kings of New York" nennen.

Doch für eine Gruppe irischer Fußballfans und ihre Familien brachte dieser Abend nur Tod und Schrecken. Kurz nach Beginn des Spiels überfiel im Dorf Loughinisland in der nordirischen Grafschaft Down ein loyalistisches, sprich probritisches, protestantisches Killerkommando O'Tooles Kneipe und eröffnete aus Maschinengewehren das Feuer. Wie die Mörder wußten, bestand die Kundschaft von O'Tooles hauptsächlich aus Katholiken, die gekommen waren, um am Schicksal der Mannschaft der Republik teilzuhaben. Doch die Loyalisten erkannten in diesem Vergnügen offenbar so etwas wie staatsfeindliches Verhalten, das exemplarisch bestraft werden mußte. Die sechs Toten, fünf Katholiken und ein Protestant, die die Killer zurückließen, sollten offensichtlich unterstreichen, daß Nordirland immer noch zu Großbritannien gehört.

Der Überfall von Loughinisland gehört zu jener Reihe von Morden an Katholiken in Nordirland, die seit Jahren scheinbar hoffnungslos auf ihre Aufklärung warten. Die Ursache für die extrem niedrige Aufklärungsquote in diesen eindeutig politisch motivierten Fällen sehen viele nordirische Katholiken darin, daß die loyalistischen Todesschwadronen von der nordirischen Polizei, der Royal Ulster Constabulary (RUC) - ohnehin zu über 90 Prozent von Protestanten besetzt - bei ihrem mörderischen Handwerk nicht nur gedeckt, sondern tatkräftig unterstützt werden. Das im Herbst 1998 in den USA veröffentlichte Buch "The Committee - Political Assassination in Northern Ireland", zu deutsch, "Das Komitee - Politische Attentate in Nordirland", von Sean McPhilemy belegt diese These mit einer Fülle von Indizien und plausiblen Verknüpfungen.

Bereits 1989 hatten die Berichte über die geheime Zusammenarbeit zwischen RUC und den loyalistischen Paramilitärs dermaßen überhandgenommen, daß sich der damalige Chef der RUC, Sir Hugh Annesley, dazu veranlaßt sah, John Stevens, einen der hochrangigsten britischen Polizisten, mit der Untersuchung seiner Behörde zu beauftragen. In seinem Abschlußbericht mußte Stevens, der während seiner Zeit in der Unruheprovinz mit Mißtrauen und Animositäten seitens der RUC-Belegschaft zu kämpfen hatte und in dessen Büro in Carrickfergus zahlreiche wichtige Dokumente eines Nachts aus unerklärlichen Gründen in Flammen aufgingen, feststellen, daß es zwar einige Polizisten geben mochte, denen man eine zu große Nähe zu den Loyalisten nachsagen könnte, doch das Gros der RUC-Beamten über jeden Verdacht erhaben wäre.

1991 ließ sich Sean McPhilemy, ein Dokumentarfilmer, der selbst aus Nordirland stammt und seit Jahrzehnten in England lebt, von einem seiner Mitarbeiter, Ben Hamilton, dazu überreden, dieses Thema zu untersuchen, um anschließend daraus einen Dokumentarfilm für den britischen Fernsehkanal Channel 4 zu drehen. In der Rückschau seines Buches räumt McPhilemy allerdings ein, daß er den Vorschlag wahrscheinlich sofort verworfen hätte, wäre ihm bewußt gewesen, wieviel Ärger er sich damit aufhalsen sollte.

Über seine Kontakte bei der größten nationalistischen Zeitung Nordirlands, der Belfaster "Irish News", gelang es dem jungen Redakteur Hamilton, Kontakt zu einer Person herzustellen, die bereit war, ihm Auskunft über die enge Zusammenarbeit zwischen RUC und den protestantischen Paramilitärs zu geben. Der Informant, Jim Sands, behauptete, Mitglied eines geheimnisvollen "Komitees" aus protestantischen Paramilitärs, Polizisten, Akademikern, Rechtsanwälten sowie Geschäftsleuten zu sein. Laut Jim Sands bestand die Aufgabe dieser verschwörerischen Gruppe, die faktisch eine Schattenregierung Nordirlands bildete, darin, die Angriffe der katholisch-nationalistischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) auf die Sicherheitskräfte in Nordirland mit Vergeltungsschlägen gegen bekannte Republikaner und gegebenenfalls sogar unschuldige Katholiken zu beantworten. Damit sollte die Entschlossenheit der protestantischen Mehrheit in der Provinz, sich unter keinen Umständen mit der Republik Irland wiedervereinigen zu lassen, unter Beweis gestellt werden.

Nachdem sich Hamilton und McPhilemy anhand der detaillierten Informationen, die Sands ihnen geben konnte, sicher waren, daß dieser wußte, wovon er sprach, luden sie ihn nach England ein und interviewten ihn mit abgedunkeltem Gesicht. Das aufgezeichnete Gespräch stellte den Mittelpunkt der Sendung "The Committee" dar, die in der Channel-4-Politreihe "Dispatches" am Abend des 2. Oktober 1991 ausgestrahlt wurde und in der britischen Öffentlichkeit für heftigen Wirbel sorgte. McPhilemy, Hamilton sowie Channel 4 sahen sich fortan einer scheinbar übermächtigen Koalition aus RUC-Polizeiführern, protestantischen Abgeordneten Nordirlands im britischen Unterhaus, wie David Trimble, und deren Freunde bei den damals regierenden Konservativen unter John Major sowie den reaktionärsten Teilen der britischen Presse, vorrangig der "Sunday Express" und Rupert Murdochs "Sunday Times" unter dem damaligen Chefredakteur Andrew Neill, gegenübergestellt. Auch die Drohung, daß sich die Loyalisten an McPhilemy und Hamilton rächen könnten, zwang beide, zusammen mit ihren Familien, eine Zeitlang den Wohnsitz zu wechseln.

Der Ausstrahlung der Sendung folgte eine jahrelange "Dirty-Tricks"-Kampagne seitens des britischen Establishments, mit der versucht wurde, die Produzenten des Dokumentarfilms nach Strich und Faden als blauäugige Handlänger der IRA, die sich eine verbrecherische Lügengeschichte hatten aufschwatzen lassen, zu verleumden. In seinem Buch dokumentiert McPhilemy, der als Fernsehproduzent dadurch beinahe ruiniert wurde, in aller Ausführlichkeit nicht nur die Entstehungsgeschichte des Films, sondern seinen erfolgreichen Kampf, den Wahrheitsgehalt der Sendung gerichtlich zu beweisen. Mit seinem "Committee" ist McPhilemy ein Sachbuch gelungen, das sich nicht nur packender als jeder Politthriller liest, sondern das die herkömmliche Betrachtungsweise des nordirischen Bürgerkriegs - hier die demokratisch legitimierten Verfechter öffentlicher Ordnung, bestehend aus königstreuen protestantischen Politikern und aufrechter Polizei, beide gestützt von der vermeintlich unparteiischen britischen Regierung und Armee, da die antidemokratische, chaosliebende IRA -, als propagandistische Mogelpackung entlarvt.

Angesichts des derzeitigen Streits über die Forderung des gewählten Ersten Premierministers David Trimble, die IRA müsse mit der Entwaffnung begonnen haben, bevor ihr politischer Arm, die Sinn-Féin-Partei, den ihr zustehenden Platz in der künftigen interkonfessionellen Regierung Nordirlands einnehmen dürfe, kann man die Abneigung der IRA gegenüber dieser einseitigen, vom Karfreitagsabkommen nicht gedeckten Forderung nach der Lektüre von "The Committee" gut nachvollziehen. Trotz des allseitigen Waffenstillstands werden die Katholiken in Nordirland, von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt, nach wie vor durch loyalistische Splittergruppen drangsaliert. Zu guter Letzt muß angemerkt werden, daß "The Committee" in Großbritannien sowie in der Republik Irland seines brisanten und vielleicht allzu aufschlußreichen Inhalts wegen verboten und bisher nur in den Vereinigten Staaten und Kanada erschienen ist.

Sean McPhilemy
The Committee
Political Assassination in Northern Ireland
Roberts Rinehart Publishers, New York, 1998


9. Oktober 1999