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REZENSION/072: Jean-Louis Ferrier - Die Abenteuer des Sehens (Kunst) (SB)


Jean-Louis Ferrier


Die Abenteuer des Sehens

Eine Kunstgeschichte in 30 Bildern



Der vielversprechende Titel, der wirklich neugierig macht, entspricht bedauerlicherweise nicht dem präsentierten Inhalt. Es werden unterhaltsame Anekdoten über bekannte Bilder aus der Kunst ausgebreitet, aber darüber hinaus darf der Leser nicht vielmehr erwarten.

Der Autor, ein Kunsthistoriker, vergibt die Chance, dem Kunstinteressierten das "Abenteuer des Sehens" durch Kunstwerke verschiedenster Epochen nahezubringen. Obwohl die dreißig Kunstwerke sehr gut ausgewählt sind und die jeweilige Epoche prototypisch repräsentieren, schöpft der Autor im wesentlichen aus dem Fundus der Anekdoten und Klatschgeschichten, die sich um Kunstwerk und Künstler ranken. Wie es scheint, hat er den Stoff verwertet, der vom Studium der Kunstgeschichte als Beiprodukt übriggeblieben war.

Selbstverständlich läßt sich bei diesen Voraussetzungen nicht vermeiden, daß hier und da auch relevante Informationen mit einfließen. Doch leider kann ein Laie die Spreu nicht vom Weizen trennen, die wichtigen Aussagen werden vom Tratsch überwuchert.

Der kritische Ansatz des Autors, daß Kunstgeschichte fast nichts mit den Bildern, sondern hauptsächlich mit Geschichte zu tun hat, ist vollkommen berechtigt wie auch zu unterstreichen. Das Versprechen allerdings, dem Leser mit den Bildern und deren besondere Bedeutung für mögliche Betrachtungsweisen bekanntzumachen, ist in diesem Buch verschwindend bis gar nicht erfüllt.

Eigentlich birgt der Titel eine gute Idee und der Autor hätte sicherlich damit auch eine große Resonanz unter der Leserschaft gefunden, aber über das Sehen und Malen selbst wird kaum Aufschluß geboten. Tatsächlich bewegt sich der Autor nur auf dem kleinen Feld spektakulärer Anekdoten.

Aber liest man das Vorwort genauer, so findet man die eindeutige Absicht des Autors, die nur darin liegt "Bilder einfach anzuschauen" und "auch zu zeigen, unter welchen Bedingungen die Bilder gemalt wurden, wer ihre Auftraggeber sind und wie hoch der Kaufpreis war, wie sie vom Publikum und der Kritik aufgenommen wurden und wann und auf welchem Weg sie ins Museum gelangten." Daran gemessen hat der Autor seinen Anspruch durchaus erfüllt.

Leider korrespondiert der Inhalt im Manier der Regenbogenpresse mit einem teilweise schwer verständlichen Schreibstil. Der Autor springt zudem von einer Geschichte zur nächsten und verliert dabei den Faden.

Der Autor verschenkt die Möglichkeit, am Beispiel berühmter Bilder die angewandten Maltechniken zu erläutern, die zu Jahrhunderte überdauernden, faszinierenden Ergebnissen in der darstellenden Kunst geführt haben.

Die Mona Lisa, die der Autor schwärmerisch beschreibt, wäre gut geeignet gewesen, die bahnbrechenden maltechnischen Erfindungen Leonardos genauer zu beschreiben. Statt erhellenden Informationen, die den Mythos der Mona Lisa einem interessierten Laien verständlich machen könnten, verwickelt sich der Autor in dubiosen ärztlichen Diagnosen über Mona Lisas Gesundheitszustand oder über die Licht- Philosophien Ficinos, vor dessen alleinigem Hintergrund Leonardos Werke angeblich nur zu verstehen seien.

Daß aber Leonardo sowohl die Luftperspektive wie auch das Sfumato in seinen Bildern mit als Erster verwendet hat, wird nicht deutlich hervorgehoben. Im Gegenteil - ein Laie wird das dunstig Verschwommene des Sfumato mit der Luftperspektive, die eine zunehmende Tönung des Hintergrundes in immer hellere Blautöne beinhaltet, aufgrund der schlechten Erläuterung verwechseln. Dabei liegt im Sfumato unter anderem das Geheimnisvolle der Mona Lisa begründet. Die unscharfen Konturen bieten dem Augen immer neue Anhaltspunkte für Interpretationen und verhindern eine einmalige Festlegung.

Der Text des Autors bleibt streckenweise derart lückenhaft, daß sogar eine fehlerhafte Darstellung zustandekommt.

Ficino verglich das innere Licht, das unsere Seele erleuchtet, mit einer Alabasterlampe. So liegt auch auf dem Gesicht der Mona Lisa ein durchsichtiger weißer Schimmmer; wie die Lampe schenkt es der Welt seinen Abglanz, strahlt es Licht aus, das in rhythmischem Wechsel den Halbschatten weicht. Mehr als jedes andere traditionsreiche Werk ist die GIOCONDA nicht in erster Linie ein realistisches oder ein rätselhaftes Gemälde, sondern eine Umsetzung von Ficinos Philosophie. Das Licht, in das es getaucht ist und das es verbreitet, ist sein MYSTISCHER LEIB. Das läßt sich bis in die beiden Teile der Landschaft hinein verfolgen, die hinter Mona Lisa zu sehen sind: links ein Weg, der sich durch ein Tal zu Gipfeln hin schlängelt, die sich am Horizont erheben; rechts eine Brücke über einen Fluß mit brausenden Wassermassen. Die Berge in ihren weichen, dunstigen Farbabstufungen stimmen mit der Theorie Leonardos von der Verbläuung des Hintergrunds überein. Sie erinnern an seine Zeichnungen der Alpen, die er nach der Besteigung des Monte Rosa angefertigt hatte. Vor allem aber geht von ihnen etwas Träumerisches, Geheimnisvolles aus. (S. 64f.)

Es muß befürchtet werden, daß der Autor mit diesem Gemisch aus mystifizierten Auslegungen und Klatschgeschichten keinen Kunstinteressierten bei der Stange halten wird. Der Titel des Buches weckt falsche Hoffnungen. Hätte der Titel geheißen: "Anekdoten um berühmte Bilder der Kunstgeschichte" könnte man das Buch wohl anpreisen. Aber das Vorhaben "eine Vorarbeit für eine umfassende Kunstbetrachtung zu leisten" ist dem Autor gänzlich mißlungen.


Jean-Louis Ferrier
Die Abenteuer des Sehens
Eine Kunstgeschichte in 30 Bildern
Aus dem Französischen übersetzt von Gabriele Bruckschlegel
Piper Verlag GmbH, München 1998
ISBN 3-492-04019-5