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REZENSION/041: Borgmann, Kern - Von der Alb nach Atlanta (Pferdesport) (SB)


Thomas Borgmann, Roland Kern


Von der Alb nach Atlanta

Der Aufstieg des Dressurreiters Martin Schaudt



Passend zum Erscheinungstermin liest sich die Geschichte über den Aufstieg des Dressurreiters Martin Schaudt und die seines eigenwilligen Wallachs Durgo wie ein modernes Weihnachtsmärchen. Was diese Geschichte gerade für Pferdefreunde besonders reizvoll macht: Sie beruht nicht nur auf Tatsachen, sie ist tatsächlich geschehen und somit ein Vorbild, wie man mit Freude, Ausdauer, ungebrochenem Mut und dem unerschütterlichen Glauben an sich selbst auch nach Rückschlägen und Niederlagen den Drachen zum Freund gewinnt und den Goldenen Gral erringt - in diesem Fall die atlantische Goldmedaille. Das ist der Stoff, aus dem die Träume eines jeden Reiters und Pferdefreundes sind und aus dem auch schon viele Pferderomane geschrieben wurden. Also darf man sich auf die wahre Geschichte des Martin Schaudt, des sympathischen Ritters von der Alb, nur freuen.

Sie beginnt mit einem persönlichen Resümee über seinen größten Triumph, den Sieg der deutschen Mannschaft in Atlanta, und über die Zeit davor im atlantischen Trainingslager. Ungeschminkt schildert er den beiden Autoren dieses Buches die harte Konkurrenz um den Platz in der Mannschaft, die quasi bis zur Stunde Null bestehen blieb, so daß die Trainingsvorbereitungen zu einem internen Wettkampf ausarteten, bei denen er aus Sturkopf Durgo das Letzte herausholen mußte. Dabei ist das Erfolgskonzept des jungen Reiters gerade beim Training äußerst pferdgerecht ausgelegt: Während andere Dressurstars ihre kostbaren Vierbeiner vollklimatisiert und automatisiert vor jeglichen Verletzungen schützen und nur auf idealem Bodenbelag reiten, darf Durgo täglich auf die Weide, geht seine Lektionen unter offenem Himmel auf einer Schafweide und trägt jetzt, zur Saisonpause, sogar ein dichtes Winterfell, während er sich von den Strapazen des vergangenen Jahres in freier Natur erholt.

Wer derart auf die Eigenheiten und Bedürfnisse seines Pferdes eingeht, dem gelingt es auch, einen so eigenwilligen und starken Charakter wie den dieses Musterathleten in ein beinahe fügsames Dressurpferd zu verwandeln. Im zweiten Teil des Buches, in dem der Aufstieg des Dressurreiters Martin Schaudt nachgezeichnet wird, hat auch die Geschichte des schwierigen Westfalen ihren Platz. Die Legenden, die sich jetzt schon um den dunkelbraunen Wallach ranken, sind in der Tat wahr: Durgo hat tatsächlich beim Pferdemetzger gestanden und wurde nur dank einer kuriosen und schicksalhaften Verwechslung vor dem Henkerstod bewahrt. Denn keiner wollte noch etwas mit dem bissigen, launischen Pferd zu tun haben. "Unreitbar" lautete das Urteil über Durgo. Keiner, außer Martin Schaudt, der sich in die Grundgangarten des Wallachs verliebte und "ihn einfach haben wollte". Erst später, als er die Kampfeslust des Braunen schon am eigenen Leib erfahren hatte, und ihn gern wieder losgeworden wäre, erfährt er von dem schweren Schicksal seines Schützlings. Und, zum Glück für Martin Schaudt läßt sich Durgo auch nicht mehr verkaufen. Die beiden steigen sozusagen gezwungenermaßen in den Ring und mit unendlicher Geduld und Einfühlungsvermögen werden aus Gegnern Sportkameraden. Doch ich will nicht zuviel verraten.

Thomas Borgmann und Roland Kern beschreiben in diesem reichbebilderten Buch mit viel Sachkenntnis den ebenso erstaunlichen wie erfreulichen Aufstieg des Mannschafts- Olympiasiegers aus Onstmettingen. Es ist in Baden-Württemberg das Pferdebuch des Jahres 1996! Martin Schaudts Erfolgsgeschichte zeigt beispielhaft den Aufstieg eines einzelnen Reiters aus kleinen und bescheidenen Anfängen bis zur olympischen Goldmedaille; zugleich spiegelt sich darin auch der Aufstieg Baden-Württembergs vom Nachzuchtgebiet und der belächelten Sportprovinz zum drittgrößten Reiter- und Pferdeland der Republik wider.

Von der Alb nach Atlanta gehört zu jenen Pferdebüchern, die bei keinem wahren Pferdefreund im Bücherschrank verstauben, denn es ist gleichermaßen spannend und informativ. Jedem, der ein Faible für den Turniersport hat, wer vielleicht sogar die Reiterszene im "Ländle" kennt und wer in den Tagen von Atlanta mit Martin Schaudt gezittert hat, sei dieses Buch quasi als Pflichtlektüre ans Herz oder unter den Weihnachtsbaum gelegt. Eine wahre Geschichte über das Olympiajahr 1996.


Thomas Borgmann, Roland Kern
Von der Alb nach Atlanta -
Der Aufstieg des Dressurreiters Martin Schaudt
Matthaes Verlag, Stuttgart 1996
128 Seiten, 118 Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß
Tabellen und Dokumente
29,80 DM, 218 öS, 27,50 sFr
ISBN 3-87516-422-9