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REZENSION/032: Olympia der Reiter · Atlanta 1996 (Pferdesport) (SB)


Reiner Klimke · Werner Ernst · Deutsche Reiterliche Vereinigung


Olympia der Reiter - Atlanta 1996

Eine Werbung für die Deutsche Reiterethik



Das erwartet den Leser: Eine Zusammenfassung der Ereignisse rund um die reiterliche Olympiade; eine Huldigung an die Reiter, bei der dem eigentlichen, vierbeinigen Athleten, dem Pferd oder dem "Beritt", oftmals nicht der Platz eingeräumt wird, der ihm zusteht; eine selbstkritische, wenn auch nicht allzu konsequente Auseinandersetzung mit der Vermarktung und Kommerzialisierbarkeit der einzelnen Pferdesportarten und ihren Folgen; eine vorsichtige Warnung vor der Entmündigung des Reiters durch zunehmende Technisierung und tiermedizinische Überwachung der Turniere. Und zudem ist dieser Bildband ein hervorragendes Nachschlagewerk und eine detaillierte Erinnerungsstütze an diesen sensationellen Höhepunkt deutscher Reitkunst, bestechend festgehalten in Wort und fotographischen Momentaufnahmen.


Für diejenigen, die gerne selbst olympische Luft geschnuppert hätten und durch ungenaue Berichterstattung in der Tagespresse sowie durch die enttäuschend sporadischen Fernsehübertragungen die olympischen Reiterspiele nicht gerade in der "ersten Reihe" mitverfolgen konnten, bietet der FN-Verlag, gemeinsam mit dem Landwirtschaftsverlag, mit dieser offiziellen Neuerscheinung über die Olympischen Reiterspiele von Atlanta 1996 eine nachhaltige Entschädigung und gleichzeitig eine bleibende Erinnerung an die Licht- und Schattenseiten dieser spannenden Wettkämpfe.

Diesmal kehrten die deutschen Reiterinnen und Reiter mit vier Goldmedaillen als erfolgreichste Reiternation der Welt von den XXVI. Olympischen Spielen in Atlanta zurück. Außer bei den Spielen in Seoul 1988, von denen die deutsche Equipe ebenfalls 4 Goldmedaillen (Military Mannschaft, Dressur Einzel und Mannschaft, Springen Mannschaft) mit nach Hause brachte, wurde diese Leistung seit 1912 nur noch durch die Olympiade im nationalsozialistischen Berlin 1936 übertroffen, als alle 6 Goldmedaillen in Military-, Dressur- und Springwettbewerben von deutschen Offizieren errungen wurden. Das Standardwerk des FN- Verlags stellt somit ein Stück Geschichte dar, ein Zeitdokument über eine ungewöhnliche und von langer Hand exakt vorbereitete Leistungsexplosion der deutschen Reitkunst und Pferdezucht, das sich - dank des nicht nur fach-, sondern auch schreibkundigen Autorenteams namhafter Experten der Reiterei wie Dr. Reiner Klimke (Hrsg.), Dr. Hanfried Haring, Michael Klimke, Dr. Klaus Miesner, Martin Plewa, Franke Sloothaak, Dr. Bernd Springorum, Reinhard Wendt und Hans Günter Winkler - für den Pferdesportbegeisterten sehr spannend lesen läßt.

So nimmt denn auch die Vorbereitungsphase vor Atlanta mit der Entwicklung der olympischen Reiterdisziplinen einen angemessenen Raum ein, die in den einzelnen Sparten recht unterschiedlich verlief, beispielsweise die Vorbereitungen der Reiter und ihrer Pferde bis hin zu der Frage, wer nominiert wird und wer nicht. Dies und der anschließende Hauptteil rücken die Ereignisse während der olympischen Ausscheidungen und am Rande des Geschehens so ausführlich ins Bild, daß der Leser anschließend glaubt, er sei selbst von Anfang an dabeigewesen.

Für alle Pferdesportbegeisterten, für aktive Sportreiter oder stille Beobachter, die die Olympischen Reiterspiele 1996 in ihrer ganzen dramatischen Spannbreite und in allen Einzelheiten (von Parcourskizzen, Abbildung der Hindernisse, genauer Beschreibung der einzelnen Ritte und Geschichten am Rand) noch einmal Revue passieren lassen wollen, ist diese historische Dokumentation ein dankbarer Geschenktip bzw. ein Buch, das in keiner Sammlung fehlen sollte.

Durch eine übersichtliche und mit Farben gekennzeichnete Gliederung - immer in der Reihenfolge, in der auch die olympischen Wettkämpfe gestartet wurden - eignet sich der Band gleichzeitig auch als kompetentes Nachschlagewerk, in dem die Statistik mit Starterlisten, Olympische Ehrentafeln und Medaillenspiegel seit 1912 ebenfalls nicht zu kurz kommt, sowie eine ausführliche Darstellung der weltweit vertretenen Deutschen Pferdezucht, die ihre Spitzenposition in der Welt gerade wieder einmal behaupten konnte.

Wer jedoch eine ausschließliche Huldigung des deutschen Pferdesports (im allgemeinen) und der deutschen Reiter (im besonderen) erwartet hat, der wird angenehm überrascht sein. Die Fachautoren der einzelnen Sparten setzten auch hier die Tradition der Olympiabücher seit 1988 fort und nehmen zwischen Lobgesang und berechtigtem Stolz auf die erzielten Erfolge den Stand der Reitkunst in der Welt von Barcelona 1992 bis Atlanta 1996 äußerst kritisch unter die Lupe. Vor allem Änderungen im Reglement werden analysiert und bewertet sowie die Folgen einer zunehmenden Kommerzialisierung und Kommerzialisierbarkeit der Pferdesportarten, denen man mit sehr zwiespältigen Gefühlen gegenübersteht. Nach dem Motto "bald zog es sie, bald sank(en) sie hin" können die Aktiven des deutschen Pferdesports das wachsende Publikumsinteresse nur begrüßen, steigert es doch auch die Werbewirksamkeit und lockert somit die Börse der beteiligten oder potentiellen Sponsoren. Doch mit dem Zuwachs an neuen Geldmitteln geht immer ein Verlust an freier Entscheidung einher, müssen nun auch weitere Interessen bei der Planung und Reglementierung von Turnieren und Abläufen berücksichtigt und Leistungsverpflichtungen eingegangen werden, die größtenteils zu Lasten des Sports, so wie man ihn kennt bzw. in Form höherer Anforderungen und höherem Leistungsdruck auch zu Lasten von Roß und Reiter und nicht zuletzt der vielzitierten und in deutschen Landen bisher hochgehaltenen Reiterethik gehen.

Während also diesmal noch die olympischen Reiterspiele von den Schattenseiten des Kommerzes weitgehend unberührt blieben, könnte es schon bald anders aussehen. Wie dem begegnet werden sollte, darüber schweigen sich auch die Fachautoren dieses Buchs gründlich aus.

Daß das Leistungsniveau der deutschen Reitkunst mit dem "Beritt" steht und fällt, wobei mit diesem versachlichenden Ausdruck schlicht ein leistungsstarkes Pferd gemeint ist, bleibt ein offenes Geheimnis. Woher also nehmen ..., da schließlich nicht jeder Weltklassereiter auch über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich einen ganzen Stall vielversprechender und fertig ausgebildeter Hochleistungs-Turnierpferde zu halten. So trifft der unausgesprochene Appell wohl den guten Willen und die - im wahrsten Sinne des Wortes - Pferdenarrheit aller potentieller Geldgeber, zwar ihre Börsen weit zu öffnen, sich aber sonst im deutschen Pferdesport dezent zurückzuhalten. Wer allerdings seine Erfahrungen mit dem Leistungssport auch anderer Sparten gemacht hat, der weiß, daß es schon ein gutes Maß an praktischer Naivität und Betriebsblindheit braucht, um sich den Glauben zu bewahren, daß eine Form der werbewirksamen Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen und Frommen möglich ist, ohne daß einer der beteiligten Parteien dabei auf der Strecke bleibt. In der Regel ist der schwächste Teil einer derartigen Ausbeutungs-Verflechtung der Athlet - in diesem Fall also der Sportpartner Pferd.

Angesichts der harten Realität und - im schlimmsten Falle - Materialschlacht beim Kampf um die vordersten Plätze im Pferdesport, die kein Pferdefreund - auch ich nicht - wahrhaben will, ist es den Herausgebern des Buches hoch anzurechnen, daß man es dem kürzlich verstorbenen Olympiasieger "Jus de Pommes" gewidmet hat, dem Hengst, dem Ulrich Kirchhoff seine sensationelle Karriere und seinen Olympiasieg verdankt und der, wie es heißt, "vor den Augen der Welt sein überragendes Springvermögen bewiesen hat." Diese Geste stärkt die Illusion, daß es vielleicht doch so etwas wie Freundschaft, Partnerschaft und Achtung zwischen Sportreitern und den eigentlichen Athleten dieses Sports geben könnte. Der FN-Verlag und die Autoren dieses Buches werben jedenfalls sehr um diesen Glauben. Mit überraschenden Gesten wie die Danksagung an die große Familie der Helfer im Hintergrund, die Betonung der Teamarbeit an jeder Stelle und der offen geführten Selbstkritik kommt das Buch selbst Kritikern als sympathisches Machwerk entgegen, das man gerne weiterempfiehlt:

Für Fachleute, die sich tagtäglich mit dem Thema Pferdesport auseinanderzusetzen haben, ein wunderbares Arbeitsmittel, für pferdesportbegeisterte Fans eine faszinierend detaillierte Erinnerungsstütze, die vielleicht auch noch die eine oder andere neue Eröffnung zu Olympia 1996 in sich birgt.

Allerdings kommt nur derjenige vollständig in den Genuß des Buches, der selbst über eine gehörige Portion Fachwissen verfügt. Der Laie oder Neuling auf den Gebieten Vielseitigkeit, Dressur und Springsport wird vielleicht genauere Erklärungen vermissen und mit einem hippologischen Fachlatein konfrontiert, durch das er sich erst einmal durchfinden muß. Hier teilt sich die Spreu vom hartnäckigen Fan, der sein Quentchen Pferdeverstand zusammenrauft und sich durchwühlt. Mit dem entsprechenden Interesse kann sich auch ein Laie dem Bann dieses Buches nicht entziehen, zumal die umfangreiche Fotodokumentation von Werner Ernst einfach bestechend ist.


Reiner Klimke, Werner Ernst, Deutsche Reiterliche Vereinigung
Olympia der Reiter - Atlanta 1996
160 Seiten, über 200 farbige Fotos
gebunden mit Schutzumschlag, 69,80 DM
FN-Verlag ISBN 3-88542-282-4
Landwirtschaftsverlag ISBN 3-7843-2808-3