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REZENSION/023: Wouter van Dieren - Mit der Natur rechnen (Ökologie) (SB)


Wouter van Dieren


Mit der Natur rechnen



Der Titel des Buches hat etwas Offenkundiges, etwas die letzten bösen Ahnungen Heraufbeschwörendes, so daß ich gespannt war, ob in dem jüngsten Club-of-Rome-Bericht tatsächlich eine Bestätigung meiner Befürchtung zu finden sein würde oder nicht: Die Befürchtung, daß jetzt auf allen gesellschaftlichen Ebenen die Ergebnisse wie auch die zukünftigen Planungen und Vorhaben des weltweiten Verteilungskampfes als Konzept höchster Vernunft in unser Denken, Fühlen und Verstehen integriert werden sollen. Die Vermutung, daß es weiterhin in erster Linie um das Bewahren der bisherigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen geht, wenn sie auch den veränderten globalen Lebensverhältnissen angepaßt werden. Die Vermutung, daß eben ausschließlich eine derartige Anpassung vorgenommen werden soll, aber keinesfalls eine Überprüfung der für uns günstigen Verteilungsverhältnisse.

Würden wir eine solche Überprüfung vornehmen, so müßten wir zu der Einsicht gelangen, daß eine Änderung der Formen des Wirtschaftens den grundlegenden Tatbestand des Wirtschaftens nicht aufhebt. Und eben der kann doch bei genauer Analyse nur für die heutige weltweite soziale, wirtschaftliche und auch ökologische Situation des Menschen verantwortlich gemacht werden. Man kann es drehen, wenden und beschönigen wie man will: Wirtschaften wird erst dann möglich, wenn zuvor ein Bedarf erzeugt wurde. Will man dies der zugrundeliegenden Entwicklung entsprechend etwas direkter und einfacher beschreiben, so kann man auch zum Schluß gelangen, daß bereits in den Anfängen der menschlichen Gesellschaft durch Raub (z.B. von Land, Menschen, Tieren etc.) absichtlich eine Situation des Mangels geschaffen wurde. Selbstverständlich immer von denjenigen, die über die dafür erforderlichen Mittel der Gewalt verfügten. Im Prinzip hat sich nicht viel am Interesse einer solchen Vorgehensweise geändert. Bislang halten die Industrienationen die Position des Gewinners und ihre räuberischen Absichten aufrecht. Betrachtet man ihre Geschichte, so braucht man nicht zu zögern, eben erwähntes Prinzip von Gewalt und Raub in ihrer Politik wiederzufinden. Wenn man so will haben die Zeiten von Kolonialismus und Imperialismus nie aufgehört, sondern wurden lediglich den veränderten Verhältnissen angepaßt. Sie haben ihre äußere Form zum Zwecke des Verbergens nie veränderter Interessen gewandelt. Und mir scheint mit den Vorschlägen, die in dem Buch "Mit der Natur rechen" von dem Autor dargelegt werden, bewegt man sich weiterhin auf dieser Linie.

"Mit der Natur rechnen" bedeutet ganz einfach auf die dazugehörige Tätigkeit des Bemessens, des Abzählens bezogen, die "Natur" einteilen. Dabei will ich mich gar nicht auf den zweifelhaften Begriff "Natur" tiefergehend einlassen, da er ohnehin unter bestimmten Nutzungs- und Verwertungsgesichtspunkten entstand. Definiert wird Natur von jeher als Ge- und Verbrauchsgegenstand, der dem Menschen zur Verfügung steht. Die Neuentdeckung, daß diesem Nutzungsverhältnis "natürliche" Grenzen gesetzt sind, ändert aber kaum etwas an der Einschätzung des Menschen über seine Position in Bezug auf all das, was von ihm als Natur bezeichnet wurde.

Zunächst scheint es jedem verständlich, daß knapper werdende Ressourcen neu und ganz anders eingeteilt werden müssen. Doch müssen sie das wirklich? Den Aussagen des Club of Rome Berichts zufolge gibt es keine Alternative zum wachstumsorientierten Wirtschaften und damit keine Alternative zum Raubbau und zum stetigen Verbrauch. Zwar sollte ihrer Vorstellung nach eigentlich alles Wachstum angehalten werden, doch wird diese Idee gleich wieder verworfen:

Unsere Botschaft war, alles Wachstum anzuhalten. Wir nehmen diesen Aufruf nicht zurück, wir erweitern ihn vielmehr, indem wir jetzt zu einer Effizienzrevolution aufrufen. Sie kann, wie wir glauben, zumindest Teilantworten auf die Fragen nach Technologie und Beschäftigung in einer Zeit eingeschränkter Umweltnutzung geben. (S. 298)

Hier bleibt der technische Aufwand und der Verbrauch von weiteren Ressourcen zur Erzielung einer sogenannten Effizienzrevolution unberücksichtigt. Der personelle Aufwand, den eine derartige, technologische "Revolution" mit sich bringt, wird ganz im Sinne einer besseren Beschäftigungsrate gutgeheißen. Daß der Verbrauch der Ressourcen, der Verbrauch und die Zerstörung der Umwelt allgemein als unabdingbares Gesetz gelten und das dies auch vom Club of Rome anerkannt wird, zeigt sich in der Formulierung: "...in einer Zeit eingeschränkter Umweltnutzung...". Es handelt sich ihrer Auffassung nach also lediglich um eine zeitlich begrenzte und eingeschränkte Umweltnutzung, die einen ebenso eingeschränkten Verbrauch einfordert. Dabei bleibt immer noch ungeklärt, wem diese Einschränkungen abverlangt werden.

Die Idee von einer "Effizienzrevolution" kann sich letztlich nur als die an die veränderten Umweltbedingungen angepaßte und ausgerichtete Variante des herkömmlichen Wachstumsbegriffs erweisen. Denn bei genauer Überprüfung wird schnell offensichtlich, daß der Begriff des "Wachstums" nur gegen einen anderen ausgetauscht wurde. Jeder Versuch, ein Wachstum zu erzielen, birgt Verlust und Verbrauch in sich. Jedes von uns erzeugte Produkt hat im Vorwege und unter ehrlicher Berücksichtigung sämtlicher Vorleistungen bereits ein Vielfaches an Energie und Material verbraucht. Unterm Strich können wir in der Gesamtrechnung nur Minusbeträge verzeichnen. Das Streben nach Wachstum fördert den Verbrauch, aber auch das Bemühen um ein Anhalten des Wachstums zugunsten einer "Effizienzrevolution" wird nicht viel ändern, da auch bei einer Effizienzsteigerung ein Wachstum weiterhin als stille Bemessungsgröße bestehen bleibt. Man strebt dann kein Wachstum, sondern eine Effizienzsteigerung an. (In dem vorliegenden Buch wird eine Steigerung um den Faktor 4 als durchaus realisierbar vorgeschlagen) Der Glaube an eine mögliche Erhöhung der Effizienz erweist sich als der gleiche wie der an ein mögliches Wachstum.

Was nach Meinung des Club of Rome geändert werden sollte, sind die Bemessungsgrößen und die Bewertungsgrundlagen. Der Natur müßten angemessene Kapitalwerte zugeordnet werden, um entsprechende Berechnungen durchführen zu können. Weder die Aussagen des Bruttosozialprodukts (BSP) noch die der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) berücksichtigen den Verbrauch von "Natur", geben von daher nur ein sehr ungenaues Bild von den gesellschaftlichen Verhältnissen und treffen kaum eine Aussage über die ökologische Situation.

Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zeigen Schwächen, die Zweifel aufkommen lassen, inwieweit sie für die Messung von langfristiger, umweltverträglicher und nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung nützlich sind. Zum einen vernachlässigen sie die Knappheit der natürlichen Ressourcen, die eine ernsthafte Bedrohung andauernder wirtschaftlicher Produktivität darstellt. Zum anderen berücksichtigen sie die Auswirkungen des Zustands der Umwelt auf die menschliche Gesundheit und das menschliche Wohlbefinden nur ungenügend. Außerdem behandeln sie die Ausgaben für Umweltschutzmaßnahmen als Steigerung des Sozialprodukts, anstatt diese, wie gerechtfertigt, nur als gesellschaftliche Kosten zur Erhaltung der Umweltqualität anzusehen. (S. 93)

Wie ein roter Faden zieht sich die in variierter Darstellung abgefaßte Meinung durch die Kapitel dieses Buches, daß es grundlegend keine Einwände gegen das System des Wirtschaftens gibt, sondern lediglich an den Berechnungsgrößen und den Wertschätzungen. Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß neue Rechnungen aufgestellt werden müßten: Statt weiterhin zu versuchen mit dem BSP die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung eines Landes darzustellen, sollte eine angepaßte Modellrechnung bevorzugt werden. Das sogenannte "Ökosozialprodukt" ist nach Vorstellung des Club of Rome so eine den heutigen Erfordernissen angepaßte Rechnung und in der Lage, die "Wahrheit" über die Entwicklung eines Landes zu sagen. Sie beinhaltet die monetären Naturwerte, die sogenannten "Defensivausgaben" (zur Vermeidung von Umweltschäden), die Kosten für Umweltschutz und -erhalt, die Kosten für soziale Leistungen, die durch ein nicht umweltgerechtes Wirtschaften und die daraus folgende Umweltbelastung und -schädigung entstanden sind und vieles mehr.

Aber nicht nur die Rechnungen sollten verändert und angepaßt werden, sondern auch unser Verhalten im Umgang mit all den Dingen, die wir unter dem Begriff "Natur" zusammengefaßt haben. Das Zauberwort heißt "n a c h h a l t i g". Um das Überleben auch für zukünftige Generationen sichern zu können, ist eine "nachhaltige Entwicklung" nach Ansicht des Club of Rome unerläßlich. Was haben wir uns unter nachhaltiger Entwicklung vorzustellen?

"Eine notwendige Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung ist, daß sich die grundlegenden Bestände des natürlichen Kapitals einer Gemeinschaft oder eines Landes im Laufe der Zeit nicht verringern. Ein konstanter oder wachsender Bestand natürlichen Kapitals gewährleistet nicht nur die Deckung der Bedürfnisse der gegenwärtig lebenden Generationen, sondern sichert auch ein Mindestniveau an Gerechtigkeit und Gleichberechtigung für zukünftige Generationen (MacNeill, 1990)" (S. 106)

An dieser Stelle wird deutlich, daß trotz der umfassenden Darstellung des ökologischen Krisenstandes, die vom Club of Rome über Jahrzehnte erarbeitet wurde, immer noch der Glaube an ein Wachstum erhalten geblieben ist. Darauf werden die Konzepte aufgebaut, obgleich die heutigen Verhältnisse eindeutig belegen, daß man ein Wachstum wohl nur unter einer idealisierten und sehr von der Realität isolierten Sicht annehmen kann. Nimmt man als Beispiel die globale Ernährungssituation, so wird anhand der verzeichneten Ertragssteigerungen deutlich, das diese aufgrund enormer Vorleistungen (Dünger, Pestizide, Bodenbearbeitung, Maschinen, etc.) und erheblicher Kosten im Nachherein (Kosten für Bodensanierung, die zunehmend ineffektiver aber aufwendiger wird) in einer Gesamtrechnung nicht mehr als "Steigerung", "Gewinn" oder "Wachstum" definiert werden dürften. Der Einsatz materieller und energetischer Mittel, die zum Erreichen einer Ertragsteigerung vonnöten sind, überragen das, was man gerne mit "Gewinn" bezeichnen möchte bei weitem und vor allen Dingen langfristig und nachhaltig. Wouter van Dieren befaßt sich nicht mit dieser grundsätzlichen Problematik, sondern geht gleich zu den verschiedenen Berechnungsmöglichkeiten über.

"Die Messung nachhaltiger Entwicklung hängt daher von der Absicht ab, was notwendig ist, um sie zu erreichen. Nach den Regeln der ökonomischen Nachhaltigkeit müssen wir den gesamten Kapitalbestand betrachten. Nach den Regeln der ökologischen Nachhaltigkeit müssen wir den gesamten Kapitalbestand betrachten u n d darüber hinaus auch die Umwelt besonders berücksichtigen" (S. 107)

Das Dilemma, in dem der Mensch sich befindet, deutet sich hier in Form der scheinbar unterschiedlichen Interessen bereits an. Einerseits wird die Notwendigkeit zum Erhalt des "kritischen natürlichen Kapitals" (die Ozonschicht, der Kohlendioxid- Kreislauf und die Artenvielfalt) erkannt, andererseits soll an dem Prinzip des Wirtschaftens und dem Streben nach Wohlstand nichts geändert werden. Das ist zwar verständlich, aber ist es auch realistisch? Wie zum Trost heißt es:

"Der Begriff der "nachhaltigen Entwicklung" bezeichnet den Wandel im ökologischen Denken: weg von der früher üblichen "Lösungsbeessenheit" hin zu einem wachsenden Interesse an differenzierten umweltpolitischen Lösungen, die wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch umsetzbar sind. Das bedeutet, daß sich langfristig ökologische und kommerzielle Interessen nicht zu widersprechen brauchen. Es existieren jedoch sehr unterschiedliche Meinungen darüber, was der Endpunkt dieses Prozesses sein soll, wer verantwortlich dafür ist, den Prozeß in Gang zu setzen und voranzutreiben, was dazu beigetragen werden muß und wie schnell der Prozeß verlaufen soll." (S. 105)

Die Kritik befaßt sich also in erster Linie mit den nicht angemessenen Volkswirtschaftlichen Berechnungen. Eindringlich wird darauf hingewiesen, daß die Volkswirte einfach die Natur und das Naturkapital aus ihrem Berechnungsmodell ausgeblendet haben. Der zentrale Strukturfehler in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung besteht nach Auffassung des Autors darin, daß der Verbrauch von natürlichen Ressourcen und die Umweltzerstörung, die durch wirtschaftliche Aktivitäten hervorgerufen wird, daß diese Verluste an Natur als Einkommenswachstum im Bruttosozialprodukt verrechnet werden. Eine ganz wesentliche Anstrengung sollte also unternommen werden, um diesen "Strukturfehler" auszumerzen und den Naturverbrauch und die Naturschäden wirklich miteinzuberechnen. Wälder, Flüsse, Wasser (Trinkwasser) und saubere Luft werden also zu Kapitalwerten. Alles was von diesem Kapital verbraucht oder zerstört wird, sollte nach Auffassung Wouter van Dierens vom Bruttosozialprodukt abgezogen werden. In etwa würde sich daraus dann das Ökosozialprodukt errechnen lassen.

Spätestens an dieser Stelle offenbart sich das zwiegespaltene Denken und Handeln - nicht nur der Autoren dieses Buches. Einerseits geben sie vor, für den Schutz und Erhalt der Umwelt angetreten zu sein, andererseits legen sie mit ihrem Drängen auf die der neuen Umweltsituation angepaßten Berechnungen offen, daß sie weiterhin bereit sind die wirtschaftlichen und daraus folgenden gesellschaftlichen Verhältnisse dem Prinzip nach beizubehalten. Es hat den Anschein, als ginge es lediglich um eine angemessene Wertschätzung der Natur, die im nächsten Schritt in harter Währung abgegolten werden soll. Man kann den Verdacht nicht von der Hand weisen, daß auch in diesem Modell wieder einmal die finanzstarken (Menschen, Länder oder Nationen) vorrangig ihre Vorteile wahren können.

In dem hier vorgeschlagenen Konzept erhält das natürliche Kapital monetäre Werte. Die Luft, die unserem Ideal entsprechend für alle Menschen gleich und vor allen Dingen kostenlos zu nutzen sein muß, verliert sie unter diesen Umständen nicht ihre allgemeine Nutzbarkeit, die sie, nebenbei bemerkt, eigentlich nie richtig besessen hat, da sie von den verschiedenen Nationen unterschiedlich stark verbraucht und verschmutzt wurde. Dadurch wurde das allgemeine Nutzungsrecht bereits ad absurdum geführt.

"Das natürliche Kapital entspricht im Prinzip unserer natürlichen Umwelt und wird als Bestand an Vermögen definiert, das die Umwelt bietet. (z.B. Böden, Luft, Wälder, Wasser, Feuchtgebiete) und als einen Strom nützlicher Güter und Leistungen liefert. Dieser Strom kann aus erneuerbaren oder nicht erneuerbaren, auf dem Markt gehandelten oder nicht gehandelten Gütern oder Leistungen bestehen. Nachhaltigkeit verlangt den Erhalt der ökologischen Vermögen oder zumindest die Verminderung ihrer Erschöpfung. Nachhaltiges "Einkommen" wird nach der allgemein akzeptierten Definition von John Hicks bestimmt. Danach darf jeder Konsum, der auf dem Verbrauch des natürlichen Kapitals basiert, nicht als Einkommen gezählt werden. Die derzeit gebräuchlichen Modelle der wirtschaftlichen Analyse berechnen und fördern aber nicht- nachhaltiges wirtschaftliches Handeln. Der Verbrauch von natürlichem Kapital ist Vernichtung - das Gegenteil von Kapitalanhäufung." (S. 122)

Die Bestimmung der monetären Werte, die im einzelnen zugrundegelegt werden, hat den mit dieser Aufgabe Betrauten bereits viel Mühe und Arbeit gekostet. Eine exakte Bewertung in Geldmitteln ist für dieses Konzept unerläßlich.

"1995 wurde das "UN-Handbuch über eine Integrierte Volkswirtschaftliche und Umweltgesamtrechnung" (SNA) veröffentlicht, das den nationalen statistischen Ämtern Richtlinien für einen allgemeinen Rahmen der ökologischen Bilanzierung an die Hand gibt. Im SNA gibt es ein Unterkapitel über Umwelt-Satelliten-Systeme."

Diese relativ neue Technologie der Datenerfassung per Satellit erweist sich als äußerst hilfreich bei der Sammlung physischer Daten über die Bestände und Ströme natürlicher Ressourcen und Emissionen in Luft, Wasser und Boden. Der erste europäische Erderkundungssatellit "ERS-1" kann mit dem bereits 1977 installierten "Earthnet", das entsprechende europäische Bodennetz zur Weitergabe der von Satelliten stammenden Informationen, für die Aufgaben des Datensammelns und -verteilens hervorragend genutzt werden. Ab 1995 übernimmt ein verbesserter Satellit ("ERS-2") diese Arbeit. Die Frage bleibt jedoch, welche Konsequenzen aus dieser umfassenden und detaillierten Datenerfassung abzuleiten sind. Zunächst einmal erhöht sich die weltweite Kontrolle über Nutzung, Verbrauch und Vernichtung von Naturkapital. Wer aber bestimmt, oder besser, wer verteilt die Nutzungs- und Verbrauchsrechte an diesem Kapital? An wen muß gezahlt werden und nach welchen Kriterien werden Entscheidungen gefällt? Die Vereinigten Staaten werden sich wohl kaum darauf einlassen, ihre Industrie gravierend einzuschränken, und auf einem Verbrauchsrecht auf Luft, Wasser und Boden weiterhin bestehen.

In den ersten Sitzungen der UN-Kommission zur Nachhaltigen Entwicklung (1993) machten die US-Delegierten unmißverständlich deutlich, daß eine Veränderung der internationalen Wirtschaftsstruktur nicht zur Disposition steht (S. 296)

Wer wird also über die Prioritäten entscheiden? Ist es in diesem Fall nicht geradezu günstig, den sogenannten Entwicklungsländern ganz im Sinne des Umweltschutzes von einer umfassenden Industrialisierung abzuraten, damit sie gar nicht erst in die Nähe einer ins Gewicht fallenden Verbrauchsforderung gelangen?

Wouter van Dieren ist der Auffassung, daß es in den Dritte-Welt- Ländern ohnehin keine Entwicklung mehr gibt. Was dort stattfindet, ist ein ständiger Rückgang von Ressourcen und Rohstoffen aufgrund des Ausverkaufs an die Industrienationen. Wenn in diesen Ländern ein Wirtschaftswachstum stattfinden soll, so müßten Rohstoffe und Ressourcen für die eigene Produktion verbraucht werden. Doch woher sollten sie noch stammen, wenn der größte Teil verkauft und ein anderer Teil geschützt werden soll?

Es sind die festgefügten Strukturen, die seit der Kolonialisierung bis heute gelten und auf grausamste Weise auf Raub und Gewalt seitens der damaligen Kolonialmächte, späteren Imperialmächte und heutigen Handelsmächte basieren. Wenn Wouter van Dieren heute und in seinem Verständnis mit Sicherheit in kritischer Betrachtung zu dem Schluß gelangt, daß in den Entwicklungsländern nicht mehr von wirtschaftlichem Wachstum ausgegangen werden kann, dann klingt es doch sehr nach dem Versuch, diese Länder ganz von einer Entwicklung abzuhalten, die der unseren gleicht. Und zwar mit der edlen Begründung des Umweltschutzes. Will man einmal ein ganz einfaches Bild zeichnen: Im ersten Schritt findet die Eroberung anderer Länder, die Unterwerfung fremder Völker statt. Es folgt die Versklavung von Abermillionen Menschen, die Verschleppung aus ihrer Heimat, die Trennung von ihren Familien und sozialen Verbänden. Damit aber nicht genug. Es folgt die Zerstörung dieser Länder durch systematischen Raubbau an landwirtschaftlichen Gütern. Riesige Plantagen mit Monokulturen tragen zur Ausmergelung der Böden bei und rauben den Platz zum Anbau von Früchten und Getreide für die Ernährung der dort lebenden Bevölkerung. Die Verhältnisse waren und sind selbstverständlich bei weitem komplexer und in ihren Auswirkungen für die dort lebenden Menschen unvorstellbar grausam, doch möge dieser kleine Blick genügen, um die Leichtfertigkeit der von Wouter van Dieren aufgestellten These zu unterstreichen. Ganz gleich wie "richtig" sie erscheinen mag, können wir es un wirklich so leicht machen? Nachdem wir mit aller Macht und Gewalt andere Länder ruinierten und es uns auf ihre Kosten haben wohlergehen lassen, verbieten wir ihnen auch noch im letzten Schritt, da die weltweiten Ressourcen sich dem Ende neigen, überhaupt den Versuch zu unternehmen etwas mit unserer Entwicklung Vergleichbares zu versuchen. Damit wird sehr deutlich, daß Umweltschutz den sozialen Konfliktstoff noch bereichern wird. Die Frage, ob eine industrielle Entwicklung für die dort lebenden Menschen überhaupt wünschenswert ist, ob sie tatsächlich nicht viel mehr Schaden anrichtet, als bislang angenommen, wird ohnehin nicht berührt; es ging zu keiner Zeit um das Wohlergehen der Menschen in fremden Ländern. Wäre dies zu irgendeiner Zeit der Fall gewesen, dann hätte die Welt von heute ein anderes Gesicht.

Und warum sollte den Menschen in unseren Ländern einleuchten, daß sie ihren Wohlstand einschränken müssen. Sie kämpfen ja sogar mit aller Macht um den Erhalt von Arbeitsplätzen, selbst wenn diese im Bereich der Herstellung von Kriegsmitteln oder hochgiftigen chemischen Stoffen liegen. Aus der Sicht jedes einzelnen Menschen ist es auch wieder verständlich. Verliert jemand seinen Arbeitsplatz, so kann er auch hier nicht mehr sicher sein, in Zukunft ausreichend versorgt zu werden. "Ausreichend" bleibt eine relative Angelegenheit und genauso verhält es sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit den Abstrichen, die die hiesige Bevölkerung im einzelnen bereit wäre, in Kauf zu nehmen - der Umwelt zuliebe.

Was uns mit diesem Buch verkauft werden soll, ist eine grundsätzliche Rechtfertigung unseres bisherigen Verhaltens - wenn auch immer wieder betont wird, daß wir bei der Beschreibung unserer Wirtschaft und der daraus resultierenden Verhältnisse unsauber gerechnet haben. Nun, diese Rechnungen sollen, so der Club of Rome, korrigiert werden. Am prinzipiellen, wirtschaftlichen Handeln aber wird sich kaum etwas ändern. Jedem verständlich - und von jedem je nach Möglichkeit auch in Anspruch genommen - gilt: "Man braucht zum Leben eben...". Stellt man sich allein nur einmal vor, daß dies sämtliche auf Erden lebende Menschen für sich als Lebensrecht begreifen, beginnt man die Unmöglichkeit zu ahnen, es könne jemals um etwas anderes gehen, als um den Versuch jedes einzelnen, im Überlebenskampf siegreich zu sein.

Wouter van Dieren scheint noch an ideelle, übergeordnete Einsichten zu glauben - die in erster Linie allerdings immer von den anderen eingefordert werden.

Wir brauchen die Unterstützung der Öffentlichkeit, einen ausgeprägten politischen Willen und internationale Übereinkunft über die anzuwendenden Konzepte. Zudem ist finanzielle und technische Unterstützung der Entwicklungsländer nötig, um ihnen die Anwendung eines integrierten ökonomisch-ökologischen Rechenwerks zu ermöglichen. (S. 308)

Und zum Schluß erhält man auch noch eine Antwort auf die Frage nach der "neuen" Weltordnung. Die Vorstellung, daß es eine Organisation geben muß, die für die Berechnungen und den Zahlungsverkehr zuständig ist und die Entscheidungen trifft:

Vor allen Dingen benötigen wir eine starke internationale Führung, die die Richtung festlegt, den Kurs bestimmt, Gelder und Fachwissen bereitstellt, Informationen verbreitet und das korrigierte SNA (System of National Accounts) auf internationaler Ebene einführt. (S. 308)

Wer zu dem Kreis dieser "internationalen Führung" gehören wird und dort auch Gewicht und Stimme besitzt, ist nicht schwer einzuschätzen.

In diesem Buch werden nicht mehr nur die Gefahren aufgezeigt, die die ökologischen Verhältnisse mit sich bringen, nicht mehr nur Warnungen ausgesprochen, daß die Grenzen des Wachstums erreicht sind oder demnächst sein werden; diese Szenarien werden als Grundlage genommen, werden als gegeben akzeptiert und ihre Aussagen als Rechengrößen festgelegt; hier wird in altgewohnter Manier unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt gerechnet und kalkuliert. So bleibt als Eindruck zurück, daß es in diesem Konzept um die Bewahrung der bisherigen Machtverhältnisse geht, um die erweiterte, engmaschige Kontrolle über Ressourcenverbrauch und Umweltschädigung und um die generelle globale Kontrolle über die Bevölkerungen aller Länder. Denn wenn es letztlich nichts mehr zu verteilen gibt, geht es nur noch um den Überlebenskampf. Diejenigen, die noch über Land, Nahrung oder Rohstoffe verfügen (das gilt sowohl für einzelne Menschen, aber auch für Völker und Nationen), werden wissen, wie sie sich gegen die Forderungen der Mittellosen zu "schützen" haben.

Auch wenn man eigentlich nichts anderes erwarten kann, als daß sich in den allermeisten Fällen jeder unter allen Umständen für die Sicherung des eigenen Überlebens einsetzt und dafür schillernde und wunderbare Konzepte entwickelt, die den Anschein erwecken im Dienste einer guten Sache zu stehen, so erschreckt doch die kühle Berechnung in diesem Buch. Zudem erscheint der dadurch erweckte Eindruck der Realisierbarkeit doch allzu sicher. Wir brauchen nur einen Blick in die Tagespresse zu werfen und über die Atomwaffenversuche, über Tankerunfälle, Chemieunfälle, über die immer häufiger auftretenden Fälle von Leukämie im Umfeld von Atomkraftwerken zu lesen; in allen Fällen wird die Notwendigkeit und die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Produktionszweigs betont. Jeder einzelne Arbeitnehmer wird auch seinen Arbeitsplatz in diesem Lichte sehen. Soll man wirklich erwarten, daß vor diesem Hintergrund irgendwelche Änderungen vorgenommen werden, die weitreichende Nachteile und Einschränkungen mit sich bringen würden?

Die Produktion von Kriegsmaterial beispielsweise bleibt bestehen und damit wird die millionenfache Vernichtung von Menschenleben potentiell möglich gemacht und im sogenannten Ernstfall auch durchgeführt werden. Dieser Ernstfall wird wahrscheinlicher, da Kriege sich immer häufiger als reine Verteilungskämpfe erweisen. Das Konzept des "Club of Rome", das hier von Wouter van Dieren vorgestellt wird, erweist sich letztlich als eine rechenbare Legitimation für die Aufrechterhaltung und den Ausbau der bisherigen Machtverhältnisse.

Umweltschutz dient in diesem Zusammenhang lediglich als Leerformel, die allerdings eine nicht zu unterschätzende Funktion innehat. Da kaum jemand kritisch überprüft, was Umweltschutz eigentlich bedeutet und welche Konsequenzen damit verbunden sein müßten, bleibt dieses Wort inhaltlos und erfährt eine Simplifizierung: Umweltschützer sind gut; Umweltverschmutzer sind schlecht. Wer will schon ein schlechter Mensch sein? Also verhält man sich umweltgerecht und zahlt seinen Preis. In Zukunft wohl ganz konkret in Mark und Pfennig. Ob dann jemand, der nicht zahlen kann, selbst als "Umweltschmutz" eingeordnet wird? Das System der unmittelbaren Ausgrenzung von sozial und finanziell schlechter Gestellten wird auf jeden Fall mathematisch präzise funktionieren.

Zu empfehlen ist das Buch "Mit der Natur rechnen" all denen, die Spaß an theoretischen Modellrechnungen haben und sich in einer trockenen verwaltungstechnischen Sprachform leicht zurechtfinden. Doch auch all denen, die an den Vorschlägen zur Zukunftsgestaltung interessiert sind und sich kritisch damit auseinandersetzen möchten, kann dieses Buch nützlich sein. Die Lösungen, die hier angeboten werden und so realisierbar erscheinen, verlangen geradezu nach einer Überprüfung. Und weil zudem die sozialpolitischen Konsequenzen dieser Vorschläge in dem Buch kaum berücksichtigt sind, bleibt ausreichend Platz für eigene Ableitungen.


Wouter van Dieren
Mit der Natur rechnen
Der neue Club-of-Rome-Bericht:
Vom Bruttosozialprodukt zum Ökosozialprodukt
Birkhäuser Verlag, 330 Seiten