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BUCHBESPRECHUNG/013: Erwin Neu - Aus Sternenstaub ... (Biologie) (SB)


Erwin Neu


Aus Sternenstaub - Die Reise zum Ursprung des Menschen



Erwin Neu ist pensionierter katholischer Privatschullehrer und hatte jahrelang Zeit, sein Argumentationsrüstzeug für den Beweis der Existenz Gottes zu schärfen. Dabei verwendet er den Kunstgriff, seinen Ausgangspunkt ins "Lager des Feindes" zu verlegen, also in das heute gültige naturwissenschaftliche Weltbild, das der religiösen Sicht der Dinge den Rang abgelaufen hat. Der Autor beschreibt den Schöpfungsakt folgerichtig nicht etwa als gute Tat eines übermächtigen Gottvaters, der eine knappe Woche brauchte, um das Universum nach seiner Plaisier zu gestalten, sondern er beschreibt die Entstehung des Lebens als chemisch-biologischer Vorgang auf einer unwirtlichen Erde, die von harter kosmischer Strahlung bombardiert wurde.

Damit folgt Erwin Neu der 1953 durch den damaligen Chemie- Assistenten und späteren Nobelpreisträger Stanley Miller aufgestellten Theorie von der sogenannten Uratmosphäre oder auch Ursuppe. Hiernach ist die Lebensentstehung lediglich ein Zufallsprodukt, da die Erde - aus der heutigen Rückschau - in vielerlei Hinsicht die idealen Voraussetzungen für eine Lebensentstehung bot. Die Voraussetzungen wurden von Miller aber nicht nur als ideal beschrieben, sie wurden sogar als absolut notwendig erachtet. Wasser, bestimmte chemische Moleküle wie Ammoniak, Methan und Kohlendioxid sowie Energie in Form von Blitzen - eine Woche lang ließ Miller diese Suppe in seinem berühmten Experiment köcheln und brodeln, wobei wiederholte elektrische Entladungen den Blitzschlag simulierten. Dann schaute der Forscher nach, und er sah, daß es gut war: Es hatten sich einfachste Aminosäuren, also etwas komplexere Moleküle als die Ausgangsstoffe, gebildet. Die Aminosäuren wiederum werden als Voraussetzung für nochmals komplexere Moleküle angesehen, welche als eigentliche Voraussetzung für die Lebensentstehung gelten.

Während also die christliche Religion Gott als Schöpfer des Lebens beschreibt, hat die Naturwissenschaft den Zufall, man kann auch sagen die Natur, an die erste Stelle gerückt. Beide Instanzen unterscheiden sich nicht so sehr, wie sowohl die Religion als auch die Naturwissenschaft es glauben machen wollen, und so fällt es dem Autor leicht, die Seiten zu wechseln, um sein Anliegen einer Synthese mit Nachdruck zu vertreten.

Erwin Neu beschreibt seine Einstellung gegenüber der Naturwissenschaft als offen und liberal, doch vergißt er dabei, daß es Miller mit seinem Ursuppenexperiment auch nach über vierzig Jahren immer wieder modifizierter labortechnischer Experimente nicht gelungen war, komplexere Moleküle herzustellen, die sich selbst replizieren und somit einen biologischen Organismus aufbauen. Deshalb sind ja gerade in den letzten Jahren andere Theorien aufgekommen, die an Gültigkeit dazugewonnen haben und schon bald die Ursuppentheorie ablösen könnten. Zu nennen sei hier Wächtershausers Pyritkristalltheorie sowie die noch bekanntere Kometentheorie.

Letztere hat heute zumindest im populärwissenschaftlichen Bereich Millers Theorie von Platz eins verdrängt; die Naturwissenschaftler selber haben zur Zeit noch eine gewisse Scheu, die Kometentheorie anzuerkennen. Sie besagt, daß das Leben im All entstand und von Kometen auf die Erde gebracht wurde, wo die Bedingungen vor vier bis fünf Milliarden Jahren zufällig geeignet waren, daß sich das induzierte Leben weiterentwickeln konnte. Die deutliche Lücke Millers, der eine Selbstreplikation von Molekülen nie nachstellen konnte, wird in der Kometentheorie natürlich nur in kosmische Dimensionen verlagert. So wird die ursprüngliche Lebensentstehung ausgeklammert, und irdisches Leben setzte erst auf einem bestimmten Niveau der Entwicklung ein.

Auch wenn Erwin Neu bei seiner "Reise zum Ursprung des Menschen" einen biologischen Ansatz verfolgt, ist er mit seiner Ansicht nicht auf dem neuesten Stand der Entwicklung. Ihm hätte auffallen müssen, daß die Naturwissenschaft mit der Zuwendung zur Kometentheorie ihren religiösen Gehalt wieder stärker betont. Sein Versuch einer Synthese ist unnötig, da Religion und Wissenschaft nicht nur den gleichen denkgeschichtlichen Stamm haben, sondern auch heute noch viele Parallelen aufweisen. Am Anfang war Gott und am Anfang war ein Komet - diese simple Parallelität von Religion und Naturwissenschaft ist nicht zu übersehen.

Deswegen fällt es dem aus der Theologie kommenden Autor Neu auch so leicht, das naturwissenschaftliche Weltbild als Voraussetzung seiner letztlich religiösen Sicht der Dinge zu verwenden und darauf seine spezifische Auslegung des darwinistischen Weltbilds zu stützen. Erwin Neu macht sich sozusagen die Lücken im naturwissenschaftlichen Modell zunutze und erklärt, daß die einzelnen Schritte der Lebensentstehung von einer höheren Macht sehr zielgenau initiiert wurden, nämlich von dem Bauherrn Gott.

Damit unterscheidet sich Neu aber prinzipiell nicht von Charles Darwin, der ebenfalls den Mensch als Krone der Schöpfung auffaßte, als bis dato höchsten Evolutionsschritt, auf den das ganze Universum zugearbeitet hat. Menschliches Leben konnte nur entstehen, so Neu, weil die Naturgesetze die Entstehung der Materie, ihre kosmische Ausbreitung und die biologische Entwicklung von den Bausteinen des Lebens bis hin zum Menschen in unglaublich präziser Form zusammenwirkten. Die Evolution, sagt Neu, sei "ein Aufstieg zum Höheren". Sie bewegte sich von Gefühl und leblosen Atomen zum bakteriellen Leben, ging dann über zu primitiven tierischen und pflanzlichen Formen, um schließlich zu den höheren tierischen Lebewesen zu gelangen, an deren Spitze sich der Mensch gesetzt hat.

Er hat sich nicht nur an die Spitze dieser Lebensentwicklung gesetzt, er hat diese Ich-Bezogenheit sogleich auf zweifache Weise begründet: erstens mit der Religion und zweitens mit der Naturwissenschaft. Beide Herangehensweisen sind anthropozentrisch.

Ob man einen Evolutionstheoretiker nimmt oder einen fundamentalistisch-christlichen Kreationisten, der den Wortlaut der Bibel propagiert, beide letztbegründen die Überlegenheit der menschlichen Spezies und ihren Anspruch auf volle Verfügbarkeit über alle Tiere, Pflanzen, allen Seins. "Die Natur ist wunderschön", harmonisiert Neu die tierische Freßkette und das nimmer endende Gerangel und Gedränge in der gleichfalls gnadenlosen Pflanzenwelt um den besten Platz an der Sonne, dem wärmenden Lebensspender. In solcherart Naturbeschau wird stets der Sieger favorisiert - sei es der Baum, der es im Gegensatz zu seinen Artgenossen, die durch das Ausbreiten seiner Äste im Keim erstickten, geschafft hat oder sei es das hohe Gras, das dem Bodenbedecker das Licht raubte, so daß sich dessen Keimling erst gar nicht entfalten konnte.

Auch Erwin Neu plaziert den Mensch an die Spitze dieses weltumspannenden bioorganischen Existenzkampfes, wobei er die alte, aber nie beantwortete Kinderfrage, warum ein Gott gut sein soll, der dieses Leid auf die Welt gebracht hat, der Lebewesen mit Klauen und Zähnen ausgestattet hat, damit er sich zur eigenen Existenzsicherung am Schwächeren gütlich tue, warum man an einen solchen Gott glauben und ihn anbeten soll, dahingehend beantwortet, daß er sogar in der Katastrophe, dem "Chaos", wie er es nennt, etwas Positives erkennt. Auch das sei Gottes Wille, beteuert Neu in Anknüpfung an Generationen von Klerikern die Religion und wendet einen vermeintlich schlauen Kunstgriff an: So wie die Astronomen mit der Kometentheorie das ungelöste Problem der Lebensentstehung zu umschiffen versuchen, vermeidet Erwin Neu Gott, indem er die Evolution letztendlich nicht auf Gott, sondern auf Jesus Christus zulaufen läßt. Er begründet dies mit einer Bibelstelle im Kolosser-Brief, wo Paulus über Jesus schrieb: "Alles ist durch ihn und auf ihn hingeschaffen." Neu interpretiert diese Stelle als Ausdruck des Evolutionsgedankens.

Der Mensch Jesus Christus als Spitze der Evolution beantwortet allerdings noch immer nicht jene besagte unbequeme Kinderfrage, sie wird vermieden. Durch Jesus erneuere Gott sein Ja zu all dem, was durch den Urknall entstanden sei, schreibt Neu. Damit ordnet sich der Autor allerdings noch höher als Jesus ein, denn um beurteilen zu können, wer die Spitze einer Entwicklung bildet, muß man die Übersicht haben. Mit anderen Worten, man muß sich darüber stellen. Neu ist diese Herangehensweise allerdings nicht, der Autor befindet sich damit in bester Tradition ... von Naturwissenschaft und Religion.

Erwin Neu
Aus Sternenstaub - Die Reise zum Ursprung des Menschen
Kösel Verlag
29,80 DM