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REZENSION/137: Amy Kathleen Ryan, Sternenfeuer - Vertraue niemandem (Jugendbuch) (SB)


Amy Kathleen Ryan


Sternenfeuer

Vertraue niemandem



In dem im Dezember 2012 erschienenen zweiten Band der Sternensaga "Sternenfeuer" mit dem Untertitel "Vertraue niemandem" knüpft die Autorin Amy Kathleen Ryan unmittelbar an das Geschehen des ersten Bandes ihrer Trilogie um den Exodus ausgewählter Familien an, die mit zwei Raumschiffen auf dem Weg zu einem neuen Planeten sind, weil die Erde unbewohnbar geworden ist. Nachdem die New Horizon-Crew den größten Teil der Erwachsenen auf der Empyrean getötet hatte, um, weil ihre Frauen nicht mehr schwanger wurden, deren Mädchen zu entführen, fliegt die Empyrean nun unter der Führung der Jungs und zurückgekehrten Mädchen, die von der New Horizon entkommen konnten, weiter.

Vergessen wir einmal, daß hier ein Raumschiff wegen des Ausfalls der ursprünglichen Besatzung ohne kompetente Führung durchs All fliegt - ein gigantisches Konstrukt technischer Errungenschaften, dem ein Entwicklungsstand zugrunde liegt, der dem heutigen nicht übermäßig weit voraus sein kann, da die Autorin sich einer vollkommen unzulänglichen Technik bedient, um diese Raumschiffe auf eine Geschwindigkeit zu bringen, die sie innerhalb von 90 Jahren zu einem Planeten außerhalb des Sonnensystems bringen kann.(1)

Auch der zweite Band dieser Sternensaga erweckt den Eindruck, als befände man sich weniger auf einem Raumschiff als auf einem gewöhnlichen Kreuzfahrtdampfer mit integrierter Feld- und Viehwirtschaft, betrieben von einem Kernkraftwerk, über das die Kinder genausowenig wissen, wie auch heutzutage Otto Normalverbraucher von den Nuklearanlagen, die unseren Strom liefern. Amy Kathleen Ryan macht gar nicht erst den Versuch, sich mit einer fiktiven Technik zu befassen. Gibt es in der Zentrale irgendwelche technischen Probleme, wird das verantwortliche Gerät einfach neu gestartet, wie wenn man bei einem Computer die Reset-Taste drückt, und schon geht es weiter.

Dieser Roman ist also nicht als klassischer Science Fiction gedacht, in dem technische Neuerungen und Fortschritte hätten integriert werden können. Er war von Amy Kathleen Ryan eher als Social Science Fiction gemeint, der die Grundfragen gesellschaftlichen Zusammenlebens hätte thematisieren können. Wenn man allerdings glaubt, Amy Kathleen Ryan würde in ihrem in der Zukunft spielenden Roman auch zukunftsrelevante Themen anschneiden, die der Jugend von heute wertvolle Denkanstöße liefern könnten, dann täuscht man sich. Es geht in diesem Roman lediglich um Macht, Mißtrauen, Dominanz und Willkür - altbekannte Tendenzen sozialen Handelns, denen die Autorin keine neuen Aspekte verleiht und die zudem wenig nachvollziehbar den vom ersten Band her schon bekannten Protagonisten übergestülpt wurden.

Nach dem "Bäumchen-wechsel-dich"-Prinzip vertauscht die Autorin die Sympathieträger: Kieran, dem im ersten Band alle Sympathien galten, weil er von dem sich als Despoten aufspielenden Seth gefangen gehalten und drangsaliert worden war, macht sich nach dessen Sturz nun selbst zum Alleinherrscher und läßt, von Mißtrauen zerfressen, seine ehemaligen Freunde ins Gefängnis werfen.

Seth dagegen mutiert vom paranoiden Fiesling zum selbstlosen Helden, dem, nachdem er aus seiner Arrestzelle entkommen konnte, nichts anderes am Herzen liegt, als die Crew vor einem Saboteur der New Horizon zu retten.

Waverly, die dritte Hauptperson, im ersten Band mutige und fürsorgliche Anführerin der Mädchen, wird nun von allen gemieden, weil es ihr nicht gelungen war, auch die an Bord der New Horizon gefangen gehaltenen Eltern zu befreien. Enttäuscht von ihrem ehemaligen Freund Kieran, sammelt sie diejenigen um sich, die mit Kierans Führungsstil nicht einverstanden sind und gründet einen Zentralrat, mit dem zusammenzuarbeiten Kieran sich aber weigert.

Dieser sonnt sich selbstverliebt in seiner Religiösität, die nichts mit Gläubigkeit zu tun hat, sondern einzig dazu dient, seinen Machtanspruch zu festigen. Gott kommt in seinen Gottesdiensten merkwürdigerweise gar nicht vor. Seine Predigten dienen nur dazu, seine Anhänger bei der Stange zu halten, die seine Ansichten mit einem äußerst albernen 'Kyrie eleison' bestätigen, weil Kyrie so ähnlich wie Kieran klingt. Er lehnt es ab, sich mit den anderen Kindern zu beraten und besteht darauf, alle Entscheidungen allein zu treffen, was zu Mißverständnissen und Fehlverhalten führt, und letztlich zu einer Katastrophe, die eventuell hätte vermieden werden können, wenn er sich nicht geweigert hätte, entscheidende Hinweise überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

Man könnte Kieran zugute halten, daß er diese negativen Charaktereigenschaften ohne die auf ihm lastende Verantwortung für 150 überlebende Kinder und Jugendliche vermutlich nicht ausgebildet hätte. Daß er mit seinen 16 Jahren nicht weise und besonnen vorgeht, was selbst ein Erwachsener in solch einer Ausnahmesituation nicht unbedingt täte, ist verständlich. Dennoch paßt es nicht zu dem vernünftigen Jungen des ersten Bandes, sich zum Alleinherrscher aufzuschwingen, der von seinen Untergebenen unbedingten Gehorsam fordert.

Hätte Amy Kathleen Ryan nicht auf diesen bekannten Gesellschaftsmustern, die eine hierarchische Befehlsstruktur voraussetzen, bestanden, wäre es unter den Kindern zu wesentlich mehr Zusammenhalt gekommen, und sie hätten vielleicht ein Zusammenleben entwickelt, das über die Idee, einen Zentralrat zu installieren, hinausgeht. Eine Gesellschaft auf basisdemokratischer Grundlage, in der beispielsweise jeder einzelne etwas zu sagen hätte, und selbst das Anliegen des kleinsten Kindes Beachtung findet, könnte jeden Einzelnen zu verantwortungsbewußtem Handeln befähigen, was wieder der gesamten Gesellschaft zugute kommen würde. Solche Ansätze haben in diesem Roman jedoch nicht den Hauch einer Chance. Im Gegenteil, von den unzähligen kleinen Kindern, die ohne Eltern auf der Empyrean leben, erfährt man überhaupt nichts. Tragender Stoff ist der Machtkampf zwischen Kieran, Seth und Waverly. Sie sind so sehr von ihren persönlichen Intrigen besetzt, daß sie gar nicht auf die Idee kommen, ihr Zusammenleben grundsätzlich anders gestalten zu wollen, als die Erwachsenen es taten, deren Verhalten schließlich nicht nur die Erde, sondern auch die Empyrean an den Rand des Abgrunds geführt hat.

Warum verändern sich Menschen, wenn ihnen Macht über andere Menschen zugestanden wird? Wie leicht sind sie durch diese Macht korrumpierbar? Dies sind Fragen, die diese Geschichte aufwirft, von der Autorin aber nicht aufgegriffen und vertieft werden. Statt dessen spiegelt sich im Verhalten dieser Jugendlichen die amerikanische Gesellschaft wider, die auch Folter von wehrlosen Gefangenen gutheißt, womit die Autorin wohl deutlich machen will, daß Grausamkeit ein Wesensmerkmal des Menschen ist, das sich zwangsläufig Bahn bricht. Allerdings arbeitet Amy Kathleen Ryan sehr eindrücklich heraus, wie Menschen an der Gewalt, die sie aus Wut und Verzweiflung anderen antun, selbst zerbrechen, weil sie plötzlich Dinge über sich erfahren, die besser nie ans Tageslicht gekommen wären. Diese Erfahrung hatte auch Seth machen müssen, dessen Schicksal sich in einem atemberaubenden Finale entscheidet, das den Leser dann trotz der ärgerlichen Ungereimtheiten voller Spannung auf die Fortsetzung dieser Trilogie zurückläßt.


Anmerkung: (1) siehe im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → BUCH → ROMANE
REZENSION/126: Amy Kathleen Ryan - "Sternenfeuer" (Jugendbuch) (SB)
http://schattenblick.de/infopool/buch/romane/buror126.html

8. April 2013


Amy Kathleen Ryan
Sternenfeuer - Vertraue niemandem
Titel der Originalausgabe: Spark
Aus dem Englischen von Momo Evers und Anja Weiligmann
Knaur Verlag, München 2012
429 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-426-65327-2