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REZENSION/108: Frank Borsch - Alien Earth, Phase 3 (SB)


Frank Borsch


Alien Earth

Phase 3



Die Alien-Earth-Trilogie stellt einen Versuch dar, aktuelle politische, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen ein halbes Jahrhundert in die Zukunft weiterzuspinnen und die von tiefen sozialen Widersprüchen und kriegerischen Konflikten gezeichnete Menschheit mit dem Erscheinen von Außerirdischen zu konfrontieren. Diese Seelenspringer sind ihrerseits in einen unerbittlichen Konflikt mit den Seelenbewahrern verstrickt, die Erde soll ihnen als Zufluchtsort vor den Verfolgern dienen. Vor diesem durchaus attraktiven Szenario läßt der Autor Frank Borsch zahlreiche Figuren, die höchst unterschiedliche Interessen verfolgen, agieren.

Jedoch fällt ihm im letzten Band der Trilogie das breit angelegte Konzept der vielen verschiedenen, rasch aufeinander folgenden Handlungsschauplätze auf die Füße. Was im ersten Band ausgesprochen reizvoll war, da die Leserinnen und Leser nicht wußten, worauf die stille Invasion der Außerirdischen hinauslief, geriet im zweiten Band bereits zu einer heiklen schriftstellerischen Gratwanderung. Denn obgleich der Autor einige Geheimnisse gelüftet hatte, konnte man sich bis zum Schluß nicht sicher sein, ob nicht im nächsten Augenblick doch wieder alles über den Haufen geworfen wird, was vorher noch gegolten hat.

Dieses Unbehagen wandelte sich bei der Lektüre des vorliegenden dritten Bands zur Gewißheit: Aus für die Leser häufig unersichtlichen Gründen werden die Motive und Taten der Haupthandlungsträger umgeworfen und in ein anderes Licht getaucht, so daß sie den früheren Beschreibungen teils diametral entgegenstehen. Ein typisches Beispiel bildet die Figur des Pasong, Anführer jener außerirdischen Seelenspringer, die in großer Zahl aus ihrem Gefängnis auf Sigma V auf der Erde in menschliche Körper eindringen wollen, um der Unerträglichkeit ihrer Existenz zu entfliehen. Pasong wird mal als feindlich gegenüber der Menschheit, mal als ihr gegenüber wohlgesonnen geschildert. Die laufenden Wechsel sind jedoch irgendwann nicht mehr aus der Gesamthandlung nachzuvollziehen.

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Der Rezensent ist nicht der Ansicht, daß Science-fiction-Autoren den Lesern ständig einen Wissensvorsprung vor den Protagonisten einräumen müssen. Borschs Konzept, die Leser ständig ins kalte Wasser zu stoßen und alle wesentlichen Handlungsentwicklungen allenfalls im nachhinein zu erklären, wobei sich vieles sogar nur aus dem Zusammenhang heraus erschließt, wäre dann als ein gelungenes Stilmittel zu bezeichnen, wenn nicht im Laufe des dritten Bands der Eindruck entstanden wäre, daß der Autor selbst nicht genau gewußt hat, wie er den Roman zum Abschluß bringen soll.

Borsch hat zwar in Phase 3 einen großen Bogen zum ersten Band zu schlagen versucht, indem er die Stammbesatzung des Propellerflugzeugs "Strawberry Bitch" zum Schluß wieder mehr in den Mittelpunkt der Handlung rückt, aber je zerfaserter der Roman ausläuft, desto mehr ziehen auch diejenigen der Besatzung, die bis dahin überlebt haben, verschiedener Wege. Die vormalige Verschworenheit der Crew, die es durch Einfallsreichtum, Beharrlichkeit und ungeachtet (oder gerade wegen) mancher persönlichen Schrulle verstanden hat, weitaus besser gerüstete Konkurrenten auszutricksen, hat sich in Phase 3 vollends aufgelöst. Obgleich Borsch zu guter Letzt runde Ecken macht und die Handlungsstränge irgendwie auslaufen läßt, beherrscht eben dieses "Irgendwie" den Gesamteindruck.

So kontrolliert das Bewußtsein des Bordingenieurs Wilbur das von den Seelenspringern errichtete planetare Abwehrnetz der Erde vom Raumschiff "Superhero" aus und läßt 11.000 der gut 60.000 Patronenschiffe im Orbit auf die von verschiedenen Ländern installierten Atomraketen stürzen, um sie zu vernichten und dadurch die Erde vor der nuklearen Zerstörung zu retten - zum Preis der Verdunkelung der Atmosphäre durch Sand und Staub, der von schweren Explosionen rund um den Globus aufgewirbelt wird. Anschließend kehren Wilbur und sein Mitstreiter Rudi, ehemaliger Pilot der "Bitch", der Erde den Rücken, begeben sich in Stasis und glauben, daß sie mit der "Superhero" davonfliegen. Doch ihr Schiff wird von Pasong gelenkt und zerschellt als letztes der vielen tausend Patronenschiffe in den Rocky Mountains.

Die simple Art, wie die immense Gefahr für die Erde durch die Seelenbewahrer, die von dem "Bewahrer" angeführt werden, schließlich gebannt wurde, steht im Widerspruch zu dem vorher aufgebauten Bedrohungsszenario. Immerhin sollten die Seelenspringer samt Menschheit restlos vernichtet werden - das Motiv dafür wurde übrigens nie deutlich, außer eben, als sei das Erklärung genug, daß der Bewahrer von einem Kriegsplaneten stammt.

Die Seelenbewahrer werden von Borsch als eine raumfahrende, vorwiegend robotische Zivilisation beschrieben. Sie strebt nach technologischer Perfektion und ist nicht nur der menschlichen Technologie um Äonen voraus, sondern auch der der Seelenspringer. Nun fliegen tagelang zwei Menschen zum Saturn, und es gelingt ihnen mit einem Trick, den höchsten robotischen Diener des Anführers der feindlichen Außerirdischen in ein Befehlsdilemma zu stürzen, so daß er mithilft, daß sich die Projektion Rodrigos ins Computernetz des Alien-Schlosses einspeisen, er die Rolle des Bewahrers übernehmen und den Angriff auf die Erde verhindern kann - keine handlungsimmanent plausible Lösung des Problems der drohenden Erdvernichtung. Vor allem vor dem Hintergrund, daß die Seelenbewahrer den Seelenspringern seit langem auf den Fersen sind, denn die Seelenbewahrer konnten von den Seelenspringern bislang noch nicht bezwungen werden.

Nun ersetzt der Mensch Rodrigo, dessen Körper gestorben ist, den Bewahrer, kontrolliert damit die hochstehende Robotertechnologie und träumt davon, daß Erdenbewohner sein Schloß auf Saturn bewohnen und er als eine Art Hausgeist ihren Stimmen lauschen kann. Nun ja, vielleicht wäre es spannender gewesen, wenn die beiden Helden Hero und Rodrigo die Seelenbewahrer nicht erreicht hätten und diese somit auch gar nicht näher beschrieben und damit auf die Ebene des Menschen herunterdividiert worden wären. In dem Fall hätte Borsch an den Beginn der Trilogie anknüpfen können, als ein fremdes Raumschiff über der Erde Position bezieht, auf keinerlei Funkanrufe reagiert und erst viel später beginnt, rätselhafte Artefakte herabregnen zu lassen. So unvermutet, wie die Erde in einen uralten Konflikt zwischen Seelenspringern und Seelenbewahrern hineingezogen worden wäre, so unvermittelt hätte sich das Kampffeld an eine andere Stelle des Universums verlagern können.

Aber hier ist nicht der Ort, um alternatives Ende zum besten zu geben, davon dürfte Borsch ohnehin eine ganze Sammlung parat haben. Vielmehr geht es darum zu verdeutlichen, daß der Autor so viele Ideen aufgebracht hat, daß selbst die Hälfte von ihnen allemal zum Füllen der Trilogie genügt hätte. Etwas weniger wäre in diesem Fall sehr viel mehr gewesen. Allein der angedeutete Konflikt zwischen zwei verschiedenen Ansätzen, Unsterblichkeit zu erlangen - zum einen durch die natürliche Begabung des Seelenspringens von Körper zu Körper, zum anderen durch die technische Perfektion - wäre es wert gewesen, vom Autor stärker in den Mittelpunkt der Handlung gestellt zu werden.

Auch wenn Unsterblichkeit ein klassisches Thema der Science-fiction ist und bereits auf unzählige Weise bearbeitet wurde, ist es deshalb längst nicht abgedroschen. Das Genre Science-fiction eignet sich auf besondere Weise für Fragen nach dem Daseinszweck und möglichen Lebensentwürfen einer unsterblichen Existenzform. Stellvertretend seien hier nur zwei Beispiele genannt: In der bekannten deutschen Science-fiction-Serie "Perry Rhodan", für die auch Frank Borsch geschrieben hat, stellen sich einer Gruppe von Unsterblichen laufend große kosmische Gefahren in den Weg. Dieser Kampf bestimmt den Daseinszweck. Und in Octavia Butlers SF-Roman "Wilde Saat" wird ebenfalls eine Art Seelenspringen beschrieben, wobei in dem Fall eine unsterbliche Seele das Lebensglück gemeinsam mit einem Partner sucht.

Wenn schon eine bedrohliche Auseinandersetzung zwischen Außerirdischen, die quasi unsterblich sind, dann auch richtig, möchte man Borsch zurufen. Hier hat er eine Chance vertan, seiner ansonsten von vielen zeitgenössischen Bezügen geprägten Trilogie einen kräftigeren Schuß der Mysterien von Leben, Tod und Streben nach Unsterblichkeit einzuimpfen.

Am Ende der Trilogie erfährt die Erde so etwas wie eine apokalyptische Reinigung, eine Art Fegefeuer, das durch die herabstürzenden und explodierenden Raumschiffe erzeugt wird. Millionen Seelenspringer manifestieren sich in menschlichen Körpern, wobei sie die nach Erlösung schreienden menschlichen Seelen millionenfach nach Sigma V verbannen. Pasong hat seine Seele auf rund zwei Dutzend geklonte Wolfsjunge verteilt und freut sich auf das "Unerfahrene", das ihn erwartet - vor dem Hintergrund dessen, was die Figur bereits alles auf der Erde und vielen anderen Welten erlebt hat, scheint dies eine recht bescheidene Empfindung zum Abschluß einer Romanserie zu sein.

Gewiß vermag das spielerische Herumtollen kleiner Wolfsjungen das menschliche Auge, das dies als Unbeschwertheit des Lebens interpretiert, eine Zeitlang zu entzücken, aber sicherlich nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Wölfe ihr erstes - womöglich ebenfalls spielerisch herumtollende - Rehkitz erlegen und auffressen. Mit diesem drastischen Bild soll verdeutlicht werden, daß ein Autor, der einen großen Spannungsbogen aufbaut, bis zum Schluß genügend Luft braucht, um nicht auf Verniedlichungen des jungen Lebens zurückgreifen zu müssen. Das hat Borsch eigentlich gar nicht nötig. Man hätte sich für die Alien-Earth-Trilogie einen insgesamt stimmigeren Abschlußband gewünscht.

19. August 2008


Frank Borsch
Alien Earth Phase 3
Heyne Verlag, München 2008
556 Seiten, 9,95 EUR
ISBN 978-3-453-52252-7