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REZENSION/070: Arthur C. Clarke - 3001 - Die letzte Odyssee (SciFi) (SB)


Arthur C. Clarke


3001 - Die letzte Odyssee



Mehr als drei Jahrzehnte nach seinem erfolgreich verfilmten Roman "2001 - Odyssee im Weltraum" sowie zwei Folgebänden führt Arthur C. Clarke seine Leser in dem Abschlußwerk des Odyssee-Zyklus gleich tausend Jahre in die Zukunft. Frank Poole, der im All verschollene Kollege des legendären Dave Bowman, wird aufgelesen und nach dieser langen Zeit erfolgreich wiederbelebt. Er findet sich nun in einer Gesellschaft wieder, die sehr viele Ideale der gegenwärtigen westlichen, von den USA dominierten Kultur verwirklicht hat. Die Verbrechensrate ist gesunken, und wenn jemand kriminelle Handlungen begeht, dann wird seine Persönlichkeit zeitweise medizinisch ausgeschaltet, und er muß der Gemeinschaft dienen. So bekommt auch Poole einen Diener zugeteilt, Danil mit Namen. Der ist unterwürfig, schweigsam und scheint ein einfaches Gemüt zu besitzen.

Danil hat im Grunde keine andere Aufgabe als die eines höheren Sklaven, der sich um den Haushalt kümmert, Essen kocht und Besorgungen erledigt und nicht die geringsten Ansprüche stellt. Diese staatlich legalisierte und organisierte und einem totalen Utilitarismus folgende Unterwerfung eines Menschen wird jedoch von Clarke als äußerst positiver Zukunftsentwurf beschrieben. Für ihn ist es eine Errungenschaft, daß Menschen nicht mehr ins Gefängnis geworfen werden, sondern der Gemeinschaft noch von Nutzen sein können. Gegen Ende des Buchs begegnet Poole, der mittlerweile mehrere Jahrzehnte im All verbracht hat, auf der Erde seinem ehemaligen Diener Danil und spricht ihn freudig an. Doch dieser erkennt ihn nicht, denn er hat eine neue Persönlichkeit erhalten. Er ist nicht mehr Danil, man hat ihn zu einem willfährigen Mitglied der Gesellschaft gemacht, er wurde normiert.

Mit dieser harmonisierenden Darstellung eines zutiefst verletzenden Eingriffs unterscheidet sich Arthur C. Clarke wesentlich von anderen, ebenfalls den Anfängen der Science-fiction zuzurechnenden Autoren, die eine derartige Machtfülle des Staates gegenüber dem Einzelnen als alptraumhaftes Zukunftsszenario entwarfen, das meist in noch bedrückenderen Bildern beschrieben wurde, als wenn die Erde von Außerirdischen okkupiert worden wäre. George Orwells "1984" ist ebenso berühmt geworden wie Ray Bradburys "Fahrenheit 451" oder Huxleys "Schöne neue Welt". In ihnen ist der Mensch sein größter Feind, und düster droht die allumfassende Administration über den Häuptern. Zwar wäre Arthur C. Clarkes Buch "3001" in Bradburys Welt ebenfalls den Flammen zum Opfer gefallen, aber womöglich als eines der letzten, denn Clarke verklärt die bis ins Innerste gehende Verfügbarmachung aller Menschen zu einem evolutionären Fortschritt.

Genetische Tests sind selbstverständlicher Bestandteil von Clarkes Zukunftsvision, und er schildert sie so, wie sie auch von ihren heutigen Apologeten gepriesen wird. Frank Poole, der sich vollständig gesellschaftlich integriert hat, heiratet Dr. Indra Wallace, die ihn von Anfang an bei diesem Prozeß half. Bevor sie jedoch Kinder zeugen, unterziehen sie sich nicht nur umfangreichen genetischen Tests, sondern Poole läßt seine DNS auch noch genetisch korrigieren, bis der Vertreter der Institution seinen medizinischen Segen gibt. Wäre ja nicht auszudenken, wenn der Vater die Schuld hätte, daß die schöne neue Welt durch den Anblick eines verunstalteten Balgs entweiht würde! Die Götter in weiß verhalfen dem Paar zu ihrem Glück. Clarke schreibt dazu:

Die Tests waren sehr langwierig gewesen und hatten Andersons Befürchtungen bestätigt. Weitere Reparaturen mußten durchgeführt werden. Ein größerer Fehlschlag blieb nicht aus - ein Wesen, das nicht lebensfähig gewesen wäre, selbst wenn man auf den Abbruch in den ersten Wochen nach der Empfängnis verzichtet hätte - aber an Martin und Dawn gab es nichts auszusetzen. Sie hatten genau so viele Köpfe, Arme und Beine, wie sie haben sollten, und waren nicht nur hübsch, sondern auch intelligent. (S. 184/185)

Selbst als die glücklichen Eltern nach fünfzehn Jahren auseinandergehen, aber noch beste Freunde bleiben, ist ihr "sozialer Leistungskoeffizient" noch so hoch, "daß die Behörden ihnen - mit Freuden - ein drittes Kind genehmigt hätten", schreibt Clarke. Der Staat des Jahres 3001 sorgt sich nun mal um die gen- hygienische Makellosigkeit seiner Untergebenen. Die einem solchen Selektionsdenken zugrundeliegenden Wertmaßstäbe lieferte Clarke gleich mit: Menschen mit nur einem Arm, Blinden, Tauben oder Querschnittsgelähmten ist keine Zukunft beschieden. Fast könnte man annehmen, sie sei nur den Hübschen und Intelligenten vorbehalten.

Vor solcherlei Sozialdarwinismus tritt die "eigentliche" Handlung in den Hintergrund. Frank Poole landet auf dem zur Tabuzone erklärten Jupiter-Mond Europa (der Riesenplanet Jupiter wurde in den früheren Romanen zur Sonne) und nimmt dort mit HALman Kontakt auf, einem schwarzen Monolithen, in den der Schiffscomputer HAL und der Mensch Dave Bowman als Emulsionen integriert sind und der von einer außerirdischen Spezies vor sehr langer Zeit hier abgesetzt worden war. Die schwarzen Monolithen sind Maschinen mit der Aufgabe, die Lebensentwicklung im Weltall zu fördern. Bowman warnt Poole, daß sich etwas Umwälzendes anbahne, denn es träfen von einer 500 Lichtjahre entfernten Zentralstation neue Befehle ein, die den Untergang des Sonnensystems einleiten könnten. Bowman erklärt sich bereit, eine Diskette mit den gefährlichsten jemals von der Menschheit entwickelten Computerviren einzulesen und den von außen unangreifbaren schwarzen Monolithen auf diese Weise zu zerstören.

Clarke führt in seinem Menschheitsentwurf zwar eine Diskussion über Freiheit des Individuums auf der einen und Staatskontrolle auf der anderen Seite, aber sie hat allein die Funktion der Bekräftigung der eigenen Position, in der lediglich Argumente kolportiert werden, mit denen auch heute schon die schritteweise Auslöschung der Privatsphäre und der Freiheit des Menschen legitimiert werden sollen. In der zukünftige Welt des Autors ist Selektion positiv besetzt, weil dann keine Krüppel geboren werden, Lobotomie von Kriminellen ist gut, weil Gefängnisse zu teuer sind und nichts bringen, Bevölkerungskontrolle muß sein, weil es sonst zu viele Menschen gibt - und um allem sprichwörtlich noch die Krone aufzusetzen, tragen die meisten Menschen einen Zerebralhelm, der direkt an ihr Gehirn angeschlossen ist und Befehle vermittelt.

Mit einem solchen Gerät ausgestattet, verkommt der Mensch zur willfährigen Marionette höherer Instanzen, sofern er sie nicht längst verinnerlicht hat. Das gesamte Böse der vergangenen blutigen Menschheitsgeschichte, von Killerviren bis zu Atomwaffen, wurde auf den Mond verfrachtet und am Ende eines langen Tunnels im Berg Pico, dem Wahrzeichen des Mare Imbrium, für alle Zeiten begraben ... nicht ganz für alle Zeiten, denn wenn man etwas braucht, dann hat man es ja immerhin noch. Nur so konnte die Menschheit gerettet und vor einem möglichen Zerstörungsbefehl bewahrt werden. Denn der primitive Mensch des 20. Jahrhunderts war, aus der Sicht des Monolithen/Autors, im Grunde ein Irrtum, da er nicht zu logischem und rationalen Denken fähig war.

Daß aber gerade jene Logik und Rationalität die Parameter sind, auf deren Grundlage die Entwicklung und der zerstörerische Einsatz beispielsweise von ABC-Waffen sinnvoll erscheinen, bleibt in Arthur C. Clarkes technokratischer Welt des beginnenden 40. Jahrhunderts unberücksichtigt.


Arthur C. Clarke
3001 - Die letzte Odyssee
vgs - Verlagsgesellschaft, Köln 1998