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REZENSION/060: Kerstin Ekman - Skord von Skuleskogen (Trollgeschichte) (SB)


Kerstin Ekman


Skord von Skuleskogen



Wer ein märchenhaft anrührendes, vor Einhörnern und anderen Fabelwesen überquellendes Buch erwartet, wird von Kerstin Ekmans Roman "Skord von Skuleskogen" sicherlich überrascht sein. Und ist der Leser auch noch ein Freund ungewöhnlich nüchterner und klarer Einblicke in das menschliche Treiben, wird die Überraschung auf jeden Fall angenehm sein. Denn die Tatsache, daß der Romanheld Skord ein Troll ist, hat hauptsächlich als schriftstellerischer Kunstgriff Bedeutung und nicht als zentraler Inhalt.

Der Troll Skord als naturverbundenes, nichtmenschliches Wesen hat selbstverständlich eine ganz eigene Sicht der Dinge. Und da er es lernt, sich unerkannt unter Menschen zu bewegen, wird dem Leser viel Menschliches und Unmenschliches aus einer gar nicht putzigen Trollperspektive nahegebracht.

Mit zeitweilig an Derbheit grenzender Offenheit versteht Kerstin Ekman es, Alltägliches ins Blickfeld zu ziehen, Tabus zu berühren und über Dinge zu philosophieren, die sich wohl nur ein Troll einzugestehen wagt.

So macht sich Skord auch nichts darüber vor, was die Menschen von seiner Andersartigkeit halten. Wenn er Glück hat, sehen sie in ihm ein mißgestaltetes Kind. Denn die Welt, in der er sich bewegt, ist kein farbenfrohes Disneyland, sondern ein erbarmungsloser Ort, an dem es oft genug blutig und grausam zugeht und wo das Andersartige nicht Interesse, sondern Feindseligkeit wecken.

Im mittelalterlichen Schweden lernt Skord die bittere Armut der Bettelkinder kennen. Er teilt das Leben eines in den hohen Norden verbannten Pfarrers und erfährt von dem ihm schier unbegreiflichen Zwiespalt zwischen christlicher Moral und körperlichen Bedürfnissen. Aufgrund seiner schnellen Auffassungsgabe und seines sozialen Geschicks wird er schließlich Famulus eines Alchimisten, der ihm das Streben nach Wissen und Weisheit sowie dessen Vergeblichkeit am eigenen Scheitern vor Augen führt. Sogar als Feldscher verdingt Skord sich im 30jährigen Krieg. Als er nach sehr langer Zeit endlich "erwachsen" geworden ist, ist ihm nichts Menschliches mehr fremd. Er hat sich unterdessen vieles angeeignet, ja zum Teil sogar sein feines Gespür für alle Vorgänge in der Natur verloren, aber eines hat er nicht übernommen: die menschliche Moral.

Ob er selbst als Kind von seinem Lehrmeister mißbraucht wird, ob Menschen niedergemetzelt oder Pferde mutwillig zuschanden geritten werden, Skord betrachtet derlei Dinge zwar mit Widerwillen und Unverständnis, aber dennoch wie Notwendigkeiten, auf die Menschen nun einmal nicht verzichten können.

Einen großen Unterschied zwischen Mensch und Tier zu machen, liegt Skord allerdings fern. Verfügt er doch über die Fähigkeit, sich in den Körper eines Tieres hineinzuversetzen und auf diese Weise Welten kennenzulernen, die der des Menschen in vielen Aspekten durchaus vergleichbar erscheinen. Die mannigfaltigen Widersprüche des menschlichen Charakters nimmt Skord mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit zur Kenntnis, ohne dabei zu Verurteilen und zu Verdammen. Er selbst hat ohnehin wenig Verständnis für "Tugenden" wie Ehrlichkeit, Redlichkeit oder gar Sittenstrenge, sofern sie seinem körperlichen Wohlbefinden im Wege stehen. Doch das Bedürfnis, anderen aus purer Bosheit Schmerzen zuzufügen, ist ihm vollkommen fremd. Er ist im Grunde gutmütig, haßt es zu arbeiten und hat gern menschliche oder auch tierische Gesellschaft. Darüber hinaus ist er zu Einsichten fähig, die einem Menschen genauso gut zu Gesicht stehen würden:

Weite Teile unseres Lebens leben wir, als wäre uns der Wille eingeschlafen. Wir leben, wie zu leben wir gezwungen sind oder meinen, gezwungen zu sein, eingepfercht in der Notwendigkeit, gefesselt im Unentrinnbaren. Wir stehen da, starren wie die Kühe die Wand an und wissen, wenn wir uns umdrehen, besteht unsere Aussicht aus nichts anderem als unserem eigenen Mist. (S. 526)

Im Laufe seines langen Lebens wird Skord beinahe ein Mensch, der mit Frauen verkehrt und sogar den Titel eines Medicus erwirbt. Seine anfangs vorhandenen, ihm selbst unerklärlichen Fähigkeiten, auf die Wirklichkeit Einfluß zu nehmen, hat er längst verloren, ohne sie jedoch sonderlich zu vermissen. Er sehnt sich wohl manchmal nach dem Leben zurück, das er anfangs im Wald, weitab von den Menschen, geführt hat, doch ist es für ihn bereits in unerreichbare Ferne gerückt. Davon abgesehen scheint auch das Dasein als Troll unter Trollen keine allzu erstrebenswerte Alternative zu sein.

Mit viel Feingefühl hat Kerstin Ekman es vermieden, was Skord als Troll kennzeichnet aus dem Bereich des Unerklärlichen herauszuzerren und auf verschnörkelte Weise auszubreiten. Was sonst allzu leicht platt und geradezu lächerlich wirkt, behält bei ihr die Schemenhaftigkeit des nur vage Benannten, das sich nicht in die enge Form einer Vorstellung zwängen läßt. Auch den Gedanken, daß sich das wirklich Unerklärliche keinesfalls großer Beliebtheit erfreut, weiß sie ihren Lesern nahezubringen:

"Das Unerklärliche hat in einer aufgeklärten und gut unterrichteten Welt die Qualität einer Schändlichkeit. Bestenfalls wird es vergessen ... " (S. 456)

Mit "Skord von Skuleskogen" ist es Kerstin Ekman gelungen, für eben dieses Unerklärliche eine Lanze zu brechen. Und wer das Buch aufmerksam gelesen hat, vergißt es sicherlich nicht so bald. Ein ungewöhnliches und wunderbar nachdenklich stimmendes Werk, stellenweise von großer sprachlicher Schönheit und voller eindrücklicher, selten origineller Bilder, Überlegungen und Betrachtungsweisen.


Kerstin Ekman
Skord von Skuleskogen
Neuer Malik Verlag, Kiel 1995
560 Seiten
ISBN 3-89029-088-4