Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → ROMANE

REZENSION/019: Mario Puzo - Der Pate (Mafia) (SB)


Mario Puzo


Der Pate



Wer kennt ihn nicht, den `Paten' von Mario Puzo? Vor über 20 Jahren zum Bestseller avanciert, verhalf dieser Roman dem amerikanischen Schriftsteller Mario Puzo zu Weltruhm. Auch die Verfilmung, mit Marlon Brando in der Hauptrolle, wurde ein großer Erfolg. Einen solchen Klassiker, `den' Mafia-Roman schlechthin, heute zu präsentieren, dient deshalb nicht in erster Linie dem Zweck, diesen Roman inhaltlich vorzustellen und als spannenden Action-Thriller zu empfehlen. In den 90er Jahren, einer Zeit also, in der der Begriff `Mafia' ausschließlich Abscheu und Ablehnung hervorruft und in einem Begründungszusammenhang mit schärfsten staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der `organisierten Kriminalität' steht, bietet ein solches Werk die Gelegenheit, sich diesem Begriff auf unterhaltsame und leichtgängige Weise zu widmen. Anhand der Fragestellung, worin eigentlich die Faszination besteht, die zu dem außergewöhnlichen Verkaufserfolg dieses Romans geführt haben mag, kann das Thema `Mafia' auf unvorbelastete Weise diskutiert, der Begriff neu bewertet werden.

Keine Frage, daß die Lebensgeschichte des Paten Don Vito Corleone, das Schicksal der Corleone-Familie im New York der Nachkriegszeit, auf den Leser eine besondere Faszination ausübt. Thriller, so darf wohl ohne nähere Analyse behauptet werden, die in puncto Action, mit einer verkaufswirksamen Mischung von `Sex and Crime' gewürzt, dem Puzo-Roman das Wasser reichen können, gibt es viele - das allein vermag den Verkaufserfolg des `Paten' nicht zu erklären. Nein, die besondere Faszination dieses Werkes - das sei als provozierende These vorweggestellt - besteht in dem Mythos Mafia, genauer gesagt in dem bis zur letzten Konsequenz durchgetragenen und hier eben auch eingehaltenen Versprechen von Treue, Familie und Freundschaft. Das aber sind Werte, die nicht im Widerspruch stehen zur gesellschaftlichen Ordnung, gehören sie doch zu den tragenden Säulen der abendländisch-christlichen Kultur.

Der Don selbst bringt das Versprechen von Freundschaft und Verläßlichkeit deutlich zum Ausdruck, und zwar im Gespräch mit seinem Patensohn, dem berühmten Sänger Johnny Fontane:

Freundschaft ist alles. Freundschaft ist mehr als Talent. Sie ist mehr als die Regierung. Sie ist fast ebensoviel wie die Familie. Vergiß das nicht. Wenn du dir einen Schutzwall von Freundschaften gebaut hättest, dann brauchtest du mich nicht um Hilfe zu bitten. (S. 46)

Warum soll das ein Versprechen sein, könnte man einwenden, denn schließlich hält der Pate sein Wort, immer und unter allen Umständen, allen Widrigkeiten zum Trotz - und gerade das macht die große Faszination dieses gelungenen Werks aus. Wer das bestreiten will, möge prüfen, ob nicht die folgende Passage in seinem Innersten Saiten zum Klingen bringt, von dessen Existenz er sonst nicht einmal etwas ahnt (es geht bei diesem Beispiel um Amerigo Bonasera, einen Bestattungsunternehmer, der den Don um Gerechtigkeit für seine mißhandelte Tochter bittet):

Don Corleone war sanft und geduldig. "Warum fürchtest du dich davor, mir Treue zu schwören?", fragte er. "Du gehst zu Gericht und wartest monatelang. Du gibst viel Geld für Anwälte aus, die ganz genau wissen, daß du zum Narren gehalten werden sollst. Du nimmst das Urteil des Richters hin, der sich verkauft wie die übelste Straßendirne. Vor vielen Jahren, als du Geld brauchtest, bist du zu den Banken gegangen, hast enorme Zinsen gezahlt, hast mit dem Hut in der Hand wie ein Bettler gewartet, während sie herumgeschnüffelt haben, um sich nur ja zu vergewissern, daß du die Darlehen zurückzahlen kannst." Der Don machte eine Pause, sein Ton wurde strenger. "Wenn du aber zu mir gekommen wärst - mein Geldbeutel hätte dir gehört. Wenn du zu mir um Gerechtigkeit gekommen wärst - dieser Abschaum, der deine Tochter ruiniert hat, würde jetzt bittere Tränen weinen. Wenn sich ein ehrlicher Mann wie du durch einen unglücklichen Zufall Feinde gemacht hätte - sie wären auch meine Feinde, und dann würden sie, das kannst du mir glauben", der Don hob den Arm, sein Finger richtete sich auf Amerigo Bonasera, "dann würden sie sich jetzt vor DIR fürchten." (S. 38)

Dieses Zitat belegt allerdings auch, daß der Begriff `Mafia' nicht ohne Grund für Organisationen verwendet wird, die in Konflikt mit der staatlichen Ordnung stehen, weil sie dessen Gewaltmonopol in Frage stellen. Eine solche Staatskritik ließe sich aus obigen Sätzen des Paten herauslesen, denn ganz offenkundig hält er die Angebote des Staates, einem Mann wie Bonasera und dessen Tochter Genugtuung zu verschaffen, für ineffizient - ja, mehr noch, für ihn stellt die Tatsache, daß der kleine Bestattungsunternehmer zunächst den Instanzenweg beschritten hat, bevor er zu ihm kam, eine Mißachtung seiner Person dar.

Doch bevor die Frage nach den Hintergründen des faszinierenden Mafia-Mythos weiter erörtert wird, soll die eigentliche Geschichte kurz vorgestellt werden, denn auch ein Roman mit einem solchen Bekanntheitsgrad wird nicht jedem vertraut sein. Im Mittelpunkt steht, wie könnte es anders sein, Don Vito Corleone, den sogar in der Art der Schilderung eine Aura der Unnahbarkeit umgibt. Bei allen Wechseln der Personen und Erzählperspektiven läßt der Autor den Leser nie das Geschehen aus der Sicht Don Vitos erleben. Natürlich tritt er in Gesprächen mit Familienangehörigen, Freunden und auch seinen Feinden in Erscheinung - doch der Respekt einer solchen Persönlichkeit gegenüber bringt es wohl mit sich, daß sein eigenes Empfinden, Denken und Fühlen für den Leser tabu bleibt. Die übrigen Familienmitglieder, die engsten Vertrauten und Freunde des Don werden hingegen mit all ihren Schwächen, Neigungen und Unzulänglichkeiten so eindringlich und persönlich geschildert, daß der Leser gar keine Zweifel daran hegt, sie `durch und durch zu kennen'. Ohnehin haftet dem Roman ein erstaunlicher Hauch von Authentizität an, insbesondere in den geradezu historisch anmutenden Kapiteln über die persönliche Geschichte des Don, seinen Werdegang in den Vereinigten Staaten vom völlig mittellosen Flüchtling zu einem der mächtigsten Dons in New York.

Die Erzählung beginnt mit der Hochzeit von Conny Corleone, der einzigen Tochter des Paten. Nach altem sizilianischen Brauch kann er am Hochzeitstage seiner Tochter niemandem eine Bitte abschlagen, und so ist es kein Wunder, daß auch an diesem Tage Menschen bei Don Vito vorstellig werden, um ihm ihre Ehrerbietung zu erweisen - und ihn um einen Gefallen zu bitten. Einer von ihnen ist der schon erwähnte Bestattungsunternehmer Amerigo Bonasera, der jedoch unter den Bittstellern eine unrühmliche Ausnahme macht, weil er dem Don gegenüber deutliche Vorbehalte hegt.

Diese Hochzeitsfeier nutzt Mario Puzo zudem als Gelegenheit, um dem Leser den engsten Kreis der Corleone-Familie vorzustellen. Da sind zunächst einmal seine drei Söhne Santino, Frederico und Michael, genannt Sonny, Freddy und Mike. Sonny als der Älteste ist ein echter Hitzkopf, er geht seinem Vater seit langem bei allen Geschäften zur Hand. Um dessen Nachfolger werden zu können, müßte er allerdings noch sehr viel lernen. Der zweite Sohn Freddy ist seinem Vater ebenfalls treu ergeben, kommt als Nachfolger jedoch nicht in Betracht, weil ihm schlicht die Persönlichkeit fehlt, um Menschen führen zu können. Der jüngste schließlich, Michael, bringt zur Hochzeit seine amerikanische Freundin Kay Adams mit, die nur sehr vage Vorstellungen davon hat, um was für eine Familie es sich bei den Corleonen eigentlich handelt. Mike ist das Sorgenkind seines Vaters, er lebt zurückgezogen von der Familie, ohne jedoch mit ihr gebrochen zu haben, und ist ganz offensichtlich nicht daran interessiert, sich an den Familiengeschäften zu beteiligen. Schon als Kind war er der einzige, der es gewagt hat, dem Vater zu widersprechen. Im Zweiten Weltkrieg meldete er sich freiwillig zum Militär, gegen den ausdrücklichen Wunsch seines Vaters, der nicht die Absicht hatte, einen seiner Leute oder gar einen Sohn `im Dienste einer fremden Macht sterben zu lassen'.

Zum Kern der Corleone-Familie gehört zweifellos noch Tom Hagen, ein Deutsch-Ire, der als 13jähriges Waisenkind ins Haus des Paten kam und dort wie ein `Quasi-Adoptivsohn' aufwuchs. Er wurde Anwalt, denn er hatte den Don einmal sagen hören: "Ein Anwalt mit seiner Aktentasche kann mehr stehlen als hundert Männer mit Pistolen", und trat in die Familiengeschäfte ein. Nach dem Tode von Genco Abbandando, dem ersten `consigliori', ernannte der Don Tom Hagen sogar zu dessen Nachfolger und brach damit mit einer sizilianischen Tradition, nach der nur Sizilianer `consigliori' sein durften, denn immerhin ist das der wichtigste Posten innerhalb der Organisation, sozusagen die rechte Hand des Don. Aus Sicherheitsgründen werden Befehle immer in einer bestimmten Kette weitergegeben: Vom Don an den consigliori, der sie an einen der beiden `caporegime' weitergibt, also an Tessio oder Clemenza, die Leiter der beiden unabhängig voneinander agierenden Operationseinheiten der Familie.

Als besonderer Hochzeitsgast erscheint Johnny Fontane, ein berühmter und sehr erfolgreicher Sänger, der Patensohn des Don und dessen besonderer Liebling. Johnny kommt, um seinem `padrino' Respekt zu erweisen; ihm stehen die Probleme bis zum Hals - er hat seine Stimme verloren, die Karriere ist ruiniert, seine Frau hält ihn zum Narren - keine Frage also, daß Don Vito sich seiner annimmt. Johnnys Karriere wäre mit einem Schlag zu retten, wenn er die Hauptrolle in einem bestimmten Film bekäme - doch der Produzent Jack Woltz will sie ihm partout nicht geben, obwohl er die ideale Besetzung wäre.

Einen Einblick in die Methoden des Don und damit in die `Macht der Mafia' läßt sich daraus gewinnen, wie Don Vito dieses Problem löst. Zunächst schickt er Tom Hagen zu Woltz, um diesem äußerst attraktive Angebote zu unterbreiten - wenn der Produzent sich bereit erklärte, Johnny die Hauptrolle zu geben. Doch Woltz, der sich für einen mächtigen Mann hält, bleibt stur. Die geschäftlichen Verhandlungen stellen sich im nachhinein als reine Farce heraus, was der Don auch nicht anders erwartet hat. Doch dann, als der Filmproduzent in seinem Bett den abgetrennten Kopf seines Lieblingspferdes findet, erlebt er den Schock seines Lebens und versteht, mit wem er es zu tun hat - und Johnny Fontane bekommt die Rolle. Im Film ist diese Szene eine der grausamsten, die auch den Zuschauer unvorbereitet trifft. Im Buch werden an dieser Stelle zugleich die Vorstellungen des Autors über `Macht und Mafia' im allgemeinen deutlich:

Er war zutiefst schockiert. Was für ein Mann war das, der es fertigbrachte, ein Tier im Wert von sechshunderttausend Dollar umzubringen? Ohne vorherige Warnung? Ohne Verhandlungen, bei denen die Tat, der Befehl zu dieser Tat hätte zurückgezogen werden können? Diese Skrupellosigkeit, diese totale Mißachtung jeglicher Werte deuteten auf einen Mann hin, dem nur der eigene Wille Gesetz war, für den es nur einen einzigen Gott gab: sich selbst. Ein Mann, der seinen Willen mit so viel Macht und Klugkeit durchsetzte, daß davor seine, Woltzens, Stallwache zu einer Farce wurde. (...) Woltz war nicht dumm, er war nur überaus egoistisch. Er hatte irrtümlicherweise seine Macht für größer gehalten als die Macht Don Corleones. Ein einziger Beweis dafür, daß er sich irrte, genügte ihm. Nun begriff er. Begriff, daß er trotz all seines Reichtums, trotz seiner Verbindungen zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, trotz seiner Behauptung, mit dem Leiter des FBI befreundet zu sein, von einem obskuren Importeur italienischen Olivenöls umgebracht werden würde. Tatsächlich umgebracht werden würde! Weil er Johnny Fontane nicht die Filmrolle geben wollte, die er sich wünschte. Es war unglaublich. Kein Mensch hatte ein Recht, so etwas zu tun. Es war Wahnsinn. Es bedeutete, daß man mit seinem eigenen Geld, mit den Unternehmen, die man besaß, mit der Macht, Befehle zu erteilen - daß man mit alldem nicht tun konnte, was man wollte. Das war zehnmal schlimmer als Kommunismus. Dem mußte ein Ende gemacht werden. So etwas konnte man nicht dulden. (S. 86f.)

Doch zurück zu Don Vito und der eigentlichen Geschichte um die Corleone-Familie. Eines Tages tritt Virgil Solozzo, `der Türke', an den Don heran und will ihn als Teilhaber für sein geplantes Drogengeschäft gewinnen. Solozzo steht nicht allein, er hat die mehr oder minder offene Rückendeckung der anderen fünf New Yorker Familien; vor allem die Tattaglias stehen hinter ihm. Als der Don dankend ablehnt, kommt das einem Affront gleich, denn ohne die Protektion Don Corleones, der auf die New Yorker Richter einen erheblichen Einfluß hat, läßt sich dieses Geschäft nicht verwirklichen. Während dieser Unterredung begeht Sonny einen schwerwiegenden Fehler, denn mit seiner Frage nach der Profitbeteiligung der Corleonen gibt er zu erkennen, daß er dieses Geschäft gutheißt. Für Solozzo ist das Grund genug, Don Vito zu ermorden. Sein Plan, nun mit Sonny ins Geschäft zu kommen, schlägt jedoch fehl, denn der Pate überlebt, von vielen Kugeln getroffen. Zwischen den Familien bricht Krieg aus, die Gegenseite entführt Tom Hagen, um Verhandlungen zu erzwingen. Solozzo schlägt den jüngsten Sohn Mike als Verhandlungspartner vor, zweifellos deshalb, weil er ihn nicht für voll nimmt.

Doch gerade mit Mike, der sich aus den Familiengeschäften bislang herausgehalten hatte, geht nach dem Mordanschlag auf seinen Vater eine tiefgreifende Veränderung vor. Don Vito liegt noch immer schwerverletzt im Krankenhaus, sein Leben ist in Gefahr, solange Solozzo lebt - keine Frage also, daß `der Türke' beseitigt werden muß. Doch das Wer und Wie ist das große Problem, denn kein Corleone kommt überhaupt an ihn heran. Mike überrascht seine Familie, als er erklärt, er werde Solozzo bei dem verabredeten Treffen umbringen, und einen Polizeicaptain, der einen weiteren Anschlag auf den Don ermöglicht hatte, gleich dazu. Diesen Captain McCluskey sah Solozzo als seine Lebensversicherung an, weil niemand es wagen würde, einen New Yorker Polizeioffizier zu töten.

Wie dieses wahnwitzige Unternehmen gelingt und welche Konsequenzen den Corleonen daraus erwachsen, soll hier nicht verraten werden. Nur soviel: Mike muß nach der Tat flüchten, er wird sofort nach Sizilien verschifft und lebt in Corleone, der alten Heimat seines Vaters, unter dem Schutz eines befreundeten Don. Es wird zwei Jahre dauern, bis Michael zurückkommen und unbehelligt in New York leben kann. Mit Mikes Verbannung und einem offenen Familienkrieg, bei dem die Corleonen Bruno Tattaglia, einen der Söhne der Familie Tattaglia, töten, ist es jedoch nicht getan. Nein, es kommt noch viel schlimmer: Sonny, der älteste Sohn, der seinen Vater bis zu dessen Genesung in allen Geschäften vertrat, wird nach einer Phase relativer Ruhe von den Feinden der Familie ermordet.

Was dann folgt, versetzt dem Leser, der bis dahin geglaubt hat, in dem Don einen Menschen gefunden zu haben - und sei es als literarisch-fiktive Figur! - die unter allen Umständen Wort hält und niemals klein beigibt, zunächst einen gelinden Schock. Der Don steht von seinem Krankenlager auf, noch bevor ihm die Nachricht vom Tod seines Sohnes überbracht wird, und nimmt die Geschicke der Familie wieder in die Hand. Wer nun einen unnachgiebigen Rachefeldzug erwartet, wird bitter enttäuscht: Don Vito untersagt seinen Leuten jegliche Aktionen, sie dürfen nicht einmal in Erfahrung bringen, wer Sonny umgebracht hat. Dann beruft der Don eine Konferenz ein, an der neben den fünf großen New Yorker Familien auch die zehn größten des ganzen Landes teilnehmen - und macht ein Friedensangebot. Dabei ist er so überzeugend, daß ihm die anderen Dons Glauben schenken, von einem stillschweigenden Mißtrauen bei manchen, die auch allen Grund dazu haben, einmal abgesehen:

Ich bin bereit, Frieden zu schließen. Tattaglia hat einen Sohn verloren, ich habe einen Sohn verloren. Wir sind quitt. Wohin käme es mit der Welt, wenn die Menschen wider alle Vernunft ihren Groll hegten und pflegten? Das ist das Kreuz Siziliens. Dort haben die Männer so viel mit ihrer Vendetta zu tun, daß ihnen keine Zeit bleibt, das Brot für die Familien zu verdienen. So etwas ist dumm. Darum sage ich jetzt, laßt die Dinge wieder so sein, wie sie zuvor gewesen sind. Ich habe nichts unternommen, um herauszufinden, wer meinen Sohn verraten und umgebracht hat. Kommt es zum Frieden, werde ich das auch in Zukunft nicht tun. (S. 367)

Doch das allein reicht natürlich nicht, um die anderen Dons, also Männer seines Schlages, von seinen Friedensabsichten zu überzeugen - und vor allem davon, daß er auf Rache für seinen Sohn Sonny verzichten will:

"Und was unser eigenes Leben betrifft: Wir sind den pezzinovanta verantwortlich, die sich erdreisten, uns zu sagen, was wir mit unserem Leben anfangen sollen, die Kriege erklären, die wir für sie auskämpfen müssen, um das zu schützen, was sie besitzen. Wer sagt, daß wir den Gesetzen gehorchen müssen, die sie in ihrem Interesse zu unserem Nachteil erlassen haben? Und wer sind sie, daß sie sich einmischen, wenn wir für unsere eigenen Interessen arbeiten? Sonna cosa nostra", sagte Don Corleone. "Das sind unsere Angelegenheiten. Wir werden unsere Welt selbst regieren, denn es ist unsere Welt, cosa nostra. Sonst werden sie uns einen Ring durch die Nase ziehen, wie sie den Millionen von Neapolitanern und den anderen Italienern in diesem Land den Ring durch die Nase gezogen haben. Aus diesem Grund verzichte ich auf Rache für meinen toten Sohn, zum Besten von uns allen. Solange ich für die Handlungen meiner Familie verantwortlich bin, schwöre ich, daß kein Finger gegen einen der Anwesenden gehoben wird, es sei denn, es liegt ein gerechter Grund und äußerste Provokation vor." (S. 375)

Doch es gibt einen, der nicht glauben kann, was der Don hier gesagt hat; auch dann nicht, nachdem er in der eigenen Familie Maßnahmen getroffen hat, die voll und ganz diesem Friedensangebot entsprechen. Es ist der irische consigliori Tom Hagen, den der Don noch am selben Abend fragt, ob ihm eine seiner Entscheidungen mißfalle:

Hagen läßt sich Zeit mit der Antwort. "Nein", sagt er dann. "Aber ich finde sie nicht konsequent, nicht Ihrem Wesen entsprechend. Sie sagen, daß Sie nicht wissen wollen, wie Santino umgebracht wurde, daß Sie keine Rache für ihn nehmen wollen. Ich glaube Ihnen das nicht. Sie haben Ihr Wort gegeben, daß Sie Frieden halten werden, und darum werden Sie ihn auch halten. Aber ich kann es nicht glauben, daß Sie Ihren Feinden so einfach den Sieg überlassen, den diese heute gewonnen zu haben scheinen. Sie haben mir da ein gewaltiges Rätsel aufgegeben, das ich nicht lösen kann. Wie könnte ich da billigen oder mißbilligen?" Auf Don Corleones Gesicht trat ein zufriedener Ausdruck. "Nun, du kennst mich wirklich besser als alle anderen. Obwohl du kein Sizilianer bist, habe ich einen aus dir gemacht." (S. 381)

Mehr soll hier auch wirklich nicht verraten werden, damit für einen potentiellen Leser dieses Thrillers noch genug Spannung übrigbleibt. Daß die Erwartungen, die an die Person des Paten geknüpft werden, am Ende doch erfüllt werden, liegt auf der Hand, auch wenn darüber vielleicht noch Jahre vergehen, was der Sache keinen Abbruch tut. Denn, wie Don Corleone sagt: "Rache ist eine Speise, die kalt serviert am besten schmeckt." (S. 519)

Dieses am Ende eingelöste Versprechen bietet eine Gelegenheit, um auf die Frage, was an diesem spannenden und oft auch rührenden Thriller so faszinierend ist, zurückzukommen. Wäre die Erzählung an der Stelle zu Ende gewesen, wo der Don, noch gezeichnet von seinen schweren Verletzungen und dem Tod seines ältesten Sohnes, seinen `Frieden' macht - es wäre mit Sicherheit kein Bestseller geworden. Mario Puzo hat es jedoch verstanden, die mehr oder minder offenen Wünsche und Sehnsüchte nach bedingungsloser Verläßlichkeit nicht nur anzusprechen, sondern auch zu erfüllen - Roman ist Roman.

Daß am Ende das Ideal des anständigen, wohlhabenden Amerikaners hochgehalten wird, rundet dieses Bild nur ab und wirkt der Frage entgegen, ob hier nicht klammheimliche Sympathie für `die Mafia' vermittelt wird. Das Weltbild Mario Puzos, das auch für diesen Roman Pate gestanden hat, kommt wohl auch in einem kurzen Zitat zum Ausdruck, das der Autor seinem Werk vorangestellt hat:


"Hinter jedem großen Vermögen
steht ein Verbrechen."
BALZAC

Der Begriff Mafia, ein Wort italienisch-arabischer Herkunft, bedeutet vom Wortursprung her auch nicht, wie er heutzutage meist verwendet wird, `verbrecherische Organisation'. Laut Duden heißt Mafia zunächst einmal `Geheimbund [in Sizilien]'. Das Wort `geheim', um das einmal etymologisch weiterzuverfolgen, wurde von `Heim' abgeleitet und bedeutete zunächst `zum Haus gehörig, vertraut', bevor es dann als Adjektiv im Sinne von `heimlich, [streng] vertraulich' gebräuchlich wurde. Natürlich geben diese Wortbedeutungen wenig Aufschluß über die Frage, was unter `Mafia' in Sizilien ursprünglich wohl zu verstehen war. Mario Puzo gibt auf diese ungestellte Frage innerhalb seines Romans folgende Antwort:

Ursprünglich hatte das Wort `Mafia' einen Zufluchtsort bezeichnet. Dann wurde es der Name für eine Geheimorganisation, die gegen die Herrscher kämpfte, von denen das Land und seine Bevölkerung seit Jahrhunderten ausgebeutet wurden. Sizilien war grausamer unterdrückt worden als irgendein anderes Land in der Geschichte. Die Inquisition hatte Arme und Reiche gefoltert. Die adeligen Gutsbesitzer und die Würdenträger der katholischen Kirche herrschten mit absoluter Macht über die Schafhirten und Bauern. Das Instrument dieser Macht war die Polizei, und sie identifizierte sich so sehr mit der herrschenden Kaste, daß es für einen Sizilianer die tödlichste Beleidigung ist, ein Polizist genannt zu werden. Angesichts der Grausamkeit der absoluten Macht lernte das Volk seinen Zorn und seinen Haß zu verbergen - aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Es lernte, niemals eine Drohung auszusprechen, denn damit hätte man sich eine Blöße gegeben und einen Gegenschlag herausgefordert. Man sah in den Behörden den Feind - wenn es also darum ging, erlittenes Unrecht wiedergutzumachen, wandte man sich an die Rebellen der Untergrundbewegung, an die Mafia. Und die Mafia festigte ihre Macht mit dem Gesetz des Schweigens, mit der omerta. Ein Fremder, der auf dem Land einen Sizilianer nach dem Weg in die nächste Stadt fragt, erhält nicht einmal eine Antwort. Und das größte Verbrechen, dessen sich ein Mafiaangehöriger schuldig machen kann, ist es, der Polizei den Namen des Mannes zu nennen, der ihn soeben niedergeschossen oder ihm einen anderen Schaden zugefügt hat. (S. 416f.)

Müßig, darüber zu spekulieren, ob es in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts und in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA einen Mann wie Don Corleone tatsächlich gegeben hat oder nicht. Die Vorstellungen, die Mario Puzo im obigen Zitat über die sizilianische Mafia zum Ausdruck gebracht hat, werden bei seiner Beschreibung Don Vitos sicherlich ausschlaggebend gewesen sein - niemals hat der Don auch nur die leiseste Drohung ausgesprochen, niemals wäre es ihm eingefallen, mit der Polizei zu kooperieren.

Erwähnenswert wäre in diesem Zusammenhang noch einmal der Bestattungsunternehmer Amerigo Bonasera, dem der Don Genugtuung für seine mißhandelte Tochter verschafft hatte. Eines Tages erhält Bonasera tatsächlich den Anruf, vor dem er sich lange Zeit so gefürchtet hatte: Tom Hagen kündigt ihm an, der Don käme persönlich zu ihm, um ihn um eine Gefälligkeit zu bitten - und Bonasera sieht seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden:

Amerigo Bonasera fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog. Es wurde ihm plötzlich übel. Es war nun über ein Jahr her, daß er sich dem Don verpflichtet hatte, um die verletzte Ehre seiner Tochter zu rächen, und im Laufe der Zeit hatte er das Bewußtsein, daß er diese Schuld einmal abbezahlen mußte, allmählich verdrängt. Anfangs, als er die blutigen Gesichter dieser zwei Rowdys gesehen hatte, war er so dankbar gewesen, daß er für den Don einfach alles getan hätte. Aber die Dankbarkeit schwindet schneller als die Schönheit. Jetzt fühlte sich Bonasera so elend, als drohe ihm eine Katastrophe. (S. 326)

Und wenig später, noch bevor er in seinem Geschäft den Don empfängt:

Er wartet mit dem Gefühl äußerster Verzweiflung. Denn er wußte ziemlich genau, welchen Dienst er dem Don zu leisten hatte. Im vergangenen Jahr hatte die Familie Corleone gegen die fünf großen Mafiafamilen von New York Krieg geführt, und das Gemetzel hatte die Presse mit Schlagzeilen versorgt. Auf beiden Seiten hatte es viele Tote gegeben. Jetzt aber hatten die Corleones vermutlich einen so wichtigen Mann umgebracht, daß sie seine Leiche verschwinden lassen mußten. Und wo war die Gelegenheit dazu günstiger als bei einem Bestattungsunternehmer, der sie ganz offiziell bestatten konnte? Amerigo Bonasera machte sich keine Illusionen über das, was man von ihm verlangen würde. Es handelte sich eindeutig um Beihilfe zum Mord. Wenn das ans Licht kam, verschwand er auf lange Jahre hinter Gittern. Seine Frau und seine Tochter würden in Schande leben müssen, sein guter Name, der ehrbare Name Amerigo Bonasera, würde durch den blutigen Schmutz des Mafiakrieges gezogen. Er gestattete sich noch eine Camel. Und dann fiel ihm etwas noch weit Entsetzlicheres ein: Wenn die anderen Mafiafamilen erfuhren, daß er den Corleones geholfen hatte, dann würden sie auch ihn als einen Feind behandeln. Sie würden ihn umbringen! Und jetzt verfluchte er den Tag, da er zum padrino gegangen war und ihn um Rache gebeten hatte. (328f.)

Und tatsächlich, als der Don mit seinen Leuten kommt, bringen sie ihm eine Leiche:

"Ich will, daß du all deine Kunstfertigkeit, all deine Geschicklichkeit anwendest, wenn du mich liebst", sagte er. "Ich möchte nicht, daß seine Mutter ihn so sieht." (S. 330)

Es ist Sonny, der ermordete Sohn des Don. Ob Bonasera überhaupt zu Bewußtsein gekommen ist, wie sehr seine Befürchtungen seinen eigenen Vorstellungen entsprachen und nicht dem, worum ihn der Don tatsächlich bat, ist dem Roman nicht zu entnehmen.


Mario Puzo
Der Pate
Titel der amerikanischen Originalausgabe: The Godfather
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1971