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BUCHBESPRECHUNG/074: Karl May - Und Friede auf Erden (Reiseerzählung) (SB)


Karl May


Und Friede auf Erden



Et in terra pax - Karl Mays antiimperialistischer Coup ...
"Ich hatte eine liebe, alte, gute Großmutter -, die sagte mir, als ich bereit stand, in die Welt zu gehen: 'Bilde dir ja nie ein, dass du besser seist als andere Leute! Hinter jedem Menschen, mit dem du sprichst, steht ein Engel. Du kannst ihn nicht sehen; aber er ist da; er sieht alle deine Gedanken, und wenn sie misswollend sind, so kränkst du ihn. Und bedenke, dass der Engel des Negers genauso licht, so rein und so dankbar wie der deine ist!'" (S. 183)

1897 werden in China zwei deutsche Missionare ermordet, ein Ereignis wie gerufen für das deutsche Kaiserreich, das schon lange nach einer Gelegenheit gesucht hatte, sich wie andere westliche Nationen, einen Zugriff auf China zu sichern. So schickt Wilhelm II. eilig drei Panzerschiffe als 'Ostasiatische Kreuzerdivision' nach China, eine Drohgebärde, mit der sich die Deutschen einen Pachtvertrag über 99 Jahre für Kiaotschou nebst Handelsprivilegien erzwingen. Die koloniale Ausbeutung verschärft die schon große Not der armen Land- und Stadtbevölkerung. So ist es kein Wunder, daß sich diese vermehrt zur Wehr setzt und sich der im Widerstand gegen das Kaisertum entstandene 'I-ho-t'uan', der 'Schutzverband für Einheit und Gerechtigkeit', auch gegen die europäischen Eindringlinge richtet. Der sogenannte Boxeraufstand wird von den Westmächten als Vorwand für weitere Interventionen benutzt. Deutsche Zeitungen verbreiten die Mär von einem Massaker an Europäern in Peking, und die Vossische Zeitung zieht den Schluß:

Es ist ein schwerer, vielleicht langwieriger Krieg, der den Mächten aufgedrängt worden ist, aber er muß geführt werden zum Besten der Zivilisation. Und er kann nicht früher beendet werden als bis den Chinesen ein für allemal die Hoffnung und die Möglichkeit genommen ist, Europa und der Gesittung Hohn zu sprechen.

Nach einer Woche stellt sich die Nachricht vom Massaker in Peking als falsch heraus, doch das spielt zu dem Zeitpunkt schon keine Rolle mehr. Die Westmächte ihrerseits richten ein Blutbad an und schlagen den chinesischen Widerstand nieder. Am 10. Januar 1901 beugt sich die Kaiserin dem Friedensdiktat der Kolonialmächte und rettet ihre Regentschaft und die Einheit des Reichs auf Kosten des chinesischen Volkes.

In der Folge dieser in Deutschland als ruhmreich gefeierten Taten tritt im Jahre 1901 der Verleger Joseph Kürschner mit der Bitte an Karl May heran, er möge sich mit einem erzählenden Beitrag an einem großen Sammelwerk über China beteiligen. Dieser sagt zu, wie er später berichtet, ohne zu wissen, daß das Werk "der 'patriotischen' Verherrlichung des 'Sieges' über China gewidmet" war. (S. 435) Daß es sich um ein solches handelt, ist ihm wohl spätestens mit der ersten Ausgabe bekannt, wenn nicht schon früher, wie sein Biograph Christian Heermann meint. Wie auch immer, man muß keinesfalls annehmen, daß der Autor nicht wußte, was er tat, sondern kann dies in den Bereich der Darstellung verweisen. Vielmehr nutzt er wohl die Gelegenheit, seine Stimme nicht nur gegen den deutschen Militarismus, sondern ganz allgemein gegen koloniale Eroberung, Unterdrückung und zwangsweise Missionierung zu erheben und den deutschen Jubelbürgern einmal kräftig vors Schienbein zu treten. Denn er liefert nicht das, was man von ihm als deutschem Volkschriftsteller als Beitrag zu dem vom Verleger geplanten Monument für die "Ruhmestaten deutscher Kriegskunst" einfordert, sondern das genaue Gegenteil: einen Appell für Frieden, Völkerverständigung und Toleranz.

Ist es für den Menschen denn gar so schwer, dem Bruder auch eine berechtigte Eigenart, eine gleichwertige Individualität zuzutrauen? Muss denn jeder, der sich erlaubt, anders zu sein, darum gleich als minderwertig gedacht werden? (S.182/183)

Eingebettet in seine spannende Reiseerzählung legt er eine Analyse westlicher Überheblichkeit und Vorurteilskultur vor

Von den ersten Kinderschuhen an hat man durch alle Klassen der Volks-, höheren und höchsten Schulen über die Chinesen nichts anderes gehört, als daß sie wunderlich gewordene, verschrobene Menschen seien, über die die Weltgeschichte schon längst den Fluch der Lächerlichkeit ausgesprochen habe. In unzähligen Büchern, Zeitungen und sonstigen Veröffentlichungen wird dieses billige Urteil breiter und immer breiter getreten; man atmet es ein; man schluckt es hinunter; es geht auf die Knochen, in Fleisch und Blut über und bildet einen so unausrottbaren Bestandteil unserer geistigen Existenz, daß wir gar nicht mehr auf den Gedanken kommen zu fragen, ob es wahr und also berechtigt war. (S. 181)

und stellt rücksichtsloses Vormacht- und Gewinnstreben der Westmächte an den Pranger.

Haben wir jemals ihr Blut vergossen? Haben wir sie jemals beleidigt, befeindet, übervorteilt und betrogen, wie sie es untereinander tun? Verlachen wir ihre Voreltern? Spotten wir über ihre Geschichte? Nein! Trachten wir nach den Schätzen ihrer Bergwerke, nach den Früchten ihrer Felder, nach den Erträgen ihrer Industrie? Nein und wieder nein und dreimal nein! Also frage ich: Woher nehmen sie das Recht, wie Bazillen durch alle leiblichen und geistigen Poren in den Körper und in die Seele unserer Nation einzudringen und an dem so genannten 'gelben' Mann denselben Rassenmord zu verüben, an dem der 'rote' auch schon zugrunde gegangen ist? (Fang, S. 154/155)

Daneben schildert er nicht nur den Erkenntnisweg eines britischen Ex- Gouverneurs vom Rassisten und bornierten Adligen zum Menschen, der anderen von Mensch zu Mensch gegenübertritt, sondern auch den langen Heilungsprozeß eines fanatischen deutsch-amerikanischen Missionars, der viel Schuld auf sich lädt und um so größere Zuwendung und Vergebung erfährt sowie die kleinen und großen Erleuchtungen weiterer Bundesgenossen.

"Lacht nur, Sir, immer lacht!", fuhr der andere fort. "Ihr wißt ja gar nicht, warum er mir imponiert! Diesem Sejjid ist meine Hautfarbe, meine Nationalität, meine Lordschaft, meine, meine Governorschaft und alles, alles, worauf mein ganzer Stolz beruht, schnuppe, vollständig schnuppe! Für ihn bin ich nur Mensch, gerade so wie er, weiter nichts! Und das, gerade das gefällt mir von dem Kerl!" (Governor, S. 275)

Für Karl May als Ich-Erzähler gilt das vorgelebte Beispiel. Er hält nichts auf Geschwätz und Prahlerei, wirkt lieber im Stillen und damit um so wirksamer. Er kann aber auch kräftig zupacken, wenn es die Situation aus seiner Sicht erfordert. Da wird dann schon mal eine Gruppe besonders frecher britischer Zeitgenossen, die die nächtliche Ruhe stören und einen Chinesen tätlich bedrohen und noch dazu nicht +++hören wollen, von unseren Helden kurzerhand die Treppe hinuntergeworfen. Der Allerfrechste von ihnen wiederum, wird bei der nächsten Gelegenheit von dem Diener des Erzählers, einem aufrechten und stolzen Ägypter, aus höchster Seenot gerettet. Und dieser kommentiert dies zu allem Überfluß auch noch mit:

Wir haben ihn die Treppe hinuntergeworfen; das war die Strafe. Und wenn die Strafe vorüber ist, so ist auch die Tat vorüber; man darf nicht mehr an sie denken. Wozu wäre denn die Strafe, wenn die Tat noch bliebe? So denke ich, Sihdi! Denkt Ihr Christen etwa anders? Werft Ihr einem Manne, der bestraft worden ist, die Strafe und die Tat später noch vor? (Sejjid, S. 169)

Karl May vertritt durchaus das Recht des Angegriffenen auf Verteidigung und des Okkupierten darauf, den Aggressor aus dem Land zu befördern. Darüber hinaus entwirft er das Konzept einer weltweiten Friedensbewegung, die in ihrem christlich-religiösen Charakter zwar fraglich, jedoch, wenn man sie als Bild nimmt, wie auch den von ihm vorgestellten, dem Zeitgeist entsprechenden Edelmenschen, seine tiefe Überzeugung zeigt, daß Menschen sich über alle Schranken hinweg verständigen, respektieren und voranbringen können.

'Beherzigt dann der Christ, was ihm von seinem Herrn befohlen ward, so wird er uns als gleich begabt und gleichberechtigt anerkennen und unser Bruder sein. Dann mag er zu uns kommen, um bei uns zu wohnen und zu lehren. Den Glauben und die Liebe eines Bruders weist man nicht zurück!' (Fang, S. 161)

Karl May erschreibt sich eine Welt, die er lebenswert findet. Natürlich kann man sich überlegen, ob man diese gern teilen würde oder nicht, doch gebührt ihm dabei aller Respekt als ein Mensch, der die Auseinandersetzung mit seinen Traum von einer besseren Welt nicht scheut und nicht vergißt. Der Titel "Und Friede auf Erden" ist nicht ungewöhnlich für ihn. Er hat lediglich mit zunehmendem Alter eine Grundposition ausgefeilt, die er Zeit seines Lebens vertreten hat. Das Buch enthält eine Menge Anregungen, sich mit grundlegenden Fragen zu beschäftigen und ist aus dem Grunde schon lesenswert. Daß es jenen ein Dorn im Auge war, die sich mit ihrer waffentechnischen und zivilisatorischen Überlegenheit blutig brüsteten, liegt auf der Hand; an Aktualität hat es höchstens gewonnen.

Da flammte es augenblicklich auf, das Kreuz der Christenheit. 'In hoc signo vinces - in diesem Zeichen wirst du siegen.' Jawohl, das ist richtig. Aber nicht mit kriegerischen Waffen, durch gewappneten Verrat und Überfall, sondern durch das Wort der Liebe und durch seine friedliche, versöhnende, ausgleichende Tat des Erlösers, die er wagte, als er öffentlich sprach: 'Die Letzten werden die Ersten und die Ersten die Letzten sein!' Gleichen Raum und gleiches Recht für jeden, der zur Menschheit gehört auf Erden! (S. 497)

Eine ganze Kette von Parallelen zu den Ereignissen in China, die der Anlaß für Karl Mays Ausführungen waren, ist nicht zu übersehen. Ob es sich um Sender Gleiwitz und die Anzettelung des 2. Weltkriegs oder die Angriffskriege auf Restjugoslawien, Afghanistan und Irak handelt, die vorgeschobenen Gründe und die Herangehensweise sind die gleichen. Und nach wie vor zählt allein das Interesse des Eroberers. Daß der Vertrag von Rambouillet, dem Slobodan Milosevic sich verweigerte, die Preisgabe der jugoslawischen Souveränität beinhaltete, erfuhr man später, doch es spielte keine Rolle mehr. Daß die Taliban an den Ereignissen des 11. September 2001 keinen Anteil hatten, wurde später eingeräumt, doch es spielte keine Rolle mehr. Daß die Geschichte von den babymordenden irakischen Soldaten die Erfindung einer US-PR- Agentur war, erfuhr man später, doch es spielte keine Rolle mehr. Und daß der Irak keine Massenvernichtungswaffen besaß, konnte später ruhig bestätigt werden, denn es spielt jetzt keine Rolle mehr. Und so kann man Karl Mays Worten damals wie heute beipflichten:

Wisst Ihr nun, was wir Europäer unter 'zivilisieren' verstehen? Es kann mir nicht beikommen, ein einzelnes Land, eine einzelne Nation anzuklagen. Aber ich klage die ganze sich 'zivilisiert' nennende Menschheit an, dass sie trotz aller Religionen und trotz einer achttausendjährigen Weltgeschichte noch heutigen Tags nicht wissen will, dass dieses 'Zivilisieren' nichts anderes als ein 'Terrorisieren' ist! (Sir Raffley, S. 249)


Karl May
Und Friede auf Erden
Reiseerzählung
Gesammelte Werke Bd. 30
Marl-May-Verlag, Bamberg und Radebeul
14,90 Euro
ISBN 3-7802-0030-9