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BUCHBESPRECHUNG/066: Haensel - Perry Rhodan, Kosmos-Chroniken (SciFi) (SB)


Hubert Haensel


Perry Rhodan

Kosmos-Chroniken - Reginald Bull



Die umfangreichste Science-fiction-Serie der Welt nennt sich zwar "Perry Rhodan", aber Leben hauchen ihr häufig die vielen anderen Handlungsträger irdischer und außerirdischer Herkunft ein. Die Figur des Perry Rhodan ist auf diesen Kontrast angewiesen, damit sie sich selbst nicht abnutzt; Schrullen und Kanten dürfen nur die anderen Charaktere haben, nicht aber Perry Rhodan selbst, denn dann würde die Figur nach einiger Zeit veröden. So weist die zentrale Figur der inzwischen über 2000 Hefte und Hunderte von Taschenbüchern umfassenden Serie nur wenige Eigenheiten auf, die dann auch noch unverfänglich sind. Perry Rhodan gilt als vorausschauend und überblickt Zusammenhänge, die seine Mitstreiter im ewigen Kampf gegen die kosmischen Mächte nicht erkennen, und er wird als Sofortumschalter bezeichnet, was bedeutet, daß er häufig schneller als andere reagiert und sich auf veränderte Bedingungen rasch einstellen kann.

Ansonsten bleibt Perry Rhodan grau, und das ist gut so! Würde er beispielsweise so versessen auf Mohrrüben sein wie der Mausbiber Gucky, so wäre diese Eigenart nach 2000 Heften sicherlich abgenutzt. Das haben auch die Autoren berücksichtigt, indem sie den vorwitzigen Ilt nur noch sporadisch einsetzen. Oder wenn Perry Rhodan regelmäßig ein kaltes Lächeln wie der "Smiler" Ronald Tekener aufsetzte, das selbst irgendwelche Fremdwesen aus einer anderen Galaxis beeindrucken soll, und die Autoren ein jedesmal darauf anspielten, dann würde den Lesern dies nach spätestens hundert Heften zuviel sein.

Ähnlich sparsam, wie der Charakter Perry Rhodans gezeichnet wurde, wird auch sein bester Freund Reginald Bull, "Bully" genannt, beschrieben. Auch er war von Anfang an eine tragende Figur der Handlung, und die Schreiber mußten sehr behutsam mit ihr umgehen, damit sie nicht abstumpft. Bully erfüllte vor allem in der Anfangszeit die Rolle des ewigen Seargents oder Bordingenieurs, also einer Person, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, häufig kein Blatt vor den Mund nimmt und lospoltert und natürlich keine Scheu hat, sich die Finger schmutzig zu machen, die Schreibtischarbeit haßt und so gutmütig ist, daß sie mitunter den Spott ihrer Kameraden auf sich zieht. In späteren Heften wandelt sich der Charakter unmerklich, und Bully wird zu jemandem, der im Laufe seines jahrhundertelangen Lebens höchste politische Ämter bekleidet und auch Bürokram effizient erledigt hat. Ungeachtet dessen ist ihm allerdings das Kommando über einen EXPLORER mit einer reibungslos agierenden Mannschaft allemal lieber als Verwaltungsarbeit.

Auch der Charakter des unsterblichen Bull beschränkt sich auf wenige Merkmale wie roter Bürstenhaarschnitt, Sommersprossen, Narben im Gesicht, nicht besonders groß gewachsen, leichter Bauchansatz; ansonsten weist Bully kaum Besonderheiten auf, die sich abnutzen könnten. Anspielungen auf sein Gewicht und seine Vorliebe für schmackhafte Speisen werden immer seltener eingestreut und brauchen auch nur noch dezent verwendet zu werden. Wenn sich Bully beispielsweise die Hände reibend einer dampfenden Schüssel mit Klößen nähert, dann löst das bei dem erfahrenen Perry-Rhodan-Leser sofort ein sehr umfassendes Bild aus, das aus vielen früheren Situationen gespeist wurde.

Nun hat der Perry-Rhodan-Autor Hubert Haensel ein 512 Seiten umfassendes Werk über die kosmische Geschichte der ersten 700 Hefte aus der Sicht jenes ewigen Zweiten geschrieben, der nach Meinung vieler Leser allzuoft im Hintergrund stand und die Stellung halten mußte, während sich Perry Rhodan in die gefährlichsten Abenteuer stürzen durfte. In der Kosmos-Chronik Band I schildert Haensel noch einmal, wie die "Beuteterraner" 1971 (Handlungszeit) auf dem Mond ein arkonidisches Schiff entdecken und sich deren überragende Technologie verfügbar machen. Diesem Schritt folgen viele weitere, und mit jedem Kontakt zu einem neuen außerirdischen Volk und jeder Auseinandersetzung mit zunächst überlegenen Feinden gewinnen die Terraner an Stärke dazu. Als roten Faden hat Haensel die Zeit von August bis Oktober 3580 gewählt, als sich die Erde im Mahlstrom der Sterne befand, und diese Handlungsebene immer wieder eingestreut. Dazwischen erinnert sich Bully an die Vergangenheit und läßt seine Reminiszensen aufschreiben.

Diese Form der wechselnden Handlungsebenen und -zeiten ist ein beliebtes Stilmittel in den Heftromanen, um an bestimmten Stellen Spannung aufzubauen. So zückt dann manchesmal der fiese Gegner gerade seine Waffe, der Held klebt unbeweglich am Boden und hat eigentlich keine Chance, dem unweigerlich kommenden Schuß aus dem Thermostrahler auszuweichen - und zack!, jetzt wird erst einmal ein anderer Handlungsstrang aufgegriffen. Daß Haensel dieses Stilmittel auch bei einem so umfangreichen Roman wie die Kosmos-Chronik einsetzt, ist deswegen etwas unglücklich, weil die Geschichte dadurch insgesamt zerrissen wirkt. So streut er nicht nur die Haupthandlungsebene "Im Mahlstrom der Sterne" ein, sondern hier und da auch kurze Auszüge aus der Sammlung "Anekdoten, Aphorismen und Bonmots führender Persönlichkeiten des Raumfahrtzeitalters". Dazwischen werden dann die Kapitel mit den Erinnerungen an die Geschichte des Aufstiegs Terras geschildert; aber auch in diesen Abschnitten kommt es häufiger vor, daß sich Bully an frühere Ereignisse erinnert.

Diese Erinnerung in der Erinnerung ist zuviel. Daran wird das Dilemma des Autors deutlich, da er einerseits den Anspruch erfüllen will, eine Kosmos-Chronik aus Bullys Sicht zu schreiben - ein Vorhaben, das notgedrungen mit vielen Daten und Fakten verbunden ist, denn die Perry-Rhodan-Serie ist ungeheuer vielschichtig -, andererseits will der Autor aber auch der Figur des Reginald Bull mehr Profil verleihen, was natürlich am besten dadurch gelingt, daß man sie gefährliche Abenteuer bestehen läßt. Diese beiden Ansprüche unter einen Hut, also zwischen zwei Buchklappen zu zaubern, ist ein schwieriges Unterfangen, das Haensel nur mit Einschränkungen gelingt.

Wer die Kosmos-Chroniken als Einstiegsband für die Perry- Rhodan-Serie nimmt, ist schlecht beraten, dazu eigneten sich die Silberbände mit den überarbeiteten Heftzusammenfassungen besser. So sehr Haensel auch auf viele Orte des zurückliegenden kosmischen Geschehens eingeht, die Fülle an zur Verfügung stehendem Material mußte beschnitten werden. Dabei hat der Autor durchaus eine passende Auswahl getroffen, gegen die nichts einzuwenden ist. Vor allem, daß er Erlebnisse, die in den Heften im Mittelpunkt standen, aus Bullys Sicht im nebenbei abhandelt, hat einen gewissen Reiz; jedoch nur für diejenigen, die auch die Heftromane kennen. Ansonsten kommen die persönlichen Auseinandersetzungen Bullys zu kurz, der Leser wird mit der Figur nicht richtig warm. Zu häufig schwelgt der Unsterbliche in seinen Erinnerungen, und der Leser fiebert auch in den brisanten Situationen nicht mit. Es fehlt oft der Bezug, warum gerade eine bestimmte Raumschlacht stattfindet oder warum Bully bestimmte Befehle erteilt. Und selbst wenn Haensel etwas weiter ausholt, dann ist der Bogen noch immer nicht weit genug. Warum stellen die Meister der Insel eine so immense Bedrohung dar? Wie kam es zu den Kriegen gegen die Bestien? Für Neueinsteiger bleibt dies undurchsichtig, für "Altleser" stellt der Roman eine Ergänzung dar.

Hubert Haensel erfüllt mit der Kosmos-Chronik einen vielfachen Wunsch der Fans, die mehr von Reginald Bull erfahren möchten, der ja immer nur der zweite Mann hinter Perry Rhodan war. So haben denn die Abenteuer von Perry und Bully in der Galaxis Plantagoo großen Zuspruch erhalten, da sich die beiden dort auf sich allein gestellt und ohne überlegene Technologie durchboxen mußten - was nicht selten sprichwörtlich zu verstehen ist. Auch Andreas Eschbachs "Der Gesang der Stille" (Nr. 1935) löste begeisterte Leserbriefe aus, da der Gastautor endlich einmal wieder Bully in den Mittelpunkt der Handlung stellte. An diese spannenden Geschichten kommt Hubert Haensel mit seinen Abschnitten, in denen er Bully agieren läßt, nicht heran. Das ist sicherlich auf das zugrundeliegende Konzept der Kosmos-Chroniken zurückzuführen, die mit dem vorliegenden Band eröffnet wurden und die anscheinend ein Bindeglied zwischen einem reinen Roman und einer reinen Chronologie darstellen sollen.

Dennoch, ein Perry-Rhodan-Fan kommt um dieses Buch sicherlich nicht herum, liest er doch auf diese Weise noch einmal eine abenteuerliche Abhandlung der frühen terranischen Geschichte, ohne sich deswegen die 700 Hefte und 200 Romane vornehmen zu müssen, die der Chronik zugrundeliegen. Doch ein Muß für neue Leser, wie das Buch vom Verlag angekündigt wird, stellen Haensels Kosmos-Chroniken nicht dar.


Hubert Haensel
Perry Rhodan
Kosmos-Chroniken - Reginald Bull
VPM Verlagsunion Pabel Moewig KG, Rastatt 2000
512 Seiten, 29,80 DM
ISBN 3-8118-2096-6