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BERICHT/005: KI - kein Platz für Menschen ... (SB)


Schwarze Hafennacht in der Kaffeerösterei zur Evolution Künstlicher Intelligenz

Jay Tuck - Buchvorstellung am 28. Februar 2017 


Künstliche Wesen zu erschaffen, wäre für viele Menschen wohl der ultimative Beweis unserer Überlegenheit gegenüber der Natur, die bisher ein Monopol auf das Erschaffen von Leben hat. Natürlich können wir uns fortpflanzen, wir können klonen und DNA verändern, aber das ist nur Reproduktion und Manipulation. Es ist nicht das Wahre. Nur Pfuscherei. Wer will sich schon mit einer genetisch veränderten Gurke zufriedengeben? Wonach wir eigentlich streben, ist ein vollwertiges Frankenstein Monster à la Boris Karloff, mit Leichenteilen, Elektroschocks und ängstlichen Dorfbewohnern. In der modernen Welt müssen wir nicht einmal auf ein Gewitter warten, um die lebensspendende Elektrizität einzufangen. Die Prozedur könnte direkt neben dem nächsten Umspannwerk stattfinden. Den Körper haben wir auch schon fast fertig gebaut, obwohl das Laufen auf zwei Beinen bei unseren heutigen Robotern noch immer nicht zuverlässig klappt - Frankensteins Monster hat aber auch gehinkt, daher wäre dies eher eine Hommage an die Romanvorlage als ein technischer Mangel. Es fehlt also nur noch das Gehirn und nun stellt sich die Frage, wie weit wir mit dessen Entwicklung schon sind.

Mit dieser Frage hat sich der Journalist und Autor Jay Tuck in seinem neuen Buch "Evolution ohne uns" beschäftigt. Im Rahmen einer Schwarzen Hafennacht präsentierte er einem gespannten Publikum seinen kritischen Ausblick in die Zukunft. Darin fasst er den neuesten Stand der technischen Entwicklungen auf dem Weg zu dem gewünschten Gehirn unter dem Sammelbegriff "Künstliche Intelligenz" zusammen und warnt ausdrücklich davor, dass wir nicht in der Lage sein werden, sie zu kontrollieren. Zunächst jedoch müsste man klären, was genau eine KI überhaupt ist. Nachdem es uns schon unmöglich ist, eine alle Disziplinen umfassende Definition für die "natürliche" Intelligenz zu finden, scheint dieser Anspruch an sich schon fast vermessen zu sein. Wie also ist es möglich, eine künstliche Intelligenz zu beschreiben? Eine Methode, um wenigstens validieren zu können, ob eine sogenannte KI wirklich nach menschlichen Maßstäben intelligent ist, wäre der, nach dem britischen Mathematiker Alan Mathison Turing benannte "Turing Test". Die Idee ist im Grunde simpel: Man nehme einen Algorithmus, der getestet werden soll, und eine menschliche Versuchsperson. Ohne zu wissen, ob es sich bei dem Gegenüber um einen Menschen oder eine KI handelt, unterhalten sich die beiden miteinander über ein beliebiges Thema. Wenn die KI es am Ende des Gesprächs geschafft hat, die Versuchsperson davon zu überzeugen, dass sie sich tatsächlich mit einem Menschen unterhalten hat, gilt der Test als bestanden und der Algorithmus als intelligent. Bis heute wurde der Turing Test von keiner Software auch nur ansatzweise bestanden. Den größten Erfolg bei dem Versuch, menschliche Intelligenz zu simulieren, konnten wir im Jahr 2014 verzeichnen, als es dem Gesprächsalgorithmus "Eugene" gelang, 30% der Testpersonen irrezuführen. Dies gelang jedoch nur mit Hilfe eines Tricks: Die Software gab sich als 13-jähriger ukrainischer Junge aus und setzte damit die Erwartungen der Probanden und die Auswahl an Gesprächsthemen deutlich herab. Somit hatte auch Eugene den Test letztlich nicht bestanden.


Ein Organigramm mit den verschiedenen Unterkategorien der Künstlichen Intelligenz - Grafik: © 2017 by Schattenblick

Eine einheitliche Definition für Künstliche Intelligenz zu finden ist schwierig, zu viele Disziplinen arbeiten zusammen an einer hochkomplex vernetzten Struktur
Grafik: © 2017 by Schattenblick

Eine universell intelligente KI, die in ihrem Verhalten nicht mehr vom Menschen zu unterscheiden wäre und ihn sogar noch übertrifft, liegt also noch in weiter Ferne. Dem entsprechend musste sich auch Jay Tuck in seinem aktuellen Buch mit einer eingeschränkten Definition von künstlicher Intelligenz behelfen: Eine Software, die ihren Programmcode selbstständig fortschreibt ist eine künstliche Intelligenz. Derartige Software existiert schon seit geraumer Zeit, zumeist kommt sie jedoch sie nur in hochspezialisierten Teilgebieten zum Einsatz. Im Jahr 1996 gelang es dem Schachcomputer "Deep Blue" den damals amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow zu schlagen. Der Algorithmus wertete mehrere Millionen Züge pro Sekunde aus und errechnete daraus einen mathematisch optimierten Spielplan. Deep Blue war jedoch nicht wirklich lernfähig. Er konnte nur aus der zur Verfügung gestellten Datenmasse den jeweils besten Spielzug heraussuchen. Man könnte auch sagen, er schummelte mit 100 Millionen Spickzetteln in den Taschen. Dennoch war die Leistung von Deep Blue bahnbrechend als Beispiel für die Möglichkeiten eines Computers, den Menschen zu übertreffen. Obwohl seither kein menschlicher Spieler mehr in der Lage war, einen Schachcomputer zu schlagen, galt das Strategiespiel "Go" noch als eine Bastion der Überlegenheit des Menschen über die Maschine. Schon im Jahr 2015 fiel jedoch auch dieser Stützpunkt der Maschine zum Opfer, als ein neuer Meilenstein in der KI Forschung erreicht wurde. Die Google Software "Alpha Go" schlug im Spiel den dreifachen Go-Europameister Fan Fui mit einem Punktestand von 5:0. Anders als Deep Blue nutzte Alpha Go dazu eine Architektur, die einem neuronalen Netzwerk nachempfunden war. So war die Software in der Lage, tatsächlich selbstständig zu lernen und sich weiterzuentwickeln, indem sie neue neuronale Knotenpunkte in ihren Code schrieb und damit ein nahezu exponentielles Wachstum erreichen konnte. Alpha Go ist ein Beispiel für die nächste Generation der KI, die bereits mit Denkstrukturen arbeitet, die dem menschlichen Hirn ähneln. (Delahaye, J.P. 2016, 78 - 85) Noch einen Schritt weiter geht der IBM Großrechner "Watson", dessen Architektur darauf ausgelegt ist, die englische Sprache zu verstehen und auszuwerten. Auch Watson wurde in einem Spiel getestet und bewies in der bekannten amerikanischen Fernseh-Show Jeopardy! seine Überlegenheit. Er wird heute bereits kommerziell als "Chat bot" in der Kundenbetreuung, als Analyst für Versicherungen und sogar in der Krebserkennung eingesetzt.

Betrachtet man sich diese Entwicklungen und das nahezu exponentielle Wachstum in der Leistungsfähigkeit bestehender KIs, so kann man sich sehr gut vorstellen, dass in naher Zukunft eine Künstliche Intelligenz vorhanden sein könnte, deren kognitive Leistungen nicht nur in Spezialgebieten über denen des Menschen liegen. Eine wesentliche Randbedingung für die Entstehung von KI ist das Vorhandensein von Datenmassen, aus deren Auswertung sie lernen kann. "Big Data" ist dabei das Stichwort, auf das gesetzt wird: das Erheben, Speichern und Auswerten jeder denkbaren Information wie den Aufnahmen von Überwachungskameras, Suchanfragen auf Google und der Erfassung von Verkehrsströmen. Heute gelingt es schon sehr gut, nahezu alles zu speichern, denn die Menschheit produziert derzeit in zwei Tagen so viele Informationen, wie sie es zuvor in einem Zeitraum von zwei Millionen Jahren getan hat, geschätzt 5 Exobytes. Insbesondere die umfassende Archivierung von Überwachungsdaten durch Geheimdienste und persönlicher Daten durch Großkonzerne wie Google und Facebook machen dabei einen signifikanten Anteil des Speichervolumens aus.

In seinem Buch "Evolution ohne uns" beschäftigt sich der ehemalige Kriegsberichterstatter und Experte für Militärtechnik Jay Tuck vorrangig mit den Gefahren, die eine echte künstliche Intelligenz mit sich bringen würde. Dabei sieht er das größte Gefahrenpotential in einer globalen KI, die dezentral auf alle verfügbaren Rechensysteme verteilt wäre. Auf der Basis einer vollständig vernetzten Welt könnte ein solches System Zugriff auf alle Rechenressourcen der Erde bekommen und somit auch auf die stetig wachsende Masse an Daten haben. Jay Tuck zufolge würde sich eine solche KI dem Zugriff des Menschen entziehen, denn sie wäre mit einem Überlebensinstinkt ausgestattet und ließe sich nicht abschalten, ohne alle digitalen Systeme manuell zu deaktivieren. Der Mensch würde sich damit sozusagen in die Steinzeit zurück katapultieren. Jay Tuck beschreibt zudem ausführlich die Entwicklung moderner, autonomer Waffensysteme, auf die eine global agierende KI nach seiner Theorie Zugriff hätte. Dabei ist es dem Autor wichtig, deutlich zu machen, dass der von ihm beschriebene Stand der Technik nicht nur ausführlich recherchiert ist, sondern bereits in der Gegenwart umgesetzt wurde. Beispielhaft stellt Jay Tuck in seinem Buch eine Vielzahl unterschiedlichster Waffen- und Überwachungssysteme vor, die sich bereits im Einsatz befinden oder deren Entwicklung zumindest stark fortgeschritten ist. Leider stellt er dabei auch Thesen in den Raum, die eine komplexe Thematik unzulässig verkürzen. So zum Beispiel die Aussage, dass bereits heute Operationen am Menschen von künstlicher Intelligenz durchgeführt werden. Im späteren Verlauf des Buches relativiert er diesen Entwurf zwar und erklärt, dass dies lediglich eine Prognose sei. In seiner Buchpräsentation setzte er jedoch einen Chirurgen, der über Steuerungselemente einen Roboterarm bedient mit künstlicher Intelligenz gleich. Derartige Beispiele häufen sich leider sehr stark und je weiter das Buch voranschreitet, desto mehr bekommt man den Eindruck, Jay Tuck würde den gesamten Themenkomplex Big Data, Robotik und Informatik zu einem großen Gericht mit dem Namen "KI" verkochen, ohne dabei deutlich zwischen der Realität und seinen Visionen zu differenzieren. Dies ist insbesondere daher so schade, weil der Autor in seinen Recherchen sehr gründlich war und die Fakten journalistisch einwandfrei belegt hat. In Kapiteln mit Namen wie "BEWAFFNUNG - Das Arsenal der Killermaschinen" und "INVENTAR - Von der Wiege bis zum Grabe" werden wild Informationen gemischt, die in dem Gedankenexperiment einer boshaften Super-KI à la "Skynet" zusammenlaufen. Stilistisch schwierig zu verdauen ist auch der Hauptsatz-lastige Schreibstil mit Sätzen wie "Von den besten Universitäten sammelte das Unternehmen kluge Köpfe für KI - Mathematiker und Meeresforscher, Maschinenbauer und Mediziner, Genetiker und Geophysiker" und weiteren Alliterationen wie "Perfide Planspiele", "Nicht länger leugnen", "Beamte, Bürokratie, Brüssel". Nach 310 Seiten voll derartiger Rhetorik legt man selbst das bestrecherchierte Buch entnervt zur Seite.

Als Veranstaltung war die Schwarze Hafennacht dennoch sehr gelungen und kurzweilig. Als Ko-Moderator schuf Michael Friederici mit seiner atmosphärischen Einführung zur Entstehungsgeschichte der KI in Literatur und Technik einen wunderbaren Kontext für die Präsentation von "Evolution ohne uns" .


Jay Tuck und Michael Friederici im Halbprofil sitzen an einem Tisch in der Speicherstadt Kaffeerösterei, vor ihnen Mikrofone. - Foto: © 2017 by Schattenblick

Jay Tuck und Michael Friederici
Foto: © 2017 by Schattenblick


Jay Tuck
Evolution ohne Uns
Deutschsprachige Ausgabe 2017
336 Seiten, 19,99 Euro
Plassen-Buchverlage
ISBN: 978-3-86470-401-7


12. März 2017


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