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INTERVIEW/002: Weigerung, Widerstand, Befreiung - HC Dany im Gespräch (SB)


Interview mit Hans-Christian Dany am 3. April 2014 in Hamburg-St. Pauli



Der Autor Hans-Christian Dany hat Freie Kunst an der HfbK Hamburg studiert, war Gastdozent an mehreren Kunsthochschulen und publiziert seit 25 Jahren in verschiedenen internationalen Zeitschriften. 2008 legte er mit "Speed - Eine Gesellschaft auf Droge" eine sozial- und kulturgeschichtliche Untersuchung des Einflusses von Amphetaminen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Kunst vor. In seinem 2013 veröffentlichten Buch "Morgen werde ich Idiot - Kybernetik und Kontrollgesellschaft" wirft Dany einen kritischen Blick auf Selbstoptimierung und Entfremdung in einer systemtheoretisch konditionierten Lebenswelt, die die Frage nach Autonomie und Gemeinschaft in neuem Licht erstehen läßt. Am Rande der Feier zum 40. Jubiläum der Edition Nautilus, in der Danys Bücher erscheinen, bot sich die Gelegenheit, dem Autor dazu einige Fragen zu stellen.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

HC Dany
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Hans-Christian, wie kommt es deiner Ansicht nach dazu, daß im heutigen kulturindustriellen Betrieb eine Serie wie "Breaking Bad" erfolgreich ist, in der es um eine ziemlich zersetzende Droge geht, die wie eine ganz normale Ware dargestellt wird?

HC Dany: Diese Serien decken eine kritische Betrachtung der Gesellschaft ab und widmen sich auch bestimmten Subkulturen. Ich glaube, daß mittlerweile fast alle Drogen zum Spektrum der Konsumpalette gezählt werden und eben dadurch, daß man sie offen verhandelt, auch eine gewisse Akzeptanz finden. Die Bewegung mit diesem Ziel gibt es seit den frühen 70er Jahren. In der Liberalisierung des Sprechens über Drogen in allen gesellschaftlichen Bereichen liegt die Hoffnung, daß man ihren Konsum als grundsätzliches Bedürfnis des Menschen auf Rausch anerkennt. Da man festgestellt hat, daß es so ist, soll es wenigstens im Licht passieren. Das ist letztlich auch das Thema meines zweiten Buches, daß man versucht, all diese Dinge nicht mehr zu unterdrücken, sondern in einen Bereich der Transparenz zu rücken, so daß man sehen kann, wo etwas aus dem Lot läuft. Das kann man natürlich anstoßen, indem man solche Serien plaziert, und Dinge, die aus dem öffentlichen Gespräch herausgeraten oder seltsam besetzt sind, möglichst offen verhandelt, um diese Bereiche über Einblick steuern zu können.

SB: Speed oder Meth-Amphetamin ist unter Truckern groß geworden, also unter weißen Proletariern, die sie als Arbeitsdroge verwendet haben und damit im Grunde als Verstärker von Produktivkraft und Ausbeutungsintensität. Kannst du dir vorstellen, daß es tatsächlich ein Interesse im Kapitalismus daran gibt, den Gebrauch solcher Drogen akzeptabel zu machen, der zwar Kosten erzeugt durch die gesundheitlichen Ausfälle der Menschen, aber Arbeitskraft nichtsdestotrotz besser verwertbar macht?

HC: Ich denke nicht, daß dies durch Drogen optimiert wird. Viele Menschen können sich als Arbeitskraft ganz gut dadurch managen, daß sie kiffen, also eine eher beruhigende Droge zu sich nehmen, mit der sie ihren Streß regulieren können. Alkohol ist eine weitere Droge dieser Art. Die meisten Menschen arbeiten nicht betrunken, aber sie können sich dadurch besser regulieren. Ecstasy hingegen ist eine Droge, die bestimmte Zonen außerhalb der Arbeit sehr kompakt erleben läßt. Sie erlaubt es Leuten zu sagen: Okay, ich war draußen und hatte sehr intensive Erlebnisse, jetzt kann ich am Montag wieder zur Arbeit gehen.

Crystal Meth ist in hohem Maße die Droge derjenigen gewesen, die gar nicht mehr an den Kreislauf von Arbeit angeschlossen sind. Das hat damit zu tun, daß sie ziemlich günstig herstellbar ist und sich in Trailer-Parks lebende Leute in den USA damit selber versorgen können. Crystal Meth ist ungefähr vor 20 Jahren aufgetaucht und ist eher die Droge bestimmter Milieus, deren Benutzer auf diese Weise an Intensitäten teilhaben können, von denen sie komplett ausgeschlossen sind, und die mit der Droge eine Leistungsfähigkeit für sich simulieren, die ihnen gar nicht mehr abverlangt wird. Dann gibt es natürlich auch Leute, die Crystal in einer anderen Dosis einsetzen, um wachzubleiben und den Körper schneller am Laufen zu halten.

Man kann mit Crystal oder Methamphetaminen schwerlich bestimmte Komplexe über längere Zeit erarbeiten, da es die Konzentrationsfähigkeit zu sehr zersetzt. Man kann natürlich im Call Center arbeiten oder sehr simple Arbeiten durchführen. Es ist nicht so, daß diese Drogen einem Energie geben, sondern sie schieben nur die Erschöpfung hinaus. Das heißt, die Regeneration muß irgendwann nachgeholt werden. Die These, daß Drogen Beschleuniger von Arbeitskraft seien, ist meines Erachtens zu allgemein, zumal Arbeit heutzutage viel komplexere Zusammenhänge einschließt. So kokst vielleicht jemand, der in einem Bereich arbeitet, wo er kompakt Selbstbewußtsein repräsentieren muß. Da ist die Droge eher wie eine Schule. Er erlebt sich unter dem Einfluß der Droge extrem selbstbewußt und kann das später reproduzieren. Manche koksen auch, bevor sie selbstbewußt auftreten müssen, aber dann ist es eher wie ein Trainingslager. Auch die Amphetamin-Nutzung kann so ein Trainingslager sein, um später auch ohne die Droge lange Wachzustände herzustellen.

SB: Du hast in deinem Buch auch die Frage des Ritalin-Verbrauchs bei ADHS-Jugendlichen behandelt. Wie ist es möglich, daß Kinder, die als hyperagil diagnostiziert werden, mit einem amphetaminähnlichen Stoff funktionsfähig gemacht werden, wo man doch vermuten müßte, daß ihre motorischen Antriebe dadurch eher verstärkt werden?

HC: Als 1937 mit Kindern experimentiert wurde, hat man festgestellt, daß sie nach der Gabe von Ritalin fokussierter sind. Das war eine empirische Erkenntnis. Die Kinder haben von ihren Arithmetik-Pillen gesprochen. Das hat einerseits damit zu tun, daß Amphetamin es erlaubt, sich Scheuklappen aufzusetzen bzw. den Blick auf eine Sache auszurichten. Das andere Moment ist die bis heute nicht wirklich gesicherte empirische Beobachtung, daß diese Kinder in der Schule besser funktionieren. Keine Droge wirkt immer einheitlich, auch wenn es zu bestimmten Stereotypen und Reaktionsmustern kommt. Man nimmt jedoch an, daß Kinder, die unter ADHS leiden, schon einen sehr hohen Noradrenalinspiegel haben, der durch Ritalin nochmals gepusht wird. Durch diese zusätzliche Ausschüttung kommen sie dann zur Ruhe, also indem man einen ohnehin hohen Level zum Überlaufen bringt.

SB: Siehst du einen Trend dahin, im Sinne des Neuro-Enhancement, also der Optimierung kognitiver Fähigkeiten, den Einsatz psychopharmakologischer Mittel voranzutreiben, auch wenn sie heute noch illegal sind?

HC: Ich habe über die Erfahrung mit Speed inzwischen gelernt, wie ich mich ohne Speed in einen Zustand versetzen kann, um weiter wach zu bleiben. Ich brauche die Droge dafür gar nicht. Das meine ich damit, daß man etwas aus Drogen lernen kann. Bei den Enhancern geht es nicht unbedingt um eine starke Drogenerfahrung, sondern eher um ein kontinuierliches Füttern bestimmter Fähigkeiten. Amphetamine sind von Anfang an dafür benutzt worden, damit sich Leute besser auf ihre Prüfungen vorbereiten können. Der erste Todesfall bei Amphetaminen datiert aus Mitte der 30er Jahre. Dabei ist ein Student, der vor der Prüfung hohe Mengen an Amphetamin genommen hatte, um über eine längere Zeit lernen zu können, ums Leben gekommen. Wenn jemand drei Nächte auf Amphetamin durchlernt, stellt sich ein Zustand extremer Erschöpfung ein, der auch tödlich enden kann. Oft verdrängt man dann die Wahrnehmung dessen, wie sehr man am Ende ist. Inzwischen ist wissenschaftlich geklärt, daß man auf diese Weise erworbenes Wissen wieder sehr schnell vergißt.

SB: In der sogenannten Wissensgesellschaft heißt die Parole "lebenslanges Lernen". Wenn man fragt, was eigentlich inhaltlich gelernt wird, trifft man nicht zufällig auf Formen der repetitiven Informationsaufnahme, also auf ein Lernen mit rein funktionellem oder instrumentellem Charakter, wobei der Blick auf größere Zusammenhänge vernachlässigt wird. Siehst du eine Parallele zwischen dieser Art des Lernens und dem Anspruch auf Optimierung unter Speed?

HC: Es trifft sicherlich zu, daß die Wissensgesellschaft ziemlich primitiv bzw. sehr auf Funktionalität und Kurzfristigkeit ausgerichtet ist. Es geht nicht darum, ein größeres Wissen als Reichtum in sich anzuhäufen, und deswegen kann man das mit solchen Mitteln auch forcieren, weil es eben nicht lange vorhalten muß.

Seitliche Ansicht - Foto: © 2014 by Schattenblick

HC Dany bei der Podiumsdiskussion mit Nautilus-Verlegerin Hanna Mittelstädt
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: In deinem zweiten Buch hast du dich mit dem Thema Kybernetik beschäftigt. Auf welche Hauptthese gründet sich deine Arbeit?

HC: Ich denke, sie läßt sich ganz gut mit den Begriff von Gilles Deleuze als Kontrollgesellschaft beschreiben, in der jeder an sein individuelles Risikomanagement gebunden ist und weniger von außen eine Kontrolle ausgeübt wird, als daß sich einzelne kleine Milieus selber regulieren. Mich hat interessiert, wie weit diese kontrollgesellschaftlichen Dynamiken in der Kybernetik verwurzelt sind. Dabei ging es mir vor allem darum, zu klären, auf welchen Pfaden die Kybernetik, die nach dem Zweiten Weltkrieg als eine interdisziplinäre Wissenschaft entsteht und sich mit der Steuerung von natürlichen wie auch technischen Systemen beschäftigt, in die Kontrollgesellschaft hineingekommen ist. Speziell verfolge ich dabei die Figuren, die in Management-Theorien, die bereits Mitte der 50er Jahre auf Kybernetik aufbauen, aufgegriffen wurden. Aber auch im Bereich der Pädagogik hat kybernetisches Denken Eingang gefunden, was später Systemtheorie genannt wurde, aber auch viel mit Konstruktivismus zu tun hat. Ähnliches vollzog sich im Bereich der Therapie und Selbsterfahrungsgruppen. All diese Pfade haben dazu geführt, daß wir ein bestimmtes kybernetisches Vokabular wie zum Beispiel Feedback heute ganz alltäglich verwenden. Das kommt nicht direkt aus der Kybernetik, sondern wanderte über diese Wege, so daß man sagen kann, daß die Kybernetik eigentlich so etwas wie eine unterbewußte Methode und ein unterbewußtes Wissen der Kontrollgesellschaft darstellt.

Natürlich ist damit auch die Frage verbunden, wie man sich in der Kontrollgesellschaft verhält. Einen starken Einfluß auf meine Arbeit hatte das Modell des Idioten, der nicht mehr kommuniziert, weil er erkannt hat, daß im Falle einer Kommunikation die Sensoren der Steuerung bedient werden. Daher versucht er, die Sensoren, die sein Begehren ständig abtasten oder auch seinen Widerstand in Energie umsetzen, nicht mehr zu beliefern.

SB: Kybernetische Konzepte unterstellen ein hohes Maß an sogenannter Selbstregulation. Übertragen auf die Gesellschaft hieße das, daß der Mensch an den kybernetischen Schnittflächen seine Selbstbestimmung preisgibt und sich in regulative Funktionskreisläufe bzw. -systeme einbettet. Wo bleibt der Mensch, der beansprucht, ein subjektives autonomes Wesen zu sein, in diesen Regulationswelten?

HC: Er soll einerseits starkes Subjekt sein und selbstverantwortlich handeln, und als solches auch ständig präsent sein, aber eben nur in einem abgesteckten Rahmen. Das heißt, er darf bestimmte Überschreitungen aus dem Bereich des Funktionalen hinaus nicht vornehmen und muß dennoch sein Selbst als individualisierte Funktionseinheit optimieren. Dadurch stellt die Figur des Idioten einerseits eine Selbstoptimierung im Sinne einer Sorge um sich selbst dar, aber zielt andererseits auch auf eine Gemeinschaft außerhalb dieser verordneten Kommunikation, die nicht auf Gemeinschaft, sondern auf Steuerung angelegt ist. Die Figur des Idioten steht für die Frage, wie man sich da hinausbewegen und einen Ausblick entwerfen kann.

Eine wesentliche Grundlage der Steuerungsmodelle ist der Homöostat, eine von dem Psychiater William Ross Ashby in den 50er Jahren entwickelte selbstregulierende, auf äußere Umwelteinflüsse reagierende Maschine. Es ist der Versuch einer Formalisierung und Adaption der Selbstregulation im Organischen: Wie erhalten sich Lebewesen, wie können sie in sich Selbstregulation vornehmen. Homöostatische Systeme in einen formalisierten Automaten zu überführen, bildet die Grundlage des kybernetischen Managements. Ein wesentlicher Punkt des Modells des Homöostaten ist, daß es sich keine Zukunft mehr vorstellen kann, sondern alle Störungen in seinen Selbsterhalt hineinreguliert. Das heißt, es nimmt alle möglichen Elemente auf, wie wir es heute im Kapitalismus beobachten können. Alles fließt da hinein und bildet Energielieferanten. Aber wie bewege ich mich jetzt da raus? Einer der größten Angriffe wäre, wieder eine Bestimmung herzustellen bzw. eine Zukunft oder einen Ausblick zu generieren, der die homöostatischen Schlaufen aushebeln würde. So ließe sich ungefähr das Anliegen des Idioten beschreiben.

SB: Du wählst mit dem Idioten einen Begriff, der von seiner semantischen Bedeutung her eine Privatperson bezeichnet, aber sagst zugleich, daß er auf eine Gemeinschaft außerhalb dieser Regulative abzielt. Wie kann ein Mensch, der explizit das Bild des Privaten verkörpert, gemeinschaftsfähig sein?

HC: Der Idiot ist von seinem Sprachursprung her der Gegenspieler zum Bürger in der Antike, der sich in der Polis engagiert und dort auf einer bestimmten formalisierten Ebene an der Gemeinschaft teilhat. Der Idiot hingegen zieht sich auf das Private zurück und kümmert sich im Grunde nur um seinen eigenen Haushalt. Meine Vorstellung ist die eines quasi hysterisch werdenden Idioten, der davon ausgeht, daß der öffentliche Raum ohnehin zerstört ist. Er sagt sich: Ich stelle in diesem Gefüge nur eine private Funktionseinheit dar, und als solche höre ich auf, der Haushaltung gerecht zu werden. Ich verlasse das Haus und bilde neue Gemeinschaften, die aber nicht mehr über die Gemeinschaft der Polis definiert sind. Es geht nicht um den einzelnen Idioten, sondern um eine Gemeinschaft vieler Idioten. Diese Form der idiotischen Asozialität bewegt sich aus einer Gemeinschaft heraus, die längst in sich ausgehöhlt ist.

SB: Begreifst du die soziale Sphäre, in der Menschen interagieren, sich profilieren und diverse Strategien anwenden, als einen Prozeß im Sinne der kybernetischen Feedback-Schleifen und damit einer weitgehend davon durchdrungenen selbstregulativen Fremdbestimmung?

HC: Weitgehend, aber nicht totalitär. Die soziale Sphäre lebt davon, daß sie eben nicht totalitär ist. Es gibt immer ein Rauschen darin und Bereiche, die nicht definiert sind. Nur so bleibt sie überhaupt lebensfähig, wenngleich sie eine privatisierte Vereinzelung befördert. Der Bürger hat an nichts mehr teil, er ist privatisiert und ist dennoch permanent an seine Illusion des Politischen und des Öffentlichen gebunden. Er kann Knöpfe bedienen und bestimmte Äußerungen machen, und auf diese Weise bekommt er bestimmte Informationen, die aber im wesentlichen auf seine Funktionalisierung ausgerichtet sind. Deswegen ist die Sorge um das Selbst des heutigen privatisierten Bürgers, also des eigentlich pervertierten Bürgers, eine vollkommen auf ihn selbst ausgerichtete, während eine Gemeinschaft um ihn herum eigentlich nicht mehr existiert, weil sie Gesetzen folgt, die ihr übergelagert sind. Die Polis bestimmt sich nicht mehr selbst, sondern ist über die Funktionalität der Einheiten rein ökonomisch determiniert. Der Vereinzelte kann zwar sagen, ich habe den und den Wunsch oder ich habe das und das Unbehagen, aber dies sind immer nur Impulse, die in die Produktivität dieser Schlaufen eingespeist werden.

SB: Siehst du irgendwelche Ansätze gesellschaftlicher, politischer oder ideologischer Art, aus denen etwas entstehen könnte, das sich dem entgegenstellt?

HC: Es gibt ganz interessante Entwicklungen in der Kunst, die man fast esoterisch nennen könnte, aber esoterisch nicht im Sinne einer reinen Spiritualität, sondern in der Art, nicht mehr an der eigenen Verständlichkeit zu arbeiten. Es geht eher darum, eine nicht zeichenhafte, nicht repräsentative Form der Verbindlichkeit zu entwickeln. Solche Entwicklungen sehe ich in ganz vielen Bereichen. Der Wunsch ist schon vorhanden, aber es gibt dann natürlich immer wieder etwas, das sich darüberstülpt und Druck macht, weil das Begehren sich die ganze Zeit produziert. Dann besteht die Gefahr, daß sich etwas drübersetzt und sagt, jetzt mache ein Projekt daraus und erkläre es, damit du eine Subvention oder Projektförderung dafür bekommst. Dann beginnt es zu kommunizieren und geht wieder in den Schlaufen auf.

Aber dies Begehren gibt es und die Arbeit gipfelt darin, daß sich das Begehren aus dieser Sphäre heraushebt und sich ihm entzieht, um in einer anderen aufzugehen. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Riots in London als eine Form eines Aufbegehrens, das sich komplett verweigert, irgendwelche Aussagen zu machen oder Manifeste zu schreiben. Natürlich ruft das Horden von Sozialarbeitern auf den Plan, die die Kontrollgesellschaft repräsentieren und fragen: Warum tut ihr das? Die Riots beinhalten die sehr interessante Figur eines Ja-Nein. Einerseits wird genau dieses Konsumprodukt genommen, aber nach anderen Regeln, die im Grunde negiert werden. Ähnliche Tendenzen kann man in den Banlieues erkennen, wo Bewegungen intensiv werden, aber sich weigern, sich sprechend zu artikulieren.

SB: Könnte man dann dem Sozialen und Politischen das Antisoziale gegenüberstellen, das das Gegenteil dessen verkörpert, worauf traditionelle politische Bewegungen oder sogenannte Nichtregierungsorganisationen tendenziell abzielen, nämlich auf die Integration in die selbstregulativ und adaptiv funktionierenden Komplexe?

HC: Genau. Das ist eine ganz andere Bewegung als die sehr stark auf Reparatur und kleine Impulse abzielende Selbstorganisation, die nur eine andauernde Stabilisierung der vorhandenen Oberfläche generiert, aber am Ende kein besseres Leben bringen wird, sondern nur das Überleben erhält.

SB: Hast du noch Pläne, in diese Richtung weiterzuforschen oder dich auf neue Gebiete zu begeben?

HC: Ja durchaus, wenn man zum Beispiel das Bild des Idioten weiterdenkt. Aber möglicherweise ist die Figur des Idioten auch zu eng. Interessant ist die Überlegung, wie ein anderes Subjekt oder Gruppen von Subjekten bzw. spekulative Entwürfe einer möglichen Zukunft aussehen könnten, die den Homöostaten als Imaginäres angreift. Wie könnte so eine Imagination der Zukunft bestellt sein, die den blind und unbestimmt bleibenden Homöostaten unterläuft?

SB: Hans-Christian, vielen Dank für das Gespräch.

29. April 2014