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BUCHBESPRECHUNG/189: Albrecht Müller - Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst. (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Albrecht Müller

Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.
Wie man Manipulationen durchschaut.

Von Klaus Ludwig Helf, März 2020


Der Kampf um die Meinungshoheit in Deutschland werde mit harten Bandagen geführt, davon ist Albrecht Müller fest überzeugt und hat deshalb den vorliegenden Band geschrieben für jene Menschen, die sich noch eigene Gedanken machen, sich die Gedankenfreiheit bewahren und die Meinungsmache durchschauen wollen. Von einer lebendigen Demokratie könne man nur sprechen, wenn der "Souverän" und nicht die Meinungsmacher bestimmten, wo es langgehe, aber:

"Es wird versucht, darauf Einfluss zu nehmen, was wir denken... Unsere Gedanken sind nicht frei, sie sind manipulierbar. Trotzdem bleiben wir bei der Grundidee: Die Gedanken sind frei. Wir müssen allerdings etwas tun, um Herr unserer Gedanken zu bleiben. Deshalb dieses Buch." (S. 7) 

Die Gründung der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) im Jahr 2000 durch den Arbeitgeberverband Gesamtmetall, getragen von den Arbeitgeberverbänden, beraten vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln und vom Institut für Demoskopie Allensbach, war - so Albrecht Müller - für ihn und seine Mitstreiter der zündende Funke für das Projekt "NachDenkSeiten" im Netz.

So haben auch die Medienwissenschaftler Michael Haller und Siegfried Weischenberg festgestellt, dass die INSM bei der Vermarktung ihrer neoliberalen Ideen über ausgeklügelte und millionenschwere Multi-Media-Kampagnen und "repräsentative Umfragen" direkt und indirekt auf das Agenda-Setting der Redaktionen Einfluss nehmen. Albrecht Müller mahnt in seinem Band zur demokratischen Wachsamkeit und zum widerständigen Denken und Handeln: "Wir sind umzingelt von Kampagnen und müssen feststellen, dass die totale Manipulation möglich ist." (S. 19/20)

Albrecht Müller (*1938) ist Volkswirt, Journalist, Publizist und ehemaliger SPD-Politiker, war u.a. Redenschreiber des Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des SPD-Parteivorstandes und Manager des Wahlkampfs von Willy Brandt (1970-1972), Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt (1973-1982), OB-Kandidat in Heidelberg 1984, Mitglied des Deutschen Bundestags (1987-1994), seit 2003 Autor und Mitherausgeber des politischen Blogs "NachDenkSeiten"; zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themen Medien, Lobbyismus und Wirtschaftspolitik, u.a. die Bestseller "Mut zur Wende!", "Die Reformlüge" und "Machtwahn".

Nach der Einführung und der Skizzierung des aktuellen gesellschaftlichen - vor allem des medialen - Umfeldes werden siebzehn basale Methoden der Manipulation erläutert, anschließend exemplarische Fälle gelungener oder versuchter Meinungsmache aus erlebter persönlicher Zeitgenossenschaft des Autors vorgestellt und analysiert. Im letzten Kapitel folgen Überlegungen zu politischen Konsequenzen. Der Anmerkungsapparat belegt die Fakten. Das gesellschaftliche Umfeld, vor allem die Medienlandschaft habe sich in den letzten vierzig Jahren grundlegend verändert: u.a. Machtkonzentration bei wenigen Medienunternehmen, Programmvermehrung und Kommerzialisierung von Hörfunk und Fernsehen, Selbst-Anpassung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunksystems, Monopolbildung bei Medienagenturen, wachsender Einfluss von Influencern und PR-Agenturen, Einflüsse des "atlantischen Netzwerkes" (NATO/ USA) und die Ausweitung des Anteils von interessenbestimmten Fremdartikeln in den Leit-Medien. Ehemals fortschrittliche und links-liberale Medien wie Spiegel, Frankfurter Rundschau, taz, Blätter für deutsche und internationale Beziehungen und Süddeutsche Zeitung oder TV-Sendeformate wie Panorama hätten - so Müller - ihren jeweiligen politischen Standort tendenziell nach "Mitte-Rechts" angepasst und verschoben. Das schließe nicht aus, dass es dort immer wieder auch aufklärende und kritische Beiträge gebe.

Bemerkenswert erschreckend sei es auch, dass offensichtlich das Publikum die Veränderungen "scharenweise" mitgemacht habe, ohne sich darüber im Klaren zu sein. Für die Meinungsbildung insgesamt sei die einseitige Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Bedeutung und verschärfe die "Schlagseite der demokratischen Meinungsbildung und der politischen Entscheidungsfindung". Es gebe einen Kampf Reich gegen Arm, der auch in den Medien ausgetragen werde. Belege dafür sieht Müller darin, dass die Themen und Meinungen der Mächtigen und Reichen weitaus präsenter seien als Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsthemen, die dauerhafte analytische und empathische Aufarbeitung des Alltags der "normalen Leute" finde in den Leitmedien kaum statt. Kein Wunder, da sich z.B. die Medienmacher in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern zur Einkommensoberschicht zählen könnten, ebenso die Talkmaster mit ihren eigenen Produktionsfirmen, ganz zu schweigen von den privatwirtschaftlich geführten Zeitungskonzernen und Rundfunksendern: "Wer über viel Geld oder publizistische Macht verfügt, kann in viel größerem Maße als die normalen Menschen Einfluss nehmen." (S. 18) Dieser beziehe sich auf die Bildung der öffentlichen Meinung als auch auf die Meinung der Medienmacher selbst. Auf diese Weise werde auch direkter Einfluss auf die politischen Entscheidungen genommen. Kleine Lichtblicke für demokratische Gegen-Öffentlichkeiten gebe es auf Plattformen im Netz.

Die von Albrecht Müller vorgestellte und mit Beispielen aus der Praxis erläuterte Sammlung von siebzehn effektiven, gängigen Methoden der Manipulation hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, gibt aber einen vertiefenden Einblick und schärft das Nachdenken über die Meinungsmache der Medienstrategen in einer "ziemlich vereinheitlichten Medienlandschaft":

"Die Eigentümer und Chefredakteure der großen Medien, von Tagesschau bis Bild-Zeitung, sind vermutlich die effizientesten Arrangeure der zu vermittelnden und zu wiederholenden Botschaften." (S. 23) 

Die Skala der Methoden der Manipulation reicht von einheitlichen Standards für Sprachregelungen und wiederkehrenden Botschaften ('die Löhne sind zu hoch', 'der Arbeitsmarkt ist zu unflexibel', 'das Mullah-Regime', manche Staatsoberhäupter werden Diktatoren genannt, andere Präsidenten), Umwertung von Begriffen und Etikettierungen ('Zivilgesellschaft', 'Populist', 'Reform'), bewusstes Verschweigen (Stress und Sorgen der normalen Menschen im Alltag, Steuerbefreiung von Gewinnen beim Verkauf von Unternehmen, Existenz von Geheimarmeen der NATO), über Missbrauch von Umfragewerten oder von angeblich gemeinnützigen NGOs (INSM) bis zur Präsentation von einseitig gepolten "Experten- Meinungen" (in Talk-Shows, bei Wahlabenden, Wirtschaftsdebatten), bis zur Inszenierung von Konflikten (CSU gegen CDU, Kampf um Kanzlerkandidaten, Drohgebärden von D. Trump, Gefahr von wirtschaftlicher Rezession):

"Konflikte schaffen Öffentlichkeit... Konflikte werden immer wieder inszeniert, um gewünschte Botschaften unter die Leute zu bringen." (S. 62) 

Was wir innerhalb einer Gesellschaft als wahr empfänden - so Albrecht Müller - sei nur Teil der Sprachregelungen und Manipulationstechniken der Medienstrategen. Komplexe Weltbilder würden meist einfach auf Schwarz-Weiß-Niveau vereinfacht.

Nach der Beschreibung der wichtigsten Methoden der Manipulation analysiert Albrecht Müller in einem weiteren Kapitel sechzehn "markante Fälle von Kampagnen der Meinungsmache und Manipulation und die dahintersteckenden Strategien" der letzten Jahrzehnte in Deutschland, Fälle, die weder in den traditionellen Leitmedien noch bei den führenden Zeithistorikern und Sozialwissenschaftlern aufgearbeitet würden. Der Autor verspricht ein "bisschen nachholende Geschichtsschreibung" - und das gelingt ihm auch vorzüglich. Hier seien einige Beispiele angesprochen: Die Veränderung der Parole von 'Wir sind das Volk' zu 'Wir sind ein Volk' wurde in einer systematisch und bewusst angelegten Kampagne von Bild-Zeitung und CDU-Geschäftsstelle geplant und erfolgreich umgesetzt. Der demografische Wandel musste als Argument herhalten für die Teilprivatisierung der Altersvorsorge. Spitzenkandidaten der Parteien werden rauf- und runtergeschrieben (z.B. Scharping, Steinmeier, Steinbrück, Schulz, Merz, Kramp-Karrenbauer). Die Auflösung der 'Deutschland AG' durch die rot-grüne Koalition und die dabei umgesetzte Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne von großen Vermögen werden bis heute verschwiegen. Als "Meisterstück der Umdeutung und Umbenennung" gilt die Transformation der Finanzkrise von 2007/2008, die eigentlich eine Spekulantenkrise war, in eine Staatsschuldenkrise, in der viele Staaten wie Griechenland und Italien sich zusätzlich verschulden mussten, um ihre Banken zu retten. Auch mit dem Begriff Reform sei den Agitatoren ein "wahres Wunderwerk der Manipulation" gelungen. Mit dem Hinweis auf die Herausforderungen einer neuen Globalisierung sei der Begriff umgedeutet worden. 'Reformstau' war der neue politische Kampfbegriff. Aus einem mit positiven Veränderungen zugunsten der Mehrheit der Menschen geknüpften Begriff wurde ein Reformbegriff geschaffen, der vor allem dem Kapital, den besser Gestellten und gut Verdienenden nützte und z.B. zum Aufbau des Hartz IV-Systems und eines Niedriglohnsektors, der Privatisierung und Reduzierung öffentlicher Leistungen, zur Senkung von Steuern und zur Deregulierung der Finanzmärkte führte - unter dem Schlagwort der 'Generalüberholung des Staatswesens'. Willy Brandts politisches Leitziel compassion wurde ersetzt durch das Credo Jeder ist seines Glückes Schmied:

"Die auf Empathie, Solidarität und Mitgefühl setzenden Menschen haben verloren, die Egoisten haben gewonnen. So stellt sich die Welt im Zeitalter der Herrschaft der neoliberalen Ideologie dar." (S. 97) 

Der schmale Band von Albrecht Müller hat es in sich - er öffnet die Augen für die fast unsichtbaren, aber sehr wirkmächtigen und perfiden Manipulationstechniken, mit denen uns interessengeleitete Botschaften erreichen sollen. Albrecht Müller gelingt es, plausibel, überzeugend, praxisnah und beispielhaft moderne Herrschaftstechniken vorzuführen. Er mahnt und ermuntert uns, nicht zu verzagen, sondern wachsam zu sein:

"Wir müssen zweifeln und widersprechen. Das wird leichter, wenn wir uns mit anderen verbinden. Wenn wir ein eigenes Milieu einer lebendigen Gegenöffentlichkeit schaffen, wenn wir uns austauschen, wenn wir kommunizieren." (S. 134) 

Der Band ist verständlich und gut lesbar geschrieben. Er ist eine Anleitung für eine Immunisierung gegen Manipulationen und Meinungslenkung - ein wichtiger Beitrag zur Demokratiebildung.

Albrecht Müller
Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.
Wie man Manipulationen durchschaut.
Westend Verlag, Frankfurt/Main 2019
Klappenbroschur
144 S.
14 Euro

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Quelle:
© 2020 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2020

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