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BUCHBESPRECHUNG/182: Lorenz Gallmetzer, Von Mussolini zu Salvini (Sachbuch) (Gerhard Feldbauer)


Von Mussolini zu Salvini

Der Österreicher Lorenz Gallmetzer untersucht, wie es in Italien zur "Renaissance des Neofaschismus" kam

von Gerhard Feldbauer, 27. Januar 2020


Am 28. April dieses Jahres sind es 75 Jahre, dass ein Kommando der kommunistischen Garibaldi-Brigaden das vom Kriegsgericht des Nationalen Befreiungskomitees für Norditalien, eines von den Alliierten anerkannten Organs der antifaschistischen Einheitsregierung, über Benito Mussolini, der 1922 durch einen Militärputsch über Italien die faschistische Diktatur errichtet hatte, verhängte Todesurteil vollstreckte. In einer bisher, auch in Italien, so nicht erfolgten Analyse geht Gallwitzer der Frage nach, wie es geschehen konnte, dass der Faschismus, der so unendliches Leid über die Menschen gebracht, der Kampf gegen ihn so schwere Opfer gefordert hatte, wieder sein Haupt erheben und 49 Jahre später das Mitglied des Dreierdirektoriums der faschistischen Putschloge P2, Silvio Berlusconi, mit seiner Forza Italia (FI) im Bündnis mit der Mussolini-Nachfolger-Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) und der rassistischen Lega Nord eine Regierung bilden konnte. Und dass, nach dem Ende Berlusconis 2011, Lega-Führer Matteo Salvini 2018 Vize-Premier werden und die Errichtung eines offen an Mussolini und dessen Verbrechen orientiertem Regime verfolgen konnte, was vorerst scheiterte.

Er greift auf, dass die von der Führung um Beppe Grillo und Luigi Di Maio rechts ausgerichtete Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) in diese Regierung eintrat und mit ihrer weitgehend linken Basis den rassistisch-faschistischen Charakter dieses Kurses verdeckte, was auch an den "Duce" erinnere, der aus der Sozialistischen Partei kam und diese demagogische Tarnung selbst einbringen konnte.

Der Historiker und Literat Gallwitzer, langjähriger ORF-Korrespondent in Washington und Paris, legt ein brillant fundierte Recherche vor, die von der entscheidenden Verantwortung der USA bei der Wiedergründung der Partei Mussolinis schon 1946 in Gestalt des MSI und der Verkündung der nach US-Präsident Truman genannten Doktrin des Kalten Krieges, in der Italien zur "Hauptfront" der NATO wurde, ausgeht und den Bogen spannt bis zur Inszenierung des Mordes an Aldo Moro und damit der Verhinderung einer Regierungsbeteiligung der Kommunisten (IKP), der Rolle der geheimen NATO-Armee Gladio, der von der CIA gebildeten P2. Eine "mangelnde Vergangenheitsbewältigung nach 1945, die Banalisierung des Faschismus, eine durch den Kalten Krieg blockierte und amputierte Demokratie mit der Democrazia Cristiana als fünf Jahrzehnte durchregierender Staatspartei haben Bürokratie, Vetternwirtschaft, Korruption und eine erhöhte Anfälligkeit für autokratische Versuchungen gefördert", resümiert der Autor. Unter Lega-Chef Salvini werden die Migranten zum Sündenbock für die "größten Problem des Landes" gemacht, ihnen "die medizinische Versorgung, Sozialzuschüsse für Wohnen oder die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel" gestrichen.

Gallwitzer wendet sich, was bisher ebenfalls kaum geschehen ist, der Frage zu, wie es dem in neuen Formen wieder entstandenen Faschismus gelang, Masseneinfluss zu gewinnen und bei Parlamentswahlen Mehrheiten zu erreichen. Das habe mit der neuen Rolle der Massenmedien, der unter Berlusconi gebildeten "Video-Kratie" begonnen, und sei von Lega-Chef Salvini im digitalen Zeitalter perfektioniert worden. Salvini sei, ähnlich wie vorher Berlusconi, "rund um die Uhr" auf Facebook, Instagram, Twitter in Talkshows, in den klassischen Medien, den Radio-Frühsendungen, den stündlichen Nachrichten und den unzähligen Talkshows, auf "Einweihungen, Eröffnungen, Zelebrationen, Unternehmerkongressen, Handwerkertagungen, Weinmessen, Polizeischulen, Feuerwehrübungen" präsent.

Das Buch durchzieht eine schonungslose Enthüllung des Rassismus und der Ausländerfeindlichkeit, die von 1880 schweren Ausschreitungen 2016 auf 3260 2018 anstiegen. Dabei handele es sich aber lediglich um die bei der Polizei und Gerichten aktenkundig gewordenen Vorkommnisse. Als Gipfel des Rassismus, der unter Gründer Umberto Bossi von der Blut- und Bodenideologie des Hitlerfaschismus ausging, nennt der Autor, dass öffentlich verbreitet wird, dass "Ratten leichter loszuwerden sind als Zigeuner".

Zitiert wird die preisgekrönte sardische Schriftstellerin Michela Murgia, Mitbegründerin der "Initiative zur Rettung von Flüchtlingen in Seenot", die einschätzte, dass in Italien der Faschismus "nicht droht", sondern "wir schon mitten drin im Faschismus" sind. "Es ist ein Faschismus, der neue Formen entwickelt, die wir nur schwer durchschauen." Und der "Übergang" müsse gar nicht mehr mit "klassischer Waffengewalt erfolgen", denn "durch Manipulation der demokratischen Instrumente kann man ein ganzes Land faschistisch machen, ohne auch nur einmal das Wort 'Faschismus' auszusprechen". Diese mutige Frau sei, so Gallwitzer, ohne dass eine "wankelmütige Justiz", wie in unzähligen anderen Fällen auch, einschreite, in Medien der Hetze als "linke Schlampe", die "vergewaltigt werden" sollte, ausgesetzt.

Gallwitzer verweist mit Bezug auf Auswirkungen in Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien, Polen, Ungarn und in den skandinavischen Ländern darauf, dass Italien bereits wie der Mussolini-Faschismus in den 20er Jahren heute eine ähnliche Vorreiterrolle spielt. Wenn der Autor auch nicht zu der Einschätzung gelangt, dass hinter dem Faschismus das Kapital steht, kommt er dem jedoch nahe, wenn er "in der gewaltigen Erschütterung, die seit drei Jahrzehnten der Globalisierung die gesamte Welt verändert", die Ursachen sieht.

Lorenz Gallwitzer
Von Mussolini zu Salvini
Italien als Vorreiter des modernen Nationalpopulismus
Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2019
ISBN 978-3-218-01182-2

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2020

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