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BUCHBESPRECHUNG/179: Christian Felber. This Is Not Economy - Aufruf zur Revolution der Wirtschaftswissenschaft (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Christian Felber

This Is Not Economy - Aufruf zur Revolution der Wirtschaftswissenschaft

Von Klaus Ludwig Helf, Dezember 2019


Als Christian Felber sein Konzept einer Gemeinwohl-Ökonomie der Öffentlichkeit vorstellte, war er erstaunt und überrascht über den schroffen und scharfen Gegenwind aus akademischen Kreisen der Mainstream-Ökonomen, die sich offensichtlich massiv angegriffen und in deren Deutungshoheit gestört gefühlt hätten. Bei seiner neugierigen Recherche nach den Gründen dieser heftigen und für ihn undurchschaubaren Abwehrreaktionen sei er auf ein "unübersehbares Ausmaß an vernichtender Kritik an der Mainstream-Ökonomik - von Ökonom*innen selbst" gestoßen. Diese beziehe sich auf alle Ebenen der Wirtschaftswissenschaften: auf das wirtschaftstheoretische Selbstverständnis, die Geschichtsvergessenheit und Undefinierbarkeit der Schlüsselbegriffe, auf die Theorie- und Methodeneinfalt, die Realitätsferne, die Mathematisierung und Modellfixiertheit, auf die Resistenz gegen Kritik und Interdisziplinarität, auf die Machthierarchien und die Dominanz der Männer. Seit Jahrzehnten - so Felber - pralle diese "Breitband-Kritik" am orthodoxen Theoriegebäude der neo-klassischen Ökonomen ab.

Diese Erfahrung sei die Initialzündung für das vorliegende Buch gewesen. Es richtet sich insbesondere an Studierende der Wirtschaftswissenschaften sowie an Studierende der Politologie, Soziologie oder Juristerei. Ziel des Autors ist es, alternative Vorstellungen von Wirtschaft und Wissenschaft anzubieten, ebenso Werkzeuge, mit denen man die Mainstream-Ökonomie hinterfragen, reflektieren und dekonstruieren könne, denn es gebe nicht nur eine ökonomische Denkweise, sondern eine Pluralität von Theorien, Methoden und Erkenntnisweisen und Wirtschaftspraktiken, der Markt sei nur eine davon: "Wir brauchen weder eine 'marktkonforme Demokratie' (Angela Merkel) noch eine systemkonforme Wissenschaft" (S. 11/12).

Übergeordnetes Ziel des Bandes ist nach Christian Felber die Forderung des im Jahr 2000 gegründeten 'Netzwerks für postautistische Ökonomik', die Ökonomie wieder in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Zunächst gehe es ihm darum, die Kritik am neoklassischen Mainstream, am Unterrichten und an den Lehrbüchern zu analysieren und in einer auch für Nicht-Ökonomen verständlichen Übersicht panoptisch zusammenzufügen. Dies ist dem Autor auch hervorragend gelungen, der sich als Wissenschaftsjournalist versteht. Erst die Zusammenschau der Kritik ermögliche ein Gesamtbild für die Formulierung einer ganzheitlichen Ökonomik.

Christian Felber (*1972) studierte Romanistik, Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaft in Madrid und Wien, wo er als freier Publizist und Lehrbeauftragter tätig ist. Er ist Mitgründer von Attac-Österreich, Initiator der Projekte "Bank für Gemeinwohl" und "Gemeinwohl-Ökonomie" und ist auch als Tänzer und Performer aktiv. Seine Bücher wie "Neue Werte für die Wirtschaft" oder "Die Gemeinwohl-Ökonomie" wurden zu Bestsellern.

Nach der Einleitung folgen im vorliegenden Band fünf Hauptkapitel: Panoptikum der Kritik/ Radikale Amnesie/ Politische Ökonomie/ Zentrale Glaubensinhalte und Alternativen; abschließend folgen Dank, Anmerkungsapparat, umfangreiche Literaturliste und Auflistung der elf Interviews mit Experten. Zunächst gibt Christian Felber einen umfassenden und umfangreichen Überblick über die Bandbreite der Kritik an der neoklassischen Mainstream-Ökonomie, geht dann auf die Grundsatzfragen nach den Wurzeln der Disziplin ein und sucht nach den Gründen der "fatalen Verirrungen". An tausenden von Business Schools und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten würden Millionen junger Menschen in Ökonomik unterrichtet: "Dabei werden sie nicht umfassend, universell, plural und selbstreflexiv geschult, sondern monistisch, mathematisch, unkritisch, unpolitisch und verdeckt ideologisch. Die führenden Lehrbücher - Samuelson, Mankiw, Varian, Blanchard, Pindyck/ Rubinfeld... - haben eine anti-aufklärerische Wirkung, sie richten laufend weiteren und großen Schaden an" (S. 10).

'Why did nobody notice it?', fragte sicher nicht nur Queen Elizabeth im Jahr 2008, warum die Finanzkrise auch Ökonomen und -innen zu überraschen schien. Die Mainstream-Ökonomie, die im Wesentlichen auf der neoklassischen Ökonomik basiere, sei nicht nur unfähig gewesen, die Finanzkrise vorherzusehen, sondern habe sich auch grundsätzlich verrannt- so eine der Hauptthesen von Christian Felber: "Der Fokus auf Finanzkennzahlen, der Wachstumsfetischismus, die Mathematisierung und das absurde Menschenbild tragen zum sinkenden Ansehen der Zunft in der Bevölkerung bei" (S. 9). Kritikoffenheit, Selbstreflexion und Demut seien angebracht für die klassische Ökonomie, denn die Bevölkerung erwarte zu Recht von den Wirtschaftswissenschaftlern Antworten auf die brennenden Probleme der Gegenwart wie Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, Machtkonzentration, Klimawandel, Artensterben, Demokratie-Erosion und Sinnverlust. Die neo-klassische Wirtschaftswissenschaft sei gegenwärtig das größte Hindernis beim Verständnis dafür, wie Wirtschaft tatsächlich funktioniere.

Felber kritisiert mit Recht, dass sich der Mainstream der Wirtschaftswissenschaft zum Großteil mit der neoklassischen Strömung decke und auch in Forschung und Lehre und damit auch in den meisten Lehrbüchern homogen dominiere. Dabei würden die vielen heterogenen und alternativen Ansätze, ebenso wesentliche Umfelder wie Politik, Ethik, Ökologie, Gender sowie Erkenntnisse aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen konsequent von den herrschenden Vertretern des Fachs Ökonomie ausgeblendet, Diskurs, Kritik und gesellschaftliche Kontrolle systematisch behindert. Die heute vorherrschende neoklassische Ökonomik habe sich von der klassischen Politischen Ökonomie am Ende des 19. Jahrhunderts abgespalten und als Hofphilosophie des kapitalistischen Wirtschaftens etabliert. Sie bezeichne sich selbst als 'wertfrei und objektiv', indem sie sich auf mathematische und statistische Modellrechnungen stütze.

Dieser Anspruch sei erkenntnistheoretisch nicht haltbar: "Das neoklassische Standardmodell strotzt vor Werten: Effizienz, Wachstum, Wettbewerb, Nutzenmaximierung, Rationalität: alles Werte! Gipfel der Wertunfreiheit der neoklassischen Ökonomik ist der Homo oeconomicus - ein mechanischer, gefühlloser, gieriger Psychopath" (S. 22). Dieses verdeckte Wertesystem müsse aufgebrochen und ersetzt werden durch transparente, gesellschaftlich und ethische orientierte Werte, klar definierte Ziele und Gegenstände und Offenheit gegenüber alternativen Vorschlägen: "Die Wiedervereinigung von Ethik und Ökonomik ist eine Mindestanforderung an die Reparatur dieser verirrten Wissenschaft... Der Raum, der durch den Abwurf von mathematischem Ballast frei wird, kann mit systemischem Grundlagen-Wissen aus Ethik, Ökologie, Psychologie, Geschichte, Gender-Wissenschaften und Demokratietheorie gefüllt werden. Nichts gegen Zahlen, aber die Welt besteht primär aus Werten!" (S. 144/145).

Im Schlusskapitel des Bandes macht Christian Felber konkrete Vorschläge für eine 'ganzheitliche Wirtschaftswissenschaft' und stellt dazu zwölf Bausteine vor. Sie stehen unter dem Motto 'Wirtschaften zum Wohl aller oder ein gutes Leben für alle' mit den folgenden Merkmalen: historische Kontextualisierung/interdisziplinäre Einbettung/Klärung des Gegenstandes und des Ziels und des Namens/ wissenschaftstheoretische Reflexion und Einordnung als Sozialwissenschaft/Vielfalt oder Pluralität der Theorien und der Methoden/Einbettung in Politik und demokratische Prozesse und Pluralität insgesamt: "Wirtschaftliche Tätigkeiten sind in die Kontexte Demokratie, Gesellschaft, Kultur und Ökologie eingebettet und dienen der Befriedigung der Grundbedürfnisse und der Erfüllung aller Grundwerte: dem Gemeinwohl... Die Ungleichheit ist begrenzt, das Wirtschaften findet innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten statt." (S. 267)

Christian Felber ist mit diesem Band ein großer Wurf gelungen. Er hat einen systematischen Versuch unternommen, die vorherrschenden ökonomischen Lehrgebäude auf einen ideologiekritischen Prüfstand zu stellen und deren Ziele, Werte, Erkenntnisinteressen und Methoden aufzudecken und zu hinterfragen, da diese offensichtlich kapitalistische Prinzipien und Werte einseitig präferierten und auch wenig zur Erklärung oder gar Verhinderung von Wirtschafts- und Finanzkrisen beitrügen. Felber macht durch seine Analysen klar, dass es dringend an der Zeit sei für einen wissenschaftlichen Umbruch, eine politische Ökonomie an den Hochschulen zu fördern, die getragen ist von der Vielfalt ökonomischer Theorien, von Selbstkritik, Reflexion und Offenheit, Transparenz der Werteentscheidungen und die die Lösung gesellschaftlicher Probleme fördert. Der Band ist nicht nur für Studierende und Fachleute, sondern auch für ökonomisch wenig Versierte sehr gut lesbar und zu verstehen. Es ist ein wichtiges und wegweisendes Buch für die Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels.


Christian Felber
This Is Not Economy - Aufruf zur Revolution der Wirtschaftswissenschaft
Deuticke in der Paul Zsolnay Verlag Ges. m. b. H., Wien 2019
22 Euro

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Quelle:
© 2019 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2019

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