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BUCHBESPRECHUNG/144: "Schluss mit Luther. Von den Irrwegen eines Radikalen" von Peter Henkel (Sachbuch) (Gerhard Feldbauer)


Der als Held der Reformation gefeierte Martin Luther war ein übler Volks- und Menschenfeind, der reaktionärem Obrigkeitsdenken anhing, den Tötungsterror der Fürsten anheizte, ein Feind des Humanismus und vor allem ein fanatischer Judenhasser

von Gerhard Feldbauer, 28. August 2017


In Aufsehen erregender Weise rechnet der langjährige Journalist der "Frankfurter Rundschau", Peter Henkel, mit dem im 500. Jubiläumsjahr der Reformation als "Freiheitsheld und Pionier der Neuzeit" gefeierten Martin Luther ab. In seinem Buch "Schluss mit Luther" weist er faktenreich nach, dass der Verkünder des Thesenanschlags von Wittenberg am 31. Oktober 1517, der ursprünglich Luder hieß, in Wirklichkeit mit seiner religiösen Doktrin Hass und Fanatismus verbreitete, reaktionärem Obrigkeitsdenken anhing, den Tötungsterror der Fürsten verteidigte und ein Feind des Humanismus dieser Zeit war. Der Autor vergisst nicht Luthers Verdienste, so die Bekämpfung des Ablasshandels, dass er in Worms mutig Kaiser und Reichstag den Widerruf verweigerte und einen Beitrag zur Schaffung der deutschen Schriftsprache leistete.

Obwohl gegen den Papst als Stellvertreter Gottes vorgehend, gehörte zu Luthers "Selbstverständnis als Prophet", dass er "seine Erkenntnisse direkt von Gott" gehabt haben wollte. Wie er "in vielem knietief in der mystischen Frömmigkeit des Mittelalters steckt" belegt der Autor, wenn er dessen Haltung zum Menschen wiedergibt, der für ihn ein "Klumpen Sündendreck" war, ausgemacht durch "Sünde, Blindheit, Elend, Gottlosigkeit, Unwissenheit, Hass, Gottesverachtung, Tod, Hölle und verdienten Gotteszorn". Luther war nicht nur ein Feind der Papisten, Juden, rebellischen Bauern, frönte einer Zauberer- und Hexenphobie, sondern forderte auch, "Ehebrecher zu steinigen", Prostituierte, auch "giftige Huren" genannt, "rädern und steinigen" zu lassen".

Sein "mörderischer Hass schreckte vor keiner Verunglimpfung zurück", schreibt Henkel und zitiert, wie er gegen den bedeutenden Vertreter des Humanismus dieser Zeit, Erasmus von Rotterdam, der für ihn "der größte Feind Christi" war, wütete: wer den "zerdrückt, der würgt eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig".

Schockierend, was Henkel über den Luther'schen Antisemitismus, der damit jedoch nur "annähernd zu erfassen" sei, festhält. Von den Juden sagte er, dass sie "die Brunnen vergiftet, heimlich gemordet, Kinder gestohlen" haben, dass sie mit dem Urteil Christi "giftige, bittere, rachgierige hämische Schlangen, Meuchelmörder und Teufelskinder sind, die heimlich stechen und schaden tun". Er predigte, dass "man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich", man auch ihre Häuser desgleichen "zerbreche und zerstöre". Luther ging bis zur Forderung "ihrer Vertreibung, Enteignung, Berufsverbot, Zwangsarbeit, Zerstörung von Häusern, Gotteshäusern und Schulen, sowie (der) Todesstrafe für jüdische Geistliche". Bei Tisch äußerte er: "Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein um den Hals hängen und ihn hinabstoßen und sagen, Ich taufe dich im Namen Abrahams." Henkel verweist auf den reaktionären Historiker Heinrich von Treitschke, der das Jahrhunderte später zur Aussage nutzte: "Die Juden sind unser Unglück", was die Nazis übernahmen, um "ihre Gräultaten als überlebensnotwendige Notwehr des deutschen Volkes gegen das Judentum" zu rechtfertigen.

Zu Luthers Haltung gegenüber den Bauern, hält Henkel fest: In "dem Verfasser der Schrift 'Von der Freiheit eines Christenmenschen', sahen sie einen Unterstützer, der er aber von Anfang an nur sehr eingeschränkt und dann, als es zu offenen Gewaltausbrüchen gekommen war, bald gar nicht mehr sein wollte". Hier informiert Henkel weit über die bekannte Schrift "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" hinaus, wie Luther in unzähligen Fällen äußerte, dass "dies ein wildes ungezogenes Bauernvolk sei und die Obrigkeit rechte tue". Dass er den Zehnten für "rechtens" hielt und die Leibeigenschaft und Zinsen "nicht frevelhaft" nannte oder dass die Bauern "nicht das Recht (hätten), der Herrschaft ein Gesetz zu diktieren".

Henkels Grenzen werden sichtbar im Fehlen einer Einordnung in den auf der Tagesordnung der Geschichte stehenden Übergang von der feudalen zur bürgerlich-kapitalistischen Ordnung, in dem die Reformation in eine frühbürgerliche Revolution mündete, die in den Bauernkriegen gipfelte. So bleibt auch ein Eingehen auf Luthers Gegenspieler Thomas Müntzer unterbelichtet und nicht frei von Fehlurteilen. Der revolutionäre Führer der Bauern, den Friedrich Engels zu denen zählte, "die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen" können, ist für ihn ein "mystischer Sozialrevolutionär, prophetischer Apokaliptiker", "egomanisch-provinzieller Naiver", der seine Haufen "in einen aussichtslosen Kampf" trieb. Henkel gibt wieder, was Luther äußerte, als Müntzer "nach zweiwöchiger Folter enthauptet und bestialisch verstümmelt wird": "Sein "Ende zu bedenken und daraus zu lernen, wie der Allmächtige solchen Ungehorsam und Aufruhr gegen die Obrigkeit straft". Und während die Sieger "brutale Rache" nehmen, feiert er, "ungerührt und zum Entsetzen vieler seiner Sympathisanten", seine Hochzeit mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora. Auch nicht erwähnt wird ein weiterer Widersacher Luthers, der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli, der sowohl in seinen kirchlichen als auch seinen politisch-sozialen Reformen radikaler als Luther war, was offen in den Marburger Religionsgesprächen 1529 zum Ausdruck kam. Welten trennten Zwingli, der die Reformationstruppen in die Schlachten begleitete und sich auf die Seite der aufständischen Bauern stellte, von dem Wittenberger, der ihnen in den Rücken fiel.

Wenn Luther im Reformationsjubiläum enthusiastisch gefeiert wird, dann wohl auch, weil er, so Henkel, den Grundsatz hinterlässt: Die Obrigkeit hat (fast) immer recht" und er den Rat gab: "Wer das Rechte tun will, (solle) mit der weltlichen Obrigkeit zufrieden sein und sich nicht an ihr Vergreife". So schlussfolgert Henkel am Ende: "In eine demokratische(re) oder auch nur ein wenig menschenfreundlichere Zukunft weist Luthers Handeln nicht, im Gegenteil."

Für Henkel geht es schließlich nicht ohne einen Seitenhieb gegen die DDR, den "gottlosen Arbeiter- und Bauernstaat, der gläubige Christen mit Mühe und Not duldete". Bei den nicht ganz unberechtigten Vorwürfen scheint dem Autor, der sich als Atheist zu erkennen gibt, doch entgangen zu sein, dass auch die derzeitige protestantische deutsche Kanzlerin Merkel in der DDR, in der Müntzer der Held der Reformation und der Bauernkriege war, sogar promovierte.

Trotz dieser Schwach- und Fehlstellen überwiegen bei Weitem die Enthüllungen des Verfassers über Luther als einen üblen Volks- und Menschenfeind, der reaktionärem Obrigkeitsdenken anhing, den Tötungsterror der Fürsten anheizte, ein Feind des Humanismus und vor allem ein fanatischer Judenhasser war, was das Buch zum Lesen empfiehlt.


Peter Henkel:
Schluss mit Luther. Von den Irrwegen eines Radikalen.
Tectum Verlag, Baden-Baden 2017. 127 S. ISBN 978-3-8288-3958-8.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2017

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