Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → MEINUNGEN


BUCHBESPRECHUNG/137: Volker Weiß "Die autoritäre Revolte - Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes" (Sachbuch) (K. L. Helf)


Volker Weiß
Die autoritäre Revolte - Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes

von Klaus Ludwig Helf, Juli 2017


Die Neue Rechte - so Volker Weiß, der Autor des vorliegenden Bandes, - sei in den letzten Jahren von der historischen und politologischen Forschung stark vernachlässigt worden; dies habe politisch zu einer fatalen Fehleinschätzung über deren aggressiven Charakter geführt. Diese Forschungslücke will Weiß zumindest auffüllen, wenn er in der Familiengeschichte der "Neuen Rechten" gräbt und die Entwicklung ihrer historischen Wurzeln, ihrer Strömungen, Inhalte und Ziele freilegt und analysiert.

Volker Weiß studierte Literaturwissenschaft, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und Psychologie, promovierte über den konservativen Kulturtheoretiker Arthur Moeller van den Bruck und arbeitet als Historiker und Publizist; er schreibt u.a. für Die Zeit, Jungle World, Taz und Frankfurter Rundschau. Mit seinem Buch "Deutschlands Neue Rechte" (2011) lieferte er einen kenntnisreichen, unaufgeregten und konstruktiven Beitrag zur Sarrazin-Debatte.

Ein Schwerpunkt des vorliegenden Bandes liegt auch auf der Darstellung der zeitgemäßen und modernen Formen, mit denen die Vertreter der "autoritäre Revolte" auftreten: "Nicht spießbürgerlich angepasst und demütig, sondern provokant und offensiv werden die Inhalte vorgebracht" (S.10). Nach dem Vorwort folgen in dem Band neun Kapitel, Quellen-Nachweise, ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Dank; Karl Kraus wird am Anfang zitiert, wonach das religiöse und das patriotische Gefühl nichts so sehr liebten wie ihre Kränkung.

Die "Neue Rechte" ist eine politische Strömung am rechten Rand der politischen Landschaft, die sich in den 70er-Jahren gebildet hat, als die "Alte Rechte" mit NS-Hintergrund am Ende war. Die "Neue Rechte" sei auf den Zug aufgesprungen, der sich im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise, dem Aufstieg von Pegida, AfD, und der Identitären Bewegung politisch formiert habe. Dabei gehe es der "Neuen Rechten" im Kern weniger um die Problematik der Einwanderung oder um die Flüchtlinge, sondern vielmehr um eine "Kulturrevolution von rechts" mit dezidiert antiliberalen und antidemokratischen politischen Vorstellungen. Der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin habe mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" und den darauffolgenden Diskussionen einer "latenten bürgerlichen Krisenstimmung" Ausdruck verliehen und diese noch befeuert- so eine der Kernthesen von Weiß. Sarrazins Untergangsszenarien, seine biologisch-rassistisch begründeten Thesen von der Ungleichheit der Menschen und der kulturellen und sozialen Minderwertigkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen, seine Agitation gegen den "Gleichheitswahn" und gegen den "Tugendterror" und gegen "politische Korrektheit der Sprache" und nicht zuletzt seine Selbstinszenierung als Widerstandskämpfer gegen die angeblich gleichgeschalteten Medien waren Wasser auf die Mühlen der neuen rechten Ideologen.

Die "Neue Rechte" sei - so Weiß - der Versuch einer vor allem intellektuellen Wiederbegründung rechten Denkens in Deutschland und in Europa. Dabei versuche man unter Auslassung der Themen Nationalsozialismus, Judenvernichtung und Zweiter Weltkrieg, rechtes Denken zu begründen; dies erfolge hauptsächlich durch den Rückgriff auf antiliberale, antimarxistische und antidemokratische Denker aus dem 19. Jahrhundert und aus den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts wie Carl Schmitt, Ernst Jünger, Martin Heidegger, Oswald Spengler und Moeller van den Bruck.

Weiß analysiert faktengesättigt Geschichte, Denken Verhalten, Strategie und Taktik der "Neuen Rechten" in Deutschland und in Europa - dort vor allem in Frankreich, Österreich und in Russland. Parallel zum Streben nach Emanzipation im Verlauf der Modernisierung seien auch weltweit lebhafte antiliberale, antidemokratische, autoritäre bis rechtsextreme Gegenbewegungen entstanden. Die Rückkehr von Autorität und Religion vollziehe sich überall mit "enormer Geschwindigkeit"; auch der politische Islam (Islamismus) sei ein weiterer Baustein einer globalen "Konservativen Revolution". Der Aufbruch der "Neuen Rechten" vollziehe sich mit modernen Methoden der politischen Agitation und Kommunikation und konzentriere sich in Anlehnung an Gramsci auf die "Metapolitik", auf die politische Kultur, die dem unmittelbar Politischen vorgelagert ist. Beispielhaft zeigt dies Weiß an der Agitation der "Identitären Bewegung" und an den Kampagnen von Götz Kubitscheks neurechter Denkfabrik "Institut für Staatspolitik" (IfS).

Weiß demaskiert die neurechte Beschwörung des Abendlandes oder auch dessen Untergang nicht nur als konservativ-romantischen Wunschtraum, sondern auch als reaktionären politischen Kampfbegriff, der nach Belieben und Bedarf mit neuem Inhalt gefüllt wurde und werde; er diene vor allem der Abgrenzung gegenüber dem Fremden und Anderen. Mit dem Abendland vollziehe die "Neue Rechte" aktuell vor allem eine Positionsbestimmung bei Einwanderungsfragen. Volker Weiß analysiert auch die autoritären Vorstellungen der "Neuen Rechten" u.a. zum Menschenbild, zu Gesellschaft, Staat, Erziehung und Familie und veranschaulicht die z.T. fließenden Übergänge von Konservativismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Das zentrale Element im Menschenbild der Neuen Rechten sei das Bild der Ungleichheit; nach dem seien die Menschen nicht nur verschieden, sondern auch mit ungleichen Rechten ausgestattet; inhaltlich unterscheiden sich alte und neue Rechte weniger als man bei oberflächlicher Betrachtung wahrnimmt.

Unter dem Banner der "Konservativen Revolution" (ein von Armin Mohler geprägter Kampfbegriff) ginge es der "Neuen Rechten" insgesamt um die Abschaffung der Demokratie und des Liberalismus, deshalb dürfe die politische Sprengkraft dieser Bewegung nicht unterschätzt werden. Es sei für alle Demokraten an der Zeit, offensiv aus der "Komfortzone des Schweigens" auszubrechen: "Die alte Regel scheint sich zu bewahrheiten, nach der die Stärke der Rechten auch immer aus der Schwäche ihrer Gegner resultiert" (S. 241). Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der Band bietet eine historisch fundierte Aufarbeitung und Analyse des vielschichtigen Spektrums der neuen rechten Bewegungen in Deutschland und auch in Europa; herausgearbeitet werden deren rechtsextremes Gedankengut, deren moderne Agitationstechniken und die internationale Vernetzung ihrer Kader. Volker Weiß hat ein faktenreiches und scharfsinniges Buch geschrieben, nach dessen Lektüre klar wird, dass wir es mit einer brandgefährlichen Entwicklung zu tun haben.


Volker Weiß
Die autoritäre Revolte - Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes.
Verlag Klett-Cotta Stuttgart Zweite Auflage 2017
gebunden, 304 Seiten, 20 Euro.

*

Quelle:
© 2017 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang