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BUCHBESPRECHUNG/134: Das ganze schrecklich schöne Leben von Konstantin Wecker (Biogrophie) (Klaus Ludwig Helf)


Konstantin Wecker (mit Günter Bauch und Roland Rottenfußer)
Das ganze schrecklich schöne Leben. Die Biographie.

von Klaus Ludwig Helf, Juni 2017


Gerade rechtzeitig zu seinem 70. Geburtstag am 1. Juni erschien Konstantin Weckers Autobiografie, eine abgerundete und ausgereifte Fortsetzung seiner autobiografischen und philosophisch-essayistischen Skizzen in "Mönch und Krieger" (2014). Der Band wird eingeleitet mit einem Zitat von Max Frisch: "Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält". Auch Wecker geht zu Recht davon aus, dass es keine objektive Sicht auf das eigene Leben geben kann und wagt das Experiment einer Autobiografie mit biografischen Elementen: "...diese Biographie ist ein wirklich neuer Versuch, einem ganz schön aufregenden Leben schreibend näherzukommen. Mir genügt meine eigene Sicht nicht, sie kommt mir etwas einseitig vor" (S. 16). Daher hat Wecker zwei Co-Autoren gewinnen können, die einige mit ihrem Namen gekennzeichnete Kapitel zu dem vorliegenden Band beisteuern: Günter Bauch, sein "bester Freund von Kindheit an" und jahrzehntelanger Wegbegleiter und Roland Rottenfußer, Redakteur von Weckers Web-Magazin »Hinter den Schlagzeilen« und profunder Kenner des "Wecker-Universums". So entstand ein gewagtes, einzigartiges Buchprojekt, das einen dreidimensionalen Einblick in das bewegte und schillernde Leben eines Ausnahme-Künstlers gibt.

Der 1947 in München geborene Konstantin Wecker ist Musiker, Liedermacher, Komponist, Schauspieler und Autor; er zählt neben Georg Kreisler, Reinhard Mey, Hannes Wader und Franz Josef Degenhardt zur Avantgarde der deutschen Liedermacher. Bereits seit früher Kindheit lernte er Klavier und Geige, später dann Gitarre spielen und zusammen mit seinem Vater übte er das Singen von Arien und wirkte bei der Kinderoper mit; mit dreizehn Jahren begann er, Gedichte zu vertonen. Nach dem Abitur begann er ein Studium der Philosophie und Psychologie. Wecker startete als Liedermacher in der Kleinkunstszene und wurde Ende der 70er-Jahre bekannt mit Alben wie »Genug ist nicht genug« oder »Weckerleuchten«, hatte Erfolge als Komponist von Filmmusiken (z.B. »Schtonk!«) und Musicals als auch mit Lyrik und Prosa; als Schauspieler trat er in diversen Rollen auf. Mit seiner Ballade über seinen von rechtsradikalen erschlagenen Freund Willy (1977) gelang ihm der endgültige Durchbruch als politischer Liedermacher und er erlangte Kultstatus. So tourte er 1988 mit Mercedes Sosa und Joan Baez, 1991/92 mit Wolfgang Dauner und Charlie Mariano, zwischendurch Solo und mit eigenem Quartett. Während dieser großen Erfolgsphase war er lange kokainabhängig und wurde im Jahr 1995 verhaftet und 2000 nach mehreren Prozessen zu 20 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Nach einer Durchhängephase und einer Rekonvaleszenz startete Wecker wieder durch mit umtriebigen Aktivitäten und auch selbstkritischen Reflexionen über seine Drogensucht. Politisch trat er insbesondere gegen den Irak-Krieg, gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf.

Das Buch erzählt in flüssiger, zum Teil poetischer Sprache ehrlich, authentisch und (selbst-)kritisch reflektierend, aber auch warmherzig und humorvoll aus dem Leben von Konstantin Wecker - von der wohlbehüteten, romantischen Kindheit und Jugend, über den mühsamen Aufstieg zum bejubelten Star, über den schmerzhaften und jähen Fall - verursacht vor allem durch exzessiven Drogenmissbrauch - bis zum Wiederauferstehen als geläuterte, kraftvolle, öffentlich geachtete künstlerische und politische Persönlichkeit. Seinen Eltern habe er viel zu verdanken, was seinen späteren Werdegang und seine Persönlichkeit betrifft. Er hatte eine einfühlsame und tolerante Mutter ("Stehe immer zu dem, was du tust"), die ihm die Poesie näherbrachte und einen widerständigen Vater als philosophischen und musikalischen Mentor, mit dem er Arien übte. Bei ihm habe er auch ein starkes Rhythmusgefühl gelernt, als der Vater beim Klavierüben zuließ, dass der Knabe auch schräg und ungestüm seine Finger über die Tasten des heimischen Klaviers tanzen lassen durfte.

Poesie und Rhythmus seien auch nach wie vor seine wichtigsten methodischen Werkzeuge beim Komponieren, schreibt Wecker: "...so folgte und folgt meine Musik immer den Worten, dem Rhythmus und den Melodien der Poesie. Nur selten hatte ich eine Melodie im Kopf, der dann eine Liedzeile folgte ... Im Grunde bin ich ein unverbesserlicher Melodiker, auch wenn mir ein souliger und bluesiger Rhythmus durchaus im Blut liegen mag" (S. 311/312). Das manchmal überhöhte Pathos, die kraftvolle, rhythmische Bühnenpräsenz, die ihm von einigen Kritikern immer wieder vorgehalten wird, hat wohl seine Wurzeln in dieser frühen Begeisterung für die Oper, vor allem auch für Verdi und Puccini; Mozart und Schubert waren die Quellen der Inspiration für die Leichtigkeit und Luftigkeit mancher Melodien von Wecker; bei seiner Poesie waren es vor allem Rilke und Benn.

In dem vorliegenden Band wird klar, dass Weckers Persönlichkeit im Wesentlichen aus Dichotomien besteht, aus zwei Teilen, die sich scheinbar widersprechen, aber doch wunderbar ergänzen: Expressivität und Innerlichkeit, Wut und Zärtlichkeit, Ekstase und Askese, Spiritualität und politische Aktion, Revolution und Pazifismus, Utopie und Politik, also das ganze schrecklich schöne Leben - wie es im Buchtitel heißt. Nach dem Motto, dass kein Denken ohne Tat fruchtet, habe Wecker die Extreme gelebt und oft bis an deren extremen Rand ausgekostet als Mönch und als Krieger zugleich - wie Roland Rottenfußer bilanziert. Die "kleine Glut des Widerstands", die Angriffslust und wilde Entschlossenheit lodere in ihm bis heute; doch wie selten in seinem Leben wettere er aktuell gegen Turbokapitalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Chauvinismus, Krieg und Erosion der Mitmenschlichkeit.

Wecker ist nicht altersmilde geworden - im Gegenteil, wie er von sich behauptet: "Speziell die Generation der 68er hat geradezu die Verpflichtung, weiter aufzubegehren gegen die »identitäre Aggression, die Europa droht«" (S. 448). Die 68er- und Hippie-Bewegung sei seiner Meinung nach eine der "wichtigsten Revolutionen der Weltgeschichte" gewesen, die Konterrevolution habe freilich gewonnen, der Neoliberalismus habe die Schwächen der Linken mit ihren ideologischen Kleinkriegen und Streitereien ausgenutzt, aber engagiertes, freches politisches Aufbegehren müsse gegensteuern. So wirbt er in seinem Song »Revolution« (2015) für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt, für "eine friedliche Revolution der Vernunft und der Liebe" und gegen den gierigen Finanzkapitalismus, der jede Solidarität und Sicherheit zerstört habe. Wo es aber keine Solidarität mehr gebe, gebe es auch kein Mitgefühl, sondern irgendwann nur noch das Überleben des Stärkeren.

Am Ende des Bandes resümiert Konstantin Wecker erfrischend selbstkritisch, offen und handlungsbereit: "...das sind keine Wahrheiten und Weisheiten, die ich hier verkünde. Es sind Einsichten und durchaus auch Absichten, aber nichts Endgültiges, in Stein Gemeißeltes. Ich bin nicht am Anfang und auch nicht am Ende. Ich bin hoffentlich immer noch mittendrin. Weiterhin fehlerhaft und lernend, närrisch und zornig, liebevoll und verzweifelt" (S. 452).

Nach der Lektüre seines Buches kann man sicher sein, dass Konstantin Wecker immer wieder als "Herdplattenanfasser" und als "notorische Nervensäge" auftreten wird. Das gibt Hoffnung, denn solche standfesten, zupackenden, inspirierenden und ehrlichen Menschen brauchen wir in diesen Zeiten des Umbruchs. Der Band ist eine unterhaltsame, aufwühlende, reflektierte, herzerfrischende, ehrliche und selbst in Abgründen humorvolle (Auto-)Biographie, aus der man viel lernen kann über das schrecklich schöne Leben mit all seinen Kurven, Tälern und Bergen.


Konstantin Wecker (mit Günter Bauch und Roland Rottenfußer):
Das ganze schrecklich schöne Leben. Die Biographie.
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017,
Hardcover,
16 Seiten mit Fotos,
480 Seiten,
EUR 24,99,
auch als eBook erhältlich.

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Quelle:
© 2017 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2017

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