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BUCHBESPRECHUNG/076: "Die heimlichen Revolutionäre" von K. Hurrelmann, E. Albrecht (Klaus Ludwig Helf)


Klaus Hurrelmann, Erik Albrecht: "Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert"

von Klaus Ludwig Helf, 19. Februar 2015


"Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten soll. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer." Dieses Zitat und das Jammern und Klagen über die Jugend wird dem antiken Philosophen Sokrates (470 - 399 v. Chr.) - nach wie vor unbewiesen - zugeschrieben. Im Prinzip hat sich seither nicht viel verändert; dass die "Jugend von heute" immer schlimmer und verlotterter sei als die jeweilige Elterngeneration wird seit Jahrhunderten beklagt. Auch über die heutigen 15- bis 30jährigen jungen Leute liest, hört und sieht man gemeinhin nicht viel Gutes: angepasst, un- bis a-politisch, unkritisch, selbstverliebt, hedonistisch, narzisstisch, egozentrisch, verwöhnt, anspruchsvoll, netzabhängig, pornosüchtig, komasaufend ... kurzum langweilig und träge im Gegensatz zu den unangepassten, eher rebellischen Vorgängergenerationen - so oder so ähnlich lauten die Gemeinplätze auch in der veröffentlichten Meinung, obwohl die letzten Shell-Studien ein differenzierteres Bild der Generation Y - wie sie genannt wird - zeichnen.

Der schon angejahrte und renommierte Soziologe und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann sowie der wesentlich jüngere Journalist Erik Albrecht haben nunmehr ein wichtiges und sehr empfehlenswertes Buch herausgegeben über die Generation Y (*1985 bis 2000), die aus den ersten Digital Natives besteht, online aufgewachsen und geprägt ist von epochalen technischen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Umbrüchen. Sie hat in Ihrer Jugend viele Krisen erlebt: lang anhaltende Arbeitslosigkeit, geplatzte Internetblase (2001), globale Finanzkrise ab 2007, europäische Schuldenkrise und Schulden der öffentlichen Haushalte, neoliberale Politik, ökologische Veränderungen, Atomkatastrophe in Japan, internationaler Terrorismus, Kriege und Kriegsgefahren ... Dies alles prägt diese Generation: "Sie muss sich ständig anpassen und umstellen. Ein Ypsiloner muss eine Persönlichkeit entwickeln, die es ihm erlaubt, auf diese massiven Veränderungen zu reagieren, ohne sich von ihnen treiben zu lassen" (S.27).

Auf der Grundlage einer breiten empirischen Basis, unterfüttert mit knappen Statements junger Leute, versuchen die beiden Autoren ein Portrait zu zeichnen. In sechs Kapiteln zeigen sie, wie und warum die Generation Y Bildung und Beruf, Familienleben, Politik sowie Medien und Freizeit verändern; im Kapitel sieben werden die "Veränderungen in kleinen Schritten" zusammenfassend bewertet: "In ihrer Jugend haben die Ypsiloner gelernt, trotz aller Widrigkeiten ihr eigenes Leben zu führen. Keiner Generation war Individualität so wichtig wie ihnen ... In den kommenden Jahren und Jahrzehnten werden sie nun die Gesellschaft nach ihren Lebensentwürfen formen" (S.240).

Hurrelmann und Albrecht entwickeln die These von den sanften Revolutionären: "Offen revolutionär sind sie nun wirklich nicht, die jungen Leute. Sie erscheinen schon in ihrer Jugend angepasster, als es die 68er als Rentner sind. Doch der Schein trügt. Die heute 15- bis 30-Jährigen verändern unsere Welt radikal. Sie haben in kurzer Zeit den strukturellen Wandel in Politik, Wirtschaft, Arbeitsleben Familie, Technik und Freizeit eingeleitet. Allerdings nicht gewaltsam und mit militanten Mitteln ... Sie agieren still und leise, gewissermaßen aus der zweiten Reihe heraus, wirken im Verborgenen hinter den Kulissen" (S.7).

Die angestoßenen Umwälzungen würden zunächst auf den ersten Blick kaum erkennbar sein, da sie sich wie selbstverständlich im Alltag durchgesetzt hätten: "Fordert die Wirtschaft ... mehr Einsatz im Beruf, bestehen die Ypsiloner im Gegenzug auf flexiblere Arbeitszeiten und Heimarbeit. Statt lückenloser Lebensläufe für eine Karriere mit vermeintlich sicheren Arbeitsplätzen nimmt die Generation Y Elternzeit oder kehrt an Schulen oder Universitäten zurück, um sich weiterzubilden" (S. 200).

Sie seien heimliche Revolutionäre, denen man ihr Umstürzlertum nicht ansähe; sie kämen auf leisen Sohlen, scheinbar angepasst und still sondierend und taktierend, sanft und unbemerkt, mischten Bildung und Beruf auf, krempelten das Familienleben um und unterwanderten Politik und Gesellschaft: "Die Generation Y wird neu definieren, was es bedeutet, 'gut zu leben'. Dabei zählt nicht immer mehr Wohlstand, sondern eine Kombination aus materiellem Wohlstand, Zeit für Freunde und Familie, Bildung, guten Arbeitsbedingungen und ökologisch intakter Umwelt" (S. 240).

Diese Generation besteht andrerseits aus extrem hartnäckigen Nesthockern; das strategische Bündnis der Ypsiloner mit ihren Eltern wird von den Autoren als eine der effizientesten Entlastungsstrategien gegen deren Lebensstress gewertet, aber auch mit vielen nachteiligen Entwicklungen: "Viele Nesthocker werden nicht selbständig, weil sie verlernen, für sich selbst zu sorgen ... Die Eltern, hypertolerant ... dulden dieses unselbständige Verhalten, akzeptieren alle Marotten und Bequemlichkeiten, klammern manchmal auch noch - und wirken auf diese Weise dabei mit, dass ihre Kinder ewig Kinder bleiben und keine Autonomie entfalten können" (S.193).

Die Ypsiloner, oft Einzel- und Wunschkinder, würden von den Eltern und Großeltern nicht nur heiß geliebt, vergöttert und verwöhnt, sondern auch für Talente, Genies und Hochbegabte gehalten werden: "Nach einiger Zeit glauben sie das selbst und verlieren ihre Maßstäbe. Viele junge Leute laufen deshalb ... mit einem unrealistischen Selbstbild herum ... Sich selbst sehen sie über jeden Zweifel erhaben, und sie lernen auf diese Weise nicht, aus eigenen Misserfolgen und Rückschlägen Konsequenzen zu ziehen und ihr Verhalten zu korrigieren" (S.194/195).

Diese Angehörigen der Generation Y, die sich maßlos und grenzüberschreitend selbstverliebt, narzisstisch, egozentrisch und autistisch verhalten, seien in Schulen und Hochschulen, im Freundeskreis und im Berufsleben zu Recht gefürchtet - bilden aber "nur eine kleine Minderheit der Generation" wie die Autoren anmerken; hoffentlich liegen die beiden mit dieser quantitativen Einschätzung richtig. Insgesamt kommt die Generation Y bei den Autoren, die sich auf eine breite Quellenlage stützen, positiv an, insbesondere wegen ihrer unaufgeregten, pragmatischen und situationsadäquaten Art und Weise, auf die finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Zumutungen zu reagieren. Das Buch ist sprachlich klar und schnörkellos geschrieben mit wenig Fachjargon und daher gut zu lesen; es gibt einen differenzierten und kompakten Blick auf die Generation der heute 15- bis 30-Jährigen. Die Autoren räumen mit den gängigen Klischees auf und bieten so eine solide, empirisch abgesicherte Grundlage für eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, in der sicher auch eine wesentlich kritischere Sicht der Generation ihren Platz haben muss.

Klaus Hurrelmann, Erik Albrecht:
Die heimlichen Revolutionäre.
Wie die Generation Y unsere Welt verändert.
Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2014
255 Seiten
18,95 Euro

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Quelle:
© 2015 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2015

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