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BUCHBESPRECHUNG/073: "Mein Leben als Affenarsch" von Oskar Roehler (Klaus Ludwig Helf)


Oskar Roehler: "Mein Leben als Affenarsch"

von Klaus Ludwig Helf, 27. März 2015


Oskar Roehler (* 1959), Sohn der Schriftstellerin Gisela Elsner und des Schriftstellers Klaus Roehler, ist ein anerkannter und erfolgreicher Drehbuch-Autor und seit Mitte der 1990er-Jahre vor allem als Spielfilmregisseur bekannt. Sein bislang - auch international - erfolgreichster Film war "Die Unberührbare" (2000), in dem er die letzten Lebensmonate seiner Mutter bebildert, die schwer drogensüchtig und psychisch zerrüttet 1992 den Freitod suchte. In "Elementarteilchen" (2006) verfilmte er den gleichnamigen Roman von Michel Houellebecq; 2010 folgte sein viel beachteter Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen", mit dem er die Entstehung des antisemitischen Propagandafilms "Jud Süß" dramatisiert. Mit "Herkunft" veröffentlichte Roehler 2011 seinen ersten, stark autobiografisch geprägten Familien-Roman der Nachkriegszeit, den er unter dem Titel "Quellen des Lebens" (2013) verfilmte.

Jetzt veröffentlichte er einen weiteren Lebens-Roman mit dem Titel "Mein Leben als Affenarsch" über die wilden Zeiten im Berlin der 1980er Jahre. Aus diesem Stoff zauberte er wieder einen Film "Tod den Hippies - Es lebe der Punk!", der jetzt in den Kinos startet. In "Mein Leben als Affenarsch" bearbeitet Roehler in der Figur des 19-jährigen Robert seine wild-bewegte Zeit der Adoleszenz in Berlin und reflektiert seine traumatischen Kindheits- und Jugendjahre. Der Roman beginnt im November 1980 in München: Besuch des Ich-Erzählers Robert bei seiner drogenabhängigen, durchgeknallten Schriftsteller-Mutter im Affenkostüm, um sie vor seiner Berlin-Reise anzupumpen: "Meine Mutter lallt schon. Das Kinn klappt hinunter, sie sackt nach vorn ... Schließlich kippt sie zur Seite, ihr Oberkörper fällt auf das weiße Lederkissen. Ich nehme meinen Tornister und gehe" (S.15).

Ähnlich verläuft sein Besuch bei seinem versoffenen Schriftsteller-Vater in Darmstadt: "Ich sehe mich um. Die Wohnung ist in Unordnung. Überall auf dem großen schmuddeligen Läufer eingetrocknete Rotweinlachen ... Er bittet mich ins Wohnzimmer, wo eine seiner überdimensionalen Flaschen Retsina steht, und schenkt in den großen Glaspokal nach, mit dem man einen Menschen erschlagen kann ... Er will wissen, warum sie mich aus dem Internat geschmissen haben. Ich erzähle ihm, dass wir einen Lehrer mit Schlaftabletten betäubt und ihm seine langen Haare abgeschnitten haben" (S.17).

Robert reist im bodenlangen Wehrmachtsmantel und mit einem Tornister voller Bücher nach Berlin und landet im Winter 1981 im Wedding. Er bezieht eine Erdgeschosswohnung in einem Hinterhaus, wo es nach Kartoffeln und Eiern stinkt und wo sich der Hausmeister direkt vor seinem Fenster erleichtert:

Der Wedding ist eine geistige Wüste. Hier leben die abgestumpften Hinterhofproleten seit Jahrzehnten ... Verbrechervisagen, die eine ekelerregende Masse sprachlichen Schleim absondern, der nach Fäulnis, Verwesung, Mundgeruch stinkt. Hier ist das Kanonenfutter des geliebten Führers zu Hause, die Mörder und Henker ... Dieses Grau und der Geruch nach feuchter Kohle überall, nach Hundescheiße, nach Regen, nach Kohlsuppe, nach alter, ranziger Wäsche, nach übelstem Mundgeruch, übelster Nachrede ... Bier, Eisbein, Kohlsuppe, Currywurst und Mord &Totschlag sind das Fazit ... Und über diesen Höfen: ein bleierner Himmel, der nie aufreißt. [S.24/25]

Und so geht es weiter mit der direkten, ungeschminkten und teilweise obszön offenen Beschreibung und Reflexion des Lebens in der eingemauerten Frontstadt Berlin im knisternden Spannungsfeld zwischen Wahnsinn, Aufbegehren, Aufbruch und Stillstand: Alpträume, Exzesse, Gewalt, Drogen, Sex und Aids, Alkohol, punkige Blut-Sperma- und Speichelorgien in damals legendären Clubs wie "Risiko", "Ruine", "Dschungel", "SO 36" oder im Rotlicht, Wahnsinnige und Durchgeknallte bei Konzerten, durchsoffene Kreuzberger Nächte, Diebestouren. Robert ekelt sich vor sich selbst und ekelt andere an; seine Füße stinken grauenhaft, er macht dauernd Speichelblasen, schneidet sich die Unterarme auf und versinkt in Depressionen und Selbsthass:

Ich bin ein verhinderter Künstler. Ich will zerstören. Mich kotzt die Welt an, und die Leute kotzen mich noch mehr an ... ich gucke zum Fenster hinaus und sehe, wie der Riese namens Depression mit großen Schritten auf mich zugewankt kommt, alles niedertretend, was ihm im Weg steht. Er ist genauso betrunken wie ich. Ich hebe die Flasche ihm zum Gruß und lasse den Kopf auf die Schreibmaschine sinken. [S.160]

Robert geht vor Verzweiflung im versifften Landwehrkanal schwimmen, arbeitet als Putzer und Scheibenwischer in einem Pornokino und treibt wilden Sex mit der Prostituierten Nina, die er dort kennenlernt und von der er sich längere Zeit längere Zeit aushalten lässt. Die Liaison endet nach fürchterlichen Sex-, Alkohol, -Drogen- und Gewaltexzessen, die im Roman ausführlich, plastisch, krass und drastisch nacherzählt werden. Robert berappelt sich wieder einigermaßen, aber findet keine positive Zukunft als Schriftsteller, wie er es einmal vorhatte; so sagt er am Schluss des Romans: "Ich nehme am Ku'damm einen Kellnerjob an und betrüge mir jeden Abend vierhundert Mark zusammen, indem ich die Gäste bescheiße und auch den Wirt. Ich fange an, zu Nutten zu gehen" (S.222).

"Mein Leben als Affenarsch" ist als Roman geschrieben in der Tradition der "Lost Generation" um Fitzgerald und Hemingway und der "Beat-Autoren" wie Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs: schrill, laut, chaotisch, spontan, depressiv, sinnentleert, hoffnungslos und vor allem maßlos überdreht und überzogen. Darin liegt auch der Charme dieses Berlin-Romans, der diese Stadt in den 80er Jahren trefflich charakterisiert und vor allem das Lebensgefühl und den Nerv derer trifft, die nicht im Mainstream mitschwammen. Es macht ungeheuren Spaß, sich in den Rhythmus und in die Sogkraft der schrillen und grellen Erzählungen hineinzulesen, in die krasse und schrille, manchmal abstoßende und subversive Schönheit dieser Stadt hineinzuleben - ein völlig anderes Gefühl als es David Bowie in seinen schönen und fast braven Berlin-Erinnerungen vermittelt. Roehler schreibt unpathetisch, direkt und schnörkellos, rhythmisierend und fast atemlos - man könnte das Buch fast in einem Rutsch verschlingen. Gewidmet ist der Roman dem Schriftsteller und "Freund aus alter Zeit" Harry Hass und endet mit einer Danksagung an Westberlin, "in dem Zustand, als es noch von einer Mauer umgeben war". Wer in dieser Zeit - wie der Rezensent selbst - in dieser Stadt gelebt hat, wird vieles wiederfinden und wieder entdecken - vor allem den Soundtrack und das Lebensgefühl. Man darf auf die filmische Umsetzung gespannt sein!

Oskar Roehler
Mein Leben als Affenarsch
Ullstein Verlag, Berlin 2015
gebunden
224 Seiten
18,00 EURO

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Quelle:
© 2015 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2015

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