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BUCHBESPRECHUNG/055: "Ausbruch" - Ein neuer spannender Krimi von Dominique Manotti (Gerhard Feldbauer)


"Ausbruch". Ein neuer spannender Krimi von Dominique Manotti

Diesmal über die Roten Brigaden

von Gerhard Feldbauer, April 2014



Die für brillant geschriebene und mehrfach preisgekrönte Krimis mit politischem und sozialökonomischem Hintergrund bekannte Dominique Manotti hat sich in ihrem neuesten "Ausbruch" betitelten Roman einem brisanten Thema zugewandt: den linksextremen Roten Brigaden im Italien der 1970/80er Jahre. Vor dem Hintergrund der Geschichte der radikalen italienischen Linken, die die Hinwendung der Kommunistischen Partei (IKP) zur Regierungszusammenarbeit mit der großbürgerlichen Democrazia Cristiana (DC) ablehnte und gegen die wachsende neofaschistische Gefahr den bewaffneten Kampf aufnahm, wird auf mehreren Ebenen das Schicksal Carlos, eines Gründers der Brigate Rosse, abgehandelt. Da ist auch ein Stück Biographie von Manotti, die 1968 enttäuscht über die Haltung der FKP zu der Studenten- und Bürgerrechtsbewegung, die ihren Höhepunkt mit der Mai-Revolte erreichte, die Partei verließ. In dieser Zeit wandte sich die FKP auch zeitweise dem sogenannten Eurokommunismus zu, dem George Marchais im Gegensatz zu Italiens Enrico Berlinguer und Spaniens Santiago Carillo jedoch bald wieder den Rücken kehrte.


Eine Anhängerin Antonio Gramscis

Dominique Manotti, die eigentlich Marie-Noëlle Thibault heißt, wurde während des Befreiungskampfes Algeriens gegen die französische Kolonialmacht politisch aktiv. An der Schwelle zu den 1980er Jahren unterstützte sie den Kampf der türkischen San papiers (Ohne Papiere), die ihre Legalisierung forderten. Die Auseinandersetzungen bildeten den Hintergrund ihres Kriminalromans "Hartes Pflaster". Von 1976 bis 1983 war die promovierte Historikerin, die an Pariser Universitäten Wirtschaftsgeschichte lehrte und sich bereits vorher gewerkschaftlich engagierte, Generalsekretär der Pariser Sektion der Confédération française démocratique du travail (CFDT). Zu den von ihr bevorzugten marxistischen Theoretikern gehören der Begründer der IKP Italiens Antonio Gramsci und die deutsche Kommunistin Rosa Luxemburg.

Carlos sitzt im Gefängnis, wo er - eine authentisch belegte, beliebte Methode der Strafjustiz - die Zelle mit einem Klein-Kriminellen Filippo teilt. Der bewundert Carlos, der von den Kämpfen gegen die Faschisten, gegen das Unrecht und für eine bessere Welt erzählt. Als Carlos fliehen kann, ergibt sich für Filippo die Gelegenheit, mit zu entkommen. Carlos trennt sich bald von Filippo, dem er empfiehlt, nach Paris zu gehen, wo er ihm die Adresse seiner Geliebten und Kampfgefährtin Lisa gibt. Sie vermittelt ihm eine Arbeit als Nachtwächter, während der Filippo sein Naturtalent als Schriftsteller entdeckt. Angeregt wird er durch den Tod von Carlos, der einen Bank-Überfall unternommen, dabei einen Carabiniere erschossen haben soll und selbst ums Leben kommt.


Bezugspunkt der echte BR-Gründer Renato Curcio

Linksradikale italienische Emigranten in Paris vermuten und Lisa recherchiert eine von den Geheimdiensten gestellte Falle, um den BR-Chef zu exekutieren und gleichzeitig die Rotbrigadisten als gewöhnliche Verbrecher abzustempeln. War dazu auch sein Ausbruch schon inszeniert? Hier wird Insidern der Bezug zum BR-Gründer Renato Curcio, der diesem Schicksal nur knapp entging, aber seine Frau Mara Cagol so regelrecht hingerichtet wurde, besonders deutlich werden. Umso mehr verwundert, dass in den knappen Quellen das Buch von Curcio und Mauro Rostagno "Fuori dai Denti" - Offen gesagt (Neuauflage, Mailand 1980) fehlt. Ebenso Curcio "Mit offenem Blick" (ID-Verlag 1997).

Filippo schafft einen Mythos, in dem er sich an der Seite von Carlos zum Helden stilisiert. Er steigt zum gefeierten Bestseller-Autor auf, wird aber damit zum von den Geheimdiensten auserkorenen Kronzeugen für den Banküberfall. Mit Carlos Kampfgefährten fordert Lisa, Filippo soll bekennen, dass das Ganze eine von ihm erfundene Geschichte ist. Kommt er dem nach, droht das Komplott aufzufliegen. Dem wird vorgebeugt und Filippo erleidet das Schicksal unzähliger unbequemer Zeugen aus der Geschichte der radikalen Linken und der Geheimdienstkomplotte gegen sie, er wird erschossen.


Nach Curcio steuerte ein CIA-Agent die BR

Aus der Fülle aussagekräftiger Bücher italienischer Autoren vermisst man auch Alberto Franceschini (mit Curcio Brigadegründer) "Das Herz des Staates treffen" (Europa-Verlag 1990) oder Primo Moroni/Nanni Balestrini "Die goldene Horde. Arbeiterautonomie, Jugendrevolte und bewaffneter Kampf in Italien" (Berlin, Göttingen 1994). Moroni hob in "Die Beute" 1994 hervor, dass im Gegensatz zur RAF, die in der Bundesrepublik nicht viel mehr als 1.000 aktive Anhänger zählte, in Italien zwischen 7.000 und 11.000 den bewaffneten Kampf führten, darunter viele aus Familien der Kommunisten und Partisanen der Resistenza gegen den Hitler- und Mussolinifaschismus. Von Franceschini stammt die Einschätzung: "Die BR wurden instrumentalisiert, nur ein Teil 'unserer Aktionen' waren wirklich unsere." Es fehlen auch die Analysen von Sergio Flamigni, Mitglied der Moro-Kommission des italienischen Parlaments, der u. a. in "La tela del ragno - Das Spinnennetz" (Mailand 1993) nachwies, dass nach der Ausschaltung Curcios 1975 der CIA-Agent Corrado Simioni "der tatsächliche Chef der Brigate Rosse" wurde, der den nun einsetzenden mörderischen "Linksterror" der Tötung initiierte.


CIA-Agenten als "Brigadisten" ausgebildet

Eine "Kleine Legende zu politischen Termini" des Verlags erhellt den tatsächlichen Hintergrund, darunter über die Strategie der Spannungen, die Roten Brigaden, die faschistische P2. Hier wäre aufschlussreich gewesen, den Enthüllungsjournalisten Livio Januzzi auf einer Pressekonferenz am 14. Juni 1975 in Rom anzuführen, der schon damals die Durchdringung und Manipulierung der Roten Brigaden durch Geheimdienstagenten der CIA sowie ihrer italienischen Partner und ihre Ausbildung auf einem geheimen NATO-Stützpunkt auf Sardinien aufdeckte. Seine Enthüllungen wurden 1991 nach dem Aufspüren der geheimen CIA-Truppe in Italien u. a. durch Giovanni Mario Bellu und Giuseppe D' Avanzo in "I Giorni di Gladio (Die Tage von Gladio), Rom 1991, vollauf bestätigt. Doch solche Lücken werden allenfalls Kenner der Szene entdecken. "Ausbruch" ist ein interessierter breiter Leserkreis zu wünschen. Der spannende Krimi kann anregen, über die bis heute anhaltenden Folgen der verfehlten Strategie der Regierungszusammenarbeit der IKP mit der Großbourgeoisie, gegen die sich der ursprüngliche Widerstand der Gründergeneration der Brigate Rosse unter Curcio und seinen Genossen richtete, nachzudenken: Mit dem Versinken der einst kampfstarken italienischen Kommunisten in die Bedeutungslosigkeit.


Gerhard Feldbauer befasste sich mit dem bewaffneten Kampf der radikalen Linken Italiens in mehreren Büchern, darunter "Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA", PapyRossa 2000, und in der Kriminalerzählung "Warum Aldo Moro sterben musste. Die Recherchen des Commissario Palotta", offensiv, Hannover 2008, Neuauflage Erich Weinert-Bibliothek der DKP Berlin 2011.

Dominique Manotti
Ausbruch
Ariadne Kriminalroman
Argument Verlag, 2013
253 Seiten
17 Euro [D]
ISBN 9 783867 542180

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2014