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REZENSION/028: Schönherz & Fleer - Symphonic Rilke Projekt "Dir zur Feier" (SB)


Schönherz & Fleer


Symphonic Rilke Projekt: "Dir zur Feier"



Bekannte Namen für einen berühmten Dichter

Mario Adorf, Iris Berben, Otto Sander, Hannelore Elsner, Ben Becker, Nina Hoger, Klaus Meine, Xavier Naidoo, Yvonne Catterfeld, Max Mutzke, Robert Stadlober, ... - Künstler, deren Namen sich mit einem Projekt verbinden, das heute, 14 Jahre nach seinem Start, aus der deutschen Kulturlandschaft nicht mehr wegzudenken ist. Das vom Komponistenduo Angelica Fleer und Richard Schönherz initiierte Gesamtkunstwerk um die Gedichte von Rainer Maria Rilke (1875-1926) ist nicht das einzige, aber das wohl erfolgreichste deutschsprachige Lyrik-Musik-Projekt. Die jüngst im November 2015 herausgebrachte CD ist bereits die sechste ihrer Art, drei davon haben Goldstatus erreicht. Das Motto "Dir zur Feier" ist dem Titel einer frühen, unveröffentlichten Sammlung von Liebesgedichten Rilkes entlehnt; gefeiert wird der 140. Geburtstag des Dichters, zu dessen Ehren einige der bereits bekannten Titel mit Unterstützung der Neuen Philharmonie Frankfurt und in neuer Besetzung noch einmal eingespielt wurden. Auf der beiliegenden DVD sind die Stücke des Albums mit Bildern des Hubble Weltraumteleskops unterlegt, die Idee dabei: "... den Weltraum mit Rilkes Weltinnenraum zu verbinden und eine neue Dimension zu schaffen".[1]

Wer nun darauf eingestellt ist, Gedichte zu hören, wundert sich über die ein wenig lang geratene musikalische Ouvertüre. Muntere Rhythmen führen dann in den Botanischen Garten von Paris. Mit Rilkes "Panther", der dort gebrochen hinter Gitterstäben endlos seine Runden dreht, läßt sich das nicht verbinden. Ben Becker hingegen, der Sprecher dieses Gedichts, findet mit seiner ruhig-sonoren Stimme die Zwischentöne, die so unter die Haut gehen, daß das Tier in all seiner Trostlosigkeit vor unseren Augen entsteht. Darüber läßt sich die Musik dann vergessen ... Auf diese konkret geschilderte Situation folgen - gesungen und gesprochen - poetische Bilder mit leichter Verfremdung wie "Die Welt, die monden ist" und "Rosennacht" oder der distanziert sezierende Blick auf "Menschen bei Nacht", unter denen man sich nicht heimisch fühlt. Wenn Robert Stadlober aus Rilkes "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge", in denen der Protagonist sich im Nachdenken über sich und die Welt zunehmend ausgeliefert und verloren fühlt, rezitiert, klingt das so aktuell, als hätte der Dichter die Zeilen erst gestern geschrieben.

Auch bei diesen Titeln paßt nicht immer der komponierte Klang. Wer gern Gedichte hört, fühlt sich mitunter gestört, weil die Musik durchaus auch mal die Worte zu erschlagen droht. Daß die letzten Zeilen in Songmanier als Refrain wiederholt werden, gibt diesen zudem eine Betonung, die der Dichter gewiß so nicht beabsichtigt hat. Diese ersten Eindrücke hinter sich gebracht, kommt man zu dem Schluß, daß sich die Macher über ihre Assoziationen zum jeweiligen Gedicht hinaus offensichtlich bemüht haben, einen allgemeinen Musikgeschmack auf möglichst breitem Nenner zu treffen. In der Kombination mit der gesprochenen oder gesungenen Lyrik führt das zu einem Mosaik aus starken, teils auch verwirrenden und ablenkenden Momentaufnahmen. Es entsteht eine Vielstimmigkeit, die - vielleicht sogar unabsichtlich - ein gar nicht so unpassendes Bild des Rilke-Kosmos zeichnet. Die Frage, ob dem Dichter mit dieser Verfahrensweise etwas angetan wird, läßt sich daher gewiß verneinen.

Das Projekt unternimmt nicht den Versuch, in Rilkes Zeit, also in die Vergangenheit, zu reisen, sondern eher den, den Dichter mit den heutigen Mitteln so zeitgemäß wie lautstark zu interpretieren. Wenn man hört, wie eine Vollblutschauspielerin wie Hannelore Elsner die Gedichte zutiefst bewegt als "Highspeed" und "Vulkan", als "Techno und Rock'n Roll zusammen!" bezeichnet [2], wird klar, daß Rilke in unserer Zeit angekommen ist. Möglicherweise bedarf es gerade einer solchen Inszenierung, weil wir heute kaum noch in der Lage sind, konzentriert auf eine Sache ausgerichtet zuzuhören und innezuhalten - und vielleicht macht das sogar einen Teil des Erfolges aus. Auch wenn Schönherz & Fleer weit entfernt davon sind, die Gedichte auf eine Art zu vertonen, die diese als solche in den Mittelpunkt stellt, ist die Hommage an den Dichter gelungen, motiviert ihr Projekt doch dazu, sich mit Rilke und mit der Lyrik vergangener Tage noch einmal intensiver zu beschäftigen. Als das Komponistenduo mit seinem Konzept an die Öffentlichkeit trat, war Rilke, obgleich in der Vergangenheit vielfach vertont, lange Zeit kein Thema gewesen. Heute nimmt die Initiative mit dem Namen des Dichters einen prominenten Platz ein und strahlt weiter aus. Sie schafft Möglichkeiten, das Publikum altersunabhängig zu begeistern.

Bei der Konserve allein ist es nicht geblieben, das Rilke-Projekt tourt in wechselnder Besetzung mit ebenso großer Resonanz durchs Land. Das ungeteilte Engagement und die Begeisterung der renommierten Mitstreiter, die im Lauf der Jahre dafür gewonnen werden konnten und nicht unwesentlich zu seinem Erfolg beigetragen haben, ist bemerkenswert.

[1] Angelica Fleer zur Neuerscheinung "Dir zur Feier"
https://www.youtube.com/watch?v=ISr1i-Ts9V8

[2] Video "10 Jahre Rilke-Projekt"
http://www.schoenherz-fleer.de/video

01.01.2016


Schönherz & Fleer - Symphonic Rilke Projekt: "Dir zur Feier"
Ben Becker, Xavier Naidoo, Yvonne Catterfeld, Hannelore Elsner, Robert
Stadlober, Nina Hoger, Max Mutzke, Schönherz & Fleer, Neue
Philharmonie Frankfurt
1 CD, 1 DVD
Produktion: Schönherz & Fleer / Edel:Kultur
Erscheinungsdatum: 27.11.2015


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