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REZENSION/006: Léo Malet - Das Leben ist zum Kotzen (Kriminalhörspiel) (SB)


Léo Malet


Das Leben ist zum Kotzen

Die Schwarze Trilogie



Die Linke auf der Suche nach der politisch korrekten Lektüre oder
Der Schicksalsroman für die aufgeklärte Klasse

authentisch und ergreifend

Den Namen Léo Malet umgibt die Aura des linken Streiters. Von ihm als Autoren erwartet man Aufklärung und eine klare Stellungnahme gegen die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft oder mindestens Sozialkritik. Das gilt auch, wenn er sich dem Krimi-Genre widmet und natürlich erst recht, wenn er explizit Menschen zum Thema macht, die auf der Verliererseite stehen.


Schwarze Trilogie - schwermütige Betrachtung

Malets "Schwarze Trilogie" ist wahrlich düster, weil es kein Entkommen für seine Protagonisten gibt. Doch was der Autor hier leistet, ist nicht mehr als ein pessimistischer Blick auf aussichtslose Lebenssituationen, noch dazu aus der Position des Davongekommenen, die er mit dem Leser bzw. Hörer nun mal teilt. Daß er zusieht und nicht für sie Partei ergreift, erkennt man daran, daß die handelnden Personen ihre Konsequenz nicht ziehen; es gibt keinerlei Anzeichen für die Aufnahme eines Streites. In ihrem Trotz versuchen sie, genau wie jeder andere brave Bürger, sich durchzuschlagen. Daß dabei alle Mittel recht sind, solange man nicht erwischt wird, war auch zu Malets Zeiten keine neue Erkenntnis. Und auch nicht die Tatsache, daß es immer die gleichen erwischt.

Die deutliche Sprache des Autoren, die Darstellung des Überlebenskampfes Randständiger, ist ein Produkt seiner Zeit, seines unmittelbaren Lebensumfeldes und eine Verarbeitung seiner eigenen Geschichte. Um es ganz platt zu sagen: Es war angesagt in den Kreisen, in denen er sich bewegt hat - so angesagt, wie die Malet-Lektüre heute in linken Kreisen sein mag. Sie ist also nicht zwangsläufig als ein Zeichen für fundamentale Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen oder gar als Kriegserklärung zu werten. Seine Darstellung geht darüber, daß Menschen an den Verhältnissen zerbrechen, nicht hinaus. Ganz sicher jedoch kann sie als ein Plädoyer an die Gesellschaft und an den Menschen gesehen werden, sich jenen, die auf der "Schattenseite" stehen, nicht zu verschließen.

Auch das hat es natürlich mehr oder weniger deutlich, gerade von gutbürgerlicher Seite, zu allen Zeiten gegeben und soll in seiner Ehrbarkeit nicht angezweifelt werden - sei es, wahllos herausgegriffen, die religiöse Verpflichtung zum Almosen oder eine Erzählung wie die von Guy de Maupassant (1850-1892), die die Geburt eines "Kriminellen" durch die Umstände weit präziser schildert und doch auch nur das Plädoyer meint ("Der Vagabund", 1887): "Leute, seid doch nicht so! Ein bißchen leben muß man jeden lassen." Und das gerade so, daß er nicht auf die Idee kommt, wirklichen Ärger zu machen, weil er noch die Chance wittert, sich einen Platz am Tisch zu erobern. Malets Plädoyer ist, zugegeben, ein wenig gröber: "Das Leben ist zum Um-Sich-Schlagen und verenden." - also eher der Schrei um Hilfe an jene, die einen in den Dreck gestoßen haben. Und da es an der grundsätzlichen Position gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse fehlt, reproduzieren die Personen untereinander noch einmal die gleichen Verhältnisse, an denen sie eigentlich zugrundegehen.


Das Leben ist zum Kotzen

Eine Gruppe junger Männer (Jean, Albert, Marcel und Paul) sympathisiert mit den Anarchisten und organisiert Geld für die Fortsetzung eines Arbeiterstreiks. Das Hörspiel beginnt mit einer Demonstration, bei der ein zehnjähriges Mädchen den Kugeln der Gendarmerie zum Opfer fällt. Kurze Zeit später taucht es als Diskussionsgegenstand der kleinen Gruppe um den egozentrischen Ich- Erzähler Jean wieder auf. Sie lesen in der Zeitung:

"'Unter den Toten befand sich ein 10jähriges Mädchen, von den Anführern des Streiks offensichtlich als Schutzschild mißbraucht.'"
'Diese Dreckskerle! Die Schweine! Schutzschild oder nicht. Sie haben geschossen.'

Die Schutzschildversion bleibt als solche im Raum. Die Reaktion ist Wut und Trauer, doch scheint es auch die - und da liegt einiges verborgen - Malet'sche Phantasie anzuregen...

Das kleine Mädchen. Ich hätte gern ein Foto von ihr gesehen, hätte gern gewußt, ob sie schön war. Sie mußte ganz einfach schön sein in ihrem ärmlichen Kleid, ihrem ärmlichen kleinen Armenkleid. Verziert mit Blutflecken, lag sie auf einem Kohlehaufen, die Beine gespreizt, Schlacke im blonden Haar, der kleine Bauch vom Todessamen warm und schneidend durchdrungen. Sie war zehn Jahre alt. Ich wäre gern zehn gewesen. Das Leben ist zum Kotzen, das bestätigt sich jeden Tag. Ich wäre gern zehn gewesen. Ich weiß nicht warum, aber ich wäre gern zehn gewesen, ein riesiges Verlagen, zehn zu sein. Das Leben war zum Kotzen. Es war eine gemeine, gräßliche Tretmühle, und wir tragen alle dazu bei, diese Schweinerei in alle Ewigkeit fortzusetzen.

Der Überfall auf einen Geldtransport geht schief, sie verlieren den Kopf, als einer der Angestellten die Pistole zieht, und erschießen in Panik beide. Ursprünglich hatten sie sich mit ihnen darüber auseinandersetzen wollen, daß sie im Grunde auf der gleichen Seite stehen.

'Man muß die Sache dem Typen gut erklären. Der ist schließlich ein armes Schwein wie jeder andere auch. Nichts weiter als ein armes Schwein, ohne Verantwortung, ohne Schuld.'
'Klar Pauli, werden ihm die Predigt schon halten.'

Ihr Vorgehen erweist sich als naiv und undurchdacht. Marcel wird verletzt und von Jean unter dem Vorwand, ihn von seinem Leiden erlösen zu wollen, umgebracht, weil er sowieso noch etwas mit ihm auszumachen hatte.

"'Ist er wirklich verloren?'
'Ich weiß, wovon ich rede. Der kommt nicht durch. Ich werde ihm den Gnadenschuß geben.'
'Was?'
'Jean!'
'Den Körper schaffen wir beiseite. Niemand wird ihn in diesem Wald suchen.'
'Verdammt, das ist vielleicht 'n Ding.'
'Ja, ja. Das ist 'n Ding! Aber das Leben ist eben zum Kotzen. Es hat seine Zwänge. Der alte Lieferwagenfahrer hätte nicht ins Gras beißen müssen. Trotzdem hat er es getan. Wenn wir Marcel weiter mit uns rumschleppen, sind wir erledigt.'"

Der Mord an den Wachleuten wird vom Anarchistischen Komitee nicht gut aufgenommen. Er ist schlecht fürs Image und stört die Zusammenarbeit mit den Arbeitern. Diese wollen dann auch das Geld nicht und nehmen die Arbeit schließlich wieder auf. Der Schluß der drei: auf eigene Faust weitermachen, in die eigene Tasche. Ein Haus auf dem Land dient als Unterschlupf, man sonnt sich in den Zeitungsberichten über die eigenen Überfälle. Einer der Toten ist der Vater einer alten Bekannten von Jean, die er schon seit langem liebt. Sie ist jedoch verheiratet und Jean hat seine Sache bei ihr nie richtig vorangetrieben. Seinem Kumpel Paul, durch einen Buckel gezeichnet, neidet er die Beziehung zu einer Ausreißerin und bringt ihn durch eine Intrige dazu, diese umzubringen. Jean bleibt noch das kurze Glück der langersehnten Liebesbegegnung, nach der ihn seine Taten einholen, weil Paul den Sinn am Leben verliert und die Gruppe verrät. Jean hat ihn einmal zuviel den armen Buckligen genannt.

Jeans Geschichte ist die des Weges vom Rand der Gesellschaft ins Abseits und von nicht nur einer verratenen Freundschaft. Die Gruppe scheitert an den Lebensverhältnissen und viel mehr noch an sich selbst, weil jeder nur den eigenen Bock im Blick hat. Die illegale Aktion entgleist, der politische Streit ist schneller vergessen als er aufgenommen wurde. "Das Leben ist zum Kotzen". Genau diese Aussage, die etwas wesentlich anderes beinhaltet, als daß etwas nicht stimmt auf der Welt und daß es diese zu verändern gilt, ist verräterisch. In ihr steckt einerseits die ergebene Akzeptanz der Verhältnisse und andererseits der Anspruch, endlich angemessen an ihnen beteiligt zu werden, weil einem Besseres zusteht.

Man muß nicht davon ausgehen, daß Malet diese Geschichte in dem Sinne kritisch gemeint hat, daß er den Appell vorbringen wollte: Leute, so muß die Bewegung scheitern, laßt uns dran arbeiten! Eher handelt es sich um Tagträumerei, das Malet eigene Abenteuer im Sinne einer "Lebensrestverarbeitung", denn natürlich spiegelt er auch seine eigenen Lebensverhältnisse und seine fatalistische Grundhaltung. Das heißt auch, das Gehörte beunruhigt nicht wirklich, sondern führt allenfalls zu einer Gefühlsaufwallung, wie es sich für einen guten Schicksalsroman gehört. Man kann so wunderbar leiden und dagegen sein. Alternativ könnte man natürlich auch gründlich in Wut geraten.


Die Sonne scheint nicht für uns

Gründlich in Wut gerät André (Dédé) in "Die Sonne scheint nicht für uns", dem meiner Meinung nach stärksten Hörspiel der Trilogie, mit dem jungen Mädchen, das an einer selbstdurchgeführten Abtreibung stirbt. Sie ist das typische Opfer, das sich seiner Umgebung nicht aggressiv entgegenwendet. "Die Sonne scheint nicht für uns" ist ihre Aussage, ihr Freund Dédé ist da schon etwas offensiver. Die Geschichte spielt wie die beiden anderen im Kleinkriminellen- oder Handlangermilieu, das Malet selbst zur Genüge kennengelernt hat. Als Jugendlicher gerät er kurz wegen Vagabundierens in ein Jugendgefängnis, ein Schicksal, das die Hauptfigur mit ihm teilt, auch die Tatsache, daß die Eltern schon früh gestorben sind. Als letzter Ausweg aus der Misere erscheint, wie so oft, die Liebe.

Mehr soll jetzt nicht verraten werden, nur, daß auch hier deutlich wird, daß am Rand zu stehen nicht notwendigerweise zur Rebellion gegen die Verhältnisse führt, sondern zur Notwehr. Und nur so sind diese Geschichten in jeder Hinsicht zu betrachten. Die Protagonisten haben die gleichen Träume von Wohlstand und Glück wie alle anderen und das gleiche Recht darauf.

Schwer zu nehmen wird die Geschichte durch den kurzen Moment der Hoffnung, der so gründlich durch die Umstände zerstört wird. Man läßt sich leicht ablenken durch den eigenen Gefühlsschwall, gegen den zunächst nichts zu sagen ist. Die Frage ist nur: Bleibt es bei der Ablenkung durch Mitleid mit jenen, die auf der "Schattenseite des Lebens" stehen oder greift das Bedürfnis, wirklich etwas zu ändern?


Angst im Bauch

In der dritten Geschichte gerät ein kleiner Betrüger an ein Mädchen, das ihn sogleich durchschaut, und darüber an eine Bande, die größere Dinger dreht. Sie hat Ansprüche, sie verläßt ihn, ein Bruch geht schief, es gibt einen Toten, und das wird unserem Helden wiederum zum Verhängnis. Mit einem weiteren Mord nimmt er sich paranoid jegliche Möglichkeit zu entkommen.

Schwarze Trilogie heißt ohne lichte Aussichten - alle Protagonisten sind und bleiben Verlierer. Sie scheitern an den gesellschaftlichen Regeln, die auch sie verinnerlicht haben und befolgen. Das gegeneinander Ausspielen besorgen Malets Figuren von Anfang an selbst. Sie verbindet nicht einmal der politische Kampf oder die gemeinsame Wut auf die Verhältnisse. Das ist auch für Léo Malet ein bißchen wenig.

Von der grundsätzlichen Kritik an der Vorlage einmal abgesehen, sind die Hörspiele an sich sind gut inszeniert und können als gelungene Umsetzung der Romantrilogie gelten. Die Handlung ist leicht zu verfolgen, die Personen sind nachvollziehbar und lebendig.


Léo Malet, französischer Autor (Krimis, Gedichte, Journalist) und Künstler (Kunstobjekte, Chansonnier) - Geboren 1909, früher Tod der Eltern, schon in der Jugend Kontakt mit anarchistischen Gruppierungen, später Mitglied der surrealistischen Bewegung, schlägt sich lange Jahre mit Gelegenheitsarbeiten durch, schreibt zunächst Krimis amerikanischen Stils, wird bekannt mit seinem Privatdetektiv Nestor Burma, verkrachter Anarchist wie er.


Wer mit 16 kein Anarchist war, ist ein Dummkopf.
Wer es mit 40 noch ist, auch...
(Léo Malet, Die Brücke im Nebel)


Léo Malet
Das Leben ist zum Kotzen
Die Schwarze Trilogie
- Das Leben ist zum Kotzen
- Die Sonne scheint nicht für uns
- Angst im Bauch
Kriminalhörspiel-Trilogie mit Anna Thalbach, Martina Gedeck
Hörspielbearbeitung Leonhard Koppelmann
3 CDs, 187 Minuten
Produktion Südwestrundfunk SWR, 2002
Der Audio Verlag, Berlin 2003
24,95 Euro
ISBN 9 783898 132633