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REZENSION/002: Loriot - Gesammelte Werke · zum 80. Geburtstag (Humor) (SB)


Loriot


Gesammelte Werke



Ein Schnäppchen zum 80. Geburtstag

Victor Christoph Carl (genannt Vicco) von Bülow feierte am 12. November 2003 seinen 80. Geburtstag - ein willkommener Anlaß für die Deutsche Grammophon Literatur, die schon vielverkauften Erzeugnisse des Jubilars, mit dem Zuckerguß einer Geburtstagstorte versehen und als vermeintliche Ehrung des Humoristen getarnt, noch einmal auf den Markt zu werfen, als würde man ihm damit eine besondere Freude machen.

Selbst wenn jeder Loriotfan in Deutschland seine Sammlung an Loriot- LPs, MCs und Büchern auch noch mit der CD-Version ergänzt - nur der Vollständigkeit halber und damit der Altmeister zum Geburtstag etwas dazuverdient -, würde doch letztlich die Deutsche Grammophon den größten Anteil an den verkauften Scheiben einstreichen. Billiger hätte sie wohl nicht an ihr Geburtstagsgeschenk kommen können, das mit dem Prädikat "Loriot" an und für sich schon ein Selbstgänger ist - ein echtes Geburtstagsschnäppchen also.

Dieses ausgeprägte Vorbild deutscher Sparsamkeit hätte früher womöglich auch den Meister selbst inspirieren können, zumal an dem kleinen, die sechs silbernen Scheiben begleitenden Heftchen im bekannten Cover ebenfalls kein Euro für geburtstägliche Verzierungen oder Dekorationen, geschweige denn ein paar persönliche Worte zum hohen Fest und Lebenswerk des Jubilars zusätzlich ausgegeben werden mußte.

Abgesehen von der Inhaltsangabe und dem Aufdruck "Limitierte Auflage zum 80. Geburtstag" - liegt keiner der darin enthaltenen Druckbeiträge weniger als 10 Jahre zurück und wurde zumindest in den ersten beiden Texten offensichtlich (und sehr ökonomisch) sogar schon zum 60. Geburtstag des Hundeliebhabers und Menschenkritikers verfaßt.

Hätte man sich da nicht ein wenig mehr Mühe geben können? Schließlich hat sich Loriot im Laufe seiner Lebensjahre auch immer wieder etwas Neues an Texten, Sketchen, Filmen, aber auch Kunstdrucken, Aufklebern, Postkarten ("Standard" und "Weihnachten"), T-Shirts, Baseballkappen, Bettwäschen, Büsten, Tempotaschentüchern, Schreibwaren, Uhren und dreidimensionalen Nippes- und Bronzefiguren einfallen lassen, um mehr Abwechslung in das Warenangebot unserer Nation zu bringen und es mit dem unverwechselbaren Loriotfiguren-Design zu bereichern, so daß zumindest für den Laien der Eindruck eines Markenzeichens für deutschen Humor und damit Lebensfreude entsteht: "Wo Loriot drauf ist, ist auch Loriot drin".

Mit Gewißheit kann man das nämlich nicht mehr sagen, schließlich hat sich der Altmeister gerade in diesen Dingen und auch in den fraglichen Druck- und Preßwerken so häufig selbst plagiiert, daß man das Original, den echten und eigentlichen Loriot, zwischen unzähligen Produkten und zahlreichen Nachahmern nur noch schwer herausfinden kann.

Selbst der Bundeskanzler konnte es in seinem Geburtstagsschreiben an den 80jährigen nicht lassen, Satzbau und Schreibstil des verehrten Angesprochenen schamlos zu kopieren: "Sicher bin ich nicht der einzige, der ohne die praktischen Handreichungen Ihres Standardwerks von 1957, "Wie gewinnt man eine Wahl?", nicht dahin gekommen wäre, wo ich heute stehe" (Hat er dabei an die Bundestagsrede, höre auch: CD 1, Beitrag 15, gedacht?).

Doch was soll man schon von einem Gratulanten erwarten, dem in seinen besonderen Wünschen an den Jubilar nichts weiter einfällt, als ihn über das eigene Wappentier zu belehren, dem Loriot in seinem Buch von 1983 schon ein ganzes Kapitel "Der Vogel Bülow" gewidmet hat, und unseren Häuptling entgegen eigener Aussage als eben nicht gerade aufmerksamen Loriotleser entlarvt.

Im Übrigen: Das Wappentier Ihrer Familie, oriolus oriolus, soll ja ein scheuer, aber auffälliger und ruffreudiger Vogel sein. Mit allen Ihren Fans hoffe ich, dass Sie sich diesem Erbe verpflichtet fühlen und in Ihrer Eigenschaft als Loriot uns noch lange mit Rufen und Gesängen erfreuen. (aus dem Brief des Bundeskanzlers an Loriot zum 80. Geburtstag 2003)

Bis allerdings die gesamte Nation einschließlich Bundeskanzler auf Tonfall und Ausdrucksweise des Altmeisters, quasi als garantierten Lachsalvencountdown eingestimmt war und jeder, der heute als humorvoll gelten will, von Bülow zitiert oder kopiert, war allerdings ein weiter und mühevoller Weg, an den ich hier kurz erinnern möchte.

Zunächst erntete der hungrige Absolvent der Hamburger Landeskunstschule 1949 mit Abschluß Gebrauchsgraphik als er damit begann, "es mit Heiterem zu versuchen", weil ihm jemand erzählt hatte, bei Illustrierten gäbe es 50 Mark für eine witzige Zeichnung, nur Kritik und wütende Proteste. Vor allem Sternleser, die sich als "homo sapiens" durch die "scheußlichen, menschenverhöhnenden Hundewitze" auf den nicht vorhandenen Schwanz getreten fühlten, hätten fast seine Karriere gekostet.

Daß sich heute - etwa 50 Jahre danach - keiner mehr über ein überdimensioniertes Hundepaar auf einem Biedermeiersofa aufregt, vor dem ein Miniaturmensch mit Stresemann, Melone und Knollennase im wahrsten Sinne des Wortes Männchen macht, auch wenn die strickende Hundedame meint: "Alles was er macht, ist sinnlos ..." - zeigt allerdings, wie recht dieser Hund damals hatte. Auch der Mensch hat das inzwischen begriffen, seine Lernbereitschaft wurde somit weit unterschätzt, was die Tatsache beweist, daß er heute und nach wiederholter Vorlage der berüchtigten Zeichnungscartoons, über die Perspektivlosigkeit seines Tuns nur noch lachen kann.

Doch sind wir Deutschen mit unserem inkonsequenten Sinneswandel nun bessere, humorvollere Menschen oder Hunde geworden? Nein, die Mehrheit der bundesrepublikanischen Population hat ganz einfach begriffen, daß der preußische Edelmann Vicco von Bülow nicht wirklich ihr rechtschaffenes und korrekt dünkendes Kleinbürgertum angreift, sondern eher im Stile seiner aristokratischen Vorfahren wohlwollend verschmitzt, also in der perfidesten Form naserümpfender Arroganz, die nicht als solche zu erkennen ist, auf den deutschen Spießer herabblickt und sich ein ganz klein wenig über ihn lustig macht, den eigentlichen bürgerlichen Mißständen jedoch niemals wirklich ernsthaft geschweige denn satirisch auf den Grund geht.

Nicht von ungefähr begann die große Karriere des Loriot just einen Monat, bevor die Große Koalition ihren 3. Entwurf der Notstandsgesetzte einbrachte und vier Monate vor der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg mit der Fernsehsendung "CARTOON", die zum ersten Mal am 5. Februar 1967 ausgestrahlt wurde. Loriot trat hier in allerlei Verkleidungen auch als Schauspieler in Aktion gemeinsam mit Evelyn Hamann. Die hörenswerten Highlights dieser Sendungen lassen sich auf den ersten beiden CDs der fraglichen Sammlung wiederfinden. Daß man - wie in der renommierten Zeitschrift Literaturen anläßlich seines Geburtstags zu lesen war - den "preußischen Edelmann Vicco von Bülow als fortgeschrittenen Sponti-Profi im Kielwasser der Achtundsechziger versteht" ist nun wirklich nicht Loriots Schuld. Es zeigt einfach, wie leichtfertig auch die Geschichtsschreibung über damalige Themen hinweggeht.

Ein Zuhörer fühlt sich inzwischen auch nicht mehr durch die Parodien angegriffen, als Spießer entlarvt oder in seiner menschlichen Würde verletzt, sondern erkennt darin seine Seelenverwandtschaft mit dem Schöpfer dieser unzulänglichen, hilflosen oder tolpatschigen Figuren.

In der besserwissenden Überposition, in der der Betrachter vermeintlich so viel Mut aufbringt, sich selbst zu entlarven, um sich mit lautem Lachen über sich selbst noch effektiver zu verstecken, fühlt sich der Deutsche wohl, darum wird Loriot bis heute von allen geliebt. Jeder der nicht lacht oder sich fragt, was denn daran eigentlich komisch ist, wenn ein Politiker mit allen Mitteln das Fahrrad einer Passantin konfiszieren will, um darauf eine aberwitzige Strecke von mehreren hundert Kilometern zurückzulegen, die er ohnehin nicht bis zur nächsten Bundestagsdebatte schaffen kann (zu hören CD 2 [2] - Autofrei), outet sich als einer, über den man eigentlich lachen müßte.

Tatsächlich kenne ich kaum jemand, der auch bei der tausendsten Wiederholung der "Herren im Bad" nicht lacht, wenn "die Ente bleibt draußen" gefordert wird, wenn der Rentner "einfach nur mal hier sitzen will" oder wenn sich der Protagonist in "Fernsehabend" "von einem kaputten Fernseher" nicht vorschreiben lassen will, in welche Richtung er guckt oder wann er ins Bett geht. Wir haben das alles ja schon tausendmal und immer wieder gerne im Fernsehen gesehen. Die Hörversion läßt die alten Bilder wieder vor Augen erstehen.

Ich kann mich da gar nicht ausnehmen, obwohl ich mich anläßlich dieser Jubiläumsausgabe erneut frage, was daran eigentlich komisch ist, würde mich doch in einer anderen Situation, in der ich nicht Zuhörer bin, sondern auf die Zusammenarbeit mit anderen menschlichen Wesen angewiesen, eine solche Häufung von menschlichen Schwächen, sprachlicher Mißverständnisse, abgedroschener Phrasen, nervender Nörgeleien und aberwitziger Maßnahmen, um die Situation doch noch irgendwie in den Griff zu bekommen, in den sicheren Wahnsinn treiben.

Vermutlich lache ich in dem irrigen Glauben, daß mich die hier geschilderte Welt nicht mehr betrifft und daß die nachfolgende Generation viele der dargestellten Probleme inzwischen bewältigt hat.

Die jungen Humoristen und Kleinkünstler von Comedy & Co, die heute die Abendunterhaltung im Fernsehen atemlos gestalten oder noch gestalten werden und vielleicht sogar beim Altmeister selbst in die Schule gehen - im Juni vergangenen Jahres wurde Loriot zum Honorarprofessor der Berliner Universität der Künste ernannt; Anfang Februar hielt er seine Antrittsvorlesung im Probensaal der Fakultät Darstellende Kunst - haben mit ihren hektischen Parodien von Losern und ewiggestrigen Spießern, deren Komik sich letztlich darin erschließt, daß sie keinen Satz zuende sprechen können, ohne schon beim nächsten Thema zu sein, kaum noch etwas mit den gemächlichen Knollenmännchen gemein und gäben an sich schon Stoff her für eine weitere Loriotparodie auf schlechte Loriotparodien.

Wie wohltuend sind da die beruhigenden Worte des frischgebacken Professors mit der wenn auch wenig hilfreichen Weisheit, daß "etwas Neues nicht zu erzwingen sei, sondern sich von alleine oder überhaupt nicht ergebe".

In diesem Sinne halte man sich an die Geburtstagsausgabe "Loriot Gesammelte Werke" als ein Ausschnitt der humoristischen Medien- und Kulturentwicklung, in der noch Neues geschaffen wurde, ein Prozeß, der allerdings schon abgeschlossen ist und auch nicht mit weiteren Neuauflagen wiedererweckt werden kann.


Loriot
Gesammelte Werke
Limitierte Auflage zum 80. Geburtstag
Deutsche Grammophon
Universal Music GmbH, Berlin 2003
Komplettlesung auf 6 CDs, Spielzeit 06:30
ISBN 3-8291-1361-7