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VERLAG/099: 100 Jahre Bethel-Verlag (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - April 2008

100 Jahre Bethel-Verlag
Ganz wie Karl May - Geschichten von Frommen und Bösen

Von Petra Wilkening


Eigentlich hatte sie sich "das Ganze etwas einheitlicher" vorgestellt, nicht so ein großes Durcheinander erwartet. Inzwischen kann Bärbel Bitter den Blick aber gelassen über die unzähligen alten und neuen Bücher gleiten lassen. In den vergangenen Monaten hat die Betheler Historikerin Licht in die 100-jährige Geschichte des Bethel-Verlags gebracht. Das Ergebnis der beharrlichen Forschungsarbeit ist ab dem 13. April in der Ausstellung "Vom singenden Brunnen" in der Historischen Sammlung Bethel zu sehen.


Anfang des 20. Jahrhunderts war das Sammeln bunter Schmetterlinge ein beliebtes Hobby. So war auch eines der ersten Bücher, die im Bethel-Verlag veröffentlicht wurden, ein "Wegweiser für Schmetterlingssammler". Die Autoren Ernst Kieckbusch und Erich Kähler wollten die jungen Sammler "in die freie Gottesnatur" hinausführen und ihnen den Schmetterling als lebendes Geschöpf nahebringen. Das Buch erschien 1908, in dem Jahr, in dem die "Verlagshandlung der Anstalt Bethel, Gadderbaum" als eigenständiges Unternehmen in das Handelsregister eingetragen wurde.

Mit der Eintragung konnte der Bethel-Verlag Mitglied des Börsenvereins werden und von den Vorteilen dieser Standesvertretung für Buchhändler und Verlage profitieren. Dazu gehörten die Werbung für die Mitglieder, geschäftliche Kontakte und die Festpreisbindung. Der Vertrieb von Büchern hatte aber schon viel früher begonnen. Ab 1874 lief der Bewohner Lingenberg im Auftrag Friedrich von Bodelschwinghs jeden Tag mit einem tragbaren Büchergestell zum Bielefelder Bahnhof, um dort "Kleine Schriften" zu verkaufen. Das war die Geburtsstunde der Buchhandlung.

Gehandelt wurden christliche Bücher anderer Verlage, aber schon 1876 kam die erste eigene Veröffentlichung auf den Markt: die Liedersammlung "Zweihundert schöne geistliche Lieder die in den westfälischen Gesangbüchern fehlen". Gedacht war sie eigentlich für die Kranken in Bethel und Sarepta, Bodelschwingh wollte sie aber einem größeren Kreis zugänglich machen.

Theologische Literatur und Vorträge gehörten zu den ersten Artikeln, darunter auch Bodelschwinghs Vortrag "Das evangelische Diakonissenamt, ein Beitrag zur Wegräumung von Vorurtheilen gegen diesen schönen Lebensberuf der Frauen", der 1877 erschien. Die ersten Veröffentlichungen waren einfach gehalten. Die Heftchen wurden für zehn bis zwanzig Pfennig verkauft. Später wurden auch aufwändigere Ausgaben angeboten. Möglich wurde dies durch eine eigene Buchbinderei, die auch über eine kleine Vergoldepresse verfügte. Im Jahr 1907 kam eine Druckerei hinzu, in der Zeitschriften, Bücher und Faltblätter hergestellt werden konnten.

Friedrich von Bodelschwingh verband mit dem erfolgreichen Buchgeschäft mehrere Ziele. Zum einen konnte Bethel so dazu beitragen, Menschen mit der geeigneten Literatur im Sinne christlicher Nächstenliebe zu beeinflussen und möglicherweise auch als Förderer zu gewinnen, zum anderen bot das Verpacken der Bücher eine gute Beschäftigungsmöglichkeit für die Bewohner, und nicht zuletzt unterstützten die Einnahmen aus dem Verkauf die Arbeit Bethels für die betreuten Menschen.

Schon 1891 war das erste Buch erschienen, das nichts mit Bethel zu tun hatte. "Der Adventsbaum" war als einzelne Geschichte dem beliebten "Töchter-Album" von Thekla von Gumpert entnommen. Das kleine Werk der "Backfisch-Literatur" wurde ein Verkaufsschlager. Der Schweizer Buchhändler Samuel Stamm, der 1908 die Leitung des neu gegründeten Verlags und ab 1911 auch die der Buchhandlung übernahm, erweiterte das Verlagsprogramm gezielt um allgemeine Literatur. Besonders im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur verhandelte er mit anderen Verlagen wegen der Rechte zur Neuauflage bereits erschienener Bücher. Um 1910 umfasste das Betheler Verlagsangebot in dieser Sparte bereits über 24 Titel. "Dabei handelte es sich um Kindergeschichten und Abenteuerromane, die im christlichen Haushalt gelesen wurden - ganz im Stile von Karl May: Der Fromme wird vom Schicksal gebeutelt und bleibt fromm, der Böse wird geläutert", so Bärbel Bitter.

Auch an den Werken ausländischer Autoren in deutscher Übersetzung war der Bethel-Verlag sehr interessiert. Von der erfolgreichen Romanautorin Elise de Pressensé aus der französisch sprechenden Schweiz erschien unter anderem das Werk "Mütterchen", das 1910 schon die dritte Auflage erreichte. Die dänische Schriftstellerin Cornelia von Levetzow und die englische Autorin D. Alcock gehörten ebenfalls zum Kreis des Verlages.

Bethel selbst fand sich nur wenig in den Publikationen des Verlags wieder. Umso mehr war die diakonische Einrichtung aber ein Thema in den Schriften für die Spender. Missionar Wilhelm Heienbrok, Leiter des Dankorts, veröffentlichte kleine, preisgünstige Hefte mit erbaulichen Geschichten. Der Bethel-Verlag mit seiner Professionalität war dem Missionar ein Dorn im Auge, nicht zuletzt, weil er wie alle Verlage und Buchhandlungen kein Interesse daran hatte, Heftchen für zehn Pfennig zu verkaufen. Nach zahlreichen Bemühungen gelang es Wilhelm Heienbrok schließlich während der Inflation, den Verlag und die Buchhandlung in den Dankort einzugliedern.

Bis zum Ruhestand des Missionars im Jahr 1926 erschienen im Bethel-Verlag keine Bücher mehr. "Die von ihm so geschätzten Traktate und Heftchen hat er unter der nicht im Börsenverein eingetragenen Bezeichnung 'Schriften-Niederlage' veröffentlicht", weiß Bärbel Bitter aus den historischen Dokumenten. "So war er frei von der Festpreisbindung und konnte einen ihm genehmen niedrigeren Preis festlegen. Allerdings entfiel damit auch der Vertriebsweg über die Buchhandlungen."

Erst mit dem Buchhändler Albert Orth kam der Bethel-Verlag 1936 wieder in verlagserfahrene Hände und wurde samt Buchhandlung erneut eigenständig. Die "Schriften-Niederlage" musste sich künftig auf den Vertrieb von Heften bis zu 50 Pfennig beschränken und wurde um 1940 aufgelöst. Albert Orth traf auf ein verändertes Verlagsprogramm. Seit Ende der 1920er-Jahre war die Veröffentlichung von aufwändigeren gebundenen Büchern mit festem Einband angesichts der Wirtschaftskrise stark eingeschränkt worden, ab 1933 fanden verstärkt Bethel-eigene Themen Eingang in die Publikationen. Die Diskussionen der Zeit griffen wenige Autoren auf, darunter Gerhard Jasper, der im Heft "Not und Hilfe im Leben der Fallsüchtigen in Bethel" 1933 die Euthanasie ablehnte, oder auch Adolf Schlatter, der sich mit der Rolle der Kirche auseinandersetzte. Theologische Texte von Pastor Fritz von Bodelschwingh wurden als Argumentationshilfen für die Auseinandersetzung mit den "Deutschen Christen" veröffentlicht. Mit Beginn des Krieges endete die Verlagsarbeit 1939 vorübergehend. Die erste Publikation nach dem Krieg war 1946 eine Broschüre über die Trauerfeierlichkeiten für Fritz von Bodelschwingh. Seitdem hat sich der Verlag auf Bethel-Themen spezialisiert.

Seit den 1970er-Jahren ist das Buchgeschäft deutlich schwieriger geworden. Kleinere Verlage wurden von größeren aufgekauft und zu mächtigen Verlagsgruppen zusammengefasst. Der Bethel-Verlag gehört heute zu den kleinen Spezialverlagen, die besondere Themenbereiche abdecken. Als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit ist er seit 1995 organisatorisch der Stabsstelle Presse + Kommunikation angegliedert. "Der Bethel-Verlag hat jetzt die Aufgabe, spezielle Titel über die Arbeit in Bethel oder über die Geschichte der Stiftungen zu publizieren, wenn für diese Themen, die für Bethel bedeutsam sind, kein anderer Verlag gefunden werden kann", erläutert Verlagsgeschäftsführer Jens U. Garlichs. Das Gleiche gilt für die Werke Bethel-naher Autoren.

Fachspezifische Themen, etwa aus der Medizin oder der Pädagogik, erscheinen in der Reihe "Bethel-Beiträge". Zu den jüngsten Publikationen gehören "Ich bin jetzt Chef - Persönliches Budget für Menschen mit Behinderung" und - in diesem Jahr in zweiter Auflage erschienen - "Zielperspektive Lebensqualität - eine Studie zur Lebenssituation schwerbehinderter Menschen im Heim".


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Quelle:
DER RING, April 2008, S. 5-7
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Friedrich Schophaus in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
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Internet: www.bethel.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2008