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MELDUNG/003: Der mexikanische Schriftsteller Carlos Montemayor ist gestorben (Assoziation A)


Verlag Assoziation A

Carlos Montemayor gestorben

Chronist des untergründigen Mexiko
Der mexikanische Schriftsteller Carlos Montemayor ist gestorben


Anfang dieser Woche erreichte uns die Nachricht, dass unser Autor Carlos Montemayor am 28. Februar 2010 in Folge eines Krebsleidens verstorben ist. Carlos Montemayor war einer der bedeutendsten Schriftsteller Mexikos, ein luzider und unbestechlicher Intellektueller und ein engagierter Menschenrechtsaktivist. Sein Tod ist ein schmerzlicher Verlust.

Carlos Montemayor wurde am 13. Juni 1947 in Parral im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua geboren. Er studierte Jura und iberoamerikanische Literatur in Mexiko-Stadt, lernte Griechisch und Latein und übersetzte Vergil, Catull, Sappho und andere Dichter des klassischen Altertums ins Spanische. Er begeisterte sich für die prähispanischen und indigenen Sprachen, gab Anthologien oaxaquenischer Poesie heraus und veröffentlichte ein Wörterbuch für Nahuatl und Spanisch. Ein Sprachbesessener, der auch noch Dänisch lernte, um Kierkegaard im Original lesen zu können. In der Musik galt seine Leidenschaft der Oper und er war selbst ein begabter Tenor. Elena Poniatowska bezeichnete ihn als »einen Renaissance-Menschen unserer Zeit«. Seine eigene literarische Produktion setzte mit Gedichtsammlungen wie »Las armas del viento« (1977) ein. Unter seinen Romanen und Erzählungen ragen »Las llaves de Urgell« (1971), »Krieg im Paradies« (1991) und »Las armas del alba« (2003) hervor.

Die größte Resonanz fand zweifellos sein Roman »Krieg im Paradies«, den 1998 auf Deutsch veröffentlicht zu haben, wir uns glücklich schätzen. Der Roman thematisiert ein bis heute tabuisiertes historisches Ereignis: die unter dem Namen »Partei der Armen« von dem Dorfschullehrer Lucio Cabañas geführte Bauernguerilla, die zwischen 1971 und 1974 in den Bergen von Guerrero aktiv war und erst durch einen »schmutzigen Krieg« des mexikanischen Militärs zerschlagen werden konnte. Aufgrund seiner einzigartigen und dichten Prosa ist der Roman über seinen zeitgeschichtlichen Bezug hinaus zugleich eine Parabel auf die Lebensverhältnisse der arm gehaltenen und in den Hintergrund der geschichtlichen Bühne gedrängten lateinamerikanischen Landbevölkerung und ihrer niedergeschlagenen, aber aufgrund ihrer unveränderten sozialen Lage immer wieder aufflammenden Aufstände, die bei der städtischen Linken so häufig kein Gehör finden.

Als wir mit Carlos Montemayor im Mai 1998 über das Buch und sein Engagement als Intellektueller sprachen, sagte er: »In Mexiko müssen wir uns den Dingen zuwenden, bevor sie vorbei sind. Wir haben keine Zeit zu warten, bis alles vorbei ist. Wir müssen im Gegenteil handeln, bevor alles vorbei ist, weil die Dinge schlecht enden könnten. Man muss also vorher handeln« (Interview 1998). Carlos Montemayor blieb stets ein unbeirrbarer Verteidiger der Menschenrechte. Mit Sympathie verfolgte er die zapatistische Bewegung im Süden Mexikos, der er das Buch »Chiapas, la rebelión indígena de México« widmete. Zuletzt war er Mitglied einer Vermittlungskommission zwischen der Bundesregierung und der in Guerrero aktiven Guerilla PDPR-EPR, um das Schicksal zweier Verschwundener aufzuklären. Die Kommission löste sich auf, als auf Regierungsseite kein Einlenken erkennbar war. Noch einmal bestätigte Carlos Montemayor seine Rolle als scharfzüngiger Kritiker staatlicher Gewalt, als kurz vor seinem Tod das Buch »La violencia de Estado en México« veröffentlicht wurde.

Ein anderer mexikanischer Freund und Autor des Verlages, Paco Ignacio Taibo II, schrieb in diesen Tagen in Erinnerung an Carlos Montemayor: »Irgendwann einmal habe ich dir gesagt, dass alt gewordene Rote, alte Rockmusiker, alte Romanschriftsteller niemals sterben, und du hast mir vorgeschlagen, dieser Liste die Opernsänger hinzuzufügen. Ich muss dir gestehen, dass ich es nie getan habe. ... Immer bleibt mir noch etwas zu sagen. Immer komme ich zu allem zu spät: zu den Würdigungen, zum Gedenken, zum Schmerz über den Verlust, zu den Erinnerungen. So ist es auch diesmal. Aber sei beruhigt, ich werde die Opernsänger doch noch in die Liste derjenigen aufnehmen, die niemals sterben, und ich werde dich weiterhin lesen ... Und ich werde mit dir in den Nächten reden, so wie ich es mit vielen anderen tue.«

Da wir seit Juan Rulfos »Pedro Páramo« wissen, dass sich in Mexiko die Toten unter die Lebenden mischen, schließen wir uns Taibos Worten an: »Wir bleiben im Gespräch, Don Carlos.«

Theo Bruns, 03.03.2010


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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2010