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BIBLIOTHEK/622: Die Schlossbibliothek der Grafen zu Solms Laubach in Hessen (Gerhard Feldbauer)


Eine Fundgrube des Wissens aus fünf Jahrhunderten

Die Schlossbibliothek der Grafen zu Solms Laubach in Hessen

Von Gerhard Feldbauer, 31. August 2016


Über Laubach, die Stadt am rechten Ufer der Wetter, kommt man in den Naturpark Hoher Vogelsberg, der zum Bergland Osthessens mit dem größten Basaltmassiv Europas gehört. Mit Basalt sind auch die engen Gassen des im 8. Jahrhundert entstandenen, heute etwa 10.000 Einwohner zählenden, Städtchens gepflastert, in denen romantische Fachwerkhäuser stehen, die noch aus dem Mittelalter stammen. Zum Stadtbild gehört das vor 600 Jahren erbaute Schloss mit dem nach englischem Muster angelegten Park im Norden. Herrliche Jahrhunderte alte Bäume sind zu bewundern, ein Schwanenteich und eine Kneippanlage mit einer Veranstaltungsbühne für sommerliche Konzerte und Theateraufführungen. Das Schloss ist seit dem 16. Jahrhundert Sitz der Grafen zu Solms-Laubach und wird auch heute noch bewohnt. Besucher, darunter Urlauber des landschaftlich reizvollen Vogelsberges, zieht es in die Schlossbibliothek, in der sie einen der größten Bücherschätze kennenlernen, der, in seiner Art wohl einmalig, zu den ältesten und größten privaten Sammlungen nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas gehört.


Schloss Laubach in Hessen, 2008 - Foto: Dirk Schmidt (CC BY-SA 3.0) [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Schloss Laubach in Hessen, 2008
Foto: Dirk Schmidt (CC BY-SA 3.0)
[http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Dem Besucher bietet sich ein überwältigender Anblick. In genau 12 Räumen, in denen hohe Regale bis an die Decke reichen, sind etwa 120.000 Bücher untergebracht. Auf Rollleitern sind auch die obersten Reihen erreichbar. Beeindruckend ist nicht nur der Umfang, sondern ebenso der Wert der Bestände, prächtige Buchkörper, Einbände in Holz und Leder, Gravuren, farbige Illustrationen, Pergament, Papier und Drucktypen. Seltene Exemplare sind auf Lesepulten und Schreibtischen zur Einsicht platziert. Manche Bände sind so schwer, dass man sie kaum heben kann. Es sind Exemplare darunter, die noch nie benutzt wurden, andere dagegen haben Studenten, Doktoranden oder Wissenschaftler für ihre Studien eingesehen [1].

Burkhard Wellenkötter, der Ehemann der Bibliothekarin, Trautel Wellenkötter, macht während der Führungen die Besucher mit der Geschichte der Bibliothek, ihrem Bestand und vielem Wissenswerten bekannt. Für den Oberstudienrat im Ruhestand, der diese Arbeit ehrenamtlich versieht, ist die Bücherei, wie für seine Frau, ein Lebensinhalt. Über die Bibliothek hat er drei Bücher veröffentlicht, die seine Frau, eine gelernte Fotografin, mit zahlreichen Bildern fachgerecht illustriert hat [2]. Die wissenschaftlich fundierten Publikationen sind spannend geschrieben und jedem Besucher, der sich mit dem, was er gesehen hat, etwas eingehender vertraut machen möchte, sehr zu empfehlen.


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Einblick in die Schlossbibliothek zu Laubach
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Bibliomania Neues über alte Bücher: Aus der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2012, S. 12
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer


Entstanden zur Zeit der Reformation

Die Bibliothek entstand in der Zeit der im 15. Jahrhundert von verschiedenen Volksschichten getragenen Bewegung der Reformation, in der es vordergründig darum ging, die katholische Kirche in einem Teil Europas in eine reformierte lutherische, anglikanische oder kalvinistische umzugestalten. Der Begründer der Bibliothek, Friedrich Magnus I. zu Solms-Laubach (1521-1561), war oberster Hofmarschall des Kurfürsten August von Sachsen (1526-1586), dem Führer der "Lutherischen Stände des Reiches" und einem Förderer von Kunst und Wissenschaft, von dem Anregungen ausgingen [3]. Friedrich Magnus I., der ab 1548 die Grafschaft regierte, war ein Freund und Anhänger Philipp Melanchthons (1497-1560) [4], der ihn beim Aufbau der Bibliothek unterstützte. Der Graf setzte in seinem Herrschaftsbereich die Reformation durch, hob die "Besthaupt" genannte Erbschaftssteuer auf [5], reformierte die Gerichtsordnung mit der das Solmser Landrecht entstand [6] und gründete eine Lateinschule, an die er, auch hier mit Hilfe Melanchthons, Lehrer aus Wittenberg berief.

So war es denn historisch bedingt, dass Humanismus und Reformation Bibliotheken wie die der Grafen Solms zu Laubach hervorbrachten. Damit erhielten die Klosterbibliotheken, die bis dahin das Wissens- und Bildungsmonopol besaßen, weltliche Konkurrenz.

Die Bezeichnung "Büchernarren", wie die Grafen manchmal genannt werden, dürfte unter diesen Gesichtspunkten wohl kaum als passende Erklärung für deren grandiose Leistung ausreichen, die mit Sicherheit viel eher auf einen ausgeprägten Wissensdurst, ein Eintreten für den Fortschritt der Zeit und eine in der Folge von Generation zu Generation vererbte Sammelleidenschaft zurückzuführen ist, von der nicht zuletzt die kontinuierliche Fortsetzung sozusagen als "Familientradition" Zeugnis ablegt.

Zum Grundstock der Schlossbibliothek gehörte die Bücherei des Straßburger Gelehrten und Anhängers der Reformation Gervasius Sopher (um 1489-1556) [7], die der Graf komplett erwarb. Damit kamen in der Stadt gefertigte Reformationsdrucke mit Benutzer- und Widmungseintragungen in Laubacher Besitz. Es sind Bände mit prächtigen Schmucktiteln darunter.

Breiten Raum nehmen die Werke der wichtigsten Autoren der Reformation ein, darunter eine gut erhaltene Lutherbibel von 1580. Das Gesamtwerk Luthers liegt in einer Ausgabe von Christfried Sagittarius (1617-1689) [8] vor. Die Herausgabe besorgte der aus Amberg stammende Buchdrucker Hans Lufft (um 1495-1584), auch als "Bibeldrucker" bekannt.


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Luther-Ausgabe mit Deckel-Gravur, 16. Jahrhundert
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Bibliomania Neues über alte Bücher: Aus der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2012
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Was die Übersetzung der Bibel einzig durch Luther betrifft, erfährt man, dass das ein weit verbreiteter Irrtum ist. Es gab, wie Burkhard Wellenkötter darlegt, vor, neben und nach Luther Übersetzungen, die auch zu den Beständen der Schlossbibliothek gehören, darunter auch welche in anderen Sprachen. Von den nicht wenigen Titeln hier nur einige: Eine "Biblia Sacra" von 1599; eine illustrierte Bibel in Latein von 1522; eine weitere im hebräischen (aramäischen) Urtext aus Arnsburg; eine Inkunabel [9] von 1477 aus Nürnberg, eine Straßburger Ausgabe von 1481.


Werke von Thomas von Aquin, Aristoteles und Machiavelli

Zu den wertvollen Inkunabeln der Bibliothek gehören Thomas von Aquins (um 1225-1274) [10] Quaestiones de veritate (Köln 1475) und mehrere Ausgaben der Werke von Aristoteles (384 v. Chr.-322) [11] in lateinischer Sprache. Unter den staatsphilosophischen Schriften befindet sich Niccolo Machiavellis (1469-1527) [12] Il principe (Der Fürst) in der französischen Übersetzung (Paris 1553).

Vorhanden ist auch eine Übersetzung des Alten Testaments von 1525 mit Marginalien. Jedoch ist Luthers Bibelübersetzung, wie Wellenkötter hervorhebt, bis heute nicht nur als "große geistliche, sondern auch als sprachschöpferische Leistung" zu würdigen. "Die Blütezeit der deutschen Literatur und die Entwicklung einer deutschen Literatursprache fußen auf der Sprache Luthers, die im protestantischen Raum die großen Dichter des Sturm und Drang, der Klassik und der Romantik hervorbrachte" (Wellenkötter: "Neues über alte Bücher", Laubach 2012).

Neben zahlreichen Schriften Luthers (ab 1535) mit Schmucktitelblättern und Holzschnitten finden sich Werke von Melanchthon und Huldrych Zwingli (1484-1531) [13]. In neun gewaltigen Folianten sind die 1540 in Basel erschienenen gesammelten Werke des Erasmus von Rotterdam (1469-1536) [14] zu sehen. Daran zeigt sich, dass das Buchwesen einen ungeheuren Einfluss auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Reformation bewirkten, ausübte. Der herausragende Bestand an Werken über die Reformation, die sogenannten "Lutherana", dürften die Schlossbibliothek im kommenden Lutherjahr zu einem wahren Besuchermagneten machen.


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Erasmus von Rotterdam
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Bibliomania Neues über alte Bücher: Aus der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2012, S. 9
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer


Die großen Lyriker des Mittelalters

In Laubach finden sich auch die Werke der großen Lyriker des Mittelalters, die nach der Erfindung des Buchdrucks verlegt wurden: Walther von der Vogelweide (die politischen Lieder, 1873), Wolfram von Eschenbach (Parzival, 1875), Hartmann von Aue (Der arme Heinrich, 1815) und Gottfried von Straßburg (Tristan und Isolde, 1821). Sie beeinflussten alle nachfolgende deutschsprachige Literatur und zeugten von der Blüte des Rittertums unter dem legendären Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1122-1190) [15], der die Dichtkunst beförderte, unter dessen Herrschaft erste Universitäten entstanden, Sprache, Literatur und Wissenschaften einen bis dahin nicht gekannten Aufschwung erlebten. Während seiner Regierungszeit erhielt auch das Nibelungenlied seine endgültige Form.


Giordano Bruno und Galileo Galilei

Welche kostbaren Quellen für Forscher der Geschichte der römischen Kirche in der Schlossbibliothek zu finden sind, bezeugen auch die Schriften des hochmittelalterlichen Scholastikers und Dominikanermönchs Thomas von Aquin (1225-1274), die des Begründers des Zisterzienserordens Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153) oder von und über Giordano Bruno (1548-1600), Philosoph der Renaissance und Denker des aufsteigenden Bürgertums, der am 17. Februar 1600 in Rom den Feuertod erlitt, sowie von Galileo Galilei [16], dem glänzenden Verteidiger der kopernikanischen Lehre, der diesem Schicksal nur entging, weil er 1633 diesem Weltbild abschwor, dennoch aber die restlichen neun Jahre seines Lebens im Gefängnis verbringen musste, in dem er 1642 erblindet verstarb.


Der "Index Librorum Prohibitorium"

Von Bernhard von Clairvaux gibt es als Erstdruck (Straßburg 1497) die Sermones super cantica canticorum (Straßburg 1497). Zum Prozess gegen Bruno liegen die "Disputationes" des Roberto Francesco Romolo Bellarmin von 1586 vor. Der Gelehrte war Ankläger der Inquisition gegen Bruno. Auch Bücher von und über Päpste finden sich. In Laubach kann auch der 1559 vom Heiligen Stuhl zur Unterdrückung jeglichen progressiven Gedankengutes erlassene "Index Librorum Prohibitorium", das Verzeichnis der verbotenen Bücher (Köln 1564), eingesehen werden [17]. Auch wer sich - was derzeit unter Orientalisten einen Schwerpunkt bildet - mit der Erforschung des Korans befasst, wird fündig. Die Bibliothek besitzt verschiedene Ausgaben dieser "Heiligen Schrift" des Islam, darunter eine lateinische Übersetzung von 1698 und eine arabische Ausgabe von 1767. Zu erwähnen sind hier auch die Originalausgaben der "Reise ins Heilige Land" (1483) Bernhard von Breidenbachs (1440-1497), eines führenden Politikers des Erzbistums Mainz, und "Gerusalemme Liberata" des italienischen Dichters Torquato Tasso (1544-1595), bekannt auch durch Goethes gleichnamiges Schauspiel. Erwähnt werden sollen verbal lateinische Werke, Titel in Englisch, Italienisch, Niederländisch, Spanisch, Griechisch, Arabisch, Hebräisch, in skandinavischen Sprachen, in Russisch, Armenisch und Türkisch.


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776 - 1822)
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Bibliomania Neues über alte Bücher: Aus der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2012
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer


E. T. A. Hoffmanns "Rat Krespel" und Leopold von Ranke

Seit der Gründung der Bibliothek haben sich bis heute 18 Generationen der Grafen zu Solms Laubach während ungefähr viereinhalb Jahrhunderten an der Weiterentwicklung der Bibliothek beteiligt. Durch Erbschaften und Stiftungen wuchs der bibliophile Schatz von Generation zu Generation an, und überall in Deutschland wurden Nachlässe von Gelehrten aufgekauft, Erstdrucke, Unikate und andere Kleinodien, um die die Schlossbibliothek zu beneiden ist. Auch E. T. A. Hoffmanns Novelle "Rat Krespel", eines Jugendfreundes Goethes, der in Laubach lebte, liegt im Novellenzyklus "Die Serapionsbrüder" vor. Das Buch wird, wie viele andere auch, von Burkhard Wellenkötter in "Neues über alte Bücher", Laubach 2012, ausführlich vorgestellt. Zum Besitz der Bibliothek zählt, wie der Autor hervorhebt, auch eine Dokumentation handschriftlicher und gedruckter Schriften zum Westfälischen Frieden [18], die der Reichshofrat Johann Wilhelm Graf von Wurmbrand (1670-1750) [19] angelegt hatte. Die kostbare handschriftliche " Acta pacis Westphalicae" umfasst 14 Bände.

Von Leopold von Ranke (1795-1876), der mit seiner quellenkritischen Methode der Geschichtsforschung und seinem Standpunkt, die Lehre solle nicht nur Wissen, sondern ebenso allgemeine humanistische Überzeugungen vermitteln, zum Begründer der bürgerlichen Geschichtswissenschaft wurde, findet sich in Laubach seine Weltgeschichte in 9 Bänden (Leipzig 1881-88), wobei die Tatsache, dass sich Ranke, was sich in seinen Werken widerspiegelt, am "Zeitalter der Reformation" und dem lutherischen Protestantismus, aber auch an Herders Gedanken des Rechts der Völker auf nationale Selbstbestimmung und Freiheit [20] orientierte, möglicherweise für deren Erwerb nicht bedeutungslos war.


Die Reichsverfassung von 1849

Unter Publikationen unterschiedlicher Sichtweisen über die Revolution von 1848/49 findet der Historiker den Neudruck (1980) einer Schrift von Carl Schurz (1829-1906), der selbst an der Revolution in Baden und der Pfalz 1849 teilnahm und nach der Flucht aus der von preußischen Truppen eingeschlossenen Festung Rastatt später in die USA emigrierte, und zwar "The first impression of the new country" [21]. Vorhanden ist ebenfalls die von der in der Paulskirche zu Frankfurt tagenden Nationalversammlung im März 1849 beschlossene Verfassung des Deutschen Reichs [22] sowie eine darüber von dem Rechtsphilosophen, Programmgeber der Konservativen Partei Preußens und Mitglied des Preußischen Herrscherhauses, Friedrich Julius Stahl (1802-1861), verfasste Schrift "Die deutsche Reichsverfassung nach den Beschlüssen der Deutschen Nationalversammlung" (Berlin 1849).


Säkularisierte Klosterbüchereien

Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 [23], in dem die Säkularisierung der Klöster beschlossen wurde, verhalf der Bibliothek zu noch mehr Ansehen, denn damit ging das ehemalige Zisterzienserkloster Arnsburg bei Lich in den Besitz des Hauses Solms über. Laubach erhielt mit dem Klostergebäude die zirka 1.000 Titel umfassende kostbare Bücherei, darunter viele Frühdrucke, Handschriften und Exemplare aus den Anfängen der Druckkunst. Diese Klosterbüchereien bestanden nicht nur aus theologisch-geistlichen Publikationen, sondern erfassten auch andere Wissensgebiete, oft sogar heidnische Schriften.


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Bibel-Inkunabel mit Schmuck-Initiale, 1477
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Bibliomania Neues über alte Bücher: Aus der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2012
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer


Paracelsius, Alexander von Humboldt, Cook und Bering

Man könnte ein ganzes Buch damit füllen, einfach nur weitere Beispiele vom Wissensschatz der Schlossbibliothek anzuführen [24], gehören doch dazu auch Werke der Medizin und der Naturphilosophie, wie zum Beispiel das "Opera Omnia" von Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493-1541), der sich Paracelsius nannte [25]. Des weiteren befindet sich in der Bibliothek auch eine umfangreiche Sammlung zur Pest (deutsche und lateinische Drucke aus dem 16. und 17. Jh).


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Titelvignette mit der Idealfamilie der Biedermeierzeit
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Aufbruch in die Gegenwart - Die Epoche der Aufklärung in der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2014, S. 26
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Zur Entwicklung des Deutschen als Volkssprache sind in beträchtlicher Zahl Publikationen in Mittelhochdeutsch, gefolgt von Frühneuhochdeutsch erfasst, so Johannes Agricola (1494-1566) [26], der u. a. in "Tragedia Johannis Hus" (um 1370-1415) über den Prozess gegen den tschechischen Reformator schrieb [27], und Sebastian Brant (1457-1521) [28], von dem "Das Narrenschiff", eine 1496 in Basel erschienene Moralsatire, stammt. Aus dem späten 15. und dem 16. Jh. sind in dieser Zeit sehr beliebte Chroniken, "Zeytbücher" und Cosmographien einzusehen. Ebenso Abenteuer- und Reiseberichte oder "Erdkundebücher", gefolgt von juristischen Werken, die Auskunft geben über Verfahren, zum Beispiel am Reichskammergericht in Wetzlar (Hessen), Erzählungen von Stadtschreibern über das Alltagsleben. Im Original liegt die als "Schedelsche Weltchronik" bekannte, 1494 in Nürnberg erschienene universalhistorische Darstellung der Weltgeschichte, die der Nürnberger Stadtarzt und Humanist Hartmann Schedel (1440-1514) verfasst hatte, vor.

Ein zu seiner Zeit aufsehenerregendes Werk sind die Publikationen eines wahrhaften Universalgelehrten Conrad Gesner (1516-1565) [29], der sich auskannte in Theologie, Philosophie, Griechisch und Hebräisch, auch in Medizin, Pflanzen und Tierkunde Bescheid wusste, dazu noch in Literaturgeschichte, Sprachwissenschaften und auf anderen Gebieten zu Hause war. In Laubach erwarb man u. a. seine "Historia Animalum", die zwischen 1551 und 1558 in vier Bänden erschien und Vierfüßler, Vögel und Wassertiere darstellt. Zirka 20.000 Sonderdrucke der Biochemie belegen die Entwicklung dieser Wissenschaft von ihren Anfängen bis in die Neuzeit. In der Schlossbibliothek finden sich die Berichte der Amerika-Reisen (1797 bis 1804) Alexander von Humboldts, über die Entdeckung einer Maori-Kultur im Südpazifik durch James Cook, die Reisen Berings nach Alaska und Max von Wieds [30] über die vom Genozid bedrohten Indianer Nordamerikas.


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Aus: Voyage de Humboldt et Bonplan, Vol. XI, Monographie Melostomarum, Paris 1816
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Aufbruch in die Gegenwart - Die Epoche der Aufklärung in der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2014
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer


Originalexemplare der großen Klassiker der Aufklärung

Breiten Raum nimmt die Epoche der Aufklärung ein. Einmal mehr zeigt sich an den vorhandenen Büchern, wie Burkhard Wellenkötter schreibt, dass "es ein enges Verhältnis zwischen Zeitalter und dem jeweiligen Buchbestand gibt; mit anderen Worten: der Geist der Zeit spiegelt sich im Charakter seiner Bücher" (Wellenkötter, "Aufbruch in die Gegenwart", Laubach 2014). Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass die großen Klassiker in Gesamtausgaben und Originalexemplaren, viele zeitnah und noch zu Lebzeiten der Autoren erworben, vertreten sind: Einige Beispiele: Sieben Gesamtausgaben von Schillers Werken, ebenso Goethe, darunter die Gesamtausgabe von 1806, Lessing mit der ersten Edition von 1753 und einer Gesamtausgabe (1771-1794), Herder mit 30 Bänden, alle bei Cotta, Kloppstock sieben Bände von 1798, Gellert sämtliche Schriften 1765, Theodor Körners sämtliche Werke. Ernst Moritz Arndt, darunter der "Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann" (handschriftlich 1814), Bernhard Kellermann, Heinrich von Kleist und Hölderlin. Eines der Glanzstücke ist die Fürstenausgabe der Werke von Christoph Martin Wieland in 41 Bänden, gebunden in etruskischem Stil mit Lederintarsien, jeder Band ein Unikat.


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Titelvignette für den fünften Teil der sechsteiligen Lessing-Ausgabe erschienen bei Voß in Berlin (1735-55)
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Aufbruch in die Gegenwart - Die Epoche der Aufklärung in der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2014, S. 62
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Unter den Erstausgaben deutscher Literatur befindet sich Jeremias Gotthelfs "Wie Uli der Knecht glücklich wird" (Zürich 1841) [31]. Ein bibliophiles Kleinod der englischen Literatur ist die deutsche Erstausgabe der gesammelten Werke Shakespeares aus dem Besitz des Übersetzers, August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) [32] mit dessen handschriftlichen Kommentaren. Zu erwähnen ist hier auch der Briefwechsel, den Manon Gräfin Solms-Laubach (1882-1975) mit Rainer Maria Rilke führte.


Technik und Naturwissenschaften

In der zweiten Hälfte des 19. Jh. bildeten Erwerbungen zu Technik und Naturwissenschaften einen Schwerpunkt. Das dürfte ein Verdienst Hermann Graf zu Solms-Laubach (1842-1915) gewesen sein, der als Botaniker 1879 eine Professur in Göttingen erhielt, der 1888 eine weitere in Straßburg folgte, wo er Direktor des Botanischen Gartens sowie Mitherausgeber der Botanischen Zeitung wurde.


Lexika, Almanache, Zeitungen und Zeitschriften

Zu erwähnen sind aber auch Lexika, Bibliographien, Handbücher und sonstige Nachschlagewerke. Außerdem Kalender und Almanache, Zeitungen und Zeitschriften, Literatur über Kunst, Musik und Malerei, zur Architektur und zu Museen. Von F.A. Brockhaus liegt das "Conversations-Lexicon" oder "Encyclopädische Handwörterbuch für gebildete Stände" genannte Nachschlagwerk in der 3. Auflage von 1814 vor. Bemerkenswert ist der Bestand an deutschen Zeitschriften aus dem 19. Jh.: Fachzeitschriften, lokale und überregionale Tageszeitungen, Wochen- und Monatszeitschriften sowie Haus- und Modejournale.

Die Beispiele belegen, dass der Besucher der Bibliothek unterschiedlichste Wissensgebiete kennenlernt. Nicht zuletzt erinnert man sich beim Anblick dieser Schätze an das bekannte Zitat von Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) [33]: Mehr als das Blei in der Flinte hat das im Setzkasten die Welt verändert".

Mitte des 16. Jahrhunderts als Schulbibliothek konzipiert, wurde die Sammlung schon kurze Zeit später Landes- und Verwaltungsbibliothek, die Beamte, Juristen, Theologen, Mediziner und Naturkundler aufsuchten, um Dokumente einzusehen oder sich auch nur einfach belesen zu machen. Seit der Mediatisierung der Grafschaft Solms-Laubach ist sie alleiniger Besitz der Grafen.


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Aus: "Enclopédie Methodique" - Darstellung aus dem Bereich der Oralchirurgie
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Aufbruch in die Gegenwart - Die Epoche der Aufklärung in der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2014
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer


Eine der ältesten und größten privaten Sammlungen Deutschlands und Europas

Im 18. Jahrhundert konnte die Verwaltung der Bibliothek nicht mehr von der Familie bewältigt werden und es wurde ein Bibliothekar angestellt. Damit setzte auch die Erstellung erster Kataloge ein. Im 20. Jahrhundert begannen die Bibliothekare, die gesamten Bestände neu zu ordnen, in den sechziger Jahren folgte die Anbindung an den Hessischen Zentralkatalog. Neben der Fortsetzung der Katalogisierung ist die Pflege der herrlichen Einbände wichtiges Anliegen der Leitung der Bibliothek. Dabei wurden die Bestände nie reduziert, auch Fachliteratur, die man als veraltet betrachten konnte, selbst Dubletten nicht.

Die in ihrer Art wohl einmalige Bibliothek ist eine der ältesten und größten privaten Sammlungen nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas. Ihr kam zugute, dass sie niemals von Feuer, Krieg oder Diebstahl heimgesucht wurde. Sie ist im Verzeichnis "National wertvolle Kulturgüter" eingetragen und steht unter Denkmalschutz. Die Fachaufsicht obliegt der Universitätsbibliothek Frankfurt/Main. Sie steht Besuchern und Benutzern - Schülern, Studenten, Wissenschaftler oder auch allgemein Interessierten - zur Verfügung, und zwar kostenlos. Den Unterhalt, darunter Pflege und weitere Aufarbeitung der Bestände bestreitet der derzeitige Hausherr, Karl Georg Graf zu Solms-Laubach, aus dem Etat des Familienunternehmens. Nicht zuletzt belegt die Bibliothek mit ihren ungezählten Kleinodien, die Zukunft des geschriebenen Buches als eines, wie es Günter Grass einmal ausdrückte ("Spiegel", 17. August 2010), "aufbewahrenswerten, vererbbaren Gegenstandes".

Von Mitte April bis Ende Oktober ist die Bibliothek mittwochs um 17 Uhr für Besucher geöffnet. Diese können jedoch auch an anderen Tagen (außer samstags und sonntags) vormittags zwischen 10 und 12 in der Bibliothek unter 06405/ 910416 wegen eines Besuchs anrufen. Nachmittags ist das auch bei Frau und Herrn Wellenkötter privat: 06405/1348 möglich. Anfragen werden ferner auch unter der Mailadresse (Wellenkoetter@t-online.de) entgegengenommen. Sonderführungen können Gruppen bis maximal 20 Personen vereinbaren. Der Eintritt ist kostenlos. Für den Erhalt der Bibliothek werden Spenden entgegen genommen.


Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer

Aus Bertuchs "Bilderbuch für Kinder" - Kleine Autos bzw. Dampfkutschen ("Dampfdiligencen")
Quelle: Burkhard Wellenkötter: Aufbruch in die Gegenwart - Die Epoche der Aufklärung in der Schlossbibliothek zu Laubach, Laubach 2014
Foto: © Trautel Wellenkötter, abfotografiert von Irene Feldbauer


Anmerkungen:

(1) Um die Bedeutung von Exemplaren zu verdeutlichen, sind bei einer Reihe von Werken bzw. Publikationen Erläuterungen zu den Autoren und ihrer Rolle in der Geschichte und auf speziellen Gebieten in Fußnoten eingefügt.

(2) Burkhard Wellenkötter: Die Schlossbibliothek zu Laubach, mit Fotos von Trautel Wellenkötter, Laubach 2009; Bibliomania. Neues über alte Bücher: Aus der Schlossbibliothek zu Laubach, mit Fotos von Trautel Wellenkötter, Laubach 2012; Aufbruch in die Gegenwart: die Epoche der Aufklärung in der Schlossbibliotkek zu Laubach, Laubach 2014.

(3) August legte mit der 1560 gegründeten Kunstkammer den Grundstein für die kunst- und naturwissenschaftlichen Sammlungen des Dresdner Hofes. Er interessierte er sich für Astronomie, Kartographie, Mathematik, Messkunst und pflegte mit vielen Gelehrten persönliche und briefliche Kontakte. Der Katalog seiner Bibliothek auf der Annaburg weist einen Bestand von 1.722 Bänden aus.

(4) Sohn des kurpfälzischen Waffenschmieds Georg Schwarzert, vom sächsischen Kurfürsten Friedrich der Weise zum Professor für griechische Sprache nach Wittenberg berufen, wurde er dort zum wichtigsten Mitarbeiter Martin Luthers. Als Gestalter des Unterrichts an den protestantischen Universitäten und Lateinschulen erhielt er den Ehrentitel "Praeceptor Germaniae" (Lehrer Deutschlands).

(5) Besthaupt, vom Erbe eines Grundhörigen an seinen Herrn. Meist das beste Stück Vieh (Besthaupt), kostbare Gewänder oder andere Wertgegenstände.

(6) Eine Sammlung des in der Grafschaft Solms gültigen "Gemeinen Rechts", darunter das Landrecht und eine Prozessordnung, die der Frankfurter Reformator und führende Jurist des 16. Jh. Johann Fichard (1470-1530) mit verfasste.

(7) Gervasius (Beiname Sopher) war später Rektor der Offenburger Schule, Quaestor der Freiburger Universität und Fiskal des Straßburger Bischofs, zuletzt Schaffner (Leiter) des dortigen Thomasstiftes.

(8) Seit 1656 Generalsuperintendent des Herzogs Friedrich Wilhelm von Sachsen Altenburg (1603-1669), besorgte die Herausgabe der zehnbändigen Werkausgabe von Luther, der altenburgischen Bibel, des Sprüchebuches und verfasste spezifische Schriften über den Reformator.

(9) Als Inkunabeln (Lat. incunabula, "Windeln, Wiege, Ursprung) auch Wiegendrucke werden die seit der Herausgabe der "Gutenbergbibel" 1454 bis zum 31. Dezember 1500 mit beweglichen Buchstaben gedruckten Ausgaben und Einblattdrucke bezeichnet. Bei der genannten Ausgabe handelt es sich um eine "Vulgata", d. h., die in der katholischen Kirche seit dem 7. Jh. als authentisch geltende lateinische Bibelübersetzung.

(10) Hochmittelalterlicher Philosoph und Dominikanermönch, gilt als maßgeblicher Gelehrter der katholischen Philosophiegeschichte und damit der Scholastik, 323 heiliggesprochen. Leo XIII. (1810-1903, seit 1878 Papst), erklärte seine Lehre zur "einzig wahren Philosophie der katholischen Kirche".

(11) Griechischer Philosoph, gilt als größter Denker des Altertums. Als Schüler Platons wurde er zu dessen Kritiker, besonders seiner Ideenlehre. 342-39 Erzieher Alexanders des Großen. Erfasste die gesamte Wissenschaft seiner Zeit, begründete u. a. die Botanik, Zoologie, Logik, Mathematik und Staatsrechtslehre als eigenständige Wissenschaften. In der Kunst (Lehre vom "Schönen") sah er eine Nachahmung (mimesis) der Wirklichkeit. Erkannte die Natur als sich in Bewegung und Entwicklung befindlich, aufsteigend bis zum organischen Leben, bewies die Kugelgestalt der Erde und des Mondes. In der Politik befasste er sich mit Staatsverfassungen (158 Untersuchungen), um Lehren für den besten Staatsaufbau darzulegen. Trat als Vertreter der mittleren Schichten der Sklavenhalter für eine tolerante Aristokratie ein.

(12) Italienischer Staatsmann, Diplomat, Philosoph und Schriftsteller, Vertreter der Ideen des frühen Bürgertums. In seinem 1513 geschriebenen Hauptwerk "Der Fürst" bekannte er sich zur Einigung Italiens und trat für eine zentralisierte Monarchie ein. Der nach ihm benannte Machiavellismus besagte, dass im Kampf um die Einheit Italiens keine Mittel zu scheuen, noch Rücksichten zu nehmen seien.

(13) Radikaler Vertreter der Schweizer Reformation. Unter Zwingli entmachtete der Züricher Stadtrat die Kirche und übernahm ihre Aufgaben. Zwingli verkündete als Ziel, alles zu beseitigen, was nicht aus der Heiligen Schrift zu begründen ist: Darunter die Abnahme der Heiligenbilder (1524), die Aufhebung der Klöster (1525), die Abschaffung der Prozession, des Orgelspiels und des Gemeindegesangs, der Firmung und der letzten Ölung, die Beschränkung der Feiertage, die Begründung des Almosenamtes, Abendmahlsfeier nur an vier Sonntagen des Jahres am weißgedeckten Tisch mit Brotbrechen und Kelchnahme. An die Stelle des Stiftskapitels am Großmünster trat die Prophezei (Bibelauslegung in wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften). Als Feldprediger, der die Truppen in die Schlachten begleitete, fand er am 11. Oktober 1531 bei Kappel den Tod.

(14) Niederländischer Theologe und Kritiker der katholischen Kirche, bedeutendster Vertreter des europäischen Humanismus. Verfasste 1516 eine kritische Ausgabe des griechischen Urtextes des Neuen Testaments, die Luther seiner Bibelübersetzung zugrunde legte. Trotz scharfer Kritik an der Kirche Roms lehnte er schließlich Luther ab. Mehrere Streitschriften, u. a. "Handbüchlein des christlichen Streiters" (1502) und "Lob der Torheit" (1509). In der Pädagogik lehnte er die körperliche Züchtigung ab und trat für eine Gemeinschaftserziehung ein.

(15) Der wegen seines roten Barthaares in Italien Barbarossa (Rotbart) genannte zweite Staufenkaiser (seit 1152), fand als Führer des dritten Kreuzzuges am 10. Juni 1190 in Kleinasien, unweit Seleukia in den Fluten des Saleph (türkisch Göksu), einen ganz unkriegerischen Tod. In der Mittagshitze, als er sich bei einem Bad erfrischen wollte, erlitt er in den kalten Wassern des in den kilikischen Bergen entspringenden Flusses einen Herzschlag. Der Kreuzzug wurde abgebrochen. Siehe Gerhard Feldbauer: Friedrich Barbarossa - deutscher Kaiser am Beginn eines historischen Umbruchs, in: Schattenblick, 6. Juni 2015.

(16) Gerhard Feldbauer: Vor 450 Jahren wurde Galileo Galilei geboren. Von der Inquisition verurteilt starb der bahnbrechende Naturwissenschaftler erblindet nach neun Jahren Haft. Schattenblick, 10. Februar 2014.

(17) Auf ihm standen bis Anfang des 19. Jh. Die Werke von Kopernikus, danach bis 1827 Kants "Kritik der reinen Vernunft", später Jean Paul Sartre und Alberto Moravia. Ganz zu schweigen von Schriften zum Sozialismus/Kommunismus. Selbst über Karl May führte die Inquisition eine geheime Akte, da May als Protestant in seinen "Winnetou"-Bänden dem Marienkult huldigte. In den Index wurde er aber dann nicht aufgenommen.

(18) Geschlossen am 24. Oktober 1648, beendete den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) zwischen dem Habsburger Machtblock Österreich-Spanien und Frankreich mit wechselnden Verbündeten.

(19) Der Reichshofrat war neben dem Reichskammergericht und in Konkurrenz zu diesem eines der beiden höchsten und dem Kaiser unterstellten Gerichte im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Wurde 1806 aufgelöst. Graf Wurmbrand stand ab 1694 bis zu seinem Tod 1829 als Präsident an der Spitze des Gremiums.

(20) Obwohl Ranke den Sieg im Eroberungskrieg gegen Frankreich begrüßte, trat er im Gegensatz zu den Scharfmachern dieser Zeit, wie dem Hauptvertreter der konservativen subjektivistischen Geschichtstheorie Heinrich von Treitschke (1834-1896), nationalistischen Auswüchsen entgegen und äußerte, dass sich der "Antagonismus" der Mächte Europas nicht in der "Waffenfähigkeit" und der "Stärke der Armeen" erschöpfen dürfe, sondern "zugleich ein Wettkampf der inneren Gesamtkraft der einen mit der anderen, ihrer Entwicklungs- und Leistungsfähigkeit" sein solle. In diesem Kontext vertrat er auf der Grundlage seines eurozentristischen Historismus ein Konzept des Gleichgewichts der europäischen Großmächte England, Frankreich, Preußen, Österreich und Russland. In der Geschichtsforschung vertrat er den Grundsatz, dass der Historiker nicht richten und belehren, sondern nur darstellen solle, "wie es eigentlich gewesen" ist. Dem entsprechend forderte er, alles Unbewiesene aus der Geschichtsbetrachtung zu entfernen, das Tatsächliche kritisch herauszuarbeiten und ein wahrheitsgetreues Bild der Vergangenheit darzulegen. Mit dieser Quellenerschließung hat er, wie sein Schüler Heinrich von Sybel (1817-1895), Direktor des preußischen Staatsarchivs, bemerkte, in der Geschichtswissenschaft geradezu epochemachend gewirkt. Siehe Gerhard Feldbauer: Leopold von Ranke, der Begründer der bürgerlichen Geschichtswissenschaft, in: Schattenblick, 26. Oktober 2011.

(21) Schurz nahm in den USA als General auf Seiten der Nordstaaten am Bürgerkrieg teil, wurde als erster gebürtiger Deutscher in den Senat (1869- 75) gewählt, und war 1877-81 Innenminister. Als er 1868 Preußen besuchte, empfing ihn der Kanzler des norddeutschen Bundes, Otto Fürst von Bismarck, zu einem längeren Gespräch und stellte ihm bei einer Rückkehr einen hohen Regierungsposten in Aussicht.

(22) Die Reichsverfassung verzichtete auf eine Demokratische Republik und sah eine konstitutionelle Monarchie in Form eines Bundesstaates mit erblicher Kaiserwürde vor. Es war eine gemäßigte liberale Verfassung, die auf der Grundlage eines Kompromisses mit dem herrschenden Feudalsystem die Interessen der bereits die wirtschaftliche Entwicklung bestimmenden Bourgeoisie (1834 deutscher Zollverein, 1807 erste Dampfmaschine, einsetzender Maschinenbau, 1837 erste Eisenbahnstrecke Leipzig-Dresden) sichern sollte. Dem entsprach vor allem die Herstellung einer politischen Zentralgewalt. 29 kleine und mittlere deutsche Staaten anerkannten die Reichsverfassung, nicht aber Preußen, Sachsen, Bayern und Hannover. Der preußische König Wilhelm IV., dem eine Abordnung der Nationalversammlung die Proklamation zum deutschen Kaiser antrug, wies diese zurück. "Soll die tausendjährige Krone deutscher Nation", so entgegnete er, "wieder einmal vergeben werden, so bin ich es und meines Gleichen, die sie vergeben werden".

(23) Die am 25. Februar 1803 von der Reichsdeputation beschlossene territoriale Neugliederung des Reiches war das letzte bedeutende Gesetz des Heiligen Römischen Reiches. Die damit säkularisierten und mediatisierten Gebiete wurden besonders den von Frankreich abhängigen süddeutschen Mittelstaaten einverleibt. Aber auch Preußen erhielt, um es gegen Österreich zu stärken, große Gebiete. Der Reichsdeputationshauptschluss beseitigte die schlimmsten Auswüchse der deutschen Kleinstaaterei, beförderte die Entwicklung des Bürgertums und einen nationalen Markt.

(24) Dem ist aber, wie bereits erwähnt, Burkhard Wellenkötter mit "Aufbruch in die Gegenwart", Laubach 2014, nachgekommen.

(25) Arzt, Naturforscher und Philosoph, Wegbereiter der neuzeitlichen Medizin. Beobachtete und beschrieb u. a. Syphilis und Pest, führte chemische Heilmittel ein.

(26) Protestantischer Theologe und Schriftsteller, seit 1525 Rektor einer Lateinschule, seit 1540 Hofprediger in Berlin. Besonders seine Sammlung deutscher Sprichwörter (1528-48) beeinflusste die Herausbildung des Frühneuhochdeutschen als Schriftsprache.

(27) Jan Hus war 1402 und 1409 Rektor an der Universität von Prag. In seinen Predigten forderte er eine umfassende Reform der Kirche, trat gegen die Ablasslehre auf, worauf er exkommuniziert wurde. In seiner Schrift "De acclesia" (1413) wandte er sich endgültig von der römischen Kirche ab. Nachdem er vor dem Konstanzer Konzil einen Widerruf abgelehnt hatte, wurde er als Ketzer verbrannt.

(28) Humanist, Dichter und Satiriker aus dem Elsass, Stadtschreiber in Straßburg, Dekan der juristischen Fakultät von Basel. Sein "Narrenschiff", 113 Abhandlungen über menschliche Laster, Schwächen und Torheiten, ist illustriert mit über 100 Holzschnitten. Es wirkte sich stark auf das Entstehen der späteren Narrenliteratur aus.

(29) Auch Conrad von Gesner oder Conradus Gesnerus genannt. Er verließ sich nicht mehr ausschließlich auf die überlieferten Erkenntnisse der Antike und des Mittelalters, sondern stützte sich vor allem auf seine eigenen Forschungsergebnisse. Da er auch ein ausgesprochenes Zeichentalent war, gestaltete er auch selbst Illustrationen seiner Bücher

(30) Maximilian Alexander Philipp Prinz zu Wied-Neuwied (1782-1867). Erlangte als Naturforscher und Ethnologe besondere Bedeutung durch seine Studien über die Indianer Nordamerikas.

(31) Siehe Gerhard Feldbauer: Ein Fechter für eine bessere Welt. Jeremias Gotthelf us'm Emmental, "Schattenblick", 22. Oktober 2014.

(32) Schriftsteller, Kritiker, Sprachwissenschaftler, Führer der "romantischen Schule", gab mit seinem Bruder Friedrich (1772-1829) die Zeitschrift "Athenäum" heraus. War seit 1818 Professor für indische Philologie in Bonn.

(33) Hessischer Schriftsteller, Kunstkritiker, Mathematiker und erster deutscher Professor für Experimentalphysik 1795 Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften. Maßgeblicher Begründer des deutschsprachigen Aphorismus.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer (Text)
© 2012 und 2014 by Trautel Wellenkötter (Fotos)
Mit der freundlichen Unterstützung und Genehmigung von Trautel und Burkhard Wellenkötter


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2016

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