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BERICHT/023: Buchbinder - ein Handwerk, das Wissen vor dem Verfall bewahrt (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 2/2009

Für immer gebunden
Ein Handwerk, das Wissen vor dem Verfall bewahrt

Von Patricia Graf


Geduldig und mit sicherer Hand führt Katharina Vollertsen die Nadel mit gewachstem Baumwollzwirn durch die bunt bedruckten Heftseiten. Irgendwo in der Werkstatt ertönt leise Musik aus einem Radio. Links neben der jungen Frau liegt auf der hölzernen Werkbank ein Stapel Wissenschaftsmagazine. Ein ganzer Jahressatz, pro Monat eine Ausgabe. Heft für Heft schlägt sie mittig auf, sticht gezielt kleine Löcher in die Falzkanten vor und legt die Ausgabe Eck auf Eck auf die bereits zusammengebundenen Magazine. Sie fädelt den Zwirn durch die vorgelochten Seiten und zieht ihn dann behutsam fest. Fadenheftung nennt sich diese Methode. Innerhalb von ein paar Minuten ist der Stapel keine Ansammlung von losen Heften mehr, sondern der Rohbau eines Jahresbandes. Nicht mehr lange, dann steht er in der weltgrößten Bibliothek für Wirtschaftswissenschaften mit entsprechender Signatur zur Ausleihe bereit.


Buchbinder in der Einzel- und Sonderanfertigung, so der korrekte Ausdruck, tun vor allem eines: Bücher zusammen- und einbinden. Ob mit Leim oder Faden, ob im Softpappeinband oder fest in Leder, ob mit Prägung und Goldverzierung oder schmucklos. Von den einzelnen Seiten bis zum fertigen Buch sind es viele kleine Schritte, und alle muss Katharina Vollertsen lernen. Die 21-Jährige ist Auszubildende in der Buchbinderwerkstatt der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW), dem Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in Kiel und Hamburg. Die Ausbildung hat am Kieler Standort Tradition. Vier Azubis in unterschiedlichen Lehrjahren arbeiten derzeit im Dachgeschoss der dortigen Bibliothek. Katharina Vollertsen steht noch am Anfang, sie ist gerade im ersten Lehrjahr.

Es klingt kurios, wenn sie erzählt, dass sie ausgerechnet durch ein Buch auf den Beruf aufmerksam wurde. "Ich habe einen Roman über eine Buchbinderin gelesen. Es hat mich fasziniert, wie sie darin ihren Beruf beschrieb. Nach dem Abitur, das war immer klar, wollte ich etwas Handwerkliches machen, etwas Greifbares." Durch ein Praktikum erfuhr sie schließlich von der Buchbinderausbildung in der ZBW. Heute besucht sie für die Theorie regelmäßig die Berufsschule in Neumünster. Dort ist sie eine von fünf Auszubildenden der Buchbinderei für Einzel- und Sonderanfertigung im ersten Lehrjahr in ganz Schleswig-Holstein und Hamburg. Der Berufzweig ist im Rückgang, zumindest was diesen traditionellen Bereich betrifft. Drei Jahre dauert die Ausbildung, danach finden die meisten Buchbinder in Bibliotheken Arbeit. Immer öfter bewerben sich auch Abiturienten um einen Ausbildungsplatz, wobei für den Beruf im Grunde ein Hauptschulabschluss ausreicht.


Herzblut für Handwerk

In der ZBW Kiel lernt Katharina Vollertsen die Praxis unter Anleitung von Elke Schnee. Die Buchbindermeisterin lehrt ihre Schützlinge alle Kniffe des Berufes und wahrscheinlich noch ein bisschen mehr: Herzblut für ihr Handwerk. "Es sind nur noch wenige, die unser Handwerk beherrschen", erzählt sie. "Wenn wir es heute nicht weitergeben, gibt es bald keine Buchbinder mehr. Ich arbeite seit über zwanzig Jahren hier. Alles was ich weiß und kann, möchte ich meinen Lehrlingen mit auf den Weg geben." Sie kämpft für ein Handwerk, das Wissen vor dem Verfall bewahrt. Genau das ist die Aufgabe der Buchbinderwerkstatt in der Zentralbibliothek. Etwa fünfzehn Buchbinder arbeiten hier an langen Werkbänken, an Schneidemaschinen, mit Klebe- und Kleistertöpfen, an Fadenheftapparaturen und mit Schmuckpapieren. Soweit das Auge reicht: Papier, Papier, Papier. "Beschäftigt sind wir vor allem mit Neubindungen. Das sind Magazine und Heftreihen, die zu Sammelbänden gebunden werden", erklärt Elke Schnee. Unzählige Monatsausgaben aus den verschiedensten Ländern der Welt rund um wirtschaftliche Themen erreichen die Bibliothek jährlich. Die Buchbinder fügen sie zu Jahres- oder Halbjahresbänden einer Heftreihe zusammen und versehen sie schließlich mit einer vorgegebenen Signatur. Noch nach altem Gutenberg'schen Prinzip prägen sie diese mit beweglichen Metall-Lettern und Echtgoldfolie auf den Buchrücken. Echtgold ist nur unerheblich teurer als Farbfolie, sagt Elke Schnee, garantiert aber eine unendliche Haltbarkeit. Bei Kunstfarben könne man sich da nicht so sicher sein.

Aber auch die "Instandhaltung" der gegenwärtigen Bestände, wie sie es nennt, gehört zu den Aufgaben der Buchbinder. "Restauration wäre vielleicht zu viel gesagt. Bücher, die sehr alt und kostbar sind, behandeln wir nicht selbst. Das sind Aufgaben speziell für Restauratoren". Unter der Erde, im Magazin der Bibliothek, wird deutlich, dass es dennoch auch in diesem Bereich genug Arbeit gibt für die Buchbinder. Blaue Metallregale stehen in Blöcken beieinander, lassen sich auf Knopfdruck verschieben. Das spart Platz. Jahrhunderte alte Bücher lagern hier unten. Manche von ihnen sehen aus wie neu, andere bröseln auseinander. Zwischen den Buchreihen findet sich das ein oder andere kürzlich erneuerte Exemplar.

"Wir versuchen möglichst viele Elemente des alten Buchumschlags zu erhalten", erklärt Elke Schnee die mosaikartige Anordnung von alten und neuen Einbandteilen auf einem Buchrücken. In beinahe jeder Regalreihe wäre ein Buch zu erneuern. Es sind nicht unbedingt die ältesten Werke, die eine Auffrischung gebrauchen könnten. Je nach verwendeten Materialien und Verarbeitung halten Bücher die Belastungen durch ständiges Greifen, Blättern, Hantieren unterschiedlich gut aus. Die beschriebene Fadenheftung etwa, wie sie Katharina Vollertsen gerade lernt, ist die dauerhafteste Bindung, die es überhaupt gibt. "Sicher, gegen mutwilliges Rausreißen ist auch sie nicht gefeit, aber durch den alleinigen Normalgebrauch fällt auch nach Jahrzehnten keine Seite heraus", sagt Elke Schnee. In Anbetracht von eBook und Co hat das Buchbinderhandwerk etwas beruhigend Zeitloses. Schnelllebigkeit ist seine Sache nicht.


Fachpersonal ausbilden

Es kommt nicht von ungefähr, dass in einer Leibniz-Einrichtung Buchbinder ausgebildet werden. Wer Wissen ansammelt, muss es erhalten. Nicht nur für den Augenblick oder die nächsten Jahre, nein, nach Möglichkeit für immer. Als Wissenschaftsorganisation der öffentlichen Hand kommt die Leibniz-Gemeinschaft mit der Ausbildung von Fachpersonal ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nach und will zudem mögliche personelle Engpässe vermeiden. Über 80 Prozent der momentanen Ausbildungsgänge innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft finden in Kammerberufen statt. Darunter sind neben den allgemein bekannten Bürofachkräften auch neuartige oder sehr spezielle Berufe wie Mathematischtechnische Softwareentwickler (MATSE) oder Tierpräparatoren.

Die im Mai neu gegründete "Arbeitsgruppe Ausbildung" arbeitet gegenwärtig an einem Konzept, um die Vielfalt und Anzahl der Ausbildungsplätze in den Leibniz-Einrichtungen zu erhöhen. Denn von der allgemein anvisierten Sieben-Prozent-Marke sind die Leibniz-Gemeinschaft und die übrigen deutschen Forschungsorganisationen noch ein gutes Stück entfernt. Neben vier Auszubildenden zu Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste bildet die ZBW ihre Buchbinderlehrlinge sogar über den eigenen Bedarf aus. Deutschlandweit dürfte sich die Zahl der fertig gelernten und der benötigten Buchbinder jedoch in etwa decken. Katharina Vollertsen möchte nach ihrer Ausbildung trotzdem erst noch studieren. "Restauration von Büchern, Archivalien und Papieren" schwebt ihr vor. Bücher binden kann sie dann schon. Möglicherweise nimmt sie in ein paar Jahren jene Werke aus dem Archiv der ZBW entgegen, die Elke Schnee derzeit nur Restauratoren in Auftrag geben könnte, und sichert sie zum Nutzen und Wohle für zukünftige Generationen.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 2/2009, Seite 14-15
Herausgeber: Leibniz-Gemeinschaft
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2009