Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → BIOGRAPHIE

REZENSION/011: Edo Reents - Neil Young (SB)


Edo Reents


Neil Young



Zu seinem 60. Geburtstag am 12. November kann der 1945 im kanadischen Toronto geborene Neil Young mit Fug und Recht den Titel des personifizierten Mythos der populären Musik Nordamerikas in Anspruch nehmen. Mehr noch als Bob Dylan, die zweite amerikanische Ikone der in ihrem rebellischen Geist längst verebbten Gegenkultur der sechziger Jahre, verfügt Young über das unter der Oberflächlichkeit und den Vermarktungszwängen der Unterhaltungsindustrie selten gewordene und daher um so begehrtere Gold der Authentizität. Er hat sich im Unterschied zu anderen Überlebenden der Hippieära ein Höchstmaß an persönlicher Aussagekraft und musikalischer Eigenständigkeit bewahrt, was auch daran liegen dürfte, daß er schon während der emphatischen Aufwallungen dieser Zeit gerne den Part des am Rande stehenden Bewahrers alter Werte und des Chronisten der düsteren Seiten des vermeintlichen Aufbruchs in eine freiere Welt eingenommen hatte.

So sind Neil Youngs Texte keineswegs frei von Hymnen auf die traute Familie, den heimischen Herd und die Größe der Nation, was manch einen unter seinen Fans schon zu schmerzhaften Rechtfertigungsverrenkungen genötigt hat. Im Unterschied zum reaktionären Flügel der Country-Musik, der sich ganz in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt hat, ist sich Young aber auch nicht zu fein, persönliche Schwäche zu zeigen, das Drama der blutigen Eroberung Amerikas zu besingen und die Härten der Armut in anklagende Worte zu fassen. Er bemißt seine poetischen Visionen weniger an der inneren Konsequenz einer politischen Botschaft, als daß er sie zu Metaphern des Überlebens in einer Welt voller Widersprüche verklärt, in der ein Mann am besten vorwärtskommt, wenn er nicht dauernd nach hinten oder zur Seite sieht, wo Freunde aus alten Tagen am Ruhm und an Drogen zugrunde gehen und das noch als besonders männlichen Akt der Selbstbehauptung verkaufen. Mit seinen musikalischen Kommentaren nimmt er zwar zu deren Schicksal Stellung, besteht aber auf seinem Traum, auch wenn dieser inzwischen so dünn wie die eigenen Haare geworden ist.

Als Musiker zeichnet sich Neil Young dadurch aus, daß er sich nicht auf einen bestimmten Stil festlegen läßt und bisher noch immer in der Lage war, seine Fans vor den Kopf zu stoßen und seine Gegner für sich einzunehmen. Unter den Riffs des dröhnenden Gitarrenrocks, SingerSongwriter-Balladen, deren Arrangements zwischen der Klarheit simpelster Instrumentierung und dem Zuckerguß schwülstiger Streicherarrangements changieren, blueslastigen Stücken mit Big-Band-Bläsersätzen, elektronischen Experimenten, bizarren Soundcollagen und Nashville-Country gibt es kaum eine Ausdrucksform, die der musikalische Extremist ausgelassen hätte. Seine elektrische Sologitarre ist von krachender Urgewalt und packender Intensität, während sein Fingerpicking an der akustischen Gitarre die Einfachheit des Folks zelebriert. Seine manchmal hart am Rande des Zusammenbruchs entlangbalancierende spröde Stimme ist so unverkennbar, daß kein Zweifel über ihren Urheber aufkommen kann. Manche mögen sich an dem bisweilen ins Weinerliche abkippenden Wehklagen des Sängers stören, doch haben die melancholischeren Seiten Youngs auch die empfindsamsten Balladen geschaffen. Rockstücke wiederum kann er kraftvoll und mitreißend intonieren, obwohl ihm der Blues gänzlich abgeht und seine Stimme in bester folkloristischer Tradition immer ausgesprochen weiß klingt.

Diesem nunmehr seit über 40 Jahren aktiven Musiker hat der im Feuilleton der FAZ als Rezensent und Chronist der Popkultur tätige Edo Reents mit seiner Biographie ein Denkmal gesetzt, das die Geschichte Neil Youngs von den Anfängen in Kanada bis zum heutigen Status eines sich treu gebliebenen Veterans der Hippieära am roten Faden der über 40 Langspielplatten und CDs entwickelt, die der Musiker als Soloprojekte oder mit diversen Bands eingespielt hat. "Alle meine Platten sind Teile einer sich fortsetzenden Autobiographie", wird der Meister auf dem Cover des großzügig editierten Werks zitiert, und so macht sich Reents daran, dem bisherigen Schaffen Youngs im Rahmen einer Werkschau Reverenz zu erweisen.

Dabei hält sich der Autor dankenswerterweise mit Anekdoten und Trivialitäten zurück und stellt die Bewertung der musikalischen wie textlichen Qualität der Werke Youngs in den Mittelpunkt der Biographie. Dies ist für den Leser, der mit seinen Platten aufgewachsen ist und die wechselvollen Ereignisse einer ganzen Epoche vor dem inneren Auge und Ohr Revue passieren lassen kann, ebenso ein Gewinn wie für das eher jugendliche Publikum, das auf Young im Zusammenhang mit seiner Rolle als Mentor der Grunge- Bewegung der neunziger Jahre aufmerksam geworden ist.

Die Bedeutung dieses Exponenten nordamerikanischer Musikkultur dürfte künftig sogar noch zunehmen, scheint sich handgemachte, archaische und textlich gehaltvolle Musik aus dem großen Bereich genuiner Americana zwischen Folk, Blues und Country doch gerade in Abgrenzung zur Austauschbarkeit und Lieblosigkeit der Produkte einer globalisierten, in ihrer politischen Intention durchaus kulturimperialistischen Unterhaltungsindustrie auch hierzulande immer größerer Beliebtheit zu erfreuen. Wo der Mainstream der MTV-, werbungs- und klingeltongestützten Popproduktion auf die glatte Oberfläche universaler Verwendbarkeit setzt, erfreuen sich unprätentiöse Auftritte, dissonante Töne und konträre Ansichten wachsender Beliebtheit beim medial überfütterten Publikum. Hinzu kommt, daß in der modernen amerikanischen Liedkultur dasjenige Amerika eine Stimme erhält, das in der Exportversion seiner Popkultur schon deshalb nicht anzutreffen ist, da diese von der Karikatur verordneter Ich-Inszenierung, dem auf korporatistische Interessen und konformistische Norm zurechtgestutzten Phänotyp des Konsumismus, dominiert wird.

Die Einordnung des musikalischen Werks Neil Youngs in den zeithistorischen Kontext beschränkt sich bei Reents zwar eher auf Anmerkungen denn auf Exkurse, doch das unstete Verhältnis des Kanadiers zu seiner Wahlheimat USA wird angemessen gewürdigt. Es entsteht das Bild eines im klassischen Sinne konservativen Mannes, der ähnlich wie Johnny Cash viel für die einfache Lebensweise der ländlichen Bevölkerung übrig hat, darüber aber nicht vergißt, daß die amerikanische Kultur auf mit dem Blut der Ureinwohner reichlich gedüngtem Boden zu weltweiter Wirkkraft gelangte. So stellt "Cortez The Killer", ein Song von epischer Breite über das Schicksal der Azteken, in dem sich die Gitarrenriffs wie vollbeladene spanische Galeonen auf ihrer Fahrt über den Atlantik aneinanderreihen, ein gelungenes Requiem für die niedergegangene Kultur Mittelamerikas und ein gutes Beispiel dafür dar, daß sich historische Ereignisse sehr gut in musikalischen Tableaus wiedergeben lassen.

Reents zeigt mit seiner eher negativen Bewertung des zum Symbol gegenkultureller Autonomie hochgeschriebenen Festivals Woodstock als "Beginn der Kommerzialisierung der Popmusik", daß er nicht zur Glorifizierung einer Jugendbewegung neigt, deren Ideale nicht gründlicher unter die Räder kapitalistischer Verwertung hätten geraten können. Er erspart dem Leser auch nicht die Widersprüche in der Biographie Neil Youngs, der sich zeitweilig im Fahrwasser des aggressiven Neokonservativismus eines Ronald Reagan bewegte und der nach dem 11. September 2001 mit seiner CD "Are You Passionate?" auf der Welle patriotischer Begeisterung ritt, die die anklagenden Zwischentöne seines Songs "Rockin' In The Free World" vergessen machten. Young hat sich politisch niemals so aus dem Fenster gelehnt, daß es seiner Karriere hätte schaden können, er hat jedoch aus seinen Ansichten auch dann kein Hehl gemacht, wenn sie in ihrem bodenständigen Pathos dazu angetan waren, abschreckende Wirkung zu entfalten.

Als Gradmesser für den Stand amerikanischer Befindlichkeiten und poetischer Illustrator gesellschaftlicher Entwicklungen hat Neil Young dennoch eine Bedeutung, die seine Musik und seine Texte über ihre rein emphatische Wirkung hinaus interessant machen. Die Kontinuität und Ernsthaftigkeit seines Schaffens, das die berufliche wie familiäre Umgebung vor allem deshalb sentimental kommentiert, weil die Wunden und Zerstörungen ohne den Filter der Emotion noch unerträglicher wären, und das im diagnostizierten Mangel an Verbindlichkeit und Gerechtigkeit die Vision einer besseren Welt erahnen läßt, faßt Reents treffend zusammen:

"Sein Utopia ist von prä-, nicht von postmoderner Art. Deswegen spielt bei ihm auch eine Kategorie wie Ironie keine Rolle. Würde und Wahrhaftigkeit, darum geht es." (S. 290)


11. Oktober 2005



Edo Reents
Neil Young
Eine Biographie
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin, 2005
hat 304 Seiten und kostet 19,90 Euro.
ISBN 3 87134 519 9