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KALTE PLATTE/0085: Klatsch auf krossen Kräckern (SB)


Satirische Canapés und Cocktailbissen



Werdet ihr erst dann einsehn ...

Ausschnitt aus einem KALTE PLATTE-Gespräch mit dem Navacherokesen "Grober Keiler" über indianische Weisheiten.

KALTE PLATTE: ..., dann hören wir in den Song doch einfach mal rein. (Das Lied "Rauchzeichen" von der deutschen Folkrockgruppe "Cochise" wird gespielt):

"Wenn ihr den letzten Baum zerstört, dem letzten Fluß die Klarheit nehmt, dem letzten Leben abgekehrt, der letzte Vogel nicht mehr singt.

Werdet ihr erst dann einsehn, daß ihr euer schönes Geld auf der Bank nicht essen könnt, welch Menge ihr auch nennt.

Wenn ihr den letzten Fisch gefangen, die letzte Erde aufgeteilt, die letzte Bombe hochgegangen, die letzten Ernten sind verseucht. Die letzte Mutter Kinder liebt, der letzte Mensch durch Folter stirbt, der letzte Gott den Segen gibt, der letzte Hitler für sich wirbt ... " (Lied läuft im Hintergrund weiter)

GROBER KEILER (G.K.): Den Text gibt es auch als Autoaufkleber. War schon Ende der 1970er bei den Umweltschützern sehr beliebt. Das Gerücht, daß das auf irgendwelche Aussagen von Indianern zurückgeht, hält sich erstaunlich hartnäckig. Dabei gab es in den Medien genug Aufklärung, daß sich das Weiße ausgedacht haben.

KALTE PLATTE: Aber es hieß doch immer, in Anlehnung an die Weissagung der Cree -

G.K.: Ja, oder an eine von US-Geologen veröffentlichte Weissagung der Hopi, klar, 1962, glaube ich. Weissagung im Sinne von "Weiße haben gesagt". Aber weder die Cree noch irgendein anderes indianisches Volk haben damit etwas zu tun. Das ist nicht mal Folklore. Wie gesagt, darüber gab es Aufklärung genug. Schon allein diese Sache mit der Einsicht -

KALTE PLATTE: Schade, mir hat das so gut gefallen -

G.K.: Ja, okay, du hast als Kind vermutlich auch Winnetou als Häuptling der Apachen verehrt. Das ist ungefähr dasselbe.

KALTE PLATTE: Aber, auch wenn der Text nicht indianischen Ursprungs ist, rein inhaltlich ist doch nichts dagegen zu sagen, daß die Menschen besser zur Einsicht kommen sollten, bevor alles zerstört ist ...

G.K.: Werdet ihr erst dann einsehn, blablabla. Glaubst du wirklich, das ist eine Frage der Einsicht? Man muß nur einsehen, daß das Abholzen der Wälder und Vergiften der Ozeane verheerende Folgen hat, schon wird damit aufgehört? Man muß nur einsehen, daß ungehemmter CO2-Ausstoß zu einer Klimakatastrophe führt, und sofort wird er massiv reduziert?

KALTE PLATTE: Ja, es müssen eben nur genug Leute sein, die das einsehen -

G.K.: Man könnte da direkt von einer Einsicht-Gläubigkeit sprechen. Dabei gibt es zahllose Beispiele, wo aller Einsichtigkeit zum Trotz die Umweltzerstörung ungebremst weiterläuft. Dennoch, dieses Hochhalten der Einsicht, diese Lieblings-Lebenslüge der Weißen, wird mit dem Lied auch noch als indianisches Denken verkauft.

KALTE PLATTE: Für mich ist das zunächst einmal eine Sichtweise, wo der Mensch nicht so sehr im Mittelpunkt steht.

G.K.: Aber wenn die weitere Entwicklung auf der Welt von seiner Einsicht oder Nicht-Einsicht abhängt, steht er doch total im Mittelpunkt. Ich bin der Ansicht, daß die meisten Menschen sich lediglich einem universellen Zerstörungsprozeß andienen, von dem einige vorübergehend, also nur sehr kurzfristig, profitieren. Danach fallen sie selbst der Zerstörung anheim. Und ein bißchen Einsicht, daß das eigene Tun vielleicht doch nicht so vorteilhaft sein könnte, ist gegenüber diesem Prozeß nicht mal ein Schiß im Winde.

KALTE PLATTE: Aber Einsicht ist doch nichts Schlechtes -

G.K.: In vielen überlieferten Aussagen, etwa der Rede vom Squamish-Häuptling Seattle oder einer Prophezeiung der Hopi, ist von massiven Zerstörungen der Umwelt die Rede. Aber nicht, daß sie zu so etwas wie Einsicht führen oder Einsicht irgend etwas bewirkt. Es ist vom Erscheinen des Regenbogenkriegers die Rede, aber das ist eine vollkommen andere Sache.

KALTE PLATTE: Wenn aber Einsicht zu nichts führt, dann -

G.K.: Wenn der Wald ein Teil deines Körpers ist, dann brauchst du keine "Einsicht", um etwas gegen seine Vernichtung zu unternehmen. Vielmehr wirst du sofort und unmittelbar alle dir zu Gebote stehenden Mittel einsetzen, um ihn, um dich, das ist ja dasselbe, zu retten.

KALTE PLATTE: Ja, das leuchtet mir ein -

G.K.: Ist der Wald für dich aber nur die Anhäufung einer vegetabilischen Lebensform, dann kümmert dich ihr Sterben nur indirekt, etwa als finanzieller Verlust. Und ja, sicher, irgendeine Stimme, nenne sie meinetwegen Einsicht, sagt dir, daß du etwas unternehmen solltest. Aber diese Stimme ist nichts im Vergleich zu dem Tosen des brennenden Flusses, den viele Menschen tatsächlich nach ihrem Gutdünken zu befahren glauben, obgleich er sie längst in einer Geschwindigkeit mit sich reißt, die ein Ansteuern der Ufer für den einzelnen unmöglich macht.

KALTE PLATTE: Klingt nicht gut -

G.K.: Nein. Das Anstreben von Einsichten täuscht nur darüber hinweg, daß dir die einzige Zugriffsmöglichkeit, der Kontakt zu deiner Umgebung, längst abhanden gekommen ist.

KALTE PLATTE: Aber wenn ich den nun wieder herstellen will?

G.K.: Naja, dann bekommst du es vermutlich erstmal mit dem Willen zu tun ...

KALTE PLATTE: Warum komme ich mir während unseres Gesprächs eigentlich immer degenerierter und abgefuckter vor?

G.K.: Keine Ahnung, vielleicht kommt dir gerade die Einsicht, daß ich ein lausiger Gesprächspartner bin.

KALTE PLATTE: Schon möglich. Nichts für ungut, Grober Keiler. Trotzdem bedanke ich mich für das Gespräch. So, und nun für unsere Cochise-Fans noch einmal in voller Länge "Rauchzeichen"...

22. Oktober 2013