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KALTE PLATTE/0055: Klatsch auf krossen Kräckern (SB)


Satirische Canapés und Cocktailbissen


Nachruf

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Staatsangestellte!

Nach langem Leiden hat unser fleißiger und treu ergebener Vorvater, Inbegriff deutscher Administrationskultur und Mitbegründer unseres vielbeneideten Verwaltungsapparats, der DEUTSCHE BEAMTE, seine unbestechlichen Augen für immer geschlossen.

Als Sohn der Allianz zwischen preußischem Kadettengehorsam und klerikaler Bußfertigkeit hat er fast bis zum Ende des letzten Jahrtausends in zahllosen Amtsstuben gewissenhaft seine Pflicht getan. Dabei ist ihm die Ausbildung fähigen Nachwuchses stets ein wichtiges Anliegen gewesen. Diese Aufgabe wurde ihm jedoch bis zu seiner Pensionierung zunehmend durch antiautoritäre Erziehung, Volljährigkeit mit 18 Jahren, die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung, schwindenden Respekt vor Älteren, Verbot körperlicher Züchtigung und dergleichen mehr sauer genug.

Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 1994 mit dem erfreulich eindeutigen Satz "Eine weitergehende Entbindung des Beamten von der Gehorsamspflicht ist auch bei verfassungswidrigen Weisungen nicht geboten." kam als Motivationsschub für dich, ehdem bereits Pensionär, leider zu spät. In der Bedeutung deiner Leistungen weit unterschätzt, verstarbst du dennoch in der Gewißheit, daß man dich allzu bald schmerzlich vermissen würde. Wie sehr du damit recht behieltst, zeigt sich bereits beim Mikrozensus 2011/12 mit seinen zahllosen Fehlern und Pannen. Als Ordnungsmacht Europas droht Deutschland ohne dich nun die Schmach, sich vor aller Welt als verwaltungstechnisch inkompetent zu erweisen.

Zumindest ist es dir erspart geblieben, den wahren Grund für die verminderten Fähigkeiten deutschen beamtischen Nachwuchses zu erfahren. Denn die Ursache liegt nicht allein beim Versäumnis der Eltern, das kindliche Wesen frühzeitigen zu brechen, also beim Versäumnis seiner totalen Unterwerfung unter die elterliche Befehlsgewalt - nein, schlimmer noch, es mangelt beim heutigen Nachwuchs schlechthin an Wesensubstanz, die gebrochen werden kann!

Generationen zum unbedingten Gehorsam erzogener Beamter haben unter dem tückischen Einfluß der Evolution vollkommen rückgratfreie Nachkommen hervorgebracht. Diese sind zwar überaus gehorsam, doch nicht nur ihrem jeweiligen Vorgesetzten gegenüber, sondern sie gehorchen widerspruchslos jedem wie auch immer gearteten vorherrschenden Reiz. Der kann vom Vorgesetzten ausgehen, aber auch von der Verlockung einer kleinen Hilfsgelder-Unterschlagung.

Wie dem auch sei, Einsichten am frischen Grab kommen naturgemäß zu spät. Aber in diesem Fall mögest du, lieber DEUTSCHER BEAMTER, uns unsere Versäumnisse dir gegenüber verzeihen. Wir geloben Besserung. Denn ohne Deinesgleichen ist auch unser Untergang besiegelt. Daher werden wir zunächst auf das unverbrauchte Potential frisch eingebürgerter Griechen- und Italienerkinder zurückgreifen. Wie sagte unser 6. Bundespräsident Richard von Weizsäcker so sinnfällig: "In einem demokratisch vereinigten Europa könnten die alten preußischen Wesenszüge der Achtung vor dem Recht, der Loyalität gegenüber dem Mitbürger und des Pflichtgefühls von unschätzbarem Wert für alle werden." Nach dieser Maßgabe formen wir aus jungen europäischen Immigranten mit den bewährten Mitteln alter preußischer Schule eine neue Beamtengeneration deutscher Prägung, die dir zur Freude gereichen würde. Mögest du in ihnen weiterleben!

In diesem Sinne "Auf Wiedersehen, lieber DEUTSCHER BEAMTER". Dein Andenken soll uns stets die Zukunft weisen!

Die deutsche Obrigkeit

1. Februar 2012