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KALTE PLATTE/0024: Klatsch auf krossen Kräckern (SB)


Satirische Canapés und Cocktailbissen


Grand-Prix-Gewinner Deutschland - Zeichen und Wunder

Gibt es im Fundus internationaler Redensarten den häßlichen Italiener, Griechen oder gar den häßlichen Amerikaner? Nein, gibt es nicht. Aber den häßlichen Deutschen, den gibt es. Kein Wunder also, daß gerade die Deutschen sich besonders bemühen, nach außen ein ansprechendes Bild abzugeben. So auch 1950 in Baden-Baden bei der Wahl von Susanne Erichsen zur ersten Miss Germany der jungen BRD. Bereits zwei Jahre nach ihrem gefeierten Wahlsieg stolzierte das damals 26-jährige Berliner Mannequin in den USA über die Laufstege und begründete dort den Begriff des deutschen Fräuleinwunders.

Attraktiv, modern (das hieß, dem US-Lifestyle zugewandt) und mit gesundem Selbstbewußtsein (das hieß, ohne braun überschattete Vita), gefiel den US-Amerikanern dieses neue Gesicht Deutschlands. Ergo machte der Begriff des Fräuleinwunders fürs nächste Jahrzehnt in den Medien hüben wie drüben die Runde. Und der häßliche Deutsche geriet in Vergessenheit.

Daß die 19-jährige Lena Meyer-Landrut, Gewinnerin des 55. Eurovision Song Contest, nun als neues deutsches Fräuleinwunder gefeiert wird, wirft die Frage auf, ob die Erinnerung an den häßlichen Deutschen wieder einmal der Verdrängung bedarf. Warum sonst stattet Deutschland sich unter einem derartigen Medienaufwand mit einem neuen Fräuleinwunder-Gesicht aus? Diesmal mit einem weniger den US-Amerikanern als den Europäern gefälligen, aber nichtsdestoweniger schwarz-rot-goldigen. Weil das der genau umgekehrte Vorgang der ursprünglichen Fräuleinwunder-Erschaffung ist - also statt der damals amerikanophilen Entdeutschung eine europhile Erdeutschung - müßte Lena eigentlich entsprechend "Wunderfräulein" und nicht "Fräuleinwunder" heißen. Aber egal. Deutschland will ein neues Gesicht. Ein Lena-Gesicht. Ein noch unfertiges. Manchmal von Unsicherheit und Zaghaftigkeit bewegtes. Ein menschliches Gesicht eben, in dem sich auch die wiederfinden, denen der wachsende Einfluß des deutschen Administrativ-Giganten im Zentrum Europas Angst macht.

Und wirklich, mit Hilfe von Medien-Zampano Stefan Raab gelingt's. Europa verliebt sich in Deutschlands Lena-Gesicht. Der häßliche Deutsche ist erstmal kein Thema mehr. Im Lande wird gefeiert: Wir sind Fräuleinwunder! Wir sind süß! Und weil in sangeswettbewerblicher Hinsicht in Deutschland nur selten Zeichen und Wunder geschehen (letzter Grand-Prix-d'Eurovision-Sieg vor 28 Jahren), konzentriert man sich hier ganz und gar auf das Wunder und hebt sich das Lesen der Zeichen für irgendwann später auf.

4. Juni 2010