Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → SPRACHEN

ENGLISCH/876: Lehrmittel (28) Linguee, Übersetzungen durch Beispiel und Versatz (SB)


Linguee.de - eine Suchmaschine für Übersetzungen


Online-Wörterbuch Englisch-Deutsch / Deutsch-Englisch



Veröffentlichungen in englischer Sprache nehmen immer mehr zu. Die Naturwissenschaften scheinen ganz besonders davon betroffen zu sein. In vielen Disziplinen, zum Beispiel Biologie, wird selbst an deutschen Universitäten größtenteils in englischer Sprache gelehrt, was manchen Naturwissenschaftler oder Mediziner schon in die Verzweiflung getrieben hat, wenn es - wie es in einer Pressemitteilung der neuen Sprachwebseite Linguee.de heißt - an das Übersetzen von medizinischen Fachausdrücken wie "CO2-Senke", "Hirnschrittmacher" oder "Steifer Hals" u.v.m. ins Englische geht. Linguee.de soll seinen Gründern zufolge gerade hier Abhilfe schaffen.

Nun gibt es bereits zahlreiche kostenlose digitale Online Lexika wie Beolingus, Leo oder dict.cc (um ein paar der bekanntesten zu nennen) und ebenso gibt es gebürenfreie Online-Übersetzungsdienste (z.B. Dolmetscher Dienste wie Yahoo Babelfish) wie Sand am Meer. In welche Lücke soll da noch ein weiteres Übersetzungskonzept stoßen, das von sich selbst behauptet, es arbeite nicht wie herkömmliche Wörterbücher, sich aber als Online-Wörterbuch bezeichnet?

Vergleicht man herkömmliche bilinguale Übersetzungssysteme im Internet, dann haben sie immer eines gemein: Statt in ganzen Sätzen werden die Worte einzeln ohne Kontextbezug übersetzt. Die Ergebnisse sind vor allem bei den Übersetzungsdiensten ernüchternd: Aus zusammenhanglosen und teilweise grammatisch falschen Ergebnissen bis hin zum unverständlichen, wenig brauchbaren Sprachquark muß sich der Nutzer dann selbst zusammenreimen, was vielleicht gemeint gewesen sein könnte. Wer jedoch etwas aus der eigenen Sprache in eine andere übertragen will, die er selbst nicht völlig beherrscht, kann sich nie sicher sein, etwas zu produzieren, das bei einem gutwilligen Muttersprachler, der bereit ist, das zu lesen, ein mitleidiges Lächeln hervorrufen wird.

Da Linguee nicht wie ein herkömmliches Deutsch-Englisch / Englisch- Deutsch Wörterbuch funktioniert, sondern wie eine Suchmaschine arbeitet, kann der Nutzer mit ihrer Hilfe Schriftstücke in besser und authentisch klingenderem Englisch produzieren, versprechen die Entwickler, denn Linguee stellt zu dem eingegebenen Suchbegriff die Übersetzungsvorschläge gleich in passenden Formulierungen, Wendungen und Wortkombinationen zu Verfügung. Diese werden bei der Suche in 100 Millionen Texten im Internet, die bereits von anderen Personen übersetzt wurden, erstellt. Wie Gereon Frahling gegenüber dem online Magazin wiwo.de darstellte, muß man sich eine Anfrage bei Linguee ähnlich wie eine Googlesuche vorstellen.

Allerdings durchsucht Linguee ausschließlich Dokumente, die es in mehreren Sprachen gibt. Nur solche Quellen also, bei denen irgendjemand schon Wörter, Sätze oder ganze Texte übersetzt hat. Und davon gibt es im Internet unzählige. Zum Beispiel auf den Internetseiten von Unternehmen oder Organisationen wie der Europäischen Union. Unser Algorithmus analysiert, welche dieser Quellen gut und weniger gut sind - Foreneinträge oder schlecht gestaltete Seiten etwa sind meist eher schlecht übersetzt.
(wiwo.de Interview mit Gereon Frahling, 28. April 2009)

Das sieht dann etwa so aus: Wer einen Begriff in das Suchfeld eingibt, beispielsweise den Begriff "Verbindung" erhält noch an dieser Stelle ähnlich wie bei Google weitere begriffseinschränkende Vorschläge angeboten, die sich in einem Feld öffnen und mit dem Cursor ausgewählt werden können:

verbindung
chemische verbindung
miteinander in verbindung stehen
kraftschlüssige verbindung
verbindungsteile
verbindungslinien
feste verbindung
organische verbindung
geschäftliche verbindung
verbindungsgebühren

Entscheidet man sich für einen dieser Begriffe, z.B. "kraftschlüssige Verbindung", dann erscheinen unzählige kurze Auszüge von zwei bis sechs Zeilen aus Texten, in denen diese Kombination verwendet wurde und die entsprechend übersetzten Pendants direkt daneben. Der Nutzer bekommt allerdings vorab schon eine Entscheidungshilfe, indem auch die am häufigsten verwendete Übersetzung statistisch miterfaßt wird und mit einem Kuchendiagramm als Präferenz vorangestellt wird. Im Falle der "kraftschlüssigen Verbindung" ist das "frictional connection". Dann folgen weitere Übersetzungsbeispiele mit Quellenangaben bzw. Links.

Flanschausführung für kraftschlüssige Verbindung zur Stiftleiste.
Deutsch: www.wecogroup.de/produkte/pdm/pdm0803_110F.htm
Flange version for force-locked connection with the pin strip.
Englisch: www.wecogroup.com/produkte/pdm/pdm0803_110F.htm

Kraftschlüssige Verbindung zwischen Maschine und Fundament
Deutsch: www.fixatorenbau.de/fixatoren.html
Actuated connection between machine and foundation
Englisch: www.fixatorenbau.de/2-engl-fixatoren.html

Übergang Stahl auf PE-HD als form- und kraftschlüssige Verbindung.
Deutsch: www.rma-rheinau.de/seiten/index.php?id=26
Steel adapter on PE-HD as a form-fitting and force-fit connection.
Englisch: www.rma-rheinau.de/seiten/index.php?id=26&sprach=1

Dies bewirkt eine kraftschlüssige Verbindung ohne Fugen.
Deutsch: www.voestalpine.com/finaltechnik/de...y/curbs.html
This produces a frictional connection without gaps.
Englisch: www.voestalpine.com/finaltechnik/en...y/curbs.html


Direkter Kraftschluss zwischen Schalung, Magnet und Tisch durch kraftschlüssige Verbindung von Magnet und U-Profil
Deutsch: www.bt-innovation.de/de/pages/ferti...wingC2AE.php
direct force closure between shuttering, magnet and table due to force-closed connection of magnet and U-profile
Englisch: www.bt-innovation.de/en/pages/ferti...wingC2AE.php


In dieser Weise folgen noch weitere 50 mehr oder weniger lange Textauszüge. Um das Lesen und Auswählen, sowie das Überprüfen und Vergleichen des Kontexts über die angegebenen Links kommt der Texter allerdings nicht herum, der mit Hilfe von Linguee selbst ein Schriftstück verfassen will. Außerdem wird eine gute Beherrschung der englischen Sprache vorausgesetzt, um sinnvolle Entscheidungen treffen zu können.

Man kann den Entwicklern durchaus zugute halten, daß es bisher kein vergleichbares Produkt auf dem Markt der elektronischen Wörterbücher oder Printprodukte gegeben hat. Natürlich ist ein derartiges Konzept aber auch erst durch das Internet und eine hocheffiziente Computertechnik möglich geworden.

Gereon Frahling war in vergangenen Jahren Entwickler bei Google in New York und hat die Stelle gegen ein eigenes Startup-Unternehmen in Köln getauscht, das er gemeinsam mit seinem Freund Leonard Fink gründete.

Die Datenbank soll nicht nur ständig erweitert werden, sondern auch selbst permanent dazulernen: Jeder könne die Suchergebnisse bewerten und sogar bearbeiten. Auch die Erweiterung in andere Sprachen außer Englisch ist im Gespräch. Dazu setzen die Entwickler ein spezielles Suchprogramm, "ihren Crawler", ins Netz, der die entsprechenden Versatzstücke einsammelt und zuordnet. Denn Versatzstücke, im Englischen spricht man hier von "Chunks", sind es allemal, womit das neue Übersetzungssystem dem allgemein vorherrschenden Trend der Zeit entgegenkommt, fertig formulierte Satzteile, aneinanderzureihende Sprachklötzchen gewissermaßen, zu vermitteln, die der Nicht- Muttersprachler dann nur noch entsprechend zusammenfügen muß.

Diese Art, Sprachen zu lernen, zu lehren und anzuwenden, ist allerdings unter Sprachwissenschaftlern umstritten, da es die ohnedies mit der Einführung des Englischen als weltweite Lingua franca zunehmende Verflachung dieser Sprache weiter fördert. Dieses Problem wird vor allem auf den Britischen Inseln längst erkannt und thematisiert. Doch gibt es wenig Chancen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

In den wissenschaftlichen Disziplinen werden die nötigen schriftlichen Arbeiten auf diese Weise mittels gut klingender Versatzstücke des Englischen zusammengesetzt, mit denen man als Nicht-Muttersprachler wenig Anstoß oder Aufmerksamkeit erregt und gut angepaßt durch den Universitäts- oder Geschäftsalltag geschleust werden kann. Das Wesen der Sprache, wie sie sich einem "Native-Speaker" erschließt, der Experimente wagt und vielleicht auch Fehler nicht scheut, bleibt einem allerdings ebenso verschlossen wie der Zugang, mittels dieser fremden Sprache Denkzusammenhänge zu entwickeln. "Englisch" läßt sich nach dem Erwerb der nachgewiesenen Kenntnisse (einer sogenannten "Proficiency") bestenfalls wie ein Kleid oder eine äußere Hülle überstülpen, ohne daß der Träger damit wirklich in Kontakt kommt.

Daß überhaupt nur dann noch etwas Neues entwickelt werden kann, wenn das eigene Sprachvermögen über Versatzstücke hinausgeht, versteht sich von selbst, auch, daß sich die angelsächsische Kultur, indem sie ihren Anspruch, Weltsprache zu sein, durchsetzt, einen vermutlich keineswegs unbeabsichtigten Vorsprung verschafft. Denn im Bereich Forschung und Innovationen kann dann nur noch der mithalten, der ebenfalls sehr gutes Englisch spricht, und das läßt sich auch nicht durch eine Datenbank mit der umfangreichsten Sammlung an Versatzstücken ersetzen.

Eine weltweite und häufige Nutzung dieses Dienstes kann logischerweise kaum zu einer anderen Entwicklung führen, als daß sich auch der von Linguee hervorgebrachte Übersetzungsreichtum zunehmend reduziert bzw. konzentriert. Denn Übersetzer, die ihre von Deutsch in Englisch oder vice versa produzierten Werke wieder ins Internet setzen, werden ebenfalls von Linguee erfaßt, womit sich die Bevorzugung bestimmter Übersetzungsmuster in beschleunigtem Maß herauskristallisieren muß, anders gesagt: immer weniger Begriffe werden von dem "Crawler" in immer mehr Texten auf die gleiche Weise angewendet gefunden, die Bandbreite in der Ausdrucksvarianz beider Sprachen wird schmaler.

Dasselbe gilt für die Denkinhalte insbesondere in den Naturwissenschaften, weil die Verflachung hier von vielen sogar als Vorteil empfunden wird. Denn die Konzentration auf bestimmte Formulierung bedeutet ihrer Meinung nach eine Präzision und Eindeutigkeit der Fach-Terminologien. Das schließt zunehmend ungewöhnliche und neue Wege und letztlich Innovationen aus.

Auch dieses fachsprachliche Bedürfnis will Linguee bedienen: So wurde die Datenbank im November 2009 um eine große Menge an medizinischen Fachübersetzungen, welche von Medizinern selbst verfaßt und übersetzt wurden, erweitert. Darunter fallen zum Beispiel Dokumente anerkannter Institutionen wie Universitäten oder der Europäischen Union, Veröffentlichungen und Patentschriften medizinischer Forscher oder BioTec-Portale im Internet, welche oftmals in mehreren Sprachen vorliegen. Dadurch soll es Linguee gelingen, auch für kniffliges medizinisches Fachvokabular Übersetzungen zu finden.

Unbestritten erweist sich Linguee als nützliches und komfortables Instrument für viele Medizinstudenten, Mediziner, Wissenschaftler und andere Berufstätige. Da selbst deutsche Muttersprachler und Absolventen hiesiger Bildungsinstitute an angelsächsischen Normen und Muster gemessen werden und ihre schriftlichen Examen, Bachelor- oder Diplomarbeiten immer häufiger in englischer Sprache abfassen müssen, hat die Reproduktion von Versatzstücken jetzt schon Hochkonjunktur. Was das für das Niveau der wissenschaftlichen Forschung und mehr noch für die eigene Sprachentwicklung bzw. Denkfähigkeit bedeutet, sei dahingestellt.

Viele zufriedene Nutzer empfehlen laut einer Pressemitteilung des Unternehmens die Einrichtung an Freunde und Bekannte über eine Vielzahl von Kommunikationskanälen, z.B. Twitter und Facebook, weiter. Die Suchmaschine wird inzwischen mehr als 5 Millionen mal im Monat angefragt, womit die Nachfrage den Trend bestätigt und somit auch die obigen Befürchtungen immer vorstellbarer werden.

Dazu wurde Linguee noch vor der Einführung im World Wide Web schon 2008 mit dem Hauptpreis beim Gründerwettbewerb Multimedia des Bundeswirtschaftsministeriums ausgezeichnet. Seit dem 22. April 2009 ist das derart mit Vorschußlorbeeren dekorierte und schon deshalb als qualitativ hochwertiges Produkt geltende Linguee.de offen und vor allem kostenlos im Internet verfügbar. Und wird daher seinen Einfluß auf die zukünftige Sprachentwicklung entfalten, allem Protest zum Trotz.

Weitere Informationen zu Linguee finden Sie unter www.linguee.de.


26. November 2009