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ENGLISCH/873: Weltenglisch - doch niemand versteht ... (SB)


Alle Welt spricht Englisch,


doch niemand versteht ...



Wenn man über eine Sprache schreibt, erweckt man leicht den Eindruck, es handele sich dabei um ein homogenes Ganzes, ein Vorurteil, das u.a. von jedem Lehrbuch bestätigt wird. So denkt man bei Englisch gewöhnlich an Standard Englisch oder das sogenannte R.P. (received Pronounciation), also die Art von Englisch, die im Radio oder an offizieller Stelle gesprochen wird oder in englischsprachigen Zeitungen zu lesen ist. Für den, der sich jedoch unter diesen Voraussetzungen ins englischsprachige Ausland aufmacht, kommt das oft einem Sprung ins eiskalte Wasser gleich. Und er fragt sich in seiner schulisch geförderten Arroganz vielleicht noch, ob das, was er in Großbritannien, Australien, Amerika oder sonstwo zu hören bekommt, eigentlich überhaupt Englisch ist, wenn ihn z.B. ein Australier mit freundlichem Schulterklopfen und moderatem australischen Englisch auffordert: "Come to our barbie in the arvo". Vielleicht wundert er sich auch nur, warum die Gastgeberin ihren Mann anhält noch "ein paar Steaks auf die Puppe" zu legen (Put some steaks on the barbie). Dabei hat er es nur mit zweien der in Australien so beliebten Kurzformen und Spitznamen zu tun. "Barbie" ist die Abkürzung für das englische "barbecue" (Grill) - arvo die für afternoon (Nachmittag). Doch selbst ein Brite würde das nicht auf Anhieb verstehen. Schon dieses Beispiel zeigt, daß zwischen Englisch und Englisch ein Unterschied wie zwischen Bayerisch und Plattdeutsch besteht.

Der ehemaligen Kolonialsprache wird das eigene Machtstreben, sich auf dem ganzen Erdenball auszubreiten, allmählich zum Verhängnis. Denn das, was man gewöhnlich in den verschiedenen regionalen Dialekten einer Sprache beobachtet, geschieht mit Englisch nun auf der ganzen Welt, so daß es für einen englischsprachigen Briten beispielsweise kaum noch möglich ist, sich mit einem Australier, Neuseeländer oder auch englischsprachig aufgewachsenem Inder zu verständigen. Die Sprache verselbständigt sich, wird mit regionalem Wortschatz und Grammatik vermischt und hat oft überhaupt nichts mehr mit dem ursprünglichen Englisch zu tun.

Diese Entwicklung ist schon so weit fortgeschritten, daß seinerzeit im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung behauptet wurde, die vielerorts genährte Furcht vor einer Anglifizierung der eigenen Sprache, mit der das Englische andere Kulturen zu unterminieren drohe, sei völlig unbegründet. Englisch stelle gar keine Bedrohung mehr dar, denn die englische Sprache sei so gut wie tot.

Zwar zweifeln die Sprachwissenschaftler in Amerika und Großbritannien schon länger daran, daß sich Englisch zwangsläufig einmal zu einer Weltmuttersprache entwickeln müsse, doch gehen diese noch von der Voraussetzung aus, daß die schon längst existierende Weltsprache Englisch auch in jedem Land, in dem sie gesprochen wird, verstanden wird. Tatsächlich wird sie in jedem Land anders oder sogar mißverstanden, doch das daraus entstehende Chaos fördert Sprachlosigkeit und die Einsicht zur Notwendigkeit, die bestehenden Sprachrelikte noch weiter zu vereinfachen und einzugrenzen. Je geringer der aktive Wortschatz, um so geringer auch der Widerstand, und das gilt nicht nur für sprachliche Belange. Insofern könnte eine Vereinfachung des englischen Sprachgebrauchs durchaus im Sinne der englischen Vorherrschaft und der ihr unterstellten Machtbestrebungen sein.

Dazu sind alle Mittel recht. Man sieht diese Tendenz beispielsweise auch in der auf beiden Seiten des Atlantiks propagierten "Plain English" Kampagne, die vorgibt, vor allem professionelle Fachsprachen auch für den Normalbürger transparent zu machen. Was sich allerdings zunächst wie ein positiver Beitrag zur Verständigung zwischen den Menschen anhört, weil beispielsweise medizinischer Fachjargon in extremen Fällen sogar töten könne, wenn man die Anweisungen auf einer Medizinflasche nicht versteht, erweist sich bei näherer Betrachtung als das genaue Gegenteil. Mit Hilfe lächerlicher und extremer Sprachblüten, die wohl in jeder Sprache zu finden, aber nicht die Regel sind, wird Verflachung vorangetrieben, nach dem Motto: "Ein reicher Wortschatz kann zwar sehr schön sein, doch ein zu reichhaltiger Wortschatz erschwert die Kommunikation."

Was aber im Namen dieser Kampagne für den Preis "The best users of Gobbledygook" nominiert gewesen oder auch einem Kreuzworträtsel für "um die Ecke" Denker entsprungen sein könnte, oder sogar als "politisch korrekt" gilt, sind keine Beispiele für die präzise Anwendung eines reichhaltigen Wortschatzes, sondern Beispiele, wie man mit komplizierten Umschreibungen Distanz herstellt und wahrt:

economically marginalized (volkswirtschaftlich randständig) - poor (arm)

negative patient care outcome - debth (Schulden)

atmospheric deposition of anthropo-generically-derived acid substances (atmosphärischer Niederschlag von durch die Menschliche Gattung erzeugten sauren Substanzen) - acid rain (saurer Regen)

permanent prehostility (permanente, noch nicht zum Ausbruch gekommene Vorfeindseligkeit) - peace (Frieden)

a recreational equal limit (die Revitalisierungsgrenze) - gone, dead

vertically inconvenienced (Unannehmlichkeiten in der Senkrechten bereitend) - short/long (sehr klein/sehr groß)

horizontally challenged (In der Waagerechten sehr
herausgefordert/beansprucht) - fat

melanin impoverished (melaninverarmt) - white (hellhäutig/weiß)

Im Deutschen kennen wir ebenfalls solche bürokratisch anmutenden Neuschöpfungen wie das immer wieder gern zitierte Sprichwort: "Qualität und Quantität subterraner Agrarprodukte stehen in reziproker Korrellation zur geistigen Kapazität ihrer Produzenten" (Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln).

Die Briten haben hier ein anderes Beispiel, mit dem sie sich über ihre eigenen bürokratischen Wortblüten lustig machen:

"The tendency towards progressive selfoptimisation may become apparent before the admost negative change anticipated in a longer term begins to manifest itself." Das bedeutet in Kürze: "Things will get worse before they get better."

Natürlich ist für jeden verständlich, daß hier der Sinninhalt eines Satzes nicht präzisiert, sondern nur aufgeblasen wird. Doch es gibt auch unzählige Beispiele wie "permanent prehostility" (ein Zustand permanenter, noch nicht zum Ausbruch gekommener Feindseligkeit), das mit subtiler Ironie sehr viel mehr ausdrückt, als die mittels "plain English" eingemuste Allzweck-Übersetzung "peace" (Frieden) vermuten läßt. Nicht hinter jeder Wortneuschöpfung steckt auch eine aufgeblasene Hülse.

Die Tendenz zu "plain English" hat die Weltsprache inzwischen zu einem international verständlichen Extrakt reduziert, dessen Zeichenvorrat kaum ausreicht, um sich über "gutes" oder "schlechtes Wetter" genauer zu verständigen.

Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung beobachtet man auch regional eine zunehmende Verflachung der englischen Sprache. Dafür macht die Herausgeberin des "Encarta World English Dictionary", Anne Soukhanov, vor allem neue Computerprogramme verantwortlich, die schon automatisch zur Prüfung von Grammatik und Rechtschreibung eingesetzt werden, wobei den Anwendern das Gefühl und die Fähigkeit dafür verlorengehen. Das merkt man dann wiederum an der gesprochenen Sprache in den Bild- und Tonmedien.

So wären in amerikanischen Nachrichtensendungen Sätze wie "It is time for Bob and I to sign off" schon an der Tagesordnung (Korrekt wäre: It is time for Bob and me...).

Die Spitze eines geradezu ausdruckslosen bzw. sprachlosen Englisch bildet das sogenannte "Special English", in dem das US-Radioprogramm "Voice of America" seine Nachrichten ausstrahlt, um sie für eine möglichst große englischsprachige Hörerschaft verständlich zu machen. "Special English", das vielleicht schon die Entwicklung des Weltenglisch vorweggenommen hat, verfügt nur noch über ein Basisvokabular von 1500 Worten. Damit kann man sich bestenfalls in den Restaurants weltweit ein Steak oder einen Burger ordern, eine tiefergreifende Vermittlung von Sinninhalten ist jedoch nicht möglich.

Doch wie bereits angemerkt, ist der weitere Verfall der Weltsprache Englisch durchaus im Sinne der vorherrschenden Interessen. Und wie auf einer Konferenz über die Zukunft des Englischen Jean Aitchison, die in Oxford Sprache und Kommunikation unterrichtet, ganz richtig sagte: "Diese Sprache hat nichts, was sie als Weltsprache prädestiniert oder besonders nützlich macht - außer dem politischen und wirtschaftlichen Einfluß der Vereinigten Staaten". Davor war es der politische und wirtschaftliche Einfluß des britischen Empires, der die Vorherrschaft der Sprache rechtfertigte.

Auch wenn inzwischen andere Länder wie Südostasien, China oder Lateinamerika wirtschaftlich stärker werden und mit ihren Sprachen ebenfalls berechtigten Anspruch auf Einfluß und Weltgeltung erheben könnten, so war das Englische einfach schon früher da und es erfüllt seinen Zweck. Schon heute ist es weltweit als Verkehrssprache etabliert, so daß 80 Prozent der internationalen Organisationen Englisch als Arbeitssprache benutzen oder sogar 80 Prozent der Seiten im Internet in englischer Sprache verfaßt sind. Es läßt sich auch nicht mehr aus der internationalen Kommunikation wegdenken. Doch welches Englisch ist eigentlich Weltenglisch?

Nach einem in der süddeutschen Zeitung veröffentlichten Bericht vom 31. März 2001 unterscheidet man das "Standard American-British English" (SABE), das weltweit 375 Millionen Menschen sprechen. Darin sind alle Muttersprachler also Amerikaner (AE american English), Briten (BE british English), Neuseeländer und Australier mit ihren teilweise höchst mißverständlichen Sprachgewohnheiten zusammengefaßt. Dazu kommen aber etwa nochmal die gleiche Anzahl Menschen, für die Englisch zweite Landessprache ist, die ehemals britischen Kolonien, sowie 750 Millionen nicht englischsprachige Menschen, die Englisch als erste Fremdsprache lernen.

Besonders in der ersten der beiden nicht muttersprachlichen Gruppen entstehen aus dem erlernten Englisch britische oder amerikanische Werbeslogans oder Handelsmarken und Anglizismen aus den jeweiligen Muttersprachen, sprachliche Neuschöpfungen, sogenannte OVE's bzw. "Oral and Vernacular Englishes", die die Muttersprachler nicht mehr verstehen, die aber eindeutig korrektes Englisch sind.

So gibt es im inzwischen englischsprachigen Singapur die Redewendung: "I was arrowed to paint this wall." Aus dem SAB-Englisch übersetzt bedeutet das in etwa: "Ich wurde gepfeilt, die Wand zu streichen". Allerdings wird in Singapur nicht SAB-Englisch, sondern "Singlish" gesprochen. Und in "Singlish" bedeutet "arrow" als Verb, jemanden zu einer Arbeit zu zwingen, die er nicht tun will.

OV-Englisch entsteht heute etwa auf dieselbe Art, wie im Mittelalter das Deutsche als eine Mischung des Lateinischen mit lokalen Sprachen geschaffen wurde. Das Englisch der einstigen Kolonialmacht hat im übrigen viele OV-Englischausdrücke in das Mutterland mitgenommen: "veranda" (bzw. verandah) stammt von dem Hindi-Wort "varanda" (Geländer), "bungalow" geht ebenfalls auf das Hindi Wort "bangla" (bengalischer Art) zurück oder "dinghy" auf das bengalische Wort "dingi" (kleines Boot). Auch das inzwischen weniger gebräuchliche "juggernaut" für einen sehr langen Lastzug oder Sattelzug geht auf den hinduistischen Götzen zurück, der von seinen Anhängern alljährlich mit einem riesigen Umzugswagen geehrt wird.

Ausschließlich regional gebräuchliches und für die restliche Welt unverständliches OV-Englisch findet sich schon innerhalb des britischen Commonwealth. Ein Neuseeländer etwa sagt "swhakapapa" statt "genealogy", wenn er eine Ahnentafel meint. Ebenso wird eine Beerdigung nicht mit "funeral", sondern mit "tangi" bezeichnet - Begriffe aus der Sprache der eingeborenen Maori.

Es läßt sich jedoch nicht nur ein regional unterschiedlicher Wortgebrauch für ein und dieselbe Sache feststellen. Es gibt auch unterschiedliche Auffassungen bzw. Sinnverschiebungen des gleichen Begriffs.

So kann man in Großbritannien und den Vereinigten Staaten in einem "hotel" durchaus übernachten, im südlichen Asien dagegen nur essen. "Hotel" bedeutet hier dasselbe wie "restaurant" im SAB-Englisch. Außerhalb der australischen Großstädte gibt es in einem "hotel" jedoch nur Bier zu trinken, weil "hotel" dasselbe bedeutet wie "bar" im SAB- Englisch oder "pub" in britischem Englisch.

Prof. David Crystal, Herausgeber der "Cambridge Encyclopedia of the English Language" und häufiger Gastmoderator bei den Englisch-Lernprogrammen des BBC-English, versuchte sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung um eine eindeutige Stellungnahme herumzuwinden: Es wäre eine Tatsache, daß die englischsprachigen Staaten den Besitz der englischen Sprache längst aufgegeben hätten. Das sei der Preis dafür, Weltsprache zu sein - sie geriete außer Kontrolle. Da dies aber ein bisher einmaliges Ereignis sei, schloß Crystal, könne man die Auswirkungen auf die Sprache nicht vorhersagen: "Die Sprachgeschichte kann keine Hinweise mehr geben."

Auch David Crystal ist ein Vertreter des vereinfachten "Plain English", allerdings unter Berücksichtigung der OV-Englisch Gruppen. Das sogenannte "International Colloquial English" (ICE), das seiner Ansicht nach einer richtigen Weltsprache am nächsten kommt, ist eine sich sehr schnell wandelnde Mixtur aus SABE, OVE und neuen Wortschöpfungen. IC-Englisch soll jedes Jahr um weitere 5000 gänzlich neue Worte wachsen. Das ist viel mehr als das oben erwähnte Special English zu bieten hat, das ebenfalls um den Rang des Weltenglisch konkurriert, aber immer noch zu wenig, um beispielsweise mit dem am stärksten wachsenden Anteil der amerikanischen Bevölkerung, die Spanisch, Chinesisch, Vietnamesisch oder Koreanisch als Muttersprache sprechen, mehr als rudimentäre Botschaften auszutauschen. Und um das ständige Lernen und Auffrischen dieser Sprache kommt man ohnedies nicht herum.

Daneben schafft sich jedes Wissens- und Arbeitsgebiet eine weitere englische Sprache, quasi seine eigene Weltfachsprache, um komplexe Dinge bezeichnen zu können, die nicht in Special English oder IC-English enthalten sind.

So gibt es im Flugverkehr schon lange das "Airspeak", das angehende Piloten bei mehrmonatigen Schulungen lernen und das beispielsweise bei unkorrekter Anwendung oder auch nur geringen phonetischen Abweichungen zu Katastrophen führen kann. In der Seefahrt werden die "Standard Marine Communication Phrases" verwendet. Die sich beständig ausweitende Informationstechnologie hat mit Gigabytes, Slots, Displays, Second Level Cache und ähnlichem auch schon eine eigene Weltsprache geschaffen. Und schließlich machen Auszüge aus medizinischen Fachzeitschriften wie

Abandoned evidence exists in both histological and radiological terms of increased osteoblastic and osteoclastic activity as indicated by osteoradifraction.

oder

Familial cerebellar ataxia with muscle coenzyme Q10 deficiency

für die meisten Muttersprachler ebenso wenig Sinn wie für die Mehrheit der Deutschen.

Kurzum, es gibt keine Sprache, die sich so vereinfachen und standardisieren läßt, daß sie jedem Kommunikationsinhalt genügt. Jede lebendige Sprache ist ständigen Veränderungen unterworfen und läßt sich nicht konservieren oder verwalten, wenn das nicht im Interesse der Sprecher dieser Sprache liegt. Doch der neue Trend, der einerseits eine Zersplitterung und andererseits Verflachung und Vereinfachung beabsichtigt, und der im übrigen nicht allein die englische Sprache betrifft, vergrößert zunehmend die Distanz zwischen Menschen.

Sprachlose, vereinzelte Menschen lassen sich leichter beherrschen, als solche die sich keinen sprachlichen Schranken oder Standards unterwerfen. Von daher ist gerade das sterbende bzw. heruntergebrochene oder verflachte Englisch als Weltsprache prädestiniert.

Erstveröffentlichung 2001
neue, aktualisierte Fassung


11. November 2009