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ENGLISCH/829: Down under (2) Rückbesinnung auf das Australische (SB)


A  B A R B I E  I N  T H E  A
R V O ?


Was macht das Englische Australisch?

Über den neubelebten Nationalstolz in der australischen Sprache



Als im Jahre 1788 die ersten englischsprechenden Ankömmlinge, zumeist Sträflinge, ihren Fuß auf australischen Boden setzten, gab es dort schon eine australische Sprache und Kultur, nämlich die der schon seit Tausenden von Jahren in Australien ansässigen Ureinwohner. Und doch ist bis auf wenige folkloristische Elemente so gut wie nichts davon in das eingegangen, das man heute mit dem Prädikat "typisch australisch" versieht. Die Ureinwohner Australiens werden heute wie damals von den "weißen" Australiern in der Regel als unterpriviligierte Minderheit betrachtet. Daran können auch die inzwischen gestarteten Initiativen und ein neuerwachtes Selbstbewußtsein der Aboriginees nichts ändern, deren Schicksal in etwa mit dem der Indianer in den USA vergleichbar ist.

Doch was gilt eigentlich als das typisch Australische? Im Trend neuentdeckten Nationalbewußtseins und einer Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln werden heute in mühseliger Kleinarbeit museale Fragmente neben anderen Relikten der australischen Siedlungsgeschichte hervorgescharrt, abgestaubt, gehegt und neu belebt. Auch in der Sprache.


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Neuerwachter Nationalstolz?

Seit 1788, als der erste britische Strafgefangene seinen Fuß auf australischen Boden setzte, bis etwa 1830 galt Australien als Strafkolonie. Auch später noch setzte sich die Mehrzahl der hier siedelnden Weißen aus ehemaligen Sträflingen und den Bewohnern der Sträflingslager zusammen. Viele, die die schwere Zwangsarbeit in dem lebensfeindlichen Klima und bei schlechter Ernährung überhaupt überlebten, drängte es bei ihrer Entlassung nicht mehr in eine feindliche Heimat zurück, die ihnen nichts als Vorurteile, Arbeitslosigkeit und Not zu bieten hatte und in der ein Neubeginn des Teufelskreises schon vorbestimmt war, der zwangsläufig zum nächsten Delikt führen mußte. Abgesehen davon mußten die ehemaligen Straftäter - als weitere Repressalie der englischen Regierung - die Rückreise aus eigener Tasche finanzieren, was vielen unter den gegebenen Umständen nicht möglich war und den unerwünschten Rückreiseverkehr von Great Britain fernhielt.

Also blieben sie meistens in der neuen Welt und bildeten den zähen, unverwüstlichen Grundstock der weißen, australischen Gesellschaft. Erst ab 1830 machten sich neben den Sträflingen zahlenmäßig auch die freien Emigranten bemerkbar. Das Image Australiens wandelte sich allmählich von der Strafkolonie zum Land der Freiheit und "unbegrenzten" Möglichkeiten, als das es selbst heute noch vielfach gilt.

Für viele Einwanderer war Australien nichts anderes als die letzte Hoffnung. Mit Pionierstolz und Aufbruchsgeist hatte das wenig zu tun. Die englische Regierung förderte nicht ohne Grund die Auswanderungswelle nach Australien mit günstigen Passagen - eine billige Lösung, die vielen hungernden und unzufriedenen Mäuler loszuwerden, die sich allmählich in den Slums englischer Städte und in den verarmten Landstrichen sammelten. Jeder, der sich ernsthaft mit Auswanderungsgedanken trug, konnte auf einem Dampfer nach Australien einen Platz für 10 Pfund Sterling bekommen und in Australien einen Neuanfang wagen. Dazu reichte bei den meisten schon der Mut der Verzweiflung.

Seit jener Zeit ist das Selbstbewußtsein der neuen Australier, die sich anfangs nur als britisches Anhängsel oder Außenposten verstanden, allerdings massiv gewachsen, was man u.a. auch an den Besonderheiten der australischen Sprache ablesen kann, die heute sehr gepflegt werden (siehe auch ENGLISCH/776). Auch der eingangs erwähnte neue Trend, sich auf die eigenen Wurzeln und die Anfänge der Kolonialzeit zurückzubesinnen, ist eine Folge dieses neuen Selbstbewußtseins. Doch sehr lange besteht das nationale Interesse an australischem Englisch noch nicht.

In den ersten 70 Jahren dieses Jahrhunderts kümmerte man sich in Australien kaum um die sprachliche Kultur dieses Kontinents. Lange gab es keine nennenswerte australische Literatur, weder auf trivialem noch auf wissenschaftlichem Gebiet. Es gab auch keinen Wissenschaftszweig, der sich mit australischer Anglistik befaßte. An namhaften australischen Universitäten wurde nur britische Anglistik gelehrt.

Das änderte sich plötzlich Anfang der 80er Jahre. Linguisten und Sprachwissenschaftler entdeckten auf einmal das Australische und begannen, die Geschichte der Sprache nachzuvollziehen, aufzuzeichnen und die moderne Gegenwartssprache zu katalogisieren und systematisieren. Wissenschaftler schwärmten aus und lauschten mit Mikrophonen und Tonband- oder Kassettengeräten der Stimme des Volkes. Tausende von Zitatekärtchen mit typischen australischen Aussprüchen und Redewendungen wurden in Pubs oder beim Pferderennen oder anderen öffentlichen Plätzen, in denen ein Mikrophon zu auffällig gewesen wäre, handschriftlich fixiert und dem Pool dieser Großaktion beigesteuert, mit der man den Ursprüngen der australischen Sprache auf den Grund gehen und ein Bewußtsein für ihre Individualität erwecken wollte. Acht Jahre später kam das erste "National Australian Dictionary" heraus.

Dabei handelt es sich um ein Wörterbuch, das auf historischen Fakten basiert. Wie das 20bändige Oxford English Dictionary erklärt es nicht nur die Bedeutung der einzelnen Worte, sondern auch ihre ethymologische Ableitung, mit ausführlichen, geschichtlichen Nachweisen. Die Geschichte eines Wortes soll auf diese Weise bis auf seinen Ursprung zurückgeführt werden.

Schaut man z.B. unter dem bekannten Wort Känguruh - in australischem Englisch: "kangaroo" - so steht hier, wann das Wort zum ersten Mal auf dem australischen Kontinent auftaucht (hier 1788) und dann jeweils ein Beispiel für seine Verwendung in jedem darauffolgenden Jahrzehnt bis heute. Kein Wunder, daß es sich bei diesem Werk um eine äußerst umfangreiche und schwere Buchsammlung handelt, denn es enthält die ausführliche Geschichte von über 10.000 Australianismen (Englisch: australianisms), d.h. typisch australische Worte und Wendungen. Eine computerlesbare Fassung wird hier mit Sicherheit im wahrsten Sinne des Wortes für Erleichterung sorgen.


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Was aber macht das Englische australisch?

Neben der besonderen Vorliebe für Abkürzungen hört man immer wieder das Gerücht, daß die frühe Besiedlungsgeschichte Australiens nicht gerade zur Verbreitung des hochkultivierten Oxford-Englisch führen konnte, das man anfangs auch hier immer noch für die anzustrebende Grundlage des gebildeten Australisch hielt. Ihr entwuchs eine eher unkonventionelle, lockere und sagen wir mal, lässige Ausdrucksweise, die jedoch auch über ein reichhaltiges Repertoire an Slang und ausgeprägten Schimpfworten verfügt. Dieses wird gleichermaßen gerne und ungeniert von Privatpersonen wie von Personen an exponierteren Positionen verwendet und "verfeinert". Dabei erinnern auch im modernen urbanen Australien noch viele dieser Worte an Entlehnungen aus der ursprünglichen australischen Flora und Fauna.

"Stupid Galah" (gesprochen wie die "Gala"-Vorstellung) ist so ein Beispiel, das man nur im Australischen finden kann. Dabei handelt es sich um eine recht lautstarke Papageienart, die hier als ausgesprochen dumm gilt. Auch das schlichte "Galah" auf einen Menschen angewandt, heißt nichts anderes als "noisy parrot, thus noisy idiot" - ein Blödmann also, der auch noch viel Lärm um sich verbreitet.

Auch "stupid bloody parrot, that hangs upside down" ist so eine Wendung, die einem umgangssprachlich häufiger zu Ohren kommt.

"A bloody drongo" ist beispielsweise ein Rennpferd, das keinerlei Chance hat zu gewinnen. Aber natürlich auch ein Schimpfwort für völlig nutzlose oder "dumme" Zeitgenossen. Genau genommen wird damit ein "complete no hoper" bezeichnet, der im britischen Englisch vielleicht eher als "born loser" dem menschlichen oder wettkampftechnischen Müll zugeordnet würde.

Im Vergleich zur alltäglichen Umgangssprache, die einfach nicht zu überhörende Auf- und vor allem Abfälligkeiten aufweist, konnte man in geschriebenem Australisch lange Zeit keine Besonderheiten entdecken, die es vom geschriebenen Standard British English unterschieden. Allerdings hat die Umgangssprache nicht das ausschließliche Vorrecht auf typische Australianismen.

Zwar herrschen im geschriebenen Australisch meistens britische Begriffe vor. Doch abgesehen von den üblichen Namen und Bezeichnungen aus der australischen Umwelt, die ihren Ursprung bei den lautmalerischen Worten der australischen Ureinwohner haben, inzwischen jedoch meist längst in das internationale Englisch eingegangen sind (man denke nur an "kangaroo"), findet man in den meisten Features und Artikeln australischer Zeitschriften und Zeitungen immer wieder Beispiele für typisches, umgangssprachliches Australisch. Ebenfalls hält Australisches auch Einzug in Romane und Prosa der einheimischen Literatur, in denen heute durchaus sehr bewußt australische Redewendungen und Bilder kreiert werden.

Selbst in Artikeln internationaler Periodika, die von australischen Journalisten verfaßt werden, greift man nicht gleich zum Rotstift, wenn sich "Australianisms" einschleichen, auch wenn ein Nichtaustralier es vielleicht schwerer hat, dies gleich zu verstehen. Alles das wird als ein Ausdruck des neuen australischen Selbstbewußtseins betrachtet. Es liegt aber u.a. auch an dem neuen internationalen Selbstverständnis des Englischen als Weltsprache und Kommunikationsmittel, das man mit all seinen Facetten, Dialekten und mundartlichen Färbungen akzeptieren und als Werkzeug nutzen will, ohne ein bestimmtes Standard-Englisch vorzuschreiben.

Es gibt aber doch auch Ausnahmen, die immer noch der Zensur zum Opfer fallen, wie beispielsweise der australische Begriff "wellser". Ein Wellser ist eine ausgesprochen konservative, unflexible, intolerante Person, die sehr moralische Ansichten vertritt, spielen, wetten und trinken verabscheut und eigentlich allem, was das Leben lebenswert macht, feindlich gegenübersteht. Jeder Australier weiß genau, was ein Wellser ist, und so kann dieses für Ausländer schwer zu übersetzende Wort einem australischen Journalisten oder Schriftsteller durchaus unbedacht aus der Feder rutschen und wird dann vom Lektor entsprechend ersetzt.

Schon 1880 war Joseph Furphy (auch bekannt als Tom Collins) einer der ersten Autoren, die in Büchern wie "Such is Life" (1903) den typischen australischen Akzent ins geschriebene Englisch umzusetzen suchten. C.J. Dennis schrieb Gedichte über das Leben der Arbeiter in Melbourne wie "The Songs of a Sentimental Bloke" (1915), das so beliebt war, daß der Stoff daraus in einem Stummfilm verarbeitet wurde ("The Sentimental Bloke; 1919)

John O'Gradys Roman "They're a Weird Mob" (1950) enthält pseudo- phonetische Umsetzungen des typischen Australisch wie "owyergoinmateorright?" (für: "How are you going, mate? All right?"). Und Thomas Keneallys Romane, die in Australien spielen wie "The Chant of Jimmie Blacksmith", enthalten Worte wie "yair" statt "yes" oder "noth-think" statt "nothing".

Ein Buch, in dem die in Schrift umgesetzte Form mundartlicher Auseinandersetzung mit australischen Spracheigentümlichkeiten schon im Titel deutlich wird, ist: "Let Stalk Strine" by Afferbeck Lauder (statt Let's talk Strine (Australisch)). "Afferbeck Lauder" gibt die australische Aussprache und Verballhornung für "in alphabetical order", in alphabethischer Reihenfolge wieder. Inzwischen finden sich die hier genannten Begriffe aber auch schon auf verschiedenen Internetseiten wieder, die sich mit dem australischen Englisch und seinen Besonderheiten befassen.

In offiziellen Schriftstücken oder sogenanntem formellen Englisch, z.B. auf Einladungen, in formellen Schreiben usw., tauchen bisher jedoch tatsächlich noch keine typisch australischen Begriffe auf. Doch wird auch dies nur eine Frage der Zeit sein. Denn Eigenarten bereichern die Sprache und gelten zudem zunehmend als "charmant".


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Wurzeln der Weißen Siedler

Doch gehen wir noch einmal zurück zu den weißen Siedlern Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts: Diese Einwanderer kamen aus allen erdenklichen Teilen der britischen Insel, die natürlich auch ihre typischen Mundarten und Dialekte mit ins Land brachten. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, daß man gerade in der Aussprache und Phonetik des Australischen, aber auch in den verschiedensten Begriffen aus dem häuslichen Bereich diese britischen Wurzeln und Sprachfärbungen wiederentdecken kann.

Das trifft u.a. für die meisten australischen "Colloquialisms" zu, also umgangssprachliche Begriffe. Bei der Zusammenstellung des australischen Wortschatzes fand man heraus, daß die überzeugendsten Exemplare für typisch australische Eigenheiten tatsächlich nicht in der Sprache der Aboriginees, sondern in den verschiedenen britischen Dialekten wurzelten. Es gibt nur wenige Slang-Begriffe, die aus der Sprache der Aboriginees stammen, wie beispielsweise "the telly going prang", was lautmalerisch bedeutet, daß der Fernseher (television - Abkürzung: telly) vollständig zusammenbricht oder sogar implodiert ist.

Die meisten umgangssprachlichen Begriffe kommen also aus den landteilspezifischen britischen Dialekten, die die weißen Pioniere mitbrachten. So wird z.B. in einigen Gegenden in England statt chicken der Begriff "chook" verwendet. Dieser kommt vermutlich aus dem Schottischen bzw. sogar aus sehr begrenzt vorkommenden schottischen oder "Northern" Dialekten, wird dort aber heute nicht mehr verwendet. In Australien hat er sich jedoch halten können, ist sozusagen in aller Munde, und ein bekannter Politiker prägte sogar die Redewendung, "feeding the chooks", mit dem er die unerfreuliche Belagerung und Abfertigung von Presseleuten bezeichnete.

Den größten Einfluß spricht man gewöhnlich den besonders zahlreichen und zahlenmäßig starken Strafgefangenentransporten aus Irland und Liverpool zu, doch wenn man die Gefangenenberichte durchsieht, muß man feststellen, daß diese Transporte erst später stattgefunden haben, also in der Periode um 1820/30 herum, in der der Grundstock und die ersten, groben Züge der australischen Sprachgewohnheiten bereits festgelegt worden waren. Der Einfluß des Irischen ist sogar überraschend gering.

Die meisten australischen Begriffe stammen nicht aus typischen ländlichen Mundarten, sondern waren für die großen Städte charakteristisch - keine Landbegriffe, sondern Stadtsprachen und städtischer Slang. Das ergab eine bunte Mischung aller möglichen Dialekte im australischen Busch, die heute noch manchmal in Komödien und Witzen gern kopiert werden. Vieles, was ein Nicht-Aussie für Satire hält, existiert jedoch noch heute.

"How are you hanging around like a shag on rock?"

Shag ist ein schwarzer, struppiger, zotteliger, unsauberer Vogel (ornitologisch: Krähenscharbe). Er ist etwas größer als eine Ente, und sitzt gerne auf Felsen und läßt seine Flügel zum Trocknen baumeln. Eigentlich ist er mit dem Kormoran, dem Nationalvogel, verwandt, doch er wird immer nur Shag genannt. Und wer ihn einmal gesehen hat, weiß, was mit dem Idiom gemeint ist.

Noch eine typisch australische Redewendung:

"Getting the rough end of the pineapple"

Auch da weiß jeder sofort, was damit gemeint ist.

Noch vor 35 Jahren galt Standard British English als Prestige, das laut einer Umfrage in den 60er Jahren vor allem bei den australischen Frauen als "gutes Australisch" galt. Doch schon während diese Untersuchungen im Gange waren, begann der Umbruch. Man wurde stolz auf das Australische. Eine Standard English Aussprache ist heute eher ein Grund, über den man - ähnlich wie auch in Amerika - lacht und seine Witze reißt. Seinen Prestigewert hat es schon lange verloren. Breites, betont australisches Englisch hat diesen Platz eingenommen. Australier sind sich darüber bewußt, daß sie als multikulturelle Gesellschaft vielen Einflüssen ausgesetzt sind. Auch starke Einflüsse aus dem Amerikanischen verändern das Australische ständig. Doch mit dem linguistischen Imperialismus der Briten ist es endgültig vorbei.

Erstveröffentlichung 1998
Neue, aktualisierte Fassung


3. Februar 2009